KAPITEL 37
E L I Z A B E T H
Seit geschlagenen zwei Stunden marschierten wir durch die kalte Dunkelheit, ich spürte weder meine Füße, noch irgendein anderes Körperteil. Der Schnee hatte anscheinend auch beschlossen sich gegen uns zu richten; es schneite kontinuierlich und es sah nicht gerade so aus, als würde es bald wieder damit aufhören.
Genervt rieb ich meine Handflächen aneinander, meine Finger waren steif gefroren.
»Wie lange brauchen wir denn noch, um diesen verdammten Wald zu durchqueren?«, nörgelte ich und stellte mir vor, dass ich auf einer Liege in Mallorca lag; immerhin hieß es doch, dass man sich warme Gedanken machen solle, wenn einem kalt war.
»So lange bis wir im nächsten Ort sind«, antwortete Locke mindestens genauso angenervt von der Situation.
Er verschränkte seine Arme vor der Brust und folgte dem Lichtstrahl, welcher aus Jacksons Taschenlampen-App entsprang.
Luke legte mir seine Hand auf die Schulter.
»Bist du dir sicher, dass du meine Jacke nicht möchtest? Du bist kalkweiß im Gesicht und deine Lippen nehmen einen bläulichen Farbton an«, teilte er mir mit, woraufhin ich stur den Kopf schüttelte.
»Sonst hast du dich doch auch nicht dafür interessiert, wie es mir geht«, trotzte ich und wandte den Blick von ihm ab, verschnellerte meine Schritte und zog mit Seth gleich, der mich mit einem tadelnden Blick ansah.
»Ist das dein Ernst, Elizabeth? Ich habe mich immer darum gesorgt wie es dir geht!«, hörte ich Luke von hinten knurren, er klang sehr wütend.
Vielleicht hatte ich den Bogen ein wenig überspannt, immerhin waren wir alle ziemlich reizbar, aufgrund unserer zur zeitigen Lage.
Trotzdem erwiderte ich darauf nichts mehr, da ich keinen Streit anfechten und sowieso meine Ruhe wollte.
Luke sollte mich einfach in Frieden lassen, dann war alles in Ordnung. Er sollte auch nicht versuchen, die ganze Zeit so zu tun, als würde er sich um mich sorgen. Vermutlich hatte er das einmal getan, aber für den neuen Luke war diese Fürsorge nicht typisch; sie passte nicht zu der Seite, die von der Dunkelheit angezogen wurde.
Der Waldweg schien endlos lange zu sein, ständig knackten irgendwelche Ästchen, zudem knirschte der Feine Schnee unter unseren Füßen.
Ich wäre einmal fast ausgerutscht und hingefallen, hätte Locke nicht so schnell reagiert und mich an der Schulter gepackt. Daraufhin hatte ich mich bei Seth eingehakt, da ich so eine peinliche Aktion nicht noch einmal riskieren wollte.
Mittlerweile lief Locke hinter mir und unterhielt sich mit Luke über irgendeinen entwickelten Plan darüber, wie es weitergehen würde, wenn wir in dem nächsten Ort ankommen würden. Jackson drückte uns sein Handy in die Hand und gesellte sich zu den Beiden; letztendlich waren wir an der Front und bewegten uns im gleichmäßigen Tempo vorwärts.
Mit jedem Meter den ich vertrat, wurde mir kälter. Ich erzitterte des öfteren Males in wenigen Minuten, über meinen Rücken zog sich regelmäßig ein Schauer. Die Gänsehaut auf jeder Stelle meines Körpers wurde langsam zur Gewohnheit, ich wollte einfach nur, dass alles schnell ein Ende nahm und ich endlich zurück ins Warme konnte.
Die dunkeln Bäume ragten gefährlich über unseren Köpfen empor und verdeckten die Größte Sicht auf den düsteren Himmel, welcher trotz dessen mit Wolken bedeckt war.
Wenn jetzt der Regen einsetzen würde, wären wir in der Kälte verloren und würden mit Sicherheit erfrieren - zumindest glaubte ich das. Vielleicht waren wir wirklich in der Nähe des nächsten Ortes und konnten bald in ein gemütliches Motel eichecken. Selbst wenn es nicht gemütlich wäre, oder ziemlich heruntergekommen aussehen sollte; ich zog alles meiner jetzigen Position vor.
Plötzlich huschte etwas vor unseren Füßen vorbei, erschreckt quiekte ich laut auf und war kurz davor in Seths Arme zu springen.
»Wenn du noch ein bisschen lauter schreist, können wir gleich ein Feuer anzünden und auf uns aufmerksam machen. Komm mal ein bisschen runter, das war nur ein Eichhörnchen, Liz«, erklang Lukes genervte Stimme hinter mir.
Augenverdrehend drehte ich mich zu ihm um, zeigte die Schönheit meines Mittelfingers und wandte mich wieder an Seth.
Mir war es herzlichst egal, was meine Handlung für Folgen mit sich brachte, sein dummes Geschwätz konnte mir gefälligst gestohlen bleiben. Ich hatte die Nase gestrichen voll, meine Laune sank permanent und bald würde sie definitiv ihren Nullpunkt erreichen.
»Lass ihn einfach reden«, murmelte Seth in meine Richtung und schob mich sanft weiter.
Meine Wangen hatten angefangen zu glühen, was ganz sicher an meiner aufkommenden Wut lag. Selbst meine Hände schienen wieder etwas Temperatur angenommen zu haben, das Blut pumpte durch meine Adern.
»Es ist schwer ihn zu ignorieren. Er hat sich doch auch nicht um mich geschert, als er einfach verschwunden ist und mich zu meinem Schutz zurückgelassen hat!«, sagte ich etwas zu laut und setzte das "zu meinem Schutz" in Anführungszeichen.
»Liz...«, fing Seth an, wurde jedoch jäh unterbrochen.
»Elizabeth, es reicht«, mischte nun auch Locke sich ein.
»Ihr könnt es doch bloß nicht haben, die verdammte Wahrheit zu hören! Wäre er nie in mein Leben getreten, wäre das alles nicht passiert und ich könnte ein stinknormales, langweiliges Leben leben. In Ruhe, außer Gefahr und ohne euch alle. Ihr denkt wohl es ist selbstverständlich einfach so mit fremden abzuhauen ohne irgendjemandem ein Sterbenswörtchen davon zu sagen! Meine Familie denkt ich bin tot! Leute, sie denken ich lebe nicht mehr! Meine beste Freundin gibt sich die Schuld dafür und ich muss damit leben! Denkt ihr das ist so einfach?«, zischte ich sauer und ignorierte die Tränen, die an meinen Wangen herunter kullerten.
»Haltet doch einfach alle den Mund, wenn ihr keine Ahnung von meiner Situation habt!«, fügte ich noch hinzu, ehe ich Seth das Handy aus der Hand nahm.
»Lasst uns jetzt den Weg fortsetzen und das bescheuerte Dorf finden, ich möchte so schnell wie möglich weg von euch, weg von alldem hier«, bestimmte ich und übernahm die Führung der Gruppe, ohne auf irgendeinen Ansatz einer Antwort zu warten. Keiner traute sich mehr ein Wort zu sagen, sie schwiegen allesamt und ich fühlte mich besser. Endlich hatte ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen können.
Vielleicht verstanden sie jetzt wie ich mich fühlte, wovon ich aber eher weniger ausging.
Es war mit Sicherheit kein großes Geheimnis, dass ich mich mit jedem Tag schrecklicher fühlte und langsam aber sicher durchzudrehen schien. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft dazu, richtig zu weinen; selbst dazu war ich zu schwach.
Ein kleiner Teil in meinem Inneren hoffte darauf, dass meine Worte wenigstens Luke etwas getroffen hatten und ihn zum Nachdenken brachten.
Sein damaliger Verlust hatte mich mehr getroffen, als ich es mir eingestehen wollte.
In meiner Brust breitete sich ein entsetzlicher Druck aus, ich schnappte kraftlos nach Luft. Es fühlte sich fast so an, als würde jemand versuchen, mir die Luft abzuschnüren. Der Weg vor mir schien noch immer unendlich lange, ich hatte keine Lust mehr weiterzulaufen. Meine Füße fühlten sich auf einmal an, als wären sie in Blei getaucht worden; ich schaffte es kaum noch, diese anzuheben.
Mein Körper war dem Anschein nach meiner Kontrolle entglitten und machte nun das, was er wollte.
Schwer atmend ließ ich den Arm mit dem Handy sinken und lief an die Seite des Weges, um dort in die Hocke zu gehen und letztendlich auf dem Boden Platz zu nehmen. Die Kälte der Erde sickerte durch meine dünnen Klamotten, doch das war mir egal; ich hatte keine Kraft mehr zu reagieren.
Es fühlte sich an, als hätte man mir die Energie mit einem Staubsauger ausgesaugt.
Bei den Gedanken hier elendig zu erfrieren und dann nichts mehr zu spüren, fühlte ich mich irgendwie besser. Es würde sicherlich ein qualvoller Tod werden, aber ich hielt es nicht mehr aus; meine Lebens- und die Willenskraft waren verschwunden.
»Was machst du da?«, fragte Seth mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich kann nicht mehr. Nehmt das Handy und lasst mich hier zurück«, sagte ich in Zeitlupe und hob meinen schweren Arm an, damit ich ihm das Mobilgerät in die Hand drücken konnte.
Anschließend winkelte ich meine Beine an und vergrub das Gesicht darin.
»Liz, was redest du denn da. Natürlich kannst du noch, wir haben es fast geschafft. Es ist nicht mehr ganz so weit«, redete er auf mich ein und setzte sich vor mir, um mein Kinn anzuheben.
Ich schaute ihm müde in die Augen.
»Mir fehlt die Kraft, es tut mir leid Seth.«
»Nein, du darfst nicht aufgeben! Wir sind so kurz vor dem Ziel. Das Handy zeigt zwar immer noch keine Funkverbindungen an, aber ich bin mir sicher, dass es nicht mehr so viele Kilometer sind«, wisperte er und versuchte mich auf die Beine zu ziehen, doch ich sank zurück wie ein Kartoffelsack.
»Ich möchte einfach nur schlafen und nicht mehr aufwachen, dann ist alles vorbei«, murmelte ich, ehe ich die Augen schloss.
-'-
Mir war unglaublich schlecht als ich aus dem Schlaf gerissen wurde und feststellen musste, dass ich nicht tot war. Stattdessen trug mich Luke in seinen Armen, der Wald umgab uns immer noch; wir waren nicht draußen, der Horror ging weiter.
Ich fühlte mich aufgewärmt und entdeckte Lukes Jacke, die erneut um meinen Körper gewickelt worden war.
»Du bist wach«, hauchte er und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.
»Scheint so«, erwiderte ich und streckte mich einmal ausgiebig, soweit es in Lukes Armen möglich war; zugegebenermaßen fühlte ich mich viel besser als zu dem Zeitpunkt, an dem ich eingeschlafen war.
»Du hattest einen Nervenzusammenbruch«, informierte er mich, seine trüben Augen bohrten sich in meine.
»Wen wundert es bei der Lage in der wir uns befinden. Du kannst mich übrigens runter lassen, ich denke ich kann wieder alleine laufen«, antwortete ich sarkastisch und gähnte.
Der große Junge gehorchte und setzte mich auf meinen Füßen ab, es war ein komisches Gefühl wieder auf eigenen Beinen zu stehen; meine Augen waren glücklicherweise noch immer an die Dunkelheit gewöhnt.
Mittlerweile hatte sich der Himmel etwas erhellt, bestimmt würde bald die Sonne aufgehen.
»Wie viel Uhr haben wir?«, wollte ich erfahren.
»Kurz vor vier. Wir müssen noch vor Sonnenaufgang in dem neuen Ort ankommen, sonst haben die anderen leichtes Spiel. Wenigstens hat es aufgehört zu schneien«, erklärte er und ich suchte mit den Augen nach den anderen, die hinter uns liefen und sich unterhielten.
»Okay.«
»Liz, der kurzzeitige Schlaf hat dir echt gut getan, du siehst nur noch halb so schrecklich aus, wie vorher'«, lachte er und ich verdrehte die Augen.
»Nein, im Ernst, du siehst besser aus. Deine Haut ist nicht mehr so bleich wie noch vor einer halben Stunde und deine Körpertemperatur scheint auch wieder angestiegen zu sein. Und zu deinen Worten, die du uns vor deinem Zusammenbruch an den Kopf geknallt hast, haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich wollte sagen, dass es mir...«
»Luke! Ich glaube wir werden verfolgt!«, unterbrach Jackson unser Gespräch in einem nervösen Tonfall.
Der Angesprochene gab uns ein Zeichen mucksmäuschenstill zu sein.
In der Ferne hörte man lautes Gegröle, hin und wieder sogar einen Schuss. Ich schluckte kräftig und versuchte ruhig zu bleiben; ein weiterer Anfall war das Letzte, dass ich gerade gebrauchen konnte.
»Wir müssen in den Wald hinein, auf dem Weg haben wir keine Chance! Los!«, rief er und das Adrenalin in meinen Venen verdoppelte sich augenblicklich.
Wir stürzten in das Dickicht hinein und rannten einfach, ohne auf irgendetwas zu achten. Rannten, als ginge es gerade in diesem Moment um unser erbärmliches Leben.
Nach einer Weile hörte ich keine anderen Fußstapfen mehr und verlangsamte meine Schritte.
»Jungs?«, flüsterte ich in die Dunkelheit hinein und versuchte dabei die Angst in meiner Stimme zu verbergen.
»Wo seid ihr?«, sagte ich nun etwas lauter.
Das konnte doch nicht ernst gemeint sein, sie waren direkt vor mir gewesen!
Das war bestimmt alles nur ein böser Alptraum und ich würde jede Sekunde in Lukes Armen erwachen und alles würde in Ordnung sein. Alles würde in Ordnung sein. Ich führte ein normales Leben und lebte den Alltag so wie immer durch.
Es war nur ein Traum.
Ängstlich strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und bettete anschließend das Gesicht in meinen Händen.
Tränen strömten aus meinen Augen.
»Wach auf, wach auf, wach auf!«, schrie ich und schlug mir gegen die Schläfen.
Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte.
Erst als ich hinter mir ein Knacken vernahm, kehrte das Leben in meine Beine zurück und ich rannte so schnell mich diese tragen konnten. Eine Richtung hatte ich nicht wirklich, mein Ziel war nur vor dem Etwas so schnell wie möglich zu flüchten.
»Nein, lass mich in Ruhe«, brüllte ich und verschnellerte meine Schritte.
Durch das gedämmte Licht des Mondes hatte ich nicht wirklich eine Chance zu sehen, wohin ich lief und was sich unter mir auf dem Boden befand, was wenige Sekunden später zu meinem Verhängnis wurde.
Als ich schließlich über einen harten Ast stolperte, geriet ich ins Straucheln und landete mit einem lauten Rums auf dem blättrigen Boden.
Das Rascheln näherte sich drastisch und schien unaufhaltsam.
Ich sprang zurück auf beide Beine und hob abwehrend die zitternden Hände.
»Bitte... bitte bring es schnell zu Ende, ja? Ich habe schon genug gelitten«, waren meine einzigen gestammelten Worte, die ich in einem jämmerlichen Ton von mir gab.
Dann packte mich etwas an den Armen und ich wurde hinter einen Baum gezogen.
A/N: Spannung! Wow, ich hätte nie gedacht, dass dieses Kapitel (ist eigentlich nur ein Lückenfüller haha) tatsächlich so lange wird o.o
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