KAPITEL 10

E L I Z A B E T H

Der große Junge unter mir holte tief Luft und näherte sich mir wieder an. Ich starrte weiterhin in seine blauen Augen. Leicht verlegen räusperte ich mich und versuchte mich von ihm herunter zu schieben, was aber auf ganzer Linie daneben ging. Das Glänzen in Lukes Augen erlosch für einen kurzen Augenblick, tauchte aber gleich wieder auf.

»Wir sollten vielleicht langsam mal anfangen Mathe zu machen, ich muss später noch etwas erledigen«, murmelte ich. Der braunhaarige nickte und ich rollte mich anschließend von ihm herunter.

Peinlich berührt fuhr ich mir durch die Haare, während er mit leicht roten Wangen das Blatt Papier zurück an seinen Platz legte. »Tut mir Leid«, kam ein Versuch seinerseits, die Stimmung ein bisschen zu lockern. Ich winkte nur ab, da mir ja wohl das eindeutig viel peinlichere passiert war.

Endlich - nachdem wir uns Platz auf dem Tisch geschaffen hatten - breitete er das Buch aus um mit mir zu lernen. Wenigstens verstand ich das jetzige Thema nicht wirklich, so kam es nicht ganz so dumm herüber, dass er mir Nachhilfe geben musste.

Ahnungslos nagte ich bereits nach fünf Minuten an meinem Bleistift, während ich vergeblich versuchte eine der gestellten Aufgaben zu lösen. Luke bemerkte meine Ratlosigkeit und seufzte einmal kurz auf, ehe er sich zu mir einmal quer über den Schreibtisch lehnte.

»Hast du überhaupt eine Ahnung was du machen sollst?«, fragte er mit einem Grinsen auf den Lippen. Gedankenlos zuckte ich mit den Schultern und legte den Stift beiseite.

»Liz, du musst dich konzentrieren«, meinte er mit einem ernsten Blick. »Sonst muss ich deinen Eltern leider sagen, dass du dich sehr leicht ablenken lässt«, fuhr er fort und zwinkerte mir mit einem hämischen Grinsen auf den Gesichtszügen zu.

»Das wagst du nicht!«, zischte ich und riss die Augen auf, in meinem Ton war kaum wahrnehmbare Verzweiflung zu hören gewesen.

Ertappt biss ich mir auf die Lippe und schaute zu Boden.

»Dann pass besser auf und hör auf mich die ganze Zeit anzustarren, sowas macht mich nervös, Liza Maria«, teilte er mir mit und schaute wieder auf die Aufgabe vor uns.

Hatte ich wirklich gestarrt? Und dann auch noch so offensichtlich?

Verwirrt runzelte ich die Stirn, meine Augenbrauen trafen sich in der Mitte. Da ich nicht reagierte rückte er schließlich mit dem Stuhl um die Ecke und nahm das Geodreieck und den angeknabberte Bleistift in die Hand.

»Es geht doch ganz einfach, Liza Maria. Ich verstehe nicht, was du daran nicht verstehst.«

Eigentlich hätte ich mich ja auf das Blatt und seine wunderbaren mathematischen Zeichnungen konzentrieren sollen, aber mein Blick schweifte mal wieder zu seinem Gesicht. Der Piercing an seiner Lippe machte mich auf irgendeine Art und Weise nervös, ich stellte mir sogar vor wie es wäre diesen an meinen Lippen zu spüren.

Seine braunen Haare waren so wie jeden Tag top gestylt.

»Liz! Du tust es schon wieder!«, murmelte er ohne den Blick zu heben und mich anzusehen.

Schüchtern wandte ich mich nun endlich von ihm ab und ließ meine Augen über das Blatt gleiten.

»Entschuldigung.«

Danach biss ich mir erneut auf die Lippe, versuchte jeglichen Blickkontakt mit Luke zu vermeiden und mich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die ich alleine schon drei ganze Male durchlesen musste, damit ich die Aufgabenstellung verstand.

-'-

Der Wind verwuschelte meine Haare als ich das Fenster des Autos nach unten kurbelte.

Dad und ich hatten gerade Luke nach Hause gebracht, da es draußen etwas stärker geregnet hatte, was total untypisch für Sydney war, aber manchmal machte das Wetter wirklich das was es wollte.

Hinten im Kofferraum stand eine neue Sporttasche mit frischen Klamotten und sonstigen Dingen, die ich in meiner Wohnung gebrauchen könnte. Es fühlte sich wirklich komisch an, meine Wohnung zu sagen.

Ungewohnt.

Aber daran würde ich mich wohl oder übel irgendwann gewöhnen müssen.

Während der Autofahrt hörten wir irgendwelche komische Musik an, die ich noch nie in meinem Leben zuvor gehört hatte.

Es dauerte gar nicht so lange, bis wir vor dem Haus standen.

»Bist du dir sicher, dass ich dir nicht beim hochtragen helfen soll?«, hakte Dad nach und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Stirn.

»Ganz sicher. Ich bin kein Kleinkind mehr, Daddy.«

Bei dem Wort Daddy klimperte ich extra stark mit den Wimpern. Er grinste und verabschiedete sich noch einmal erneut mit einem leichten Drücker von mir. Mit der Tasche im Schlepptau stiefelte ich auf die Tür zu und steckte den Schlüssel hinein. Kurz bevor ich diese hinter mir ins Schloss fallen ließ, drehte ich mich kurz um, um Dad zuzuwinken.

Das Treppenhaus ließ sich mit diesem Gewicht in beiden Händen nicht gerade leicht erklimmen, dennoch schaffte ich es, auch wenn es etwas gedauert hatte.

Die Räume waren alle noch so, wie ich sie heute früh hinterlassen hatte. Ich stellte die Tasche erst einmal auf die Couch im kleinen, aber feinen Wohnzimmer ab und beschloss dann kurzerhand den Baumarkt der etwas weiter die Straße runter war aufzusuchen, um ein wenig Farbe zu kaufen, damit ich spätestens morgen Abend streichen konnte.

Erst jetzt fiel mir auf, dass mein Geburtstag ja bereits am Samstag war.

Mit ein wenig Geld und meinem Handy in der Tasche ging ich los, und schlenderte die Straße entlang. Der Regen war nur noch ganz leicht; trotzdem reichte es aus, um meine Haut zu benetzen. Die Dämmerung hatte auch schon eingesetzt, es würde aber mit Sicherheit noch ein wenig dauern, bis es stockdunkel war. Am Himmel streckte sich ein Regenbogen entlang, der wunderschön aussah.

Vor dem Baumarkt standen einige Autos, ich wunderte mich dass ausgerechnet um diese Uhrzeit so viel los war.

Seufzend trat ich durch die Tür, die automatisch aufschwang und mischte mich unter die ganzen Menschen. Es war gar nicht so leicht - für meine orientierungslosen Verhältnisse zumindest - die Abteilung mit den Wandfarben zu finden.

Als ich sie dann endlich hatte, kam das nächste Problem in Sicht.

Ich wusste nicht für welche Farbe ich mich entscheiden sollte.

Grün wollte ich auf jeden Fall nehmen, gelb würde sich aber auch gut machen und für die Küche kämen orange oder rot in Frage. Ein Blick in den Geldbeutel sagte mir, dass ich alle Farben nehmen konnte, sogar noch weiße.

An der Kasse war zum Glück wenig los, erst als ich dran war, kamen die ganzen Menschen und füllten die Schlangen. Ich steckte das Wechselgeld zurück in das Portemonnaie und stolperte mit den massiv schweren Farbeimern uncharmant davon.

So lange hatte ich eigentlich gar nicht gebraucht, trotz dessen war es schon dunkler als auf dem Herweg. Mit den gestapelten Eimern versuchte ich krampfhaft nicht auszurutschen oder auf sonstige Weisen einen Abgang nach unten zu machen.

Unglücklicherweise konnte ich nicht einmal sehen wohin ich lief und ob irgendwer meinen Weg kreuzte. Das wurde mir im nächsten Moment auch schon zum Verhängnis, ich dachte wirklich es war vorbei und dass die ganze Farbe sich auf dem Gehsteig verteilen würde. Doch mein Gegenüber schaffte es gerade noch, die fallenden Farbeimer aufzufangen.

»Entschuldigung«, sagte ich und lugte hinter den Eimern in meinen Armen hervor.

»Das gibt's doch wohl nicht«, rutschte es aus mir heraus.

Luke ging es wohl genauso; ich war wirklich überrascht ihn hier anzutreffen. Das war doch eindeutig mehr als Schicksal gewesen. »Was machst du denn hier?«, fragten wir den jeweilig anderen mit hochgezogenen Augenbrauen, und das auch noch wie aus einem Mund.

Er stellte die Gegenstände die er aufgefangen hatte auf den Boden und musterte mich.

»Du zuerst.«

Ich seufzte.

»Naja, ich wollte ein wenig Farbe in meine Wohnung bringen.«

Kaum hatte ich das gesagt, hätte ich mir am liebsten selbst eine reingehauen.

»Wohnung?«

Jetzt musste ich mir aber eine gute Ausrede einfallen lassen, denn dumm war Luke eindeutig nicht.

»Uhm, naja. Also...«

Mir fehlten die Worte, ich hatte es geschafft mich selbst sprachlos zu machen.

»Wohnst du denn nicht mehr bei deinen Eltern?«, hakte er nach und schenkte mir einen prüfenden Blick. Mit der einen Hand raufte ich mir die Haare und legte mir geistig eine gute Ausrede zurecht.

Mir fiel aber irgendwie nichts ein; das war das einzige Problem.

»Kompliziert«, stellte ich schließlich fest und versuchte ihn so loszuwerden. Verdammt, ich konnte aber auch nichts für mich behalten.

»Komm, ich bringe dich nach Hause. Es ist immerhin schon etwas dunkler und du solltest dich nicht mehr alleine auf den Straßen herumtreiben, besonders nicht in diesem Viertel.«

»Nein, nein. Ich möchte dir keine Umstände machen, das schaffe ich schon alleine.«

»Und die Farbe?«, hakte er nach.

Er ließ einfach nicht locker, und genau das hätte mir den entscheidenden Hinweis geben sollen, doch ich war natürlich so naiv gewesen, ihm zu vertrauen.

»Okay.«

-'-

Die Ungewissheit fraß mich beinahe von innen auf.

Nun hatte ich Luke an der Backe und sogar auch noch eingewilligt, dass er mich nach Hause bringen durfte. Verdammt, was hatte ich mir da nur wieder eingebrockt.

»Wie ich mitbekommen habe, hast du am Samstag Geburtstag?«, riss er mich aus meinen Gedanken.

Die Farbe in meinen Händen wurde langsam schwer; zu schwer. Ich bat ihn schnell darum eine kurze Pause einzulegen.

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, hakte er wieder nach und fing an zu lachen.

»Ja, ich habe am Samstag Geburtstag. Was bringt dir dieses Wissen jetzt, wenn du es vorher sowieso schon gehört hast?«

Wieder dieses Lachen, welches die Grübchen auf seinen Wangen hervortreten ließ. »Ich kann zur Abwechslung einmal nett sein und dir ein Geschenk kaufen. Naja ich war mir eben nicht sicher, ob es wirklich stimmt.«

Aus weit aufgerissenen Augen sah ich ihn an, und schüttelte dann den Kopf.

»Das kannst du gleich vergessen, wehe du ziehst es auch nur in Erwägung mir etwas zu schenken. Außerdem können wir uns nicht leiden, so sollte das auch bleiben«, meinte ich, hob die Farbeimer wieder auf und setzte den Weg fort.

Luke war den Rest des Weges still gewesen, gerade waren wir vor dem Haus meiner Wohnung angekommen. Er hatte nicht einmal mehr nachgehakt, warum ich eine eigene Wohnung hatte. Irgendetwas sagte mir, dass ich ihn vielleicht mit meinen Worten verletzt haben könnte; doch diese waghalsige Vermutung schlug ich mir schnell wieder aus dem Kopf.

»Danke fürs heimbringen, aber nach oben schaffe ich es wirklich alleine.«

»Okay. Habe ich gerne gemacht«, lächelte er mich an und platzierte seine drei Farbeimer auf der Treppe ab.

Dann kam er auf mich zu und blickte mir für ein paar Sekunden stumm in die Augen.

»Gute Nacht, Liza Maria.«

Im nächsten Moment spürte ich die sanften Lippen auf meiner Stirn. Fassungslos schaute ich ihm hinterher, als er sich umgedreht hatte und den Heimweg antrat. Mit der Fingerspitze fuhr ich mir über die Stirn, um genau zu sein über die Stelle an der Luke einen feuchten Kuss hinterlassen hatte.

Der Wind welcher um meine Beine wehte, erinnerte mich daran dass ich immer noch mitten auf der Straße stand.

Seufzend rieb ich meine Hände aneinander, die Operation Farbeimer-nach-oben-bringen konnte beginnen. Es war gar nicht so leicht die Treppen mit fünf Farbeimern nach oben zu gelangen, schließlich hatte ich es aufgegeben und jeden Eimer einzeln nach oben getragen. In der Wohnung war es wie immer kühl, die Lichter durchfluteten jeden noch so farblosen Raum.

Erschöpft ließ ich mich so wie jeden Abend ins Bett fallen und versuchte die Sache mit dem Kuss, welcher auf meiner Stirn platziert worden war, zu verdauen. Als ich daran dachte, verteilte sich in meinem Bauch ein kribbelndes Gefühl. Ein Gähnen lenkte mich ab noch weiter darüber nachzudenken, ich wollte ohnehin noch ins Bad gehen um mir meine Schlafsachen anzuziehen.

Die ganze Zeit über fragte ich mich, was meine Eltern gerade wohl machten.

Das Klingeln meines Handys brachte mich dazu zurück in mein Schlafzimmer zu laufen.

»Hallo?«, meldete ich mich, man konnte die Müdigkeit deutlich heraushören.

»Liz, Schatz. Wie geht es dir in deiner Wohnung?«, erklang die Stimme meiner Mutter und ich musste auf der Stelle grinsen.

»Hi Mum, es ist alles in Ordnung du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Mir geht es soweit gut. Ist bei dir und Dad denn alles okay?«, stellte ich ihr die Gegenfrage. Mit dem Fingernagel kratzte ich an dem Holz des Bettes herum, auf das ich mich gerade hatte fallen lassen.

»Uns geht es gut. Ich freue mich deine Stimme mal wieder zu hören.«

»Ach Mum, ich war doch fast den ganzen Nachmittag bei euch, wegen der Nachhilfe«, versuchte ich abzuwinken, schon allein als ich an Luke denken musste machte sich der Kloß in meinem Hals breit. Verdammt, er wusste dass ich eine eigene Wohnung hatte, noch dazu war es meine Schuld.

Das schlechte Gewissen nagte an mir, ich hätte es nicht zulassen dürfen, dass er mich heimbrachte.

»Trotzdem. Im Haus ist es so still ohne dich. Außerdem herrscht im Badezimmer noch immer das reinste Chaos, wir mussten es neu fließen lassen, da der Boden so stark zerkratzt war. Übrigens wird dein Dad dich morgen mit auf die Polizeistation nehmen, weil sie dich befragen wollen.«

Schon bei dem bloßen Gedanken das morgige Opfer einer Befragung zu sein, verscheuchte die Lust, endlich in mein warmes Bett zu steigen und die Augen für ein paar Stunden zu schließen.

»Okay«, war meine weniger kreative Antwort, ich begann damit auf meiner Unterlippe zu kauen. In der Leitung war es still, ich hörte die leisen Atemzüge meiner Mutter.

Keiner sagte etwas, bis ich schließlich die Ruhe brach.

»Hast du etwas dagegen wenn wir jetzt Schluss machen? Ich bin ziemlich müde und wie es scheint wird morgen ein etwas anstrengender Tag sein.«

»Das ist völlig okay, Spätzchen. Gute Nacht, träum süß, dein Dad und ich haben dich lieb.«

»Ich euch auch«, sagte ich mit einer kratzigen Stimme, dann war die Telefonverbindung tot.

Erschöpft schmiss ich mein Handy auf den Nachttisch und zog mir die Decke über den Körper. So wie die letzten Tage auch, beobachtete ich die leuchtenden Sterne am dunklen Nachthimmel. Irgendwann fielen mir die Augen zu und ich sank in den friedlichen Schlaf.

-'-

Zum Glück hatte der Wecker heute die Gnade einmal zu klingeln.

Es dauerte nicht lange bis ich fertig angezogen am Frühstückstisch saß. Dummerweise hatte ich irgendwie überhaupt keinen Hunger und musste das Nutellabrötchen schon fast hineinstopfen. Den Teller stellte ich neben die Spüle; ich hatte heute eindeutig viel zu viel zu tun.

Die Busfahrt verlief sehr ruckelig, ich hätte fast meinen Frappuccino, den ich mir noch schnell vom Starbucks geholt hatte, verschüttet. Mit vielen anderen Schülern schlängelte ich mich durch die geöffnete Tür des Busses und anschließend auch noch über den Pausenhof.

An jeder Ecke standen immer wieder ein paar Menschen in kleinen Grüppchen, die sich unterhielten oder rauchten. Augenverdrehend betrat ich das Schulhaus und entdeckte sogleich meinen großen, braunhaarigen Nachhilfelehrer. Er hatte mich im selben Moment gesehen und zog ein Mädchen in seine Arme, welches mir zunächst noch unbekannt war. Luke presste sie gegen die Schließfächer und drückte seine Lippen auf ihre.

Der Schock breitete sich in mir aus, hatte er seit neustem etwa doch eine Freundin?

»Hallo Liza Maria. Habe ich dir schon Svea vorgestellt?«, fragte er als ich meinen Weg an ihm vorbeistolperte.

»Hey Luke. Nein, hast du nicht.«

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte ich heute überhaupt keine Lust auf unser gegenseitiges Namennecken. Er wollte gerade mit seiner Vorstellung anfangen, da klingelte (leider) die Schulglocke.

»Das musst du wohl verschieben. Wir sehen uns«, verabschiedete ich mich und schenkte dieser Svea, welche wirklich richtig hübsch war, ein freundliches Lächeln.

Innerlich aber keimte die Eifersucht auf.

In meinem jetzigen Kurs war keiner den ich kannte, weswegen ich mich möglichst weit hinten niederließ.

L U K E

Verschwitzt fuhr ich mir durch die Haare, schnaufte einmal tief ein und aus.

Svea war wirklich hübsch, dennoch das Mittel zum Zweck für mich gewesen. Ich hatte sie nur benutzt, um Liz eifersüchtig zu machen, aber Svea hatte das wahrscheinlich auch gemerkt; sie war schließlich nicht dumm.

Warum wollte ich sie überhaupt eifersüchtig machen?

Mir fiel die ganze Aktion wenige Sekunden später wieder ein, ich sollte mich ja an sie heranmachen. Das unwohle Gefühl, dass ich von Anfang an dabei besaß, war immer noch vorhanden.

Der Schultag verlief nur schleppend, ich hatte fast keinen einzigen Kurs mit Liz. Wenn ich einen mit ihr gehabt hatte, saßen wir entweder so weit auseinander, dass ich nicht mit ihr reden und über Svea schwärmen konnte oder sie ignorierte mich vollkommen, was mich beinahe verrückt machte.

Das verringerte meine Chancen natürlich erheblich, sie noch ein weiteres Mal eifersüchtig zu machen, was wiederrum zur Folge hatte, dass ich noch länger brauchte um meine Aufgabe zu erledigen.

Im Laufe des Tages hatte ich die Idee bekommen, einfach einmal bei ihr vorbeizuschauen.

Liz hatte - wie ich durch Kontakte erfahren hatte - zwei Stunden eher Schulschluss als ich, weswegen der kurze Besuch noch etwas warten musste.

Eigentlich ging der Schultag recht schnell über die Bühne, aber die letzte Stunde wollte einfach kein Ende nehmen. Die ganze Zeit beobachtete ich die Uhr, in der Hoffnung dass die Zeit dadurch schneller vorüberziehen würde. Aber es war nicht so. Der Lehrer der gerade versuchte Geschichte zu unterrichten (er scheiterte daran kläglich, weil niemand den Anstand hatte aufzupassen, um das einmal hinzuzufügen) machte es nicht gerade besser. Gelangweilt schrieb ich irgendwelche Sachen auf mein Heft.

Kurz vor Schluss zählte ich in meinem Kopf den Countdown herab.

Es tat so gut die sonst so nerventötende Klingel in den Ohren zu hören. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und sprintete aus dem Raum.

Draußen prallte die Sonne herab und wärmte meinen Körper.

Das Licht ließ meine Haut noch brauner wirken, die ganzen Pflanzen und Bäume wurden ebenfalls vom Licht der Sonne bestrahlt, der See in unserem Stadtgarten glitzerte so hell, dass man sein Leuchten bis zur Straße erkannte. Immer wieder wehte eine leichte Brise, die sanft meinen Körper streichelte.

Aus der Tasche meiner Jacke zog ich die Sonnenbrille, da die Sonne wirklich schon fast in meinen Augen brannte.

Der Rest des Weges zu Liz' Wohnung verlief sehr entspannt, die ganze Zeit begegnete ich irgendwelchen Leuten die mich dem Anschein nach kannten, aber ich sie nicht.

Ich lächelte einfach immer nur und grüßte aus Höflichkeit zurück.

Ich schritt langsam aber sicher auf das große Haus zu, in dem sich ihre Wohnung befand.

Eine etwas ältere Frau stand gerade mit ihrem Mann am Eingang und unterhielt sich mit den Nachbarn. Freundlich lächelnd zog ich mir die Brille von der Nase und quetschte mich an ihnen vorbei. Zwar hatte ich keine Ahnung in welchem Stockwerk Liz wohnte, aber ich würde es schon noch herausfinden.

Als ich vor ihrer Tür stand, klopfte ich daran.

In den ersten Sekunden hörte man nichts, doch dann erklang zuerst ein Poltern, kurz danach Schritte. Die Tür wurde aufgerissen und ich blickte geradewegs in ihr Gesicht.

Die blauen Augen sahen mich etwas überrascht, zugleich erschrocken an.

»Was machst du denn hier?«, fragte sie erstaunt, erst jetzt entdeckte ich den Farbroller in ihrer Hand, welcher noch unbenutzt war.

»Naja, ich dachte mir dass ich einfach Mal bei dir vorbeischaue.«

Ihr war die gesamte Situation nicht gerade Recht, das erkannte ich an ihrem Blick.

»Luke, sorry das ist keine gute Idee. Außerdem habe ich noch so viel zutun, wie zum Beispiel diese wunderbare Farbe an die Wand zu klatschen.«

Enttäuscht sah ich sie an und setzte meinen besten Hundeblick auf.

»Ich könnte dir helfen. Mädchen und streichen kommt nämlich nicht so gut. Du kommst doch sicherlich nicht einmal richtig an den oberen Teil der Wand«, stellte ich fest.

Liz fing an zu lachen. »Es gibt Leitern, Lucas Robert. Hast du im Ernst nichts Besseres zu tun? Wo ist denn Svea?«, hakte sie nach, mit einem Blick auf den Zügen, den ich nicht so richtig identifizieren konnte.

Keimte da etwa Eifersucht in ihr auf?

Schadenfroh grinsend gab ich ihr eine Antwort. »Aber die sind nicht so handlich wie ich. Die ist beim Cheerleader-Training.« Mit der Zunge schnalzend beobachtete ich ihre Reaktion und wartete kurz ab.

Seufzend trat sie beiseite und gewährte mir somit den Eintritt.

Die grauen Wände machten einen traurigen Eindruck auf mich, es wurde Zeit dass diese mit Farbe versehen wurden.

»Okay, dann lass uns loslegen«, meinte ich und streifte die Lederjacke ab; legte diese zusammen mit meiner Tasche auf die Kommode unter der Garderobe im Flur.

»Luke, hast du mir nicht zugehört? Ich schaffe das alleine«, erwidert sie trotzig und schnürte die Küchenschürze zu.

»Das ist mir egal, mit mir wird es aber lustiger.«

Genervt stöhnte das kleine, zierliche Mädchen auf, ehe sie mir auch eine dieser Schürzen zuwarf und sich auf den Weg in ein anderes Zimmer machte.

»Ist das dein voller Ernst? Wieso soll ich auch so eine Mädchenschürze anziehen? Ich bin doch nicht schwul!«

Kurz steckte sie ihren Kopf durch den Türrahmen.

»Ich könnte dazu jetzt etwas sagen, aber ich denke ich lasse es lieber. Mädchen sollte man nämlich nicht beleidigen.« Sie zwinkerte mir provozierend zu, ich band mir augenverdrehend das Frauengewand um und gesellte mich anschließend zu ihr.

»Wo fangen wir an?«

Die Angesprochene antwortete nicht indem sie mit mir sprach, sondern klatschte die Farbrolle, welche mittlerweile grün auf sich trug, gegen die Wand.

»Damit«, kicherte sie schließlich.

Ich zuckte mit den Schultern, nahm mir ebenfalls einen Roller und tat es ihr gleich.

-'-

»Oh Luke! Du hättest besser aufpassen müssen! Jetzt hat meine Decke einen hellgrünen Fleck«, jammerte Liz und prügelte auf meine Brust ein.

»Warte, ich werde es einfach mit weiß überpinseln«, schlug ich ihr vor und hob den Eimer mit der weißen Farbe hoch. Ihre Augen begannen bedrohlich zu funkeln.

»Nein, nein, nein, nein! Du hast schon genug getan, lass mich das besser machen okay? «, zischte sie und schnappte sich den Farbeimer aus meinen Händen. Ich hielt mir die Augen zu, da ich es gar nicht mit ansehen mochte, wie sie mit dem Teil herumhantierte und ihn schlussendlich neben die grün auf der Leiterplattform niederließ.

»Reich mir mal den dünnen Pinsel«, befahl sie mir und ich gehorchte auf der Stelle. Liz begann sich zu strecken, kam trotzdem nicht an die Stelle.

»Verdammt, ich bin zu klein«, fluchte sie und sah mich mit einem Killerblick an.

»Bist du dir sicher dass ich es nicht machen soll? Komm einfach nach unten, dann kann ich das Problem lösen«, sagte ich und klang dabei sehr genervt. Wieso musste sie es auch so kompliziert machen?

»Nein, wie gesagt, du hast...«

Weiter konnte sie nicht sprechen, da sie mit ihrem verletzten Fuß abrutschte, schmerzvoll aufkeuchte, und einen Abgang nach unten machte. Ich reagierte schnell, fing sie auf, wirbelte herum sodass das ganze Gestell zu wackeln begann und landete samt dem Mädchen auf dem Boden.

Wir beide sogen scharf die Luft ein und sahen uns verblüfft gegenseitig in die weit geöffneten Augen. Die Person über mir wollte etwas sagen, wurde aber wieder unterbrochen. Die Leiter wackelte immer noch ein wenig hin und her, ich hätte es gleich vorhersehen müssen.

Der eine Eimer mit der grünen Farbe, schwappte zuerst ein kleines bisschen über, ehe er auf der Kante stand und zu kippen drohte. Genau in diesem Moment hielt ich die Luft an und betete, dass nichts passieren würde.

Doch das Schicksal ist eben ein mieser Verräter.

Es kam mir vor wie in Zeitlupe, als der Farbeimer nach unten stürzte, die ganze Farbe landete auf unseren verschwitzten Körpern. Aus Liz' Kehle entwich ein Schrei, ich wischte mir angeekelt über die Augen um etwas zu erkennen. Das blondhaarige Mädchen begann zu lachen und versuchte ihr Gesicht zu reinigen. Als sie eine halbwegs freie Sicht errungen hatte, kicherte sie noch immer und fuhr mir mit einem Finger über die Wange.

»Du hast da etwas im Gesicht«, waren ihre Worte, die mich nicht nur zum Lächeln sondern ebenfalls zum Lachen brachten. Ich wiederholte dieselbe Geste bei ihr.

»Du auch, Elizabeth Maria.«

Für einen Moment herrschte Stille, in der mir klar wurde, dass dieser Moment ein totales Déjà-Vu Erlebnis war. So wie beim letzten Mal auch, näherten sich unsere Gesichter wieder an. Ich spürte ihren frischen Atem in meinem Gesicht, die blauen Augen mit einem funkeln versehen, dass mir wohl etwas sagen sollte, als es verführerisch aufblitzte.

Nicht einmal ein Floh hätte sich zwischen uns drängen können.

Und genau das war der Moment, in dem wir unseren Gefühlen nachgaben; alles um uns herum vergaßen. Für haargenau diesen Moment rückten sämtliche Dinge in den Hintergrund, es gab nur noch sie und mich; nur noch das hier und jetzt. Keine Vergangenheit, keine Zukunft.

Dann berührten sich unsere Lippen.

E L I Z A B E T H

Der Kuss dauerte eine ganze Weile an, unsere Lippen bewegten sich rhythmisch zueinander; sie schienen nur für den jeweilig anderen bestimmt zu sein. Sein Lippenpiercing verbreitete ein leichtes kribbeln in meinem Körper. Die vollen Lippen schmeckten nach Minze; ich driftete mit meinen Gedanken völlig ab. Luke setzte sich auf, ohne auch nur ein kleines Stückchen von mir abzurücken.

Ich lächelte in den Kuss hinein und knabberte für einen kurzen Moment an dem Piercing.

»Nicht so frech«, nuschelte er gegen meine Lippen; dabei grinsend.

»Ich schätze du bist mir hoffnungslos ausgeliefert«, kicherte ich und war selbst über das erstaunt, was ich gerade eben gesagt hatte.

»Das glaube ich nicht.« Ich wollte gerade fragen was er damit meinte, als ich plötzlich etwas Kaltes an meinem Rücken hinuntergleiten spürte. Auf der Stelle löste ich mich von ihm und begann wie ein Meerschweinchen zu quieken. "Bist du eigentlich bescheuert? Du kannst doch nicht einfach die Farbe über mich schütten!", zischte ich und versuchte irgendwie an meinen Rücken zu gelangen.

»Also irgendwie hast du mir mit geschlossenem Mund besser gefallen. Ich sollte das schleunigst wieder ändern«, sagte Luke und kam bedrohlich auf mich zu. Unauffällig griff ich nach der Farbrolle, die hinter mir auf der Kommode in dem weißen Farbeimer gesteckt hatte.

»Ja, vielleicht solltest du das«, hauchte ich verführerisch und setzte einen unschuldigen Blick auf.

Das ließ sich der große Junge natürlich nicht zweimal sagen. Er legte seine riesigen Hände an meine Wangen und wollte gerade die Lippen auf meinen platzieren, als ich ihn von oben bis unten mit Farbe bespritzte.

»Sorry«, sagte ich, bekam es aber nicht auf die Reihe mein Lachen zu unterdrücken. Lukes blaue Augen weiteten sich erschrocken.

»Das hast du nicht getan. Sag mir, dass du das nicht getan hast, Liza Maria.«

Sein Blick verfinsterte sich gespielt, er suchte mit den Augen nach der anderen Farbrolle. Ein Kloß in meinem Hals erschwerte das Schlucken deutlich, ich nahm die Beine in die Hand und rannte aus dem Zimmer. In der Küche stand ich etwas ratlos herum, wusste nicht wie ich ihm ausweichen sollte.

Das Lachen war noch immer nicht verebbt, Luke sah einfach nur zu köstlich aus.

Die weiße Farbe tropfte aus seinen Haaren, es sah aus als wäre er mit einer Mischung aus Kuchenteig und Beton begossen worden. Verträumt fuhr ich mir über die Lippen; die Schmetterlinge in meinem Bauch setzten zum Flug an.

»Buh!«, kam es von hinten, ich wäre fast auf den Tisch gehüpft. Schon wenige Sekunden später landete etwas von der grünen Farbe in meinem Gesicht.

»Argh Luke, das wirst du bereuen! Meine Haare waren frisch gewaschen!«, schrie ich, klatschte ihm den Roller auf den Bauch und fing letztendlich an seinen Oberkörper zu streichen.

»Oh Liza Maria«, stöhnte er genervt, schlug mir den Gegenstand aus der Hand. Danach fand ich mich gegen die Küchenwand gepresst wieder. Luke presste seine Lippen wieder auf meine, ich schaffte es gerade noch ein Stöhnen zu unterdrücken.

Die kalte Wand jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Das Klingeln eines Handys ließ uns beide innehalten. Augenverdrehend löste Luke sich von mir und kramte das piepende Teil aus seiner Hosentasche.

»Ja?«, sagte er in den Hörer, ich wischte mir die Haare aus dem Gesicht. Als ich wieder eine freie Sicht auf ihn hatte, musste ich feststellen, dass seine Haut fast mit der weißen Farbe verschmolzen war; kalkweiß.

Er schluckte hörbar laut und stammelte irgendwelche Entschuldigungen, während er den Raum wechselte.

Es dauerte nicht lange, bis er wieder vor mir stand. »Alles klar, wie wäre es wenn wir die ganze Sauerei aufräumen und dann wenigstens dein Zimmer und die Küche zu Ende streichen?«, schlug er vor, die Nervosität in seiner Stimme kaum zu überhören.

»Okay?« Irgendwie klang meine Antwort eher wie eine Frage.

»Okay«, sagte er und grinste.

-'-

Die Zimmer die wir tatsächlich mit unseren Streichfähigkeiten beendet hatten, sahen einigermaßen in Ordnung aus; klar man entdeckte auf den ersten Blick, dass zwei Anfänger am Werk gewesen waren, dennoch sah es meiner Meinung nach wirklich gut aus.

Die ganzen Farbflecken auf dem Boden und die Sauerei in meinem Zimmer hatten wir mittlerweile auch erfolgreich beseitigt; sogar die Kleckse, die wir als wir uns geküsst hatten, an der Wand hinterließen, waren wieder verschwunden.

Stolz nickte ich, während ich mich einmal um mich selbst drehte, um alles noch einmal haargenau unter die Lupe zu nehmen.

»Ich denke ich gehe jetzt langsam mal nach Hause, es ist schon ziemlich spät«, meinte Luke nach einiger Zeit, die grünweiße Farbe klebte immer noch in seinen Haaren.

»Danke für deine Hilfe, das wäre wirklich nicht nötig gewesen«, verabschiedete ich ihn mit geröteten Bäckchen.

»Oh doch, die Hilfe war nötig. Ohne mich wärst du komplett aufgeschmissen gewesen.«

Er zwinkerte mir zu und schritt dann über die Türschwelle, nach draußen in den Flur. Kurz drehte Luke sich noch einmal um, bevor er das Haus mit den vielen Wohnungen hinter sich ließ.

»Und Liz? Ich wollte dich mit Svea nur eifersüchtig machen.«

Dann verschwand er in der Dunkelheit.

Verblüfft guckte ich seinem Körper hinterher.

»Und es hat irgendwie funktioniert«, gab ich zu und schmunzelte.

L U K E

Meine Finger glitten über den Touchscreen des Handys, ich hatte Jimmy noch einiges zu erklären. Schon nach dem zweiten Piepen hob er ab.

»Was willst du, Hemmings? Hat dir die Standpauke vorhin noch nicht gereicht? Wie kannst du es überhaupt wagen, eine Unterrichtsstunde von mir zu vergessen?«, bluffte er mich an, ich zuckte zusammen.

»Lass es mich doch einfach erklären«, fing ich an. »Ich war wie gesagt bei Liz und habe versucht unsere Beziehung ein bisschen zu verbessern. Bald habe ich sie am Haken, mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich ihn.

»Keine Sorgen machen? Und wenn du schließlich vor ihr stehst; in ihre blauen Augen sehen und dabei die Knarre abdrücken musst? Du wirst einen Rückzieher machen, das weiß ich. Und genau deswegen gebe ich dir diese Unterrichtstunden. Du musst lernen Rücksichtslos zu werden. Auch wenn sie dich anfleht es nicht zu tun und ein paar Mal mit ihren Wimpern klimpert.«

Ich war sprachlos. Sprachlos darüber, wie grausam manche Menschen sein konnten; darüber, wie er so etwas von mir verlangen konnte. "Und warum muss ich sie töten? Es würde doch reichen wenn ich sie nur anschieße!", versuchte ich ihn von meinem Standpunkt zu überzeugen.

»Luke!«, brüllte er in mein Ohr.

»Wie oft soll ich es dir noch sagen? Du wirst sie töten. Du oder dein dämlicher Bruder. Ihr könnt es auch zusammen machen, es ist mir egal wie, aber ihr werdet es tun. Morgen um elf Uhr treffen wir uns in der Lagerhalle zur nächsten Übungsstunde. Bring deinen Bruder doch einmal mit, schaden kann es nicht. Haben wir uns nun klar und deutlich verstanden?«

»Okay. Dann sehen wir uns morgen.«

»Und Luke? Ich rate dir eines. Das nächste Mal wenn du unsere Übungsstunde versäumst, wird es nicht so glimpflich ausgehen wie jetzt. Reize meine Nerven nicht vollends aus.«

Das tuten in der Leitung machte mir irgendwie Angst, besonders weil Jimmys Stimme am Ende richtig gruselig und bedrohlich geklungen hatte. Die Blätter raschelten im Wind, die Straßenlaternen beleuchteten die Wege nur matt. Im Park stand Nebel in ein paar Schwaden über der Wiese, die Grashalme bogen sich im Wind freudig hin und her.

Auf meinem Körper breitete sich Gänsehaut aus, ich musste an den Kuss mit Liz denken.

Hatte ich dabei wirklich keinerlei Gefühle gehabt? Davon konnte ich mich selber irgendwie nicht so richtig überzeugen... Komplett ohne Gefühle war es nicht gewesen.

Mittlerweile war ich mir so sicher wie nie; ich musste sie um jeden Preis beschützen.

Wenn ich der Polizei etwas von der ganzen Sache erzählen würde, würde ich aber auch ganz schön tief in der Scheiße hängen. Schließlich war Benny noch nicht volljährig gewesen, als er gepokert hatte, und soweit ich wusste war das Lokal nicht legal.

Unser Reihenhaus kam in Sicht, ich griff in die Hosentasche um den Hausschlüssel raus zu kramen.

Im Wohnzimmer brannte noch Licht, ich schickte unzählige Stoßgebete zu Gott, dass mit meiner Familie alles im Rahmen war. Schnell streifte ich mir die pechschwarzen Vans von den Füßen und setzte mich neben meinem Bruder auf die Couch.

»Mum und Dad schlafen schon. Wo warst du so lange?«, hakte er nach und durchforstete mich mit einem prüfenden Blick.

»Bei Liz«, sagte ich kleinlaut und fasste in die Popcornschüssel.

»Du willst das wirklich durchziehen«, stellte er fest, ich schaute geradewegs in seine Augen, die von Finsternis übernommen wurden.

»Ich werde sie beschützen. Euch beide. Ich weiß, dass ich es schaffen werde.«

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