33. Kapitel

Als Gabriels Worte zu mir durchdrangen, als ich sie nach etlichen Sekunden realisierte, hatte er mich schon am Handgelenk gepackt und hinter sich hergezogen.
Bei den vielen leblosen Körpern die sich in der Tür tummelten, setzte er einen Arm unter meine Kniekehlen, den anderen unter meinen Rücken und hob mich mit Leichtigkeit hoch. »Nicht hinsehen, meine Schöne«, murmelte er, ehe er ohne zu zögern über die Menschen lief. Er hielt mich in seinen Armen und ging über die Massen von Fleisch und Blut, die noch vor wenigen Minuten geatmet hatten. Es war krank.

Ich konnte an nichts anderes denken, als an seine Worte. Starr sah ich nach vorne und bemerkte, dass er inzwischen nicht mehr lief, sondern rannte. Er rannte an der offenen Haustür vorbei und schien bei der hellen Marmortreppe immer zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Bei jeder Stufe konnte man das schmatzende Geräusch seiner in Blut getränkten Schuhe hören.
»Ein Spiel«, hauchte ich leise und sah weiterhin nach vorne. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich sein nicken.
»Genau, Honey. Mit einem Spiel hat alles angefangen und mit einem Spiel wird alles enden«, erwiderte er ruhig, weshalb ich zurück in sein Gesicht sah. Trotz seiner Stimmlage wirkte er angespannt.

»Was für ein Spiel?«, fragte ich schließlich erschöpft und schloss die Augen. Ich hatte keine Kraft mehr. Seit ich hier war, mussten so unglaublich viele Menschen sterben.

»Das erfährst du gleich«
Ich öffnete meine Augen wieder. »Ich.. ich will kein Spiel spielen«, flüsterte ich langsam und beobachtete die vielen Gemälde, an denen er vorbei rannte. Wir bogen ab, wodurch sich sein Tempo ein wenig verlangsamte. Geistesabwesend bemerkte ich, dass Gabriel stehenblieb und sich seine Schuhe abstreifte.
»Du hast leider keine Wahl, Honey. Außerdem, denk an Violet und an deine Freiheit. Denk daran sie wiedersehen und in deine Arme schließen zu können«, erwiderte er gepresst und blieb erneut stehen.

‚Ich habe keine Ahnung wo wir sind', fiel mir nach wenigen Momenten auf.
Langsam realisierte ich, dass ich nickte. Es fühlte sich so an, als würde jemand Fremdes meinen Körper bewegen und ich konnte nichts anderes tun, als es zu akzeptieren.
»Okay. Ich werde mein bestes geben«, gab ich schließlich ergeben von mir. Gabriel sah auf mich hinab und hob einen seiner Mundwinkel leicht an. »Sehr schön«

Er drückte mit seinem Ellenbogen die Türklinke nach unten und trug mich in einen hellbeleuchteten Raum. Sofort musterte ich unsere Umgebung. Der große Raum war voller Spiegel. Etliche Spiegel, von unterschiedlichsten Größen und Formen, bildeten ein Labyrinth. Ein Labyrinth, in dem wir anscheinend sein Spiel spielen würden.

Nachdem Gabriel einige Schritte tiefer in den Raum ging, wurde ich vorsichtig abgesetzt. Mein Blick löste sich von den Spiegeln und glitt zu meinem Nachbarn. Er war gerade dabei eine der zwei Pistolen, die auf einem kleinen Metalltisch lagen, zu laden. Ohne mich anzusehen begann er zu sprechen. »Die Regeln sind ganz simpel, Prinzessin. Jeder von uns bekommt eine von diesen hübschen Waffen, die jeweils mit 3 Kugeln geladen sind« Für einen Sekundenbruchteil schweifte sein Blick zu mir. »Du gehst als erstes in das Spiegellabyrinth und ich komme nach 60 Sekunden nach. Der erste, der es schafft den anderen lebensbedrohlich zu verletzen, hat gewonnen. Wenn du gewinnst, dann bist du frei, Honey«

Verstehend nickte ich langsam, weshalb er mir eine der Waffen in die Hände drückte.
»Wir haben nicht unendlich viel Zeit. Die Polizei wird schon bald mein Haus stürmen, allerdings müssen sie uns dann erst einmal finden« Ich sah von der Waffe in meiner Hand auf und blickte ihn an. Leicht lächelnd steckte er das Magazin in seine Waffe und erwiderte meinen Blick.
»Alles klar?«
Ich nickte wieder. Für einen kurzen Moment regte sich keiner von uns, bis er plötzlich mit seinem Kinn zu meinen Schuhen deutete. »Du solltest deine auch ausziehen, sonst höre ich dich«

Wortlos nickend zog ich die dunklen Schuhe aus. Gabriel hatte recht.
Schliesslich stand ich ihm Barfuß gegenüber, während er nur noch schwarze Socken trug. Jede einzelne Sekunde die verstrich, kam erneut Gefühl in meinen Körper, doch kein einziger Gedanke. Mein Kopf war einfach leer.

»Na dann, viel Glück meine Schöne« Sanft musterte er mich. »Gib dein Bestes und gewinne. Deine Zeit läuft ab jetzt«, fügte er hinzu und zog leicht die Augenbrauen zusammen. Nach einem letzten Blick zu ihm setzte ich mich wortlos in Bewegung. ‚Du musst dich konzentrieren, Jill..'

Meine Atmung war flach, als ich durch die vielen Gänge der Spiegel lief. Es machte mich krank, dass einfach überall mein Spiegelbild zu sehen war. Ich wollte nicht andauernd in diese hellen Augen sehen, die mich so sehr enttäuschten. Ich war enttäuscht von mir selbst und von meinem Verhalten. Ich hatte es im Endeffekt nicht geschafft von diesem schrecklichen Ort zu fliehen. Ich hatte es nicht geschafft Menschen zu beschützen. Das einzige, dass ich erreicht hatte, war, sie mit meiner Anwesenheit in den Tod zu reißen.
‚All das, alles was geschehen war, ist alleine meine verdammte Schuld'

Sollte ich es schaffen Gabriel zu töten, wäre ich zwar kein bisschen besser als er, doch ich könnte die Welt ein stückweit besser machen. ‚Es würde niemand mehr wegen ihm sterben. Niemand würde mehr unter ihm oder seinen psycho Spielchen leiden'

Als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, drehte ich mich um und drückte ohne zu zögern ab. Erschrocken über den unerwarteten Rückstoß, keuchte ich leise auf. Ich hörte wie Glas klirrend auf den Boden fiel und kurz darauf ertönte ein Lachen. Das selbe Lachen, dass mich schon seit mehreren Wochen verfolgte. ‚Aus welcher Richtung kam sein verdammtes Lachen?' Angespannt lief ich weiter. ‚Immerhin weiß ich jetzt weiß, dass er in meiner Nähe ist..'

Ein Schuss ertönte. Überrascht und erschrocken zugleich sah ich zu meiner rechten. ‚Die Kugel hat mich nur knapp verfehlt!' Langsam spürte ich das Adrenalin durch meinen Körper fließen. Es versetzte ihn komplett unter Spannung.
Ein weiterer Schuss, doch er verfehlte mich wieder. ‚Das war knapp..' Ohne hinzusehen schoss ich in die Richtung, aus der die Kugel gekommen war und rannte los. Wieder ertönte ein Lachen. Immer aufgeregter biss ich auf die Innenseiten meiner Wangen und bog erneut ab. Gabriel und ich trafen direkt aufeinander, doch ich realisierte rechtzeitig, dass es nur sein Spiegelbild war. ‚Ich darf keine Kugeln mehr verschwenden..'
Unruhig wollte ich näher an ihn heran gehen, doch er war bereits lächelnd verschwunden.

Je länger ich hier herum lief, desto mehr Nervosität überkam mich.

Unsicher schielte ich um die Ecke und setzte lautlos meinen Weg fort. Ich spürte wie verschwitzt meine Hände inzwischen vor Nervosität waren und wie meine Atmung stockte. »Du wirst hier rauskommen«, murmelte ich leise und blickte immer wieder zu allen Seiten. Dadurch, dass die Spiegel deinen Standort verrieten, fühlte man sich die ganze Zeit ungeschützt.

Als plötzlich Gabriel vor mir in den Spiegeln auftauchte, drehte ich mich direkt um und drückte ab. Nach dem lauten knall des Schusses war es totenstill. Langsam öffnete ich meine aus reflex zusammengekniffenen Augen. Genau in dem Augenblick verfiel Gabriel in Gelächter. ‚Was?..'

Mein Gehirn brauchte einige Sekunden um zu realisieren, was geschehen war. Schockiert ließ ich meine Pistole los.
»Ich.. was...«, murmelte ich ungläubig und ging fassungslos ein paar Schritte auf ihn zu. Mein Herzschlag dröhnte mir so laut in den Ohren, dass ich meine eigene Stimme nicht hören konnte.

Lächelnd lehnte ich mich an den Spiegel hinter mir und ließ mich langsam auf den Boden gleiten. Meine Augen ruhten dabei auf dem Gesicht des kleinen Mädchens. »Gut gemacht« Ich spukte etwas Blut auf den Boden neben mir und presste eine Hand auf das Schussloch. »Du hast es geschafft«, murmelte ich lachend, als sie weinend vor mir auf den Boden fiel.

»Was soll dieses traurige Gesicht, Prinzessin? Schenk mir doch wenigstens jetzt ein Lächeln«, flüsterte er und hustete erneut die rote Flüssigkeit aus. Immer mehr Tränen liefen über meine Wangen. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Frustriert schluchzte ich auf. »Ich.. ich wollte das doch nicht«, flüsterte ich gebrochen und schüttelte ungläubig den Kopf. Obwohl er so vielen Menschen leid zugefügt hatte, wollte ich das nicht. Ich wollte nicht verantwortlich für seinen Tod sein! Egal was ich mir vorher eingeredet hatte, ich wollte das nicht.

»Du hast nichts falsch gemacht«, hörte ich ihn ruhig sagen, weshalb ich ihm wieder traurig in die Augen blickte.

»Komm schon her«, raunte ich leise, platzierte meine Hand in ihrem Nacken und zog sie zu mir. ‚Meine naive, zerbrechliche Prinzessin'.. Ich musste lächeln. Sie hatte es geschafft mir meinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.
‚Ein Spiel, mit dem ich zufrieden sein kann..'

Seine weichen Lippen trafen auf meine und ich ließ es geschehen. Die ganzen Emotionen und Erinnerungen, die uns gezwungenermaßen verbanden, kamen wieder hoch. Vor meinem inneren Auge sah ich wie er lachte, wie er vor sich hin summte und wie er mich anschrie. Wir hatten unfassbar viele Erinnerungen zusammen. Auch wenn die schlechten überwogen, waren es trotzdem unsere Erinnerungen.

Ich schloss die Augen und ließ den Moment einfach wirken. In unserem Kuss steckte unendlich viel Trauer. Sie kam hauptsächlich von mir. Obwohl ich noch immer weinte, musste ich in den Kuss hinein lächeln. Wer hätte gedacht, dass es soweit kommen würde? Ich konnte spüren, wie auch Gabriel anfangen musste zu lächeln. ‚Das fühlt sich alles so unrealistisch an. Wie ein Traum' Nach unzähligen Momenten lösten sich unsere Lippen voneinander und ich wich minimal zurück. Unsere Augen waren ineinander verschlungen.

Am Ende hatte er es doch noch geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen.

»Vergiss mich nicht, okay Honey?«, fragte er ruhig und strich mir langsam einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.
»Ich glaube niemand könnte dich vergessen«, erwiderte ich leise. Ein leichtes Lächeln legte sich über seine Lippen. ‚Wie kann er selbst in so einer Situation lächeln?..'  Er senkte langsam seinen Arm und schloss die Augen. Das einzige was man hörte war sein angestrengter Atem. Minuten verstrichen, in denen ich ihn einfach nur ansah.
»Weißt du... Es tut mir leid.. Gabriel« Traurig ausatmend strich ich durch seine dunklen Haaren. »Wir hätten beide ein besseres Schicksal verdient«, sagte ich leise und wischte schnell über meine nassen Augen. »Ich hoffe..« Ich schloss die Augen, genau wie er es vorhin getan hatte. »Ich hoffe, dass du wenigstens als Toter deinen Frieden finden kannst«

Gabriel lachte plötzlich leise auf, weshalb ich ihn überrascht ansah. Keine Sekunde später wurde mir der kühle Lauf einer Pistole an die Schläfe gedrückt. Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Was..«, hauchte ich erstarrt. »Ich dachte.. i- ich«
»Was? Du dachtest ich bin so gut wie tot? Ich?«, fragte er lächelnd und entsicherte die Waffe. »Nein, Jill, ich verliere nicht. Niemals«

Ein Schuss.




ENDE

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