KAPITEL 31
L U K E
Erschrocken drückte ich mich von der Scheibe weg und wich ein paar Schritte zurück, ehe ich begriff was gerade geschehen war.
Ich drehte mich um und begann zu rennen, als würde es um mein eigenes Leben gehen.
Meine Freunde wussten nicht, was geschehen war; trotzdem hoffte ich, dass sie mir hinterher kamen, da ich ihre Hilfe mit Sicherheit gut gebrauchen konnte. Einige Leute blockierten mir den Weg und hinderten mich somit daran, an mein Ziel zu gelangen. Ich schubste diese achtlos, noch dazu sogar ein wenig unsanft zur Seite, entschuldigte mich danach nicht einmal für mein Verhalten.
Alles was ich denken konnte, war, Liz zu retten und sie auf der Stelle in Sicherheit zu bringen.
Er hatte sie gefunden, meine Schwachstelle.
Meine Schwachstelle, die ich mir nicht einmal selbst eingestehen wollte, und erst Recht nicht vor den anderen Jungs.
Wenn Liz etwas geschehen würde, könnte ich mir das niemals verzeihen. Vermutlich würde ich mir aufgrund von Selbsthass etwas antun oder mir auf ewig die Schuld für das Geschehen geben; es durfte keinesfalls soweit kommen.
Die ganze Sache überschritt allmählich sämtliche Grenzen, meine Gruppe saß immer mehr in der Falle. Und das nur wegen mir; weil sie mich verteidigen wollte, teilweise aber auch mit mir in der Scheiße steckten. Wir mussten unsere Feinde ausschalten, und das so schnell es möglich war. Langsam zweifelte ich das erste Mal an der Strategie mit dem Ausland und dem fortgesetzten Plan, in verschiedene Hostels zu ziehen.
Meine innere Uhr sagte mir, dass wir noch weniger als eine viertel Stunde Zeit, bis zu unserem Flug hatten.
Ich stieß die Tür des Eingangs auf, die erfrischende Nachtluft schlug mir entgegen. Meine Handflächen wurden schwitzig, als ich mich umblickte, bis ich schließlich nach links rannte und währenddessen an meiner Gürtelschnalle nach der Pistole suchte - natürlich nur für den äußersten Notfall.
Hinter mir hörte ich nicht allzu weit entfernte Schritte.
Erleichtert atmete ich aus, als ich Dimitris Stimme vernahm, welche den restlichen Jungs befahl, sich aufzuteilen und das ganze Gelände abzusuchen; er selbst holte mich irgendwann ein und passte sich meinem Laufschritt an.
Die Glaswand erstreckte sich wenige Sekunden später in unserem Blickfeld, von Liz jedoch keine Spur zu sehen. Nervös fuhr ich mir durch die Haare und versuchte mich zu beruhigen, da ich kurz davor war, durchzudrehen. Dimitri untersuchte währenddessen den Boden um irgendwelche Hinweise ausfindig zu machen, aber außer ein paar Tropfen Blut (vermutlich von Liz), blieb er erfolglos.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich und klang dabei verzweifelter als eigentlich gewollt. Ich fühlte mich hilflos und ausgesetzt, es war schrecklich nichts tun zu können.
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Gefragte ahnungslos und zuckte dabei mit den Schultern. Im nächsten Moment piepte sein Handy. Er zog es hervor, seine Augen überflogen den kurzen Text auf dem Display, ehe er einmal tief ein- und ausatmete und das Mobiltelefon wieder in der Hosentasche verschwinden ließ.
»Was ist los?«, wollte ich verwirrt erfahren.
»Seth und Jeremy haben sie gefunden. Die Kerle bewachen sie wie Wachhunde, zwei unserer Leute wurden getötet, die anderen versuchen die Typen abzulenken, damit wir abhauen können und unseren Flug bekommen. Sie wollen dich, Luke. Er will mit dir sprechen«, informierte er mich, während wir uns auf den Weg zur anderen Seite des Gebäudes machten.
In meinem Köpf fügten sich alle Teile zusammen, wie bei einem Puzzle. Er hatte sich Liz nicht nur geholt, weil sie meine Schwachstelle war, sondern auch ein Köder. Denn er wusste das, was ich bisher noch nicht einmal selbst gewusst hatte; ich würde überall hingehen um sie zu retten.
»Verdammte scheiße«, fluchte ich bei den Gedanken vor mich hin und fühlte mich gleichzeitig noch für den Tod unserer zwei Freunde verantwortlich. Sie waren nicht mehr unter uns, wurden einfach ausgelöscht. Das kostbare Leben war aus ihren Körpern entwichen, ebenso die Seele. Sie waren nur noch leere Hüllen.
Vielleicht würde es Liz bald genauso ergehen, ich machte mir wahnsinnige Sorgen um sie.
Schon von weitem erkannte ich ihre blonden Locken, die schlaff über ihren Schultern lagen. Die sonst so strahlenden Augen waren geschlossen, ihr Körper sah leblos aus.
Mein Herz rutschte mir immer weiter in die Hose.
»Luke, wie schön dass du uns auch noch beehrst. Wir dachten schon, du und deine Trottelfreunde die Möchtegern-Retter spielen, würden uns nie finden. Du dachtest wirklich, ihr könnt euch in Sicherheit bringen, oder? Tut mir leid, dass meine Kumpanen und ich euch enttäuschen müssen«, sagte die nur allzu bekannte Stimme. Er grinste dabei höhnisch und ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen.
»Lasst sie aus dem Spiel. Liza hat absolut nichts mit der Sache zu tun«, fing ich an und näherte mich unseren Verfolgern, die Hand griffbereit an meiner - bisher noch unentdeckten - Waffe.
»Aber sie ist dein Schwachpunkt. Sie macht dich schwach, das hat sie schon immer und du weißt dass ich nicht lüge, sondern die Wahrheit sage. Du willst es dir bloß nicht eingestehen, Lukey. Das Mädchen hat dich völlig in ihren Bann gezogen, sie hat dich fest im Griff«, teilte er uns allen in einem sehr lauten Ton mit, ich fühlte mich von allen Seiten angestarrt und auf frischer Tat ertappt.
Meine Glieder trugen keinerlei Gefühle mehr in sich, es war, als würde ich mich in einer Trance befinden.
»Sieh es ein, Hemmo. Ich habe gewonnen. Du und deine Freunde können einpacken«, höhnte er wieder und ich knirschte mit den Zähnen; niemals würde ich ihn gewinnen lassen.
Aus den Augenwinkeln blickte ich hinter mich und entdeckte acht Leute aus meiner Gruppe, die anderen befanden sich vermutlich bei unserem wenigen Gepäck und hielten im inneren des Gebäudes die Stellung. Die Gesichter die mir entgegenblickten, waren in den meisten Fällen bleich wie die Wand, voller Verzweiflung; ahnungslos darüber, was wir nun tun sollten.
Eine Weile des Schweigens verging in der ich immer wieder die Blicke wechselte, einmal sah ich zu unseren Feinden, dann zu meinen Leuten, ehe ich unmerklich mit dem Kopf nickte.
»Jetzt«, flüsterte ich und gab ihnen damit das Zeichen.
Ich war der Erste, der einen Schuss abfeuerte, genau auf den Kerl, der neben meinem Erzfeind stand. Dann erklangen weitere Schüsse und es ging alles ziemlich schnell. Beide Seiten schossen wie wild aufeinander, während ich an den kämpfenden auf das blonde, noch immer am Boden liegende, bewusstlose Mädchen zu stürmte, sie in Sekundenschnelle auf meine Arme hob und losrannte, mit unserem Gate als Ziel. Sie war das einziges was gerade zählte, ich musste sie in Sicherheit bringen, ich hatte es ihr versprochen.
Ich wich geschickt einem abgefeuerten Schuss aus, stolperte beinahe und geriet ein wenig aus dem Gleichgewicht. Ich bombadierte meinen Verfolger mit ein paar Gegenschüssen, wobei mir Liz fast aus den Armen gerutscht wäre, bis er schließlich zu Boden sank und keinen Mucks mehr von sich gab.
Ich steckte die Waffe schnell weg, setzte Liz für einen Moment auf dem Boden ab, nur um sie noch einmal richtig auf meine Arme zu nehmen, damit sie mir nicht noch ein weiteres Mal entgleiten konnte, falls ich erneut nach meiner Waffe greifen musste.
Als ich mich meiner Meinung nach weit genug weg, und noch dazu in Sicherheit war, wagte ich es den Kopf ein wenig zu drehen, selbst von hier aus konnte ich viele regungslose Körper auf dem Boden sehen, größtenteils handelte es sich um Leute aus der Gang. Das Gemetzel hatte sich noch immer nicht gelegt, die Schüsse hallten über den gesamten Platz; es war nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei eintreffen würde.
Ich setzte den Weg fort, die warme Luft des Gebäudes umhüllte unsere beiden Körper. Ein paar Menschen sahen mich komisch an, ich winkte mit den Worten, dass Liza nur müde sei, ab, und verdeutlichte damit, dass alles in Ordnung war. Die Leute gaben sich mit der Ausrede zufrieden und ließen uns in Ruhe.
Keine Sekunde später befand ich mich vor unserem Gate.
Die Jungs waren sofort neben mir und fragten, was geschehen war, woraufhin ich ihnen die Kurzfassung erzählte und sie über den neusten Stand informierte, einem von ihnen drückte ich Liz in die Arme. Zudem machte ich mir Sorgen um den Großteil meiner Leute, welcher immer noch draußen war und für Deckung gesorgt hatte.
Eine Roboterstimme sagte den Flug nach Montana, Missoula durch und genau das war der Moment, in dem meine Nervosität wieder zurückkehrte. Bevor ich mich um den Rest meiner Jungs kümmern konnte, musste ich meine Pistole entsorgen, weshalb ich noch einmal schnell nach draußen joggte, um sie in einen der riesigen Müllcontainer zu werfen.
Auf dem Rückweg lauschte ich, in der Hoffnung irgendein Geräusch meiner Leute zu hören, doch ich wurde enttäuscht. Aus dem Grund beeilte ich mich, zurück zu Liz zu laufen.
Glücklicherweise traten innerhalb der nächsten Minuten, fünf Jungs durch den Eingang, die großteils unverletzt waren, Dimitri befand sich unter ihnen. Er hatte einen gefühlslosen Ausdruck auf dem Gesicht. Ich übergab Liz an den aus der Puste gekommenen Seth und packte Dimtri an der Schulter, der seine Tasche vom Stuhl hob.
»Was ist passiert? Wo sind die anderen drei? Wir können ohne sie nicht fliegen.«
»Die anderen haben sich für unsere Flucht eingesetzt und uns mit allen Mitteln verteidigt. Sie mussten dafür einen hohen Preis zahlen.«
Er hielt kurz inne, ehe er weitersprach.
»Die dritte Einheit existiert nicht mehr, sie wurde komplett ausgelöscht.«
Ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte, aber ich spürte, wie sich immer größer werdende Schuldgefühle in meinem Körper breitmachten. »Es ist meine Schuld«, war das einzige, was ich rausbrachte.
Ein ekliger Geschmack lag auf meiner Zunge, ich schluckte kräftig.
»Luke, ich schwöre bei Gott. Wenn du dir die Schuld gibst, werde ich dich schlagen und dir jeden einzelnen Knochen brechen, denn Schuldgefühle ist zurzeit das Letzte, das wir brauchen können. Es war die freie Entscheidung unserer Freunde und sie haben gewählt, daran kannst du nichts ändern. Wir sollten jetzt in den Flieger steigen, die Maschine hebt in zwei Minuten ab. Aber ich schwöre dir, dass wir uns bei ihnen rächen werden. Wir werden unsere Rache nehmen, nur nicht heute. Im Moment sind wir nämlich die schwächeren«, redete er auf mich ein und drückte mich an der Gepäckabgabe vorbei.
Schließlich standen wir vor der Stewardess und mussten unsere Karten vorzeigen, dann durften wir endlich ins Flugzeug.
»Was hast du mit den anderen Waffen gemacht?«, fragte ich in einem so leisen Ton, den nur mein Freund verstehen konnte.
»Alle sind erfolgreich entsorgt. Was ist mit deiner?«, stellte er mir die Gegenfrage.
»Sie befindet sich im Müllcontainer des Flughafens«, klärte ich ihn auf und konzentrierte mich auf den schmalen Durchgang, den wir überwinden mussten, um zu unserer Gruppe zu gelangen.
Die Plätze waren fast ganz hinten, die Jungs sahen allesamt fertig aus. In meinem Körper machte sich neben den Schuldgefühlen eine unglaubliche Leere breit, ich fühlte mich schrecklich.
Die Rucksäcke, die unser einziges Gepäck bildeten (sie gingen als Handgepäck durch) lagen alle auf dem Sitz neben Jackson, welcher alleine in einer Bankreihe verweilte.
Mittlerweile war Liz wieder bei Bewusstsein, ich quetschte mich an ihr und Seth vorbei, um am Fenster Platz zu nehmen. Seth versorgte sie und presste ihr ein Taschentuch auf die Stelle, die aufgrund des Schlages geblutet hatte. Ich wunderte mich ehrlich gesagt darüber, dass uns keiner gefragt hatte, wie wir zu unseren Wunden gekommen waren. Wir wurden ja nicht einmal komisch angesehen, für die anderen Gäste waren wir wie Luft.
»Hey«, flüsterte ich leise in Liz' Richtung.
Sie nickte Seth zu, bedankte sich für seine Hilfe bei ihm und drehte sich dann zu mir. Ihre Augen glänzten matt, ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.
»Hey«, erwiderte sie ebenso leise.
»Wie geht es dir?«, wollte ich erfahren und kratzte mich am Hinterkopf.
»Mein Kopf tut ein bisschen weh, aber sonst ist alles gut. Ich fühle mich nur ein wenig ermüdet. Und dir?«, stellte sie mir die Gegenfrage, ich biss mir auf die Lippe.
»Das war eine dumme Frage. Du hast fünf deiner Leute verloren und dir geht es beschissen. Wie fühlst du dich?«, änderte sie ihre Worte ab und ich hätte sie am liebsten in den Arm genommen. Sie verstand mich und sie kannte mich einfach besser als jeder andere.
»Ich fühle mich schuldig, fast elendig«, hauchte ich kraftlos.
Unser Gespräch wurde unterbrochen, da wir gebittet wurden, uns die Sicherheitsgurte anzulegen, da wir jeden Moment abheben würden. Wir gehorchten und schnallten uns an, ehe Liz ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich legte.
»Egal was du denkst, es ist nicht deine Schuld«, versuchte sie mich zu überzeugen, doch ich schüttelte den Kopf.
»Ohne mich wäre das alles niemals passiert«, entgegnete ich so leise, dass sie es gar nicht gehört haben konnte.
Ich wandte meinen Blick ab und schaute aus dem Fenster. Draußen wurde es allmählich hell, trotzdem nagte die Müdigkeit an mir. Als ich meinen Blick wieder zu dem blonden Mädchen gleiten ließ, entdeckte ich die stehenden Tränen in ihren Augen. Bei dem Anblick wurde meine Miene weicher und eine neue Welle an Schuldgefühlen drohte mich zu überschwemmen. Scheiß drauf, dachte ich mir, und zog Liz in meine Arme, so dass sie ihren Kopf auf meiner Brust betten konnte.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich in ihre Haare und konnte mit ansehen, wie ihr Körper auf meinen heisen Atem reagierte, da sich eine Gänsehaut breit machte. Sie musterte mich, ich versuchte meine in Sorgenfalten gelegte Stirn zu verbergen, schaffte es aber nicht.
»Was tut dir leid?«, hauchte sie in einem ebenso leisen Ton zurück, da die anderen schon dabei waren einzuschlafen. Ich ignorierte Liz' Frage zuerst und ließ mir mit der Antwort ein bisschen Zeit. Ihre Augenlider wurden immer schwerer, bis sie schließlich kurz davor waren, zuzufallen.
Das Flugzeug hatte gerade abgehoben, nachdem es über die Startbahn gerollt war, als ich wieder das Wort ergriff.
»Es tut mir leid, dass ich dich in diesen ganzen Mist hineingezogen habe«, war das letzte, was ich zu ihr sagte, bevor das Mädchen in meinen Armen einschlief und in ihre Welt der Träume glitt.
A/N: AN DER SEITE FINDET IHR EIN NEUES EDIT, BABES ♥
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