18 | The Kaufhaus Musical
,,Und der?", fragte Sangster, offensichtlich mit den Nerven am Ende.
,,Zu groß.", gab ich süffisant zurück und war froh, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte, da ich in der Umkleidekabine stand.
,,Das hast du bei den letzten drei auch gesagt.", zischte er gereitzt.
,,Und du hast eine falsche Vorstellung von dem weiblichen Körper.", ätzte ich.
,,Und du bekommst Probleme, wenn du so weiter machst!"
,,Und du bist nicht meine Mutter!"
,,Aber ich habe eine Waffe, mehrere Helfer und weiß, wie man andere zum Schweigen bringt.", erklärte Sangster. Ich konnte sein Grinsen förmlich hören.
Für einen Moment war es still, weil ich nach einem guten Konter suchte. Schließlich viel mir nichts Besseres ein, als: ,,Du hast das 'Und' am Anfang vergessen, ich hab trotzdem gewonnen!" Meine Erwiderung klang trotziger, wie gewollt.
,,Du denkst das ist ein Spiel?", fragte er von draußen. Er klangt nicht mehr gereizt, sondern ruhig und das machte mir paradoxerweise Angst.
,,Kommt drauf an, was genau du meinst...", wich ich ihm aus, während ich den BH öffnete und meine Hand hinter dem Vorhang hervorstreckte. Er nahm das Teil jedoch nicht. Mein Arm wurde nach wenigen Sekunden schwer.
,,Das alles hier. Glaubst du, ich lasse dich nach ein paar Shoppingtrips gehen? Glaubst du, ich mache das hier, weil ich einfach so Lust drauf habe? So ganz ohne Aufwand...?", hakte er nach. Warum musste er dabei so gruselig klingen? Normalerweise empfand ich solche Tonarten als angenehm und ruhig, doch bei ihm wirkte es... anders.
Fieberhaft dachte ich über seine Fragen nach, während ich meinen alten BH wieder anzog.
Es war wieder still, er ließ mir Zeit. Meine Stimme war nicht mehr als ein raues Hauchen, als ich antwortete.
,,Darüber habe ich noch nicht wirklich nachgedacht..."
Und das stimmte. Oh mein Gott, ich hatte einfach überlegt, was wohl mit mir passieren würde! Diese Option, mein Tod, das war so... unglaublich und undenkbar, dass es mir nicht einmal in den Sinn gekommen war.
Oh mein Gott, man wird mich töten.
Oh mein Gott, ich sterbe so oder so!
Oh mein Gott, Sangster wird wissen, dass ich gelogen habe.
Oh mein Gott, entweder sterbe ich gleich, oder er wird mich foltern und dann töten, weil er erkennt, dass ich keine Ahnung habe!
OH. MEIN. GOTT!
Und das war der Moment, in dem ich einfach anfing loszukreischen...
...Natürlich platzte Sangster sofort herein und hielt mir den Mund zu (genauer gesagt: presste seine Hand auf meine Lippen, bis ich praktisch schmeckte, was er davor alles angefasst hatte), bevor er mich gegen die Wand der Kabine drückte. Ich bekam Gänsehaut, als ich die Pistole unter seinem Hemd an meinem Rücken fühlte.
Ich schrie nicht mehr und bemerkte erst, dass ich schluchzte, während schon ein paar Tränen auf den dunkelgrünen Teppich tropften.
,,Wie kommst du auf die beschissene Idee, einfach herumzuschreien?!" Jetzt hörte ich die Wut in seiner Stimme und sehnte mich nach diesem ruhigen Ton. Hörbar wütend war also doch schlimmer.
Wie zu vermuten, war das keine echte Frage, denn sonst müsste ich antworten, was Dank seiner Hand nicht funktionierte. Langsam versuchte ich meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, weil ich sonst erstickte. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen..., flüsterte Alice hinter uns. Der Platz hier drinnen war ohne sie schon ziemlich eng, doch ihre Anwesenheit beruhigte mich trotzdem.
,,Wirst du wieder schreien, wenn ich loslasse?", fragte Sangster.
Ich rührte mich nicht. Würde ich schreien? Hatte es einen Sinn? Vielleicht. Es könnte mein Leben retten. Doch andererseits hatte ich Angst vor dem, was passierte, wenn er mich wieder kriegen würde. Und das war nur allzu wahrscheinlich. Trotzdem...
Ehrlich gesagt war ich davor zu nicken. Ja, ich würde schreien. Ich würde schreien, bis das Glas der riesigen Fenster zersprang, Sangster's Ohren bluten würden, alle bewusstlos umkippten, ich problemlos rausspazieren könnte, um die Polizei zu rufen und zum Schluss Sangster's geliebtes Handy zu zertreten.
Besagte Person drehte mich plötzlich zu sich um.
,,Wirst du schreien, Kleine?!", fragte er erneut in einem schärferen Tonfall, mit dem er Glatt eine Gurke schneiden konnte. Oder Tomate, je nachdem, worauf er eben Lust hatte.
Ich schüttelte den Kopf.
Gesicht zu nahe, Gesicht zu nahe!, schrie ich währenddessen in Gedanken. ,,Gut.", murmelte er. Dann ließ er seine Hand sinken.
Und sinken. Und noch weiter sinken. Sie hörte gar nicht mehr auf zu sinken. Mein Gott, es gab Niveaus, die sanken nicht mal so tief wie seine Hand!
Kurz bevor er meinen Rockzipfel berührte, ich mich dieser kleinen Panikattacke hingab und anfangen würde wieder zu kreischen, zog er seine Hand zurück. Ich starrte verkrampft auf seine linke Schulter und konnte mit Sicherheit sagen, dass er mir auch nicht ins Gesicht blickte.
Soll ich Musik machen?, fragte die Grinsekatze stirnrunzelnd über uns. Es war selten, dass der mal die Stirn runzelte.
,,Nein!", murmelte ich schnell.
Sangster, der das natürlich hörte, glaubte zu wissen, was ich damit meinte. ,,Doch! Daran kannst du nichts ändern.", meinte er. Sein Gesichtsausdruck war starr, ich bereute es, ihn angesehen zu haben.
Sehe ich genauso!, kam es von Grins.
Von diesem Moment an hörte ich für die nächsten Minuten Disney-Liebessongs im Hintergrund. Ich bemühte mich, nicht wieder zu kreischen - diesmal aus Frust.
...Und ich weiß genau, was immer auch geschieht...
,,Du wirst dich jetzt umziehen, denn Liebe, sie öffnet Türen..." Erschrocken stieß ich gegen die Kabinenwand zurück. Ich hatte ja nicht gewusst, dass ein Mann in seinem Alter so eine Tonlage beherrschte - beziehungsweise den Songtext aus die Eiskönigin.
Moment mal... Grinsekatze!
,,Beruhig dich. Du sollst dich nur anziehen und keiner nimmt uns die Philosophie - Hakuna Matata!"
Ich nickte langsam und versuchte, mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Er wollte, dass ich mich anzog, also würde ich das auch tun!
Sangster jedoch bewegte sich nicht von der Stelle, als ich nach der Tasche griff, in der sich ein neuer Rock (ich hatte darauf bestanden!), ein rotes Kleid (,auf das er bestanden hatte), zwei Paar Socken (mit Katzen natürlich) und drei verschiende Oberteile passend zum Rock befanden.
...kein Liebeskram, nein, ich will keinen Mann...
,,Ähm... könntest du...?", fragte ich unsicher, weil ich nicht wieder wütend machen wollte. Sangster starrte mich immer noch an und nickte geistesabwesend. Was war los mit ihm?
...Ich will die Männer nur vergessen, sonst werd ich's bitter bereu'n...
,,Muss ich mich umziehen, wenn du dabei bist?", versuchte ich es noch einmal.
Er nickte wieder.
,,WAS?!"
Da horchte der junge Mann endlich auf. Er schüttelte leicht den Kopf, dann sagte er ein wenig verwirrt, als wäre gerade aufgewacht: ,,Nein, ich meine... nein. Träume werden nun wahr, sieh nur hin, schon passiert es..."
,,Könntest du bitte rausgehen?", fragte ich etwas pikiert, was ich mich nur traute, weil er mir nicht direkt in die Augen starrte. Genau genommen blickte er nicht einmal in mein Gesicht. Eher etwas tiefer.
...drunter, drüber, du fliegst als wär' es plötzlich Zauberei.
,,Was zum...!", rief ich aus und presste meine Hände auf mein Dekolleté. Anscheinend verdeckte der BH nicht genug. Deshalb hatte er wohl so geglotzt... Okay, zugegeben, ich hatte meine Arme instinktiv zusammengepresst und dadurch meine Brüste etwas hervorgehoben, aber... sowas machte man einfach nicht!
...In meiner Welt fängst du ein neues Leben an... Hier hörst du niemals nein, hier kann dir keiner deine Träume nehmen!
Vielleicht hatte ich durch die Tatsache, dass er sich wie meine Mutter verhielt und mich nicht behandelte, wie es die anderen Jungs taten, die ich kannte, vergessen, dass er immer noch ein männliches Wesen war.
...Oh nein, niemals, nie im Leben, nicht so! Es tut nur weh, nein, ich will keinen Mann...
Endlich schien er zu bemerken, was ich meinte und obwohl er versuchte, es zu verbergen - ich sah, dass er grinste. Und zwar breit.
Ja, du willst sie, klarer kann es gar nicht sein...
Gerade wollte ich ihm erneut sagen, er sollte abhauen, doch dann wurde der Vorhang plötzlich aufgerissen.
...und sie wär' so gerne dein und ihr kommt euch noch näher...
,,Hey, ich hab die Binden besorgt, aber ich wusste nicht, welche sie braucht, also lass die Worte weg, alle Worte weg. Nur zu, und küss sie doch!", kam es von Siegmund Freud. Hinter ihm lugten Schwarzeneggi Senior und Murat in die Umkleidekabine. Ich wusste genau, was sie hofften zu sehen und funkelte sie wütend an.
,,Die passen... glaube ich.", erwiderte Sangster und sah mich fragend an. ,,Kann es wirklich Liebe sein?"
,,Wie?", piepste ich irritiert. Ich wusste zwar, dass er nicht in echt sang, aber es war schwer zu hören, was er sagte.
,,Es ist egal, welche Art von Binden er besorgt hat, oder?", fragte er die Augen verdrehend.
Ich nickte und wurde rot. Mich vor vier Jungs über Binden zu unterhalten war peinlicher, als gedacht.
,,Gut, dann Sha la la la la la, fass nur Mut, der Augenblick ist nur gut, tu's endlich, küss sie doch!"
Was immer auch Siegmund in Wirklichkeit gesagt hatte, Sangster nickte zustimmend darüber. ,,Von mir aus.", erwiderte er.
,,Zieh dich endlich an. Wir warten draußen und wenn du wieder anfängst zu schreien, kommen wir alle rein, um dir beim Umziehen zu zusehen!", meinte er dann mich an gerichtet, bevor er mit einem Schritt draußen war und den Vorhang wieder zu zog.
...Wie schade, niemand küsst sie doch!
,,Lass das.", flüsterte ich. Überraschenderweise verstummte die Musik sofort.
Alles, was blieb, war das Kichern der Grinsekatze, das wie ein Echo über mir widerhallte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top