KAPITEL 01

L U K E

»Scheiße!«, fluchte ich laut als ich die Post durchstöberte, und mein Blick auf die ganzen unbezahlten Rechnungen fiel. Benny saß wie so oft auch, mit einem kalkweißen Gesicht neben mir und blickte nur stumm auf den Boden.

Dieser Stapel Rechnungen war nicht der erste, den wir nicht hatten bezahlen können.

Das verlorene Spiel war gerade einmal um die zwei Monate her, die Nerven in unserer Familie lagen sowieso schon blank.

Benny und ich mussten neben der Schule jobben gehen und gleichzeitig auch noch Jimmy bei Laune halten, damit er unserer Familie nichts antat. Wir, besser gesagt Benny, schuldeten ihm eine Menge Geld, fast unsere komplette Existenz stand auf dem Spiel. Unsere Eltern waren dabei sich jeden Tag zu streiten, die ganze Familie drohte komplett zu zerbrechen. Und das alles nur wegen eines einfachen Pokerspieles.

Irgendwie ging gerade alles den Bach hinunter.

»Wie sollen wir das nur jemals abbezahlen? Das ist unmöglich, Benny!«, rief ich aufgebracht und lief im Zimmer wie ein Tiger auf und ab.

»Pscht, nicht dass uns Mum und Dad noch hören«, ermahnte er mich.

Auf der Stelle zügelte ich meine entstandene Wut. Mein Blick haftete erneut auf meinem kleinen Bruder, der sich ratlos im Zimmer umblickte. Er vermied den Augenkontakt mit mir; schaffte es aus irgendeinem Grund nicht, in meine Augen zu sehen.

»Es gäbe eine Möglichkeit. Ich könnte wieder anfangen zu spielen«, schlug er kleinlaut vor und fuhr sich anschließend durch die Haare.

»Das ist zu riskant. Wir können es nicht aufs Spiel setzen noch mehr zu verlieren, als wir es eh schon haben. Uns muss etwas anderes einfallen, und das so schnell wie möglich«, winkte ich ab, verschränkte danach die Arme vor der Brust.

Das Geld fehlte hinten und vorne.

»Oder wir fragen einfach Dad. Luke, wir sollten es ihnen erzählen. Lange dauert es nicht mehr, bis Jimmy komplett seinen Verstand verliert «, redete er auf mich ein.

»Das können wir nicht tun erinnerst du dich nicht mehr, was er uns angedroht hat, wenn wir jemandem davon erzählen? Ich gehe joggen, muss einen klaren Kopf bekommen. Danach können wir noch einmal überlegen, ob uns nicht irgendetwas Besseres einfällt«, bestimmte ich.

Mit meinen schwarzen Vans in der Hand bewegte ich mich in Richtung Tür. Mein kleiner Bruder blieb alleine am Tisch zurück, er raufte sich durch die Haare.

Wie hatten wir nur damals in diesen ganzen Mist hineinrutschen können?

Es war so leichtsinnig gewesen. Sauer zog ich mir meine Beanie tiefer in die Stirn, ich hatte keine Lust blöde Blicke von anderen Passanten zu ernten.

Ohne wirklich zu wissen wohin ich joggen sollte, ging ich los.

Die grünen Blätter und die strahlende Sonne am Himmel hoben meine Laune zumindest ein bisschen an.

Was sollten wir nur tun? Die ganze Lage erschien Hoffnungslos. Der Verdienst vom Jobben reichte für Jimmy gerade dafür aus, um uns noch eine weitere Woche Zeit zu gewähren. Seufzend bog ich in eine etwas belebtere Straße ein. Irgendeine Musik dröhnte aus meinen Kopfhörern, um genau zu sein achtete ich gar nicht so richtig auf diese. Viel wichtiger war der Mann an der Ecke, der jede meiner Bewegungen beobachtete.

Schon bald konnte ich diesen als Jimmy identifizieren; er winkte mich zu sich, in meinem Bauch breitete sich ein mulmiges Gefühl aus.

»So sieht man sich also wieder, Luke. Wie geht es deinem Bruder? Was macht mein Geld? Ich werde langsam ungeduldig«, kam er gleich zur Sache und musterte mich mit kalter Miene.

»Wir brauchen nur noch ein wenig Zeit dann haben wir das Geld. Ich schwöre es dir, Jimmy«, beteuerte ich ihm meine Aussage.

»Wie gerne ich dir doch glauben würde. Ihr solltet euch wohl besser beeilen, ich brauche die Kohle dringender als alles andere. Wenn ich es nicht bald habe, werde ich dafür über Leichen gehen, um an das zu gelangen was ich benötige. Und ich halte mein Wort«, teilte er mir mit einer so tiefen Stimme mit, dass mir ein Schauer über den Rücken fuhr.

Seine Augen blitzten gefährlich auf, die ganze Situation wurde immer aussichtsloser.

»Nächste Woche. Nächste Woche habe ich es. Aber bitte lasse meinen Bruder und meine Familie in Ruhe, ich werde alles für dich tun, wenn ich es bis dahin nicht schaffe«, sagte ich ohne über die Auswirkungen dieser Aussage nachzudenken.

»Das Angebot ist ziemlich verlockend, doch nächste Woche ist es zu spät. In zwei Tagen hier, Hemmings. Dieselbe Uhrzeit. Zwei Tage, nicht mehr und nicht weniger«, stellte er sein Ultimatum.

Erleichtert atmete ich aus.

Jimmy entfernte sich von mir, und erst jetzt wurde mir klar, was ich ihm da gerade versprochen hatte. Meine Augen fingen an, leicht zu brennen. Ohne auf irgendwelche Menschen zu achten, sprintete ich los, ließ meine gesamte Wut heraus. Im nächsten Moment fand ich mich auf dem Boden wieder.

»Tut mir Leid«, murmelte ich ganz in Gedanken, und half dem Mädchen beim Aufstehen. Ich wartete keine Antwort ab, sondern rannte einfach weiter.

Irgendwann war ich am Waldrand angekommen, und ließ mich völlig aus der Puste auf die weiche Wiese fallen. Das Handy in meiner Hosentasche fing an zu Klingeln, ich kramte den schweren Klumpen heraus. Mein Smartphone hatte ich bereits verkauft, nun besaß ich nur noch diesen alten Knochen.

»Hallo?«, fragte ich und wartete auf eine Antwort.

»Luke?«, kam es aus der anderen Leitung.

»Wer ist da?«, fragte ich verwundert und setzte mich auf. Währenddessen klopfte ich das Gras von meiner Hose herunter.

»Hier ist Ashton, auch bekannt als dein bester Freund. Hast du Lust auf einen Männerabend mit Cal und Michael?«, wollte er erfahren.

»Sorry Ash, ich habe zurzeit überhaupt keinen Nerv für solche Dinge. Vielleicht ein anderes Mal, ja?«, versuchte ich ihn abzuschütteln, da ich zurzeit überhaupt keine Nerven für so etwas hatte.

»Du hast es also wirklich vergessen«, antwortete er und klang dabei ziemlich enttäuscht.

Stille. In meinem Kopf spielten sich gerade sämtliche Sachen durch, die heute sein könnten. Als ich immer noch nicht darauf gekommen war, was um Himmels Willen heute war, schnaubte mein bester Freund.

»Luke, ich habe heute Geburtstag. Wir haben schon seit Ewigkeiten nichts mehr miteinander gemacht, und selbst meinen Geburtstag hast du vergessen. Was ist nur in dich gefahren, so kenne ich dich überhaupt nicht. Kannst du mir das erklären?«, verlangte Ashton zu wissen.

Mit der flachen Hand klatschte ich mir gegen die Stirn. Ashs Geburtstag. Wie hatte ich es nur vergessen können? Was war ich denn bitte für ein schlechter Freund.

»Um wie viel Uhr soll ich da sein?«

»19 Uhr. Wir sehen uns dann, Mate. Ich warte auf meine Erklärung.«

Dann war die Leitung tot, und ich fuhr mir nervös durch die Haare. Nerven zum Feiern war das Letzte was ich besaß, aber ich musste dort auftauchen. Für Ashton. Ich wollte gar nicht daran denken, wie sehr es ihn verletzen würde, wenn ich nicht kam.

Das schlechte Gewissen wurde immer größer; ich machte mich langsam auf den Rückweg.

Es gab immer noch keine Lösung für das immer größer werdende Problem.

Zwei Tage.

Zwei verdammte Tage, und ich war fällig.

Ein paar hätten mich bestimmt für blöd erklärt, wieso ich die ganze Scheiße auf mich zog, und meinen Bruder daraus ließ. Er war nun einmal mein kleiner Bruder; ich wollte nicht, dass ihm jemals etwas zustieß.

Es zogen dicke Wolken auf, schon bald war auch der letzte Rest des strahlendblauen Himmels vollends verschwunden. Die ersten Tropfen fielen auf meinen Körper, genervt fing ich an in einem etwas schnelleren Tempo als vorhin, zurück zu joggen.

Wenige Sekunden später klebten meine Klamotten an mir; heute war einfach nicht mein Tag.

-'-

Das Haus der Irwins erstreckte sich vor mir, ich schluckte einmal kurz ehe ich die Klingel mit meinem Ellenbogen betätigte. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, jedoch roch es überall noch danach. In meiner einen Hand hielt ich eine iTunes – Karte und in der anderen einen Kasten Bier.

Hoffentlich würde er mir nicht böse sein, dass ich kein besseres Geschenk für ihn hatte, aber mehr konnte ich mir gerade jetzt einfach nicht leisten. Im Haus erklangen Schritte, die Tür wurde geöffnet und ich schaute in Mrs. Irwins Gesicht.

Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen ab. „Hallo Luke, schön dass du es doch noch geschafft hast vorbei zu schneien. Die Jungs sind oben und erwarten dich bereits."

»Guten Abend. Vielen Dank«, sagte ich, als ich die Tür passierte die sie mir offen hielt. So wie immer wenn ich bei Ash war, streifte ich mir die Schuhe von den Füßen und ging dann sogleich die Treppen nach oben, um an Ashs Zimmertür zu klopfen.

Drei strahlende Gesichter blickten mir entgegen.

»Alles Gute zum Geburtstag«, fing ich an, stellte den Bierkasten ab und drückte Ash sein anderes Geschenk in die Hand.

Etwas perplex nahm er es entgegen und zog mich in eine kurze Umarmung. »Ich bin froh, dass du es doch noch geschafft hast zu kommen«, meinte er erfreut. Cal und Michael bedachten mich mit einem argwöhnischen Blick ehe sie sich zwei Bierflaschen herausnahmen. Eine Weile starrten wir uns bloß an, als wären wir alles andere bloß keine Menschen, bis Michael die Stille brach.

»Und, was gibt es neues?«, fragte er in die Runde; sah mich dabei eher an, als die anderen Beiden.

»Würde mich auch brennend interessieren. Du wolltest mir doch noch etwas erzählen, Luke«, stimmte Calum zu.

Mit den Zähnen nahm ich meine Unterlippe in die Mangel und kaute darauf herum. Was sollte ich tun? Ich konnte ihnen unmöglich von den ganzen Problemen die Benny und ich hatten, erzählen. Aber wenn ich weiterhin schwieg, setzte ich damit unsere Freundschaft aufs Spiel. Vielleicht aber hatte ich auch Glück und die ganze Sache war innerhalb dieser zwei Tage komplett gegessen.

»Luke? Bekommen wir noch eine Antwort?«, wollte Cal erfahren und guckte mich abwartend an.

»In unserer Familie kriselt es gerade ein bisschen, mehr nicht«, log ich, obwohl diese Ausrede gar keine richtige Lüge war, immerhin stritten sich meine Eltern ja wirklich die ganze Zeit.

»Und das sollen wir dir glauben?«

Misstrauische und auch prüfende Blicke lagen auf mir.

»Warum auch nicht? Wieso sollte ich euch anlügen?«, empörte ich mich.

Langsam wurden die Lügen zu einer Gewohnheit für mich. Wer wusste, wie lange ich diesen ganzen Mist noch mitmachen musste, es sei denn es würde ein Wunder geschehen, und ich hatte das Geld bis übermorgen.

»Gut, ist deine Entscheidung. Wir wollten dir nur helfen.«

»Okay, können wir jetzt bitte das Thema wechseln? Ash hat Geburtstag und wir haben nichts Besseres zu tun, als Trübsal zu blasen«, murmelte ich. Meine Freunde nickten zustimmend. Wir spielten ein paar Trinkspiele, erzählten uns peinliche Sachen und kamen dann sogar auf das Thema Mädchen zu sprechen.

Michael war genau wie Cal und ich, die ewigen Singles, während Ash weiterhin mit Alessia ausging, doch diese Tatsache, dass ich noch immer keine Freundin hatte, war mir bei den ganzen bevorstehenden Problemen herzlichst egal.

Irgendwann schweiften meine Gedanken ab, und ich hörte meinen Freunden nicht mehr zu.

Zwei Tage.

Am Freitag wurde es also ernst; ich musste die verdammte Kohle auftreiben, egal wie.

»Leute, kennt ihr irgendwelche reichen Familien?«  Ehe ich die Frage ausgesprochen hatte, hätte ich mir am liebsten selbst eine Ohrfeige oder einen Tritt in die Eier verpasst.

»Wieso? Was hast du vor, Luke?«, fragte Ashton mit zusammengezogenen Augenbrauen.

»Nichts, vergesst es einfach. Sorry, ich sollte wohl besser Mal heimgehen, immerhin ist morgen Schule.«

Und ein weiterer Tag, an dem alles noch in seinem normalen Tagesablauf lief.

Noch.

»Die Jungs übernachten hier, bleib doch auch noch mit da«, lud mein bester Freund mich ein. Dankend lehnte ich ab, ich konnte meine Familie nicht alleine lassen; nicht in diesem Zustand.

»Wie wäre es, wenn wir wenigstens am Sonntag mal wieder zusammen singen? Das haben wir schon so ewig nicht mehr gemacht«, schlug Calum vor und musterte uns alle; am meisten mich. Sonntag? Wenn ich da noch lebte würde ich kommen. Aber so konnte ich ihm das ja wohl schlecht sagen.

»Hört sich gut an. Wir sehen uns morgen in der Schule. Bis dann.«

Mit schnellen Schritten und ohne ein ‚Tschüss' abzuwarten, entfernte ich mich aus dem Zimmer. Ein knappes ‚Auf Wiedersehen'  rutschte mir noch aus meinem Mund, als ich an Ashtons Eltern vorbei stolperte.

Draußen war es bereits dunkel, doch das machte mir nichts aus. Ich wollte nur noch nach Hause, und mich versichern dass es allen gut ging.

-'-

Müde erhob ich mich und strampelte mit den Füßen die Decke von meinem Körper.

Der erste Gedanke der sich in meiner Seele einbrannte war der, dass ich noch immer keine Lösung für das Problem gefunden hatte. Der zweite war, dass ich heute Schule und somit weniger Zeit dazu hatte, Geld aufzutreiben.

Fertig mit den Nerven öffnete ich die Balkontür und schnappte kurz nach Luft. Das warme Klima Australiens hatte mir schon immer zugesagt. Da wir so ziemlich östlich in Canberra wohnten, bekamen wir meistens das etwas bessere Wetter ab. Das es gestern einmal geregnet hatte, war so etwas wie ein zweites Weltwunder. An der Gold Coast in Sydney konnte man prima übers Wochenende Surfen gehen, oder sich die Stadt ansehen. Früher, als Cal, Ash, Mike und ich noch etwas jünger gewesen waren, waren wir mit unseren Familien fast in jeden Ferien nach Sydney gefahren, um zusammen etwas zu unternehmen.

»Willst du noch ewig da stehen und die erste Schulstunde zu verpassen, oder kommst du endlich runter?«, rief Ash von unten und ich sah ihn verdutzt an. Auf meinen Zügen bildete sich ein Lächeln.

»Ich bin gleich da. «

Mit einer einfachen schwarzen Jeans und einem Tank Top, schlüpfte ich in meine Sneakers, schnappte mir die zerfledderte Schultasche und wollte nach draußen treten, als ich Benny über den Weg lief. »Pass gut auf dich auf, hast du das verstanden?« , verlangte ich zu erfahren und sah ihm durchdringlich in seine grünen Augen.

»Luke, ich bin keine 13 mehr, ich kann auf mich selbst aufpassen.« Mit diesen Worten schlug er meine Arme weg und verließ vor mir das Haus.

Ash stand da und betrachtete das ganze Geschehen mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht. »Lass mal«, winkte ich ab und wir stapften nebeneinander her. Fast die ganze Zeit in der wir zur Schule liefen, verbrachten wir im Schweigen.

»Heute soll eine Neue an die Schule kommen, hast du das auch schon mitbekommen?«   Verwundert sah ich ihn an. »Nein, ich wusste nichts davon.«   Normalerweise hätte ich ihn schon längst mit Fragen über die Neue gelöchert, doch mir war danach einfach nicht zumute. Mittlerweile wieder schweigend setzten wir unseren Weg fort.

E L I Z A B E T H

»Das hier ist dein Stundenplan. Die jeweiligen Raumnummern stehen immer an der Seite, direkt neben deinem nächsten Fach. Hast du noch irgendwelche Fragen?«

»Nein, habe ich nicht. Vielen Dank fürs erklären von dem Stundenplan«, antwortete ich höflich und hob den Zettel etwas an.

Meine Mutter strich mir beruhigend über den Rücken. Nervös blickte ich an mir herab, ich hatte ein wenig Angst, dass mich niemand an dieser Schule akzeptieren würde. Mutter musterte mich mit einer besorgten Miene, woraufhin ich die Augen verdrehte. Weswegen musste sie sich nur wegen alles und jedem immer so einen Kopf machen? Ihr roter Lippenstift war perfekt aufgetragen, man konnte sagen dass sie irgendwie das komplette Gegenteil von mir war. Wenn man uns nicht persönlich kannte könnte man sogar behaupten, dass wir nicht einmal wirklich wie Mutter und Tochter waren.

»Schatz? Wieso bist du so abwesend? Der Unterricht fängt gleich an.« Sie unterbrach sich selbst, indem sie mir ihre Hände an die Schultern legte.  »Schaffst du es alleine?«

»Mum, ich bin kein kleines Baby mehr. Du kannst mich loslassen«, murmelte ich genervt und wandte mich von ihr ab.

Meine Mutter jedoch hatte wohl andere Pläne, da sie ihre roten Lippen auf meine Backe drückte und somit einen nicht gerade unsichtbaren Lippenabdruck hinterließ. Peinlich berührt fuhr ich mir über die Stelle und versuchte den Lippenstift abzubekommen, während ich mich mit langsamen Schritten entfernte. »Viel Spaß, Elizabeth«, rief sie mir hinterher

»Bis später«, verabschiedete ich mich kalt, und stampfte mit meinem Stundenplan in der Hand davon; hätte mich schon wieder darüber aufregen können, dass sie meinen vollen Namen gesagt hatte.

Auf dem Weg zu meinem Klassenzimmer, wurde jede meiner Bewegungen exakt beobachte und unter die Lupe genommen.

Normalerweise war ich nicht so richtig der schüchterne Typ, ich hatte bloß keine Lust darauf, gleich an meinem ersten Tag irgendwelche Schwierigkeiten zu bekommen. In dem Raum in dem ich nun Mathe hatte angekommen,  ließ ich meinen Blick über meine neuen Mitschüler schweifen. Ein paar hatten eine belustigte Miene auf ihren Zügen aufgesetzt, als sie mich erblickten. Peinlich berührt setzte ich mich irgendwo in die letzte Reihe.

Sogleich darauf kamen zwei Jungs ins Klassenzimmer gelaufen, die ohne mich wirklich zu beachten auf den Platz zuliefen, auf dem ich seit zirka einer Minute saß.

Der eine mit Bandana tippte dem anderen auf die Schulter, und deutete dann auf mich. Blaue Augen bohrten sich in meine, mein Herzschlag verlangsamte sich kurz darauf, ich fühlte mich unwohl in meiner Haut. »Das sind unsere Plätze«, meinte der mit den blauen Augen kalt und bedeutete mir, mich zu erheben und wegzugehen.

Das war meine Chance, mir etwas Respekt zu verdienen. »Dann musst du dir wohl einen neuen suchen, hier sitze ich jetzt.« Ungläubig guckten die Beiden mich an, während der Lehrer das Zimmer betrat und die Schüler bat, sich hinzusetzen. Provozierend lächelte ich den zweien entgegen; sie ließen sich direkt neben mir auf die Stühle fallen.

Natürlich bekam ich eine exklusive Begrüßung des Lehrers. »Ms. Reed, würden sie bitte nach vorne kommen, und sich in einem kurzen Gespräch der Klasse vorstellen?«, fragte der Typ lächelnd. Verlegen und mit zu 100 Prozent roten Backen, lief ich ganz langsam nach vorne und stellte mich an die Tafel. Ich suchte mir einen Punkt im Klassenzimmer, nur damit ich die Schüler nicht anstarren musste.

»Ich heiße Elizabeth - kurz Liz oder Liza - Reed und bin 16 Jahre alt. Meine Familie und ich sind von Brisbane hierher gezogen«, stellte ich mich vor.

»Und warum, wenn ich fragen darf?«, fragte der Lehrer namens Mr. Walls.

»Um ehrlich zu sein, weiß ich das selber nicht so genau, und...« Bevor ich weiterreden konnte, unterbrach mich der Junge mit den blauen Augen. »Hast du einen Freund?« Mit erröteten Wangen schüttelte ich langsam den Kopf.

»Nein, habe ich nicht.«

Die meisten Jungs pfiffen durch die Zähne. Wieder wollte ich weiterreden, wurde aber erneut von dem Kerl unterbrochen. »Wer hat dir dann den Knutschfleck mitten auf deiner Wange verpasst?« Erschrocken fuhr ich mir über die Stelle, an der meine Mutter ihre Signatur hinterlassen hatte. Die ganze Klasse brach in Gelächter aus, mir wurde schlecht. »Ich muss aufs Klo«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, nur um danach aus dem Raum zu rennen, begleitet von schallendem Gelächter.

In der Toilette angekommen, schrubbte ich mir mit nassem Klopapier über die Wange, Tränen brannten in meinen Augen. So leicht würde ich mich von diesem blauäugigen Schönling nicht fertig machen lassen. Mit erhobenem Haupt kehrte ich in die Klasse zurück. Der Kommentar auf den ich die ganze Zeit wartete, ließ nicht lange auf sich warten.

»Na, hat es Spaß gemacht?«

Der Lehrer bedachte uns mit einem strengen Blick. Ich setzte ein zuckersüßes Lächeln auf und erwiderte: »Natürlich, in der Toilette ist es doch immer noch am besten.« Wieder begannen ein paar los zu kichern, und der Typ hielt endlich die Klappe.

»Ms. Reed, bitte nehmen sie Platz, ich würde gerne mit dem Unterricht fortfahren.«

»Respekt«, flüstere mir der Junge, dessen Haare von einer Bandana zurückgehalten wurden, zu. »Bis jetzt hat noch nie jemand Luke zum Schweigen gebracht. Ich bin übrigens Ashton«, sprach er weiter und hielt mir seine Hand hin. Vorsichtig griff ich danach und begann diese zu schütteln. Dieser Luke beobachtete jede meiner Bewegungen haargenau, als würde er darauf warten, dass ich einen Fehler machen würde. Grinsend setzte ich mich aufrecht hin, und versuchte dem Unterricht zu folgen.

-'-

In der Kantine dauerte es nicht lange, bis ich Anschluss gefunden hatte. Gleich nachdem ich Alessia ausversehen meine Spaghetti übers T – Shirt gekippt hatte, und ihr anschließend beim sauber machen geholfen hatte, waren wir ins Gespräch gekommen. Sie fand meine Aktion vorhin bei Luke ebenfalls beeindruckend. »Andere hätten bestimmt nichts darauf erwidert, oder wären rot geworden«, sprach sie in großen Tönen und ich hörte ihr aufmerksam zu. Danach verglichen wir unsere Stundenpläne, und stellten fest dass wir ziemlich viele gleiche Fächer hatten.

Glücklich verabschiedete ich mich von Alessia (nachdem wir unsere Handynummern getauscht hatten, und sie mir eingetrichtert hatte, dass sie es bevorzugte wenn man sie Less nannte) und machte mich auf den Weg in den Kunstsaal. Kunst war eines der wenigen Schulfächer, die ich nicht komplett verabscheute; deswegen hatte ich mich auch entschieden auf diese Schule zu gehen, da man einen künstlerischen Zweig wählen konnte, was auch der Grund dafür war, das mein halber Stundenplan aus Kunstunterricht bestand.

Der Saal war schon gut gefühlt, mal wieder ließ ich mich in der letzten Reihe nieder. Hoffentlich ließen mich alle in Ruhe, ich hatte keine Lust mit irgendjemandem zu reden.

Als der Unterricht anfing, war ich sehr glücklich darüber keinen Sitznachbar zu haben. Doch dann ging die Tür auf und Luke trat herein. Mit einer neutralen Miene kam er auf mich zu und setzte sich einfach so auf den freien Stuhl neben mir. Mit hochrotem Kopf drehte ich mich weg und versuchte ihn zu ignorieren.

»Na, hast du dich in der Mittagspause mit deinem Freund getroffen?«, fragte er mit rauer Stimme, dennoch sehr leise. Augenverdrehend wandte ich mich an ihn.

»Was geht dich das an?« Daraufhin bekam ich nur ein heiseres Lachen.

»Du sitzt schon wieder auf meinem Platz. Das gefällt mir nicht«, stellte er fest.

»Ist das mein Problem?«, zischte ich und richtete meinen Blick starr, und gerade aus.

»Es wird dein Problem werden, wenn du mich weiterhin provozierst.«

»Entschuldige bitte mal, du hast dich doch neben mich gesetzt!«, empörte ich mich, vielleicht etwas zu laut. »Ms. Reed, ist alles in Ordnung?«, fragte die Lehrerin, Mrs. Greenwood. Ich schenkte ihr ein Lächeln.

»Ja, alles bestens.«

Luke neben mir, begann erneut zu kichern, am liebsten hätte ich ihm eine geklatscht. Den Rest der Stunde ignorierte ich ihn weitgehend, dann war auch schon mein erster Tag an der neuen Schule beendet. Am Haupteingang stand ich etwas unschlüssig da, um auf meinen Bus zu warten.

Der Stand des heutigen Tages:

-  Eine neue, mögliche Freundin

-  Ein neuer Feind

Das nannte ich einen super Start. Da kam auch schon der Bus, mit einem Lächeln auf dem Gesicht ließ ich mich in einen der vielen Sitze gleiten. Ohne auf irgendjemand anders zu achten, stöpselte ich mir meine Kopfhörer in die Ohren.

Zuhause angekommen, wurde ich von Tausenden Kartons, die in der Eingangshalle standen, empfangen. »Ich bin wieder Zuhause!«, rief ich und wartete eine Antwort ab. »Hallo Spätzchen«, begrüßte mich mein Dad.

»Wie war dein erster Schultag? Hast du schon Freunde gefunden?« Lächelnd nickte ich und lief schnell an ihm vorbei, da ich nicht sonderlich Lust darauf hatte, mit ihm über Luke oder sonst wem zu reden.

»Elizabeth? Würdest du vielleicht noch einen Moment hierbleiben?« Wie ich es hasste, wenn man meinen vollen  Namen nannte. Neugierig sprang ich die Treppenstufen wieder herunter, und ging meinem Dad ins Wohnzimmer hinterher.

»Was gibt's?«

»Ich würde dir gerne etwas zeigen«, meinte er und bedeutete mir, ihm zu folgen. Aufgeregt und zugleich auch interessiert machte ich mich daran ihm nach zu gehen.

»Es ist sehr wichtig, und ich bitte dich niemandem jemals etwas davon zu erzählen.«

Damit machte er mich noch neugieriger, als ich schon war. Was mich wohl gleich erwarten würde? Ich hatte absolut keine Ahnung, doch das sollte sich wohl gewaltig ändern. Ich trat durch die Kellertür, die Dad mir aufhielt und blieb wie angewurzelt in dem Zimmer stehen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf den Anblick, der sich vor mir bot.

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