Game Over

Oikawa wusste nicht, wann alles so kompliziert geworden war. Ihre Beziehung zueinander hatte langsam immer mehr begonnen sich zu verändern. Doch nicht im positiven Sinne, wie als sich ihre Gefühle zueinander entwickelten. Nein, schleichend hatte sich eine Kluft zwischen sie gegraben, die nur Oikawa bemerkt hatte. Aber wann sie angefangen hatte sich zu bilden, wusste der Braunhaarige selbst nicht wirklich. Vielleicht als sie zusammen kamen oder in ihre erste, kleine gemeinsame Wohnung gezogen sind, was es für Oikawa um einiges erschwerte, sein kleines Geheimnis zu hüten.
Vielleicht war ihre Freundschaft aber auch schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Immerhin kamen sie aus zwei völlig unterschiedlichen Welten.

Und auch wenn Oikawa es nicht genau wusste, tippte er doch darauf, dass alles damit anfing, dass Iwaizumi seine Ausbildung beim CCG begann. Denn ohne dieser Ausbildung und der damit verbundenen Stelle beim Commission of Counter Ghoul würden sie jetzt nicht hier stehen. Ohne diese Ausbildung würde Iwaizumi jetzt nicht seine Waffe auf ihn richten und Oikawa würde ihm jetzt nicht mit ausgefahrener Krallen und maskiertem Gesicht in eine Sackgasse gedrängt gegenüberstehen. Die Kluft zwischen ihnen wäre nie so groß geworden.

Oikawa schwankte einen Schritt zurück, als er in Iwaizumis Augen sah. Sie hatten immernoch das gleiche dunkle braun wie immer, doch es fehlte der Glanz in ihnen. In seinem Blick lag keine Wärme wie sonst und schon gar keine Liebe. Nur Kälte. Eisige Kälte die Oikawa erschaudern ließ. Er wollte wegschauen, nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau halten oder einfach nur den Blick zu Boden senken- Hauptsache er entkam den eisigen Augen seines Freundes. Doch diese nahmen ihn regelrecht in Gefangenschaft, durchbohrten ihn, machten ihn bewegungsunfähig.

Und während Oikawa verzweifelt versuchte dagegen anzukommen, kam Iwaizumi langsam immer näher- seine Quinke- die die Form eines langen, schmalen Schwertes hatte- weiterhin auf den Ghoul vor sich gerichtet.

„Ehrlich gesagt, hätte ich mehr von einem A-Klasse Ghoul erwartet", meinte Iwaizumi, als sie nur noch wenige Schritte voneinander getrennt waren. Die Quinke schwebte bedrohlich nahe vor Oikawas Gesicht. Und noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, holte er aus und rannte auf Oikawa zu um einen Angriff zu starten. In letzter Sekunde konnte er Iwaizumis Quinke gerade so mit seiner Panzerkralle, die sich um seinen rechten Arm schlängelte, abblocken. Doch durch die Wucht des Hiebes wurde der Braunhaarige einige Schritte zurückgedrängt.
So ging das bereits einige Zeit: Iwaizumi griff an und Oikawa wehrte ab, wodurch er langsam aber sicher immer mehr in die Ecke gedrängt wurde. Der Ghoul hatte dadurch auch schon einige unschöne Wunden abbekommen und so langsam kam er ans Ende seiner Kräfte.

Natürlich hätte er ebenso auf Angriff gehen können. Iwaizumi hatte seine Ausbildung erst vor wenigen Monaten beendet und hatte somit noch nicht viel Erfahrung, was ihn zu keinem allzu schweren Hindernis machte, zumal er es auch schon öfters mit stärkeren Gegnern zu tuen hatte. Es würde aber kein Weg daran vorbei führen, dass er Iwaizumi in einem beidseitigen Kampf verletzten müsste, um an ihm vorbei zu kommen- und das wollte er auf keinen Fall.

Das war auch der Grund, weshalb er keine Möglichkeit hatte zu fliehen. Einfach so an ihm vorbei, konnte er ohne einen Kampf nicht und auch, obwohl die Wände des Innenhofes, in dem sie sich befanden, nicht besonders hoch waren und er mit Hilfe des Fensters im ersten Stock leicht wieder auf das Dach kommen könnte, konnte er so auch nicht fliehen, da Iwaizumi ihm so gut wie keine Pausen von seinen Angriffen gab und er so keine Chance dazu bekam. Und in den wenigen Auszeiten, die er bekam, musste er erstmal wieder zu Atem kommen. So wie auch jetzt.

Als Iwaizumi wiederholt einen Angriff ansetzte, wollte Oikawa nach hinten ausweichen. Jedoch stieß er dabei mit dem Rücken gegen die kalte Steinmauer des Restaurants in dessen schmalen Hinterhof sie kämpften. Er versuchte noch kläglich Iwaizumis Schwert wieder mit seiner Kralle Paroli zu bieten, jedoch kam dieser Versuch einen Moment zu spät. Die Quinke schnitt tief in das Fleisch seiner linken Schulter bis quer über seine Brust.

Oikawa ging dadurch etwas in die Knie und rollte seinen Oberkörper zusammen, wobei er sich seine linke Hand an die brennende Brust hielt. Er biss sich fest in die Unterlippe, um jegliche Schmerzenslaute zurückzuhalten. Jedoch entkam ihm ein leises gequältes Keuchen. Innerlich betete er, dass Iwaizumi ihn daran nicht erkennen würde.

Verdammt, er verfluchte gerade alles. Das bescheuerte CCG, diesen bescheuerten Hinterhof, diese bescheuerte Wand, diesen noch bescheuerterten Mann vor sich und seine noch bescheuerterte bescheuerte Quinke und allem voran den bescheuertste aller bescheuerten bescheuerten Idioten: sich bescheuertes selbst.

Seit Iwaizumi vor drei Jahren seine Ausbildung beim CCG begonnen hatte, war Oikawa extrem vorsichtig geworden. Er ging nur noch zum Essen raus, wenn es wirklich nötig war, tat dies auch nur tief Nachts in dunklen Gassen und machte es immer so schnell, wie es ging.

Auch sein Aussehen änderte er für seine Essensausgänge. Er hatte früher immer nur ein hellblaues Halstuch über Nase und Mund gezogen und eine Sonnenbrille plus Kappe aufgesetzt, einfach weil es viel angenehmer war als eine stickige Maske und das Halstuch beim essen auch um einiges praktischer war.

Doch stattdessen trug er nun eine ovale schwarze Maske aus hartem Plastik, die sein gesamtes Gesicht bedeckte. Auf ihr war ein zwinkender Smiley- der lächelte und die Zunge ausstreckte- mit hellblauer Sprühfarbe abgebildet (ihm war eine einfache schwarze Maske dann doch etwas zu langweilig gewesen, auch wenn er eigentlich ein möglichst unauffälliges Aussehen wollte).
Zusätzlich zog er sich nun auch immer eine Kapuze über, um seine Haare zu verdecken. Jedoch gelte er sie sich zur Sicherheit trotzdem immer schräg zurück, dass man ihn, falls er in einen Kampf verwickelt werden würde und dabei die Kapuze von seinem Kopf rutschen sollte, trotzdem nicht an seiner Frisur erkennen würde. Immerhin lief er immer wieder auch Kollegen seines Freundes über den Weg und wenn diesen etwas auffallen würde, würde es problematisch werden. Das ist auch der Grund, weshalb er kein Wort sprach, wenn er als Ghoul einem Ghoulermittler gegenüberstand und auch jegliche Laute wie Keuchen oder Gekicher zurückzuhalten versuchte.

Und obwohl er so verdammt vorsichtig gewesen war, war er in diese verdammte bescheuerte Situation gekommen. Hätte er doch nur eine weitere Stunde gewartet, oder wäre er erst am nächsten Tag gegangen, wenn Iwaizumi bereits schlief.
Aber nein, er bescheuerter Idiot musste ja ausgerechnet an diesem bescheuerten Tag zu genau diesem bescheuerten Zeitpunkt in genau dem bescheuerten Stadtviertel etwas essen gehen, in dem Iwai- bescheuert- zumi mit seinem bescheuerten Vorgesetzten bescheuerte Streifzüge machte. Er könnte schreien. Das war doch einfach nur bescheuert!

Natürlich hatte er nicht wissen können, dass Iwaizumi genau in dem Moment an genau dem Hinterhof vorbeiging, in den er vom Dach des dazugehörigen Restaurants aus auf einen jungen Mann, der in den Hinterhof gegangen war um vermutlich rauchen zu gehen oder mal frische Luft zu schnappen, sprang und ihn mit seiner Kralle durchbohrte.
Woher denn auch?
Und dennoch verfluchte er sich selbst dafür. Er hätte besser aufpassen müssen, schauen müssen, ob jemand vorbeikam. Er hätte ihn doch riechen oder seine Schritte hören müssen. Doch in seinem Hunger hatte er sich nicht auf seine Umwelt konzentriert und war einfach gesprungen, als er den Mann sah und hatte sich direkt auf ihn gestürzt. Er war so fokussiert auf das köstliche Fleisch gewesen, das neben Kaffee seit Wochen das erste schmackhafte war, das er zwischen die Zähne bekam, dass er nicht einmal bemerkt hatte, wie jemand auf ihn zukam.

Erst als er die lauten Schritte die rasend auf ihn zukamen hörte, wurde er auf den Ghoulermittler aufmerksam, der bereits mit seiner Quinke zu einem Schlag ausholte.
In letzter Sekunde hatte Oikawa es noch geschafft sich vor dem Schwert zu dücken, sonst wäre er jetzt wohl einen Kopf kürzer.

Noch bevor der Mann zum nächsten Hieb ansetzten konnte, hatte Oikawa sich schnell unter seiner Quinke weggerollt und richtete sich dabei flink seine Maske, die er zum Essen etwas nach oben geschoben hatte.
Dass er, während er über den Mann hergefallen war, mit dem Rücken zu dem Ghoulermittler gesessen ist und dieser dadurch sein Gesicht nicht hatte sehen können, war wohl Glück im Unglück gewesen. Diese Erleichterung war jedoch verblasst, als er erkannt hatte, wer sein Angreifer war.

Und nun stand er hier- still alles um sich herum verfluchend. Naja, außer die Wand hinter sich. Die war ihm mittlerweile doch wieder recht sympathisch geworden, da sie ihm nun als Stütze diente, ohne der er wohl jämmerlich zu Boden gleiten würde.  

Langsam setzten nun auch die Schmerzen seiner anderen Wunden ein. Die meisten hatte er sich ganz am Anfang des Kampfes zugezogen, da der Schock, dass er vor ihm gestanden hat, seinen Körper gelähmt hatte. Er hatte wohl einen guten Boxsack abgegeben. Doch wirklich gespürt hatte er nichts. Das Adrenalin, das durch seinen Körper gepumpt wurde, hatte die Schmerzen betäubt. Doch jetzt, wo er langsam am Ende seiner Kräfte war, kämpften sie sich immer mehr in den Vordergrund und zwangen Oikawa immer weiter in die Knie. 

Ein Wimmern kroch seine Kehle hinauf. Mit aller Kraft versuchte er es zurückzuhalten, wobei er seine Augen zusammenkniff und seine Zähne so stark in das Fleisch seiner Unterlippe schnitten, dass bereits ein kleines Rinnsal Blut an seinem Kinn hinablief. 

Ein raues und eiskaltes Gefühl an seinem Hals, ließ ihn jedoch wieder seine Augen aufreißen. Ein erschrockenes Keuchen verließ seine Lippen, was Oikawa in diesem Moment jedoch nicht einmal bemerkte, da seine ganze Konzentration bei der Waffe in den Händen seines Freundes lag, welche Iwaizumi nun direkt an seine Halsschlagader hiet. Und schlagartig wurde Oikawa bewusst, in was für einer Scheiße er hier gerade war. 

Die ganze Zeit über hatte er gedacht, hier schon irgendwie rauszukommen. Doch daraus würde nichts mehr werden. Er stand mit dem Rücken zur Wand, konnte sich kaum noch auf den Füßen halten und Iwaizumi war gerade im Begriff ihn an Ort und Stelle hinzurichten. 

Verzweifelt hob Oikawa seinen Blick vom Boden und sah zu Iwaizumi auf, welcher keine zwei Schritte von ihm entfernt stand und ihn abschätzend musterte, wobei er seinen Kopf etwas zur Seite geneigt hatte.

Vielleicht, wenn er seine gesamte letzte Kraft zusammenraffte, könnte er Iwaizumi, so nah wie er ihm gerade war, wegschubsen und rennen. Mit viel Glück könnte er ihn vielleicht abhängen. 

Doch kaum hatte er diesen Gedanken gefasst, tauchte ein breiter Schatten im Licht der Straßenlampen vor dem Innenhof auf. Langsamen Schrittes kam er immer näher und als er nur noch wenige Meter entfernt war, erkannte Oikawa auch den Gegenstand, den der Mann in seiner rechten Hand hinter sich her schliff. Er musste hart Schlucken. Das war's. 

"Iwaizumi, hast du ihn?"

Es war vorbei. 

"Ja, Sir. Waren noch andere in der Nähe?"

Er hätte es wissen müssen. 

"Nein, ich hab die ganze Umgebung gecheckt; er ist allein."

Doch jetzt war es zu spät.

"Was machen wir jetzt mit ihm?"

Es hieß Game Over. 

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