Der gestrige Tag hatte ihn geschlaucht. Nun saß Gilbert in seinem kleinen Raum und blickte starr geradeaus an die Decke. Er musste einen Weg finden, heil aus dieser Sache herauszukommen. Aber wie? Bis jetzt hatte er keinen Schlüssel oder ein Rätsel gefunden, das er entziffern sollte. Seufzend schob Gilbert seine Gedanken fort und stand auf. Vom Sitzen hatte er ganz steife Beine und seine Knochen knackten gefährlich. Er lief im Raum umher und blickte sich um. Nichts war zu sehen. Nur ein kleines Licht spendete ihm Trost.

'Wenigstens ist es so nicht allzu dunkel', dachte er und seufzte. Erst jetzt bemerkte Gilbert, dass er sein Zuhause vermisste. Wieso war er nur so töricht gewesen und hatte sich bei diesem scheiß Game angemeldet? Vermutlich, weil ihm keine andere Wahl geblieben war, als diese Anmeldung zu verfassen. Seine Mutter war sterbenskrank und brauchte dringend eine Operation. Leider hatten sie das nötige Geld nicht. Und Gilbert musste tun, was getan werden musste: sich bei dem Spiel anmelden und versuchen, es zu gewinnen. Wenn er auf ganzer Linie versagte, dann würden ihn alle Familienmitglieder hassen. Das konnte Gilbert nicht gebrauchen. Also musste er sich anstrengen und schneller sein als die Person, die gestern dran gewesen war.

Seufzend wandte er sich ab und klopfte gegen eine Wand. Sie war ein wenig hohl und man konnte dagegen drücken. Vielleicht würde sich diese ja öffnen lassen? Gilbert stemmte seine Handflächen gegen die Wand. Sie ächzte und knirschte.

'Hoffentlich bricht sie nicht zusammen'.

Zu seinem Glück geschah nichts dergleichen. Eine kleine Lücke tat sich auf, durch die Gilbert hindurch schlüpfte. Er war wieder in einem Raum. Nur das dieser anders aussah, als sein Gefängnis, in welches man ihn zuvor gesteckt hatte. Mit geweiteten Augen begann er sich in seinem neuen Reich umzusehen. Auch hier waren keine Türen. Nur kleine Lücken ließen etwas Licht hinein. Niedergeschlagen ließ er sich auf den Boden fallen. Prompt stieß er gegen etwas und fluchte laut auf. Es war ihm sichtlich egal, ob ihn die Zuschauer, welche vor ihren Fernsehern saßen, hörten.

Vorsichtig tastete er nach dem Gegenstand, an dem er sich angehauen hatte. Es lag leicht in seiner Hand. Das Teil war länglich, hatte ein spitz zulaufendes Ende und einen Griff aus glattem, braunem Holz, welches leicht im Licht schimmerte. Sachte hob er es an. Es lag gut in Gilberts Hand und er fragte sich, was man mit diesem Gegenstand tun sollte. Vielleicht die Wände einschlagen? Nein, dazu war es nicht stabil genug. Oder sollte er damit einen Baum fällen? Über die bekloppte Frage, die ihm im Kopf herumspukte, schüttelte er lachend den Kopf und versuchte, so gut es in diesem Lichtschein möglich war, den Gegenstand näher zu inspizieren. Wenn er sich nicht täuschte, hätte er eine Axt in seinen Händen halten können. Doch wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Richtig: niemand.

Entschlossen erhob sich der schmächtige Mann und lief auf eine Wand zu. Mit Schwung riss dieser seinen Arm nach hinten und dann wieder nach vorn, sodass die Metallspitze heftig gegen die Wand donnerte. Es gab einen heftigen Rückstoß, der ihn taumeln ließ.

***

"Na das hat er ja echt super hinbekommen", sagte Nicholas lachend und nahm einen Schluck aus seinem Glas. In diesem schwappte eine braune Flüssigkeit.

"Er ist hintenübergekippt und volle Kanne auf seinem Hinterteil gelandet", berichtete Ashley und stieß mit ihm an, wobei die Gläser ein leises Klirren erzeugten.

"Mal sehen, wie lange Gilbert Adams braucht, um seinen Raum zu verlassen."

"Aber die Wände sollte er lieber nicht mehr bearbeiten. Ansonsten fällt ihm die Decke auf den Kopf."

Ihr Kollege nickte und linste zu einem anderen Schirm, der Gilbert zeigte. Dieser hatte sich gerade an einer anderen Stelle zu schaffen gemacht. Leise knackte es in ihren Kopfhörern und sie konnten seine Flüche hören, die er ausstieß.

"Mal sehen, ob er den Rekord brechen kann. Er kommt ja schon gut voran."

Sie nickte. "Ja, das stimmt."

Beide schwiegen für einen Moment und ließen die Geschehnisse einfach auf sich einwirken.

"Mal ehrlich. Was denkst du, wer fliegen wird?", wollte Nicholas aus heiterem Himmel wissen.

"Puh. Das kann ich nicht sagen. Alle haben sich gut geschlagen."

Er nickte zustimmend. "Wir können uns ja morgen nochmal drüber unterhalten, wenn der letzte Teilnehmer drankommt."

Lächelnd nickte sie ihm zustimmend zu und nippte an ihrem Glas. Beide schauten auf den Bildschirm, wo Gilbert Adams gerade dabei war, durch den kleinen Spalt zu kriechen.

"Das hätte ich im Leben nicht gedacht", sagte Nicholas und seine Augen leuchteten.

"Tatsächlich ist er schneller als sein Vorgänger."

"Wer hätte das gedacht?"

"Vermutlich keiner. Lass uns mal sehen, was die Streamer dazu sagen."

Er nickte und blendete auf einem dritten Bildschirm deren Homepage auf. Dort lief gerade eine hitzige Debatte über Gilbert, der gerade dabei war, durch den röhrenartigen Gang zu krabbeln.

"BLACK_ANGEL sagt, dass - ich zitiere: Wenn dieser Typ nicht weiterkommt, dann hacke ich mir beide Beine ab. Wäre zu schade, wenn er der Erste wäre, der rausgeschmissen wird. Naja. Solange er sich nicht wirklich die Beine abschneidet."

"Nicht, dass wir noch eine Anklage wegen Schadensersatz aufgehetzt bekommen."

Nicholas lachte gellend. "Das denke ich nicht."

"Aber sieh doch! Er ist gleich am Buzzer. Nur noch einen Schritt und dann..."

Ein Piepen in den Kopfhörern ließ ihren Satz unvollendet in der Luft schwirren.

"Er hat es geschafft. Tatsächlich war Adams eine Achtelsekunde schneller als Harrison Black."

"Mal sehen, wie gut sich Gibson schlägt, wenn er morgen dran ist."

"Das stimmt. Wir sehen uns dann morgen in alter Frische wieder", meinte Ashley und die Kameras wurden ausgeschaltet. Die beiden standen auf und verließen den Raum. Draußen blieben sie stehen und sahen einander an.

"Dann bis morgen, Ash", verabschiedete er sich und stieg in seinen glitzernden Porsche. Die Angesprochene winkte ihm und stieg ebenfalls in ihren sündhaft teuren Wagen. Heulend entfernten sich die Motoren vom Studiogelände.