KAPITEL 11
E L I Z A B E T H
»Happy Birthday to you, Happy Birthday to you, Happy Birthday dear Elizabeth, Happy Birthday to you!«, rissen mich mehrere Stimmen aus dem Schlaf. Müde rieb ich mir die Augen und versuchten auch den letzten Schlaf zu vertreiben.
Die Sicht klarte sich auf und ich erkannte Mum und Dad neben meinem Bett stehen. Schnell setzte ich mich auf; ein Grinsen hatte sich über meine Lippen gelegt.
»Meine süße, alles Gute zum Geburtstag. Wow, jetzt bist du wirklich schon 17 Jahre alt, für mich wirst du immer mein kleines Mädchen bleiben«, begann mein Dad und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Mum beugte sich ebenfalls zu mir herunter und flüsterte ein paar Geburtstagsgrüße in mein Ohr.
Die Tatsache, dass sie in dem Lied Elizabeth anstatt Liz gesungen hatten, ignorierte ich mal wieder.
»Dein Geschenk steht unten vor der Tür«, sagten sie beide gleichzeitig mit jeweils einem breiten Lächeln auf den Gesichtszügen. Verwirrt betrachtete ich meine Familie; meine Augenbrauen trafen sich in der Mitte.
»Wie meint ihr das?«, hakte ich nach, schwang die Beine über die Bettkante.
»So wie wir es gesagt haben, schätze ich«, kam es von meinem Vater.
Immer noch total perplex und ahnungslos sprang ich aus dem Bett, schlüpfte in die Hausschuhe die sich daneben befanden und wollte gerade nach draußen rennen, als Mum mich am Handgelenk zurückhielt.
»Du wirst das hier brauchen«, meinte sie und hielt mir einen Schlüssel unter die Nase.
Meine Augen weiteten sich, ich nahm ihn in die Hand, das kalte Material verschaffte mir eine Gänsehaut. Auf der Stelle sprintete ich los, die Treppen hinunter und nach draußen an die frische Morgenluft.
Und dort stand er; ein schwarzer Audi A8.
Vollkommen sprachlos stand ich einfach nur da und begutachtete das wunderschöne Auto. Mein wunderschönes neues Auto. Mum und Dad kamen hinter mir aus dem Gebäude heraus.
»Ihr seid doch verrückt«, quietschte ich, nur um meinen Eltern danach in die Arme zu fallen.
»Verrückt würde ich es jetzt nicht gerade betiteln, eher großzügig. Liz, du darfst zwar erst begleitetes Fahren machen, aber wir dachten uns eben, dass es das perfekte Geschenk für dich wäre, da du ja deine Führerscheinprüfung schon letztes Jahr bestanden hast.«
Ein paar Freudentränen bahnten sich den Weg an meinen Wangen nach unten.
»Ich liebe euch.«
»Wir haben dich auch lieb, Elizabeth. Zieh dich geschwind an, dann fahren wir nach Hause. Dort wartet die nächste Überraschung auf dich.«
Wie ich Überraschungen doch hasste. Vor allen Dingen hatte ich überhaupt keine Ahnung, was diese Überraschung sein konnte. Da die Aktion mit dem Auto jedoch eine gut gelungene Überraschung gewesen war, schaffte ich es sogar meine Neugier zu zügeln und gespannt abzuwarten.
»Du darfst uns sogar fahren.«
In meinen Augen breitete sich das Glitzern aus, das wusste ich selbst ohne einen Spiegel. Glücklich nickte ich und machte mich auf den Weg zurück in die Wohnung.
Da ich keine Lust hatte meine Haare zu waschen und das Wetter sowieso ziemlich heiß war, was bedeutete, dass wir sicherlich in unseren Pool gehen würden, band ich sie zu einem einfachen Zopf zusammen. Mein Spiegelbild lächelte mir entgegen; es wirkte entspannt und ausgeruht. Unter meinem Tank Top hatte ich bereits den Bikini angezogen, freudig schnappte ich mir meine Tasche, in die ich Handy, Sonnencreme, ein Handtuch und den Wohnungsschlüssel stopfte. Die Sonnenbrille setzte ich auf; rückte sie in meinem Gesicht zurecht.
Hinter mir ließ ich die Tür ins Schloss fallen, sperrte ab und lief zu meinen Eltern, die an meinem Wagen lehnten und sich angeregt unterhielten. Sie nahmen, genau wie ich, platz, dann startete ich den Motor.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl einmal selber zu fahren.
»Was ich dir noch sagen wollte, Lizzie. Deine Wand sieht ziemlich schön aus, die Farbe passt genau in das Zimmer. Aber hast du daran gedacht hinter dem Bett auch zu streichen?«
Wieso hatte ich nur gewusst, dass Luke und ich etwas vergessen hatten?
»Uhm... Also das ist so ein neuer Trend, hinter dem Bett nicht zu streichen. Ich wundere mich, dass ihr davon noch nichts gehört habt«, stammelte ich, konzentrierte mich dennoch auf die Straße.
»Aha«, gab mein Dad belustigt von sich und unterdrückte ein Lachen.
Ich bog in unsere Straße ein und parkte das Auto direkt vor unserer Haustür.
»Eine zweite Garage konnten wir innerhalb dieser kurzen Zeit leider noch nicht auftreiben, aber den Platz dazu haben wir ja«, flötete meine Mutter. Ich verdrehte lachend die Augen und stiefelte hinter meinem Vater her. Er schloss die Haustür auf, wir traten ein und mich hätte fast der Schlag getroffen.
Da stand doch wirklich fast meine komplette Familie versammelt.
»Oh mein Gott, sagt mir bitte dass ich mir das gerade nicht einbilde«, kreischte ich überglücklich, die Freudentränen brannten in meinen Augen, selbst Oma und Opa waren aus England angereist.
»Komm her, Liebling«, sagte Grandma und schloss mich in ihre Arme.
Danach kamen noch Grandpa und meine ganzen Cousins und Cousinen. Auf dem Tisch stapelten sich hunderte Geschenke, ich verlor fast den Überblick.
Dad kam aus dem Keller, den Grill zusammen mit meinem Onkel schleppend.
»Na dann lassen wir die Party doch einmal steigen.«
In diesem Moment kam er mir vor wie ein 15-jähriger Teenie. Aber ich lachte darüber nur, heute sollte es mir recht sein. Grams griff nach meiner Hand und zog mich mit den anderen nach draußen in den Garten.
Das Wasser unseres Pools schimmerte im Sonnenlicht.
Mein Vater hantierte mit den Grillspießen herum, während Onkel Thomas den Grill vorbereitete. Die Kohle wurde von meinem elfjährigen Cousin hergeschleppt, ich guckte ihm etwas verblüfft hinterher.
Wie zum Teufel konnte man in diesem Alter schon so stark sein? Das war mir ein Rätsel.
Ich setzte mich zu meiner Tante an den Pool, wir unterhielten uns über dies und das, und hielten währenddessen die Füße in das angenehm kalte Wasser.
»Wie läuft es in der Schule? Hast du schon Freunde gefunden?«, fragte sie; wandte mir ihre volle Aufmerksamkeit zu.
»Ganz gut. Ja, da gibt es schon ein paar.«
Irgendwie war ich ein wenig enttäuscht, dass sich bis jetzt keiner von ihnen gemeldet hatte, aber vielleicht hatten sie es ja vergessen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, schließlich hatte ich nicht sonderlich viel darüber geredet.
»Na das ist doch schön. Und wie sieht es mit Jungs aus?«
Ich verschluckte mich glatt an meiner eigenen Spucke und hustete so heftig, dass ich in den Pool gefallen wäre, hätte sie mich nicht festgehalten. Im Gesicht war ich so oder so bestimmt schon rot wie eine Tomate. Auf einen Sonnenbrand konnte ich das wohl nicht schieben, so ein Mist aber auch.
»Uhm...«, brachte ich hervor, nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte.
»Also gibt es da jemanden«, stellte sie fest und schenkte mir einen ich-habe-gewonnen - Blick.
»Ja okay, du hast Recht«, gab ich mich schließlich geschlagen.
»Ich kenne doch meine Liz. Wie heißt er? Und wie sieht er aus? Groß, klein? Ist er älter als du? Ist es ein australischer Surferboy?«, stellte sie mir eine Frage nach der anderen und holte tief Luft, um noch weitere zu stellen, doch ich ging dazwischen.
»Oh Gott, bitte können wir dieses Thema lassen?«, kicherte ich ertappt und stellte meinen einen Fuß auf den Beckenrand.
»Da wird doch schon wieder jemand rot? Aber gut, du musst mir ja nicht alles verraten«, meinte sie und zwinkerte mir zu.
Damit war das Gespräch vorerst beendet, wir sollten die Pappteller auf dem Tisch austeilen, während Mum und meine Cousine einen Salat zubereiteten.
»Wie lange bleibt ihr eigentlich in Sydney?«, verlangte ich zu wissen, und suchte die weißen Teller aus dem Vorratsschrank.
»Wir fliegen übermorgen wieder zurück nach Brisbane. Deine Grandma und ihr Mann reisen mit uns fast zeitgleich ab.«
Ich nickte und jubelte als ich diese dummen Pappteller endlich gefunden hatte. Schnell kramte ich sie heraus und zusammen tapsten wir wieder in den Garten.
Auf dem Weg begegnete ich Dad, der wohl das Steakfleisch aus der Küche holen wollte. Er bat mich, noch einen kurzen Moment mit ihm stehenzubleiben. Aus diesem Grund überreichte ich meiner Tante die Teller und blickte meinen Vater neugierig an.
»Heute ist dein Geburtstag, es ist Zeit dass du alles erfährst«, fing er an.
»Dad, ich denke mir reicht das was ich bisher weiß also lass es einfach. Ich möchte nicht dass dieser Tag durch unnötige Sorgen ruiniert wird. Solange du und Mum Bescheid wissen ist alles in Ordnung«, sagte ich schlicht und lächelte kurz.
Dann ließ ich ihn stehen und ging in den Garten hinaus; ein paar Familienmitglieder waren gerade dabei die Lampions aufzuhängen.
-'-
Es war 22 Uhr am Abend, fast alle hatten sich von uns verabschiedet, um in ihre Hotels zu fahren und ein wenig Schlaf zu bekommen. Die wenigen die noch hier waren, befanden sich im Wohnzimmer und spielten irgendwelche Partyspiele mit Alkohol.
Manchmal fragte ich mich echt, wer von uns eigentlich die Erwachsene war.
Aber es machte mich auch unwahrscheinlich fröhlich meine Eltern glücklich zu sehen, weshalb ich mich nicht beschwerte.
Gerade war ich dabei das Haus etwas aufzuräumen, als es auf einmal an der Tür klingelte.
Keiner machte sich die Mühe aufzustehen und zu öffnen, weshalb ich diesen Part übernahm. Verwundert blickte ich in die Gesichter von Less, Ashton, Michael und Calum. Innerlich hatte ich auch irgendwie gehofft Luke anzutreffen. Luke... Es verletzte mich zugegeben ein bisschen, dass er sich noch nicht bei mir gemeldet hatte.
»Was macht ihr denn hier?«, rutschte es aus mir heraus, die Verblüffung, welche in meiner Stimmlage mitschwang, war nicht zu überhören.
»Happy Birthday! Ich weiß wir sind echt spät dran, aber wir waren vorhin schon einmal kurz da. Dann haben wir die ganzen Autos vor eurer Tür gesehen und uns gedacht dass wir lieber später wiederkommen«, übernahm Less das reden und drückte mich ganz fest an sich.
Ashton und die anderen beiden schlossen sich der Umarmung an.
Meine Freundin drückte mir ein Geschenk in die Hand. "Das ist von uns allen. Wir wissen zwar dass du finanziell ziemlich gut versorgt bist, aber es wäre Quatsch gewesen irgendetwas zu kaufen, was du eh nicht brauchst."
Der Spruch auf der Karte war echt süß, auf der Innenseite hatten sie alle unterschrieben und bei genauerem Betrachten fiel mir der 200 Dollar Schein auf.
»Wow, das kann ich doch nicht annehmen«, sagte ich mit großen Augen.
»Doch und jetzt sei still«, bestimmte Cal und lächelte mich warmherzig an.
»Oh Leute, ich liebe euch, womit habe ich das nur verdient?«, fragte ich mit Tränen in den Augen, die kurz davor waren über meine Wange zu laufen.
Die Gruppenumarmung fiel diesmal sogar noch herzlicher aus, als beim ersten Mal.
»Gut, dann lassen wir dich jetzt mal alleine, so wie es aussieht sind wir nicht die einzigen, die dir gratulieren möchten«, lachte Less und deutete hinter mich. Neugierig folgte ich ihrem Blick.
Und dann sah ich ihn.
Luke stand hinten im Garten, das matte Licht der aufgehängten Lampions ließ gerade noch so zu, dass ich seine Gestalt erkennen konnte.
Augenblicklich fing mein Herz an ein paar Takte schneller zu schlagen.
Als ich mich wieder meinen Freunden zuwandte, musste ich feststellen, dass diese schon ein gutes Stück von mir entfernt waren. »Hey, wie wäre es wenn wir morgen feiern gehen?«, rief ich quer über die Straße. Less drehte sich zu mir um.
»Alles klar, ich schreibe dir dann nochmal. Vorausgesetzt du hast überhaupt Zeit die SMS zu lesen.«
Das Zwinkern konnte ich bis hierher sehen, es entlockte mir ein raues Lachen. Dann wandte sie sich letztendlich komplett ab und stieg zusammen mit den anderen in ein Auto, welches meiner Vermutung nach Ashton gehörte.
Mit Gänsehaut auf sämtlichen Stellen meines Körpers, schloss ich die Tür hinter mir und lief geradewegs durch den Flur, passierte die offenstehende Terrassentür.
Seine braunen Haare sahen wie immer verwuschelt aus, das weiße T-Shirt mit V-Ausschnitt betonte seine Bauchmuskeln und die schwarze Skinny-Jeans gab mir erst recht den Rest. Er lächelte mich an und biss sich auf den Lippen-Piercing. Mittlerweile stand ich fast vor ihm, die Kerzenlichter die auf dem Pool schwammen, tauchten alles in eine noch romantischere Stimmung.
»Was machst du denn hier?«, war meine Frage, ich könnte mir das Lächeln nicht verkneifen.
»Du hast Geburtstag«, stellte er fest.
»Ach wirklich?«, kicherte ich. »Das wusste ich bis eben aber noch nicht. Danke für die Aufklärung.«
Der Unterton, der eindeutig vor Sarkasmus triefte, brachte Luke dazu, laut aufzulachen.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich heute ausnahmsweise einmal nett bin und dir etwas schenke. Ein ganz bedeutendes Merkmal für meinen Charakter ist, dass ich meiner Versprechen immer halte.«
Aus seiner Hosentasche kramte er ein kleines Kästchen hervor.
»Schließ deine Augen.«
In diesem Moment hätte ich wirklich alles gemacht, was er von mir verlangt hätte; ich gehorchte und ließ meine Augenlider heruntergleiten. Dann spürte ich einen Luftzug, der schöne Junge war anscheinend an mir vorbeigelaufen. Ich bemerkte seine Hand, die an meinen Haaren herumfummelte; er schob den blonden Zopf geschickt beiseite.
Du bist ihm wirklich bis aufs tiefste verfallen. Mensch Liz, was ist aus deinen guten Argumenten gegen den Typ geworden?, stauchte mich die Stimme in meinem Kopf zusammen.
Ich ignorierte sie und konzentrierte mich auf Lukes Hände.
Etwas Kaltes schlängelte sich meinen Hals entlang und dann landete ein kleiner Gegenstand auf meiner Brust.
»Du kannst die Augen öffnen«, hauchte Luke in mein Ohr; das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Mit den Händen hob ich die Kette hoch und betrachtete das kleine Schmuckstück haargenau.
Es dauerte eine kleine Weile bis ich das große L als einen Buchstaben identifizieren konnte.
»Steht das jetzt für Liz, oder für... « Ich stockte, irgendwie fehlte mir der Mut zum weiter sprechen.
»Das kannst du dir selbst überlegen«, meinte er lässig und zwinkerte mir zu. Hinter uns erklang ein Knacken, ich erschrak zwar, brach den Blickkontakt mit Luke trotzdem nicht ab. Der eben Genannte kam mit langsamen Schritten auf mich zu, beugte sich zu mir herunter und stoppte kurz vor meinen Lippen.
Alles in mir, jede einzelne Faser meines Körpers, schrie nur zwei einzige Wörter: Küss mich!
Und er tat es.
Seine warmen Lippen trafen auf meine; bewegten sich synchron. Bevor ich komplett in diesem Kuss versinken konnte, war er auch schon wieder vorbei.
»Alles Gute zum Geburtstag, Elizabeth Maria«, flüsterte er. Im nächsten Moment war der braunhaarige auch schon in der Dunkelheit verschwunden.
Verträumt fuhr ich mir über die Lippen und warf einen kurzen Blick auf den silbernen Buchstaben, der um meinen Hals baumelte. Mein Blick glitt zu unserem Küchenfenster, dort brannte ganz schwach das Licht.
Meine Augen trafen auf die meiner Tante; sie lächelte mich an und reckte einen Daumen in die Höhe.
L U K E
Glücklich machte ich mich auf den Weg nach Hause, den Kuss mit Liz gerade eben, hatte ich noch immer nicht verdaut. Unwillkürlich musste ich beginnen zu lächeln. Es war gar nicht so weit von ihr bis zu mir, weshalb ich schon wenige Minuten später in unsere Straße einbog.
Vor dem Haus indem sich unsere Wohnung befand, lauerte eine schwarze Gestalt, die dem Anschein nach nur auf mich gewartet hatte.
Ich erkannte Jimmy.
Das Training vorhin war ziemlich heftig gewesen, ich wusste nicht ob ich es weiterhin aushalten würde ihm vorzuspielen, dass ich Liz töten würde. Das schießen war der Horror, auch wenn ich nur auf Plastikfiguren zielen musste. Ich stellte mir immer Liz' Gesicht anstelle der grauen, straffen Gesichter vor und dann war alles vorbei.
Ich hatte bei den ersten malen die Waffen in die Ecke gefeuert und mich komplett dagegen gesträubt weiterhin zu üben.
Jimmy hatte sich daraufhin Benny geschnappt und ihm eine andere Pistole an den Kopf gehalten, mir gedroht abzudrücken wenn ich nicht auf der Stelle weitermachen würde. Und Benny?
Er hatte mich nicht angesehen.
Keinen von uns.
Mein Bauchgefühl ließ mich mittlerweile auch allmählich hängen; aus irgendeinem Grund sagte es mir zudem dass Jimmy genau wusste, dass ich nicht mehr weitermachen wollte. Er wusste auch dass etwas mit mir passiert war, was eigentlich nicht hätte passieren dürfen.
Ich hatte Gefühle entwickelt.
Tief in mir verborgene Gefühle für das Mädchen, dass ich töten sollte. Nicht nur Jimmy hatte es bemerkt, auch Benny war die Situation in der ich mich gerade befand, klargeworden. Langsam ging ich auf ihn zu, die Nackenhärchen stellten sich auf.
»Jimmy, was machst du denn hier?«, fragte ich vorsichtig.
»Als ob du das nicht wüsstest, Hemmings«, zischte er und pustete den Zigarettenrauch aus seinem Mund heraus.
»Wovon redest du?«
Ein Kloß machte sich in meiner Kehle breit, ich hatte absolut keine Ahnung was er mit seinen Worten meinte.
»Von dir und Liz. Du wirst sie nicht töten, weil du für sie gefallen bist«, stellte er in einem ruhigeren Ton fest. Meine Augen wurden groß, ich wusste nicht was ich sagen sollte. Da war mein Bauchgefühl nicht falsch gewesen.
Verdammt nochmal, ich saß tief in der Patsche, das einzige was ich tun konnte war zu versuchen, mit ihm zu reden.
»Jimmy, ich weiß nicht ob du es verstehen wirst, aber ich kann das nicht tun. Sie ist ein ganz normales Mädchen, so etwas hat sie nicht verdient. Es gibt bestimmt noch eine andere Möglichkeit für ein Ablenkungsmanöver. Ich schwöre bei Gott, dass ich dir und deinen Kumpels helfen werde, aber bitte. Bitte lass Liz aus dem Spiel«, flehte ich ihn an.
Für einen Moment glaubte ich wirklich, dass er etwas Mitleid mit mir und der ganzen Situation hatte; vielleicht sogar Mitgefühl zeigte, doch das änderte sich schlagartig.
Er zückte sein Handy.
»Bringt ihn runter«, waren die einzigen Wörter die er sagte. Ich verstand nicht was er damit meinte; meine Augenbrauen trafen sich in der Mitte.
Die Tür die in den Hausflur führte wurde geöffnet, seine zwei Kumpanen stolzierten mit einem dritten Jungen heraus. Mir wäre fast das Herz stehen geblieben als ich das Gesicht des Jungen zu sehen bekam.
»Benny?«, fragte ich verwirrt.
Er sah mich total fertig und leidend an, nicht in der Lage irgendetwas zu sagen.
»Jimmy, was soll das?«, fragte ich, meine Stimme war nichts weiter als ein Hauch und dennoch lag eine Spur von Bitterkeit in ihr.
»Tut mir Leid, Hemmings. Geschäft ist Geschäft. Los, bringt ihn zum Auto«, befahl er und knirschte anschließend mit den Zähnen.
Die beiden Männer kehrten mir den Rücken zu, ebenso wie Jimmy.
»Das kannst du nicht bringen! Jimmy ich werde dich anzeigen! Das kannst du nicht tun! Alles aber nicht meinen Bruder! Bitte!«, flehte ich und wäre in diesem Moment mit Sicherheit sogar vor ihm auf die Knie gefallen.
Er lachte bitter auf, und das war der Moment, in dem die Wut auf diesen Arsch mit mir durch ging, und ich stürzte mich auf ihn. Meine Fäuste hämmerten auf ihn ein, mir war es völlig egal wo ich ihn traf, ich wollte ihn einfach nur so verletzen, wie er es gerade bei mir getan hatte indem er mir meinen Bruder weggenommen hatte.
Doch leider dauerte es nicht lange, bis mich zwei starke Arme von hinten gepackt hatten.
Eine harte Faust landete in meinem Gesicht, sämtliche angestaute Luft presste sich aus meinen Lungen.
Eine Flüssigkeit tröpfelte an meiner Nase herunter, ich wusste, dass es sich um Blut handelte. Hasserfüllt sah ich meinen Gegner an, der sich den Kopf hielt und meinen Blick erwiderte. Sein Kumpane hinter mir, verstärkte den Griff um meine Hände, ich knirschte angriffslustig mit den Zähnen. Jimmy bleckte die Zähne und grinste mich wieder mit diesem provozierenden Lächeln auf den Lippen an.
»Denk daran, es liegt einzig und allein bei dir. Wenn du Liz tötest, bekommst du im Gegenzug deinen Bruder zurück. Wenn nicht, dann wirst du ihn nie wieder sehen. Du hast die Wahl. Er oder sie«, teilte er mir entspannt mit.
Damit ließ er mich letztendlich stehen und trottete davon.
Der Gorilla hinter mir schubste mich so heftig, dass ich mit dem Kopf voraus auf dem Gehsteig landete. Das letzte was ich von den drei Männern und meinem Bruder sah, war das schwarze davonbrausende Auto.
Wie ein Häufchen Elend rollte ich mich zusammen, meine Muskeln erschlafften, der Kampfgeist erlosch.
Tränen brannten in meinen Augenwinkeln.
Ich hatte verloren.
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