12 | Lasst die Spiele beginnen

Ich aß nicht einmal die Hälfte von dem Zeug. Es schmeckte scheußlich und erst jetzt erinnerte ich mich daran, dass ich das Essen im Flugzeug noch nie leiden konnte. Angewidert verzog ich das Gesicht, da ich noch immer den Geschmack der Karotte im Mund hatte. Es fühlte sich so an, als würde ich auf einem bitterem Gummiball herumkauen.

Sangster und Murat hatten ihr Tablet schon längst leergefuttert und verzogen keine Miene, während ich mir nun einen halben Liter Wasser in den Rachen stürzte. Bah!

Allerdings hatte ich eine Kleinigkeit nicht bedacht - wenn man viel trank, musste die Flüssigkeit auch wieder raus. Und ich war in meiner Familie für meine schwache Blase bekannt.

,,Ähm..." versuchte ich wieder mit der selben schlauen Wortwahl, ein Gespräch aufzubauen.

,,Sie will wieder was!" stöhnte Murat genervt und stieß Sangster erneut in die Rippen. Dieser hatte mittlerweile seine Kopfhörer beiseite gelegt und versuchte anscheinend zu schlafen.

,,Dann gib's ihr eben..." murmelte er.

Murat lachte. Offensichtlich dachte er zweideutig, was Sangster anteckte, denn er schüttelte leicht den Kopf und grinste. Jetzt war ich diejenige, die genervt stöhnte. Mir fiel als Verteidigung gegen Perversion nichts anderes als ein bockiges "Ich will's aber nicht!" ein.

Darauf lachten Murat und Sangster noch lauter, sodass sie sich leicht krümmten.
Nach den längsten zwanzig Sekunden meines Lebens fragte mich Sangster dann: ,,Und was willst du jetzt?"

Murat kicherte noch immer leise.

,,Pinkeln."

Reserviert schloss er die Augen. ,,Sam, geh mit ihr mit!" befahl Sangster seinem Freund.

,,Warum Ich?! Sie kann doch alleine gehen, oder?" protestierte Murat.
,,Ja, ich bin sechzehn. Meine Eltern haben mich schon mit drei alleine auf's Klo geschickt!" erwiderte ich.

,,Respekt! Willst du eine Medaille, dafür, dass du schon alleine pissen kannst?" fragte Sangster ohne mich anzusehen.
Ich wollte etwas beleidigendes und sarkastisches zurückgeben, doch mit fiel nichts ein.
Außerdem musste ich immer dringender.

Also machte ich mich wieder an die Arbeit, um mich an den Jungs vorbeizudrücken. Lasst die Spiele beginnen!

Zuerst fiel ich über Sangster's Knie, hielt mich an Murat's Schulter fest und verbog mir das Handgelenk. Als nächstes kam der linke Fuß dran. Mit ihm trat ich Sangster ausversehen gegen das Schienbein, der darauf auffluchte, dann stieg ich erneut auf Murat's nicht mehr ganz so neue Nikes.
Die Jungs warfen mir böse Blicke zu, als ich endlich im Gang stand. Ich unterdrückte ein schadenfrohes "Haha" und den Drang, ihnen die Zunge zu zeigen.

Murat stand hinter mir auf, also musste er Sangster gehöriger sein, als ich dachte.

,,Muss er wirklich mitkommen?" fragte ich Sangster noch einmal, als würde ich Dad bitten, mich nicht zu seiner Schwester zu bringen.

,,Ja, muss er wirklich?" fragte Murat hoffnungsvoll.

,,Mhm, das muss er." antwortete Sangster.

Finster blickte ich ihn an. ,,Ich werde extra lange brauchen. Sieh es als Strafe." fuhr ich ihn an. Das war die beste Drohung, die ich auf Lager hatte. Sangster nickte geistesabwesend.

Jetzt, da Murat direkt hinter mir her ging und vor sich hin maulte, konnte ich keinen anderen Passagier bitten, mir zu helfen, geschweige denn mit ihm reden. Doch wahrscheinlich wäre das so oder so in die Hose gegangen. Jedenfalls versuchte ich mich mit diesem Gedanken zu trösten.
Glauben tat ich es nicht wirklich.

Murat wäre wahrscheinlich mit mir in die enge Kabine gegangen, hätte ich nicht augenblicklich die Türe zugekracht. Eine Sekunde später hörte ich ein gezischtes "Aua, scheiß Schnepfe!" und stellte deshalb fest, dass ich ihn wohl erwischt hatte. Während ich mich über die Kloschüssel hockte und mein Geschäft verrichtete, überlegte ich, ob ich mich entschuldigen sollte, tat es aber dann doch nicht. Jedenfalls nicht, bis Murat sich für all seine schlimmen Taten entschuldigen würde.

Bereits nach einer Minute (Ich hatte mitgezählt - wenn auch nicht ganz korrekt) klopfte Murat aggressiv an die Türe, als wäre er dieser Anwalt, der Dad eine ganze Woche lang wegen einem Namen, den er in seinem ersten erfolgreichen Buch verwendet hatte, nervte.
Damals erkannten wir den Typen mit Ziegenbart bereits an seinem Klopfen, öffneten deshalb nie die Türe, stellten den Fernseher ab, schalteten die Lichter aus und schwiegen für ein paar Minuten, bis wir hörten, wie er in seinem Mercedes wieder verschwand.

,,Ey, Kleine, komm da raus!" hämmerte Murat gegen die Tür. Bald würde wohl das gesamte Flugzeug beben, wenn er so weitermachte. Und leider konnte ich Turbulenzen seit dem Anfang der Pubertät nicht mehr ausstehen.

,,Nein!" protestierte ich.

,,Doch!"

,,Nö-hö"

,,Mach mich nicht wütend!" er schien seinen Ärger zu unterdrücken versuchen, doch man hörte deutlich, wie er die Zähne aufeinander biss.
,,Doch." erwiderte ich grinsend und war froh, dass er das nicht sah.

,,Sangster wird aber auch wütend werden." gab Murat süffisant zurück.

,,Dann soll er sich einen Wutball besorgen. Denn kann er dann jederzeit kneten, um Wut oder Stress abzubauen. Den gibt's beim ein Dollar-Store um einen Dollar. 85 Prozent der Käufer sind zufrieden mit diesem Artikel und ich selbst kann ihn nur weiterempfehlen!" beendete ich meinen Werbe-Monolog.

,,Kleine!" knurrte Murat, weil er merkte, dass ich nicht nachgab.

,,Murat!" Ich versuchte einen strengen Tonfall einzunehmen, schaffte es jedoch nicht.

,,Ich heiße Sam." antwortete er missmutig.

,,Sam!" versuchte ich es erneut und kicherte.

,,Sag mal, hast du Drogen genommen, oder was?" ätzte Murat. Er schien sichtlich überfordert was das Babysitting betraf.
Auf einmal hörte ich eine zweite Stimme. Jemand flüsterte. ,,Die will nicht rauskommen!" beschwerte sich Murat dann bei Person zwei. Diese flüsterte wieder etwas, worauf Murat mit einem pikierten "Versuch du's doch!" antwortete.

Kurz danach ertönte ein "Kleines, mach die Tür auf und komm raus!" Es war Sangster, der seine Stimme zu kontrollieren schien, doch man hörte, dass er gereizt war.
Für einen Moment hatte ich wirklich Angst, aber ich wollte nicht sofort aufgeben. Also dachte ich mir etwas aus.
,,Ich muss mich noch abwischen..." erklärte ich und lächelte in mich hinein.
,,Mach schnell, sonst helfen wir dir dabei!" Nachdem Sangster das gesagt hatte, kicherte Murat.

Ich versuchte darauf nicht zu reagieren, doch aus Wut trat ich gegen die Türe. ,,UUUUUPS!" rief ich überheblich nach draußen. Dann seufzte ich und sperrte auf.
Mit einem Blick auf meine Schuhe stellte ich fest, dass meine Schüre sich schon wieder ineinander verheddert hatten. Gerade wollte ich sie entknoten, da räusperte sich jemand über mir.
Dass es Sangster war, hätte nicht erwartet. Genau so wenig erwartete ich auch, dass der menschliche Körper unter anderem auch Sauerstoff zum Leben brauchte und Erdmännchen Tiere waren. Kurz gesagt war ich nicht wirklich überrascht, doch ich bekam trotzdem einen halben Herzinfarkt. Vielleicht lag es an seinem Auftreten, an seiner Aura, oder so. Was immer es auch war, es schüchterte manchmal stark ein.

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