KAPITEL 09
E L I Z A B E T H
Die Nacht war klar, man erkannte nur die strahlenden Sterne am Himmel und das schon seit ich vor meinem richtigen Zuhause ins Auto gestiegen war.
Ungefähr vor einer halben Stunde war ich aufgewacht, und schaffte es nun nicht mehr, einzuschlafen. Meine Gedanken schweiften die ganze Zeit zu meinem Geburtstag der immer näher rückte. Ich bekam es gerade noch so auf die Reihe ein Gähnen zu unterdrücken, mein Körper spannte sich an als ich an das dachte, was ich vielleicht noch alles erfahren würde.
Wollte ich es überhaupt noch genauer wissen?
Es hatte schließlich vollkommen gereicht, was vor knapp acht Stunden geschehen war, noch einmal brauchte ich keine Kostprobe von der Macht dieser Drogenklicke. Wenn es überhaupt einer von ihnen gewesen war. Genau dieses Gefühl trug dazu bei, dass ich noch immer wach lag; Ungewissheit. Ungewissheit über das, was passiert war und was noch passieren würde.
Mit Sicherheit konnte ich mich darauf gefasst machen, dass die Polizei mich morgen zu meiner Sicht der Dinge befragen wollte, da konnte Dad sich anstrengen wie er wollte; es war unvermeidbar mich weiterhin von der ganzen Sache abzuschirmen.
Mit einer Gänsehaut auf dem Körper schwang ich beide Beine über die Bettkante und tapste zum Fenster.
Mit ein paar Handgriffen öffnete ich es geschickt; die warme Nachtluft wehte mir mit einer leichten Brise ins Gesicht. Der Mond war gerade hinter einer Wolke verschwunden, als plötzlich ein etwas heftigerer Windstoß mein Haar verwuschelte, ich fröstelte und das obwohl ich meine Alltagsklamotten trug; es konnte sein, dass dies einer der Gründe war, weshalb ich nicht einschlafen konnte, doch ich war zu faul um mir meine richtigen Schlafsachen anzuziehen.
Schnell verschloss ich es wieder, da mir langsam aber sicher kalt wurde. Dabei hatte ich ja erst die Heizung eingeschalten... Das war vor mehreren Stunden, aber egal, meinte eine Stimme in meine Hinterkopf spöttisch. Mit klappernden Zähnen huschte ich zurück in das Bett, imstande einzuschlafen.
Auf meinem Nachtisch vibrierte das Handy, ich musste mich strecken um daran zu gelangen. Das Display ließ sich nur mühselig entsperren, ich vertippte mich die ganze Zeit bei meinem Code.
»Eine neue Facebook-Nachricht«, murmelte ich und klickte auf die App, um die Nachricht zu lesen. Mit gerunzelter Stirn las ich die nächsten Zeilen, die von keinem geringeren als Luke stammten.
Danke für den (mittlerweile) gestrigen Abend, ich fand ihn sehr schön. Morgen die Nachhilfe bei dir oder wollen wir in der Schule bleiben?
Wieso schrieb er mir und dann auch noch sowas?
Uhm, gerne doch. Mein Vater holt uns von der Schule ab, dann fahren wir zu mir.
Irgendwie fühlte ich mich ein wenig schlecht weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass ich das Essen - bis auf die Geschehnisse danach - auch ganz in Ordnung fand.
Seufzend legte ich das Smartphone wieder dahin wo es vorher gelegen hatte und drehte mich auf die andere Seite.
Der morgige Tag würde anstrengend werden. Nach der Nachhilfe hatte ich vor etwas Farbe für meine Wände zu kaufen. Streichen würde ich zwar erst am Freitag können, aber den einen Tag ohne Farbe an der Wand konnte ich schon noch aushalten.
Und dann war auch schon mein Geburtstag da.
Um ehrlich zu sein war mir die Lust auf diesen Tag bereits vergangen. Meine Augenlider wurden immer schwerer, ich bemerkte wie ich schläfriger wurde. Dann war alles schwarz und ich sank in einen leeren, noch dazu fast trostlosen Schlaf.
-'-
Als ich am nächsten Morgen durch das Klingeln meines Handys geweckt wurde - ich hatte mich so erschrocken, dass ich aus dem Bett gepurzelt war - rieb ich mir zuerst die leicht schmerzenden Ellenbogen und danach die Augen.
Verschlafen packte ich den Übeltäter und versuchte den Namen der Person zu entziffern, die mich gerade eben angerufen hatte.
Dazu kam ich gar nicht, da ich schon wieder angerufen wurde.
»Hallo?«, murmelte ich in den Hörer und unterdrückte mit Mühe ein Gähnen.
»Wo bist du denn bitte? Wir haben Unterricht falls es dir noch nicht aufgefallen ist!«
Auf der Stelle erkannte ich Less' Stimme und schielte auf die Uhr. Geschockt riss ich beide Augen auf. Wieso hatte der verdammte Handywecker denn nicht geklingelt?
Nervös fuhr ich mir durch die Haare.
»Entschuldigung, ich bin...«, fing ich an und legte mir in Gedanken eine plausible Ausrede zurecht, bevor ich weiter sprach.
»Uhm, ich habe vergessen meinen Wecker zu stellen und meine Eltern mussten schon ziemlich früh das Haus verlassen. Sag den Lehrern bitte, dass ich unterwegs bin? In zirka zehn Minuten stehe ich vor dir, versprochen!«, japste ich und legte auf, bevor sie etwas darauf erwidern konnte und hechtete ins Bad.
Das Handy hatte ich vorher zurück auf mein Bett geschmissen, die frischen Klamotten jedoch lagen noch in der Tasche. Aufgebracht und etwas durcheinander zugleich, ging ich wieder zurück.
Mit der ganzen Tasche in der Hand, machte ich mich auf den erneuten Weg in mein Badezimmer.
Eine Weile später stand ich schließlich komplett fertig - ohne Frühstück, mein Magen knurrte wie am Spieß - vor der Tür des Apartments, um abzuschließen. Die schweren Schulbücher, welche in meiner Tasche lagen, brachten mich beinahe um das Gleichgewicht.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle stolperte ich ein paar Mal fast über die eigenen Füße; die Menschen die neben mir, oder gar gegenüber von mir liefen, sahen mich etwas komisch an.
Im Bus passierte glücklicherweise nichts schlimmes, dafür ängstigte mich der leere Schulhof mal wieder etwas. Warum musste ausgerechnet ich immer zu spät kommen? Wenn ich den blöden Wecker gestellt hätte, wäre das alles bestimmt nicht passiert. Gedanklich legte ich mir bereits ein paar Ausreden zu Recht, die ich benutzen konnte.
Entschuldigung, aber ich hatte auf dem Weg hierher einen Unfall.
Eher unwahrscheinlich, dass mir dies jemals jemand abkaufen würde.
Es tut mir Leid, dass ich zu spät komme, aber mein Bus hatte einen Platten.
Vielleicht ging das ja durch, zur Sicherheit beschloss ich aber, mir noch etwas anderes auszudenken.
Entschuldigung, dass ich zu spät komme, aber meine Eltern hatten einen Autounfall. Zum Glück sind sie unverletzt.
Damit würde ich es versuchen; zu verlieren hatte ich sowieso nichts.
Die hölzerne Tür, die als Eingang zu meinem Klassenzimmer diente, war geschlossen; und auch sonst war es überall totenstill. Vereinzelt hörte man einen Lehrer, der entweder mit seiner Klasse schimpfte oder etwas in einem sehr lauten Tonfall erklärte. Mit pochendem Herzen klopfte ich sachte gegen die Tür; für einen Moment vergaß ich sogar meine Ausrede. Drinnen erklang ein 'Herein', woraufhin ich die Türklinke hinunter drückte.
Der Lehrer, dessen Name mir aus irgendeinem Grund nicht einfallen wollte, sah mich an, seine Miene verdunkelte sich etwas.
»Ms. Reed, es ist sehr nett von ihnen, dass sie uns auch einmal Gesellschaft leisten.«
»Es tut mir Leid, aber...«
Mist, wo war die verdammte Ausrede hin? Auf jeden Fall war sie nicht mehr in meinem Gehirn vorhanden, was vielleicht an meiner Aufregung liegen könnte.
»... wissen sie, meine Katze ist ins Klo gefallen und nicht mehr herausgekommen. Ich musste den Tierarzt anrufen, der letzten Endes den Toilettensitz amputieren musste um... Tigger wieder frei zu bekommen«, stammelte ich.
Die ganze Klasse brach in schallendes Gelächter aus, Luke blickte mich verwirrt an.
»Das können sie ihrer Großmutter erzählen. Bitte setzen sie sich jetzt hin, ich möchte nicht dass noch mehr Unterricht versäumt wird«, meinte der Lehrer kalt und schrieb etwas im Klassenbuch auf.
»Aber wenn es doch so war...«, murmelte ich unverständlich und stiefelte mit gesenktem Kopf in die letzte Reihe.
Seufzend ließ ich mich neben Luke nieder.
»So sieht man sich also wieder, du kleine Lügnerin. Du hast gar keine Katze, sondern einen Hund. Das war die dümmste Ausrede die ich je gehört habe«, zog er mich auf und ich rollte genervt mit den Augen.
»Wenigstens bin ich kein Schleimbeutel.«
Mit einem etwas zu lauten Knall landeten meine Schulsachen auf dem Tisch. Grinsend zuckte ich mit den Schultern; die Aufmerksamkeit von fast allen Schülern lag auf mir. Dem Lehrer wurde es anscheinend langsam zu blöd, er atmete tief ein und aus; sein Kopf war dabei rot anzulaufen und an seiner rechten Schläfe bildete sich eine kleine Ader.
»Leute, habt ihr nichts Besseres zu tun? Wie wäre es wenn wir dem Lehrer zuhört, anstatt mich anzugaffen?«, rutschte es aus mir heraus, wieder lachten ein paar.
Der Blick den ich von dem Typ vorne an der Tafel bekam, schüchterte mich ein. Langsam sank ich meinen Stuhl noch ein Stück hinunter und machte mich so klein wie möglich.
Mein indirekter Sitznachbar hatte wohl große Probleme damit, sich das Lachen zu verkneifen.
Beleidigt verschränkte ich die Arme und beschloss wenigstens nach dieser Aktion, brav dem Unterricht zu folgen.
-'-
»Wann kommt dein Vater?«, fragte Luke ungeduldig und tappte mit dem Fuß in einem Takt auf dem Boden auf.
Die ganzen Schüler tummelten sich gerade auf dem Pausenhof; es war Schulschluss. Natürlich strömte die Masse sofort auf den Ausgang zu, es wunderte mich dass bei dem Getrampel und Gerenne noch niemand zu Schaden gekommen war.
»Er hat gesagt er holt uns ab, sobald der Unterricht vorbei ist.«
Der große Junge neben mir stöhnte auf und fuhr sich durch die braunen Haare.
»Luke, wir haben seit drei Minuten aus, relax mal. Und wenn du dir noch weiter durch die Haare fährst, ist das ganze Gel draußen«, sagte ich und zwinkerte ihm zu.
»Da ist nicht einmal...«
»Mein Vater ist da!«, unterbrach ich ihn, schnappte nach seinem Arm und stapfte in Richtung Auto. Seine Haut fühlte sich angenehm weich an, Dad beäugte uns leicht misstrauisch.
Die Autofahrt verlief recht harmlos, ich spürte zwar die ganze Zeit Lukes Blick auf mir ruhen, aber damit konnte ich leben. Mein Vater warf mir andauernd irgendwelche Blicke zu, die ich nicht so richtig deuten konnte.
Im Radio lief mal wieder nichts richtiges, aber Dad musste natürlich sofort aufdrehen, als Wish you were here von Pink Floyd aus den Lautsprecherboxen drang.
Anhand der Bewegungen neben mir, bemerkte ich das Luke dieses Lied auch mochte. Er wippte mit den Füßen hin und her; alles im Takt. Mit dem Ellenbogen stütze ich mich auf dem einen Knie ab und bettete anschließend mein Gesicht darin, allerdings musste ich mich wenige Sekunden später wieder normal hinsetzen, sonst wäre mir schlecht geworden.
»Liz, wir sind da. Hast du vor im Auto zu übernachten, oder willst du aufstehen?«, fragte Luke neckend und lachte mich aus.
»Der Sitz ist echt bequem, ich glaube ich bleibe hier. Immerhin besser als Nachhilfe.«
Dad schenkte mir einen strengen Blick, diesmal wusste ich was dieser für mich bedeutete; ich sollte meinen Mund in die Zügel nehmen. Mit Schwung sprang ich durch die geöffnete Autotür und ließ diese hinter mir zufallen.
Drinnen wartete bereits meine Mum, langsam fragte ich mich ob die nicht irgendwas Besseres zu tun hatten. Eine weitere Frage tauchte in meinem Kopf auf. Waren die Folgen von gestern Abend schon unsichtbar gemacht worden? Ich hatte nämlich keine Lust darauf, von Luke oder sonst irgendwem darüber ausgequetscht zu werden. Nachdem wir unsere Schuhe abgestellt hatten, kam Mum auf uns beide zu.
»Hallo Luke, schön dich zu sehen. Ihr bekommt für die Nachhilfe das Arbeitszimmer von Dean, da wir oben ja gerade etwas umbauen. Ich hoffe das ist okay.«
Ihr bedachter Blick lag eindringlich auf mir.
»Das dürfte doch klar gehen, oder Luke?«
Er zuckte nur die Schultern, nickte danach aber und folgte mir in das vollgestopfte Arbeitszimmer meines Vaters. Auf dem Schreibtisch stapelten sich mehrere Blätter oder andere wichtige Unterlagen. Die Regale waren mit riesigen Ordnern vollgestopft, manche Schubladen waren so vollgestopft dass man sie nicht mehr verschließen konnte. Zudem war es nicht gerade warm hier drinnen, Dad brauchte zum Arbeiten wortwörtlich immer einen kühlen Kopf.
»Kann ich es noch zurücknehmen, dass ich gesagt habe dass ich nichts dagegen habe hier Nachhilfe zu machen? Auf dem Schreibtisch ist ja nicht einmal genug Platz für einen Block«, begann ich zu nörgeln und stellte meine Tasche auf den Boden.
Zwar konnten wir nicht nach oben, da ja dort leider der kleine Umbau war, aber warum ausgerechnet in das Arbeitszimmer? Ich hatte auch nur eingewilligt, weil ich die Platznot etwas harmloser in Erinnerung gehabt hatte.
»Das geht schon irgendwie«, meinte Luke und stellte seine Tasche auf einen der Papierstapel. Dieser kam natürlich gleich ins Schwanken und keine Sekunde später lag alles auf dem Boden verstreut.
»Echt jetzt?«, fragte ich und massierte mir die Schläfen. Es wurde schon wieder alles zu viel.
Er bückte sich erschrocken, um die ganze Sauerei wieder aufzuheben. »Liza Maria, du könntest mir vielleicht auch einmal helfen, dann geht es schneller.«
Ein lauter Lacher entfuhr meiner Kehle. »Ist das dein Ernst? Wieso sollte ich dir helfen? Du hast die Sachen schließlich runtergeworfen, Lucas Robert.« Mein Lachen verebbte etwas, da er inne hielt und anscheinend überlegte was er mir nun an den Kopf knallen konnte, doch er schwieg mit ernster Miene und starrte ein Blatt an, welches er in der Hand hielt.
»Was ist? Wieso fixierst du den Zettel so?«
Mit meiner Hand versuchte ich daran zu kommen, aber Luke hatte sich hingestellt und hielt ihn so weit nach oben, dass ich keine Chance hatte, daran zu kommen. Genervt stöhnte ich auf und presste die Luft aus meinen Lungen.
»Luke, könntest du bitte damit aufhören, in den Unterlagen meines Vaters zu schnüffeln?«
Da er immer noch nicht reagierte und ich langsam aber sicher die Geduld verlor, begann ich mich zu strecken und versuchte den Zettel zu erreichen. Vergeblich. Auch als ich hochhüpfte schaffte ich es nicht das Stück Papier in meine Gewalt zu bringen.
»Luke!«
Mein Geduldsfaden würde eindeutig bald reißen.
Ich packte einen Stuhl, platzierte ihn vor dem Jungen und gerade als ich darauf steigen wollte, rutschte ich mit meinem verletzten Fuß ab, gab ein lautes Aua von mir, stürzte nach vorne, genau auf Luke, und im nächsten Moment lagen wir beide auf dem Boden.
Seine blauen Augen starrten mich erschrocken an, ich spürte die aufgeregten Atemstöße in meinem Gesicht.
Der Moment verlief wie in Zeitlupe, jede Zelle meines Körpers begann zu kribbeln.
»Uhm... Sorry«, murmelte ich peinlich berührt und verlagerte mein Gewicht etwas nach rechts, damit Luke noch genug Luft bekam, denn diese schien ihm gerade reichlich zu fehlen. Zudem spürte ich unter meinem Körper seinen Herzschlag, der alles andere als langsam war.
Keiner von uns beiden sagte etwas, wir schienen irgendwie diesen Moment zu genießen. Er hob seine Hand etwas an und strich mir vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht. Dabei streifte sein Finger meine Backe, was mir auf der Stelle eine Gänsehaut überjagte. Lukes Gesicht kam meinem immer näher, alles schien unverändert stillzustehen.
»Liza Maria, mir sind noch nie deine wunderschönen Augen aufgefallen, was vielleicht daran liegen könnte, dass deine große Klappe immer alles verdeckt.«
Empört räusperte ich mich, das breite Grinsen auf dem Gesicht.
»Ich wusste gar nicht, dass man durch deine Schnöselschicht dringen kann.«
Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen.
»Tja, da hast du wohl wieder eine neue Seite von mir entdeckt.«
Mittlerweile hätte nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen unsere Lippen gepasst. Jedes andere Mädchen hätte wahrscheinlich ihre Lippen ohne nachzudenken auf seine gepresst aber irgendetwas in mir hielt mich auf dies zu tun.
Doch Luke hatte dem Anschein nach andere Pläne.
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