Kapitel 83
Sezuna begann ihn beruhigend zu streicheln. "Warum hast du Angst?", fragte Sezuna leise. Vielleicht half es ihn, wenn er drüber reden konnte.
"Nadel", kam es tonlos von Harus Mund, als wäre es nicht offensichtlich. Ausgestreckt lag er auf dem Bett, wobei er ihr Streicheln zu genießen schien. Beruhigen konnte es ihn allerdings nicht.
"Das weiß ich. Aber gibt es einen Grund dafür?", fragte sie sanft und beugte sich vor, um seine Stirn zu küssen.
Sezuna konnte den salzigen Geschmack an ihren Lippen fühlen, als sie das tat.
"Meine Eltern ...", begann Haru, brach jedoch ab, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
Sofort rückte sie noch ein wenig näher. Das hätte sie sich denken können. "Möchtest du darüber reden?"
Zuerst schwieg Haru und kämpfte gegen die Tränen an, bevor er begann, zu erzählen.
"Als ich geboren wurde, haben sie die Ärzte damals gebeten, die Magie, welche meine Schwester getötet hatte, mit Spritzen zu vernichten und sie aus mir zu ziehen", flüsterte er sehr leise.
"Sie dachten, dass man mir damit Einhalt gebieten kann. Als würde man eine Krankheit damit behandeln können. Sowas geht überhaupt nicht, das habe ich erst später erfahren", fuhr Haru fort und legte sich einen Arm über die Augen, als er sich daran erinnerte.
"Die Ärzte kamen nach der Geburt mit riesigen Nadeln auf mich zu, welche sie in meinen Körper steckten. Sie waren wirklich verdammt groß und haben mir sehr starke Schmerzen verursacht", erzählte er und stockte für einen Moment, als die Erinnerung dazu in ihm auflammte und er zuckte stark zusammen, als würde es gerade wieder passieren.
Haru erzählte Sezuna, dass er sich genau an all die Zeiten erinnerte, als sie versucht hatten, seine Magie mit Spritzen zu zerstören und abzusaugen. Normalerweise erinnerte man sich niemals an die Zeit nach der Geburt, doch Haru erinnerte sich sehr genau. Auch, weil seine Magie es niemals vergessen hatte, wie man mit Gewalt versuchte, sie zu zerstören. Diese Erinnerungen wurden nur durch seine Magie aufrechterhalten.
Überrascht darüber, dass Harus Magie scheinbar ein ähnliches Gedächtnis besaß, wie ihre, hielt sie kurz in ihrer Tätigkeit inne. "Das tut mir leid", flüsterte sie leise. Es war gut, dass sich die meisten Leute, egal ob Magier und nicht, nicht an die Zeiten als Baby erinnerten. Das brachte in den meisten Fällen nur Kummer. Gerade dann, wenn man zu früh geboren wurde oder als Baby krank war.
Kein Wunder, dass Haru solche Angst davor hatte und seine Magie so auf Nadeln reagierte. Sie hatte einen driftigen Grund sich vor diesen schützen zu wollen.
"Du kannst dir nicht vorstellen, wie groß die Schmerzen waren. Sie haben das über Jahre hinweg versucht. Obwohl meine Magie dann jedes Mal stark reagiert hatte und sogar viele verletzte, hörten sie nicht auf", kam es tonlos von dem blonden Magier.
Seine Eltern hatten darauf bestanden, dass die Ärzte die Missgeburt unter Kontrolle bekamen, doch sie waren dabei kläglich gescheitert, bis sie schließlich aufgegeben hatten.
Sezuna nahm Haru so gut es ging in den Arm und drückte sich fest an ihn. Sie konnte nicht verstehen, wie Eltern zu solchen Dingen fähig waren. Ihr eigenes Kind so zu traumatisieren war absolut nicht in Ordnung.
"Ich habe solche Angst", fing er bei ihrer Umarmung wieder an zu weinen. Niemals würde er darüber hinwegkommen. "Eine Narbe von den Nadeln ist unter dem Tattoo versteckt, damit niemand sie sehen kann", schluchzte er. Haru hatte einige Narben, die jedoch nicht gleich auf den ersten Blick sichtbar waren.
Seinen Kopf vergrub er an Sezuna, wobei ihr Oberteil von seinen Tränen durchgenässt wurde.
Sezuna hatte die Narben bemerkt. Immer, wenn sie ihn gestreichelt hatte, waren ihr diese aufgefallen. Sie hatte jedoch nichts gesagt. "Hier bist du in Sicherheit. Niemand wird dir weh tun", versicherte sie sangt.
Langsam schüttelte er den Kopf. Haru glaubte nicht daran, dass Haruto ihn so einfach davonkommen lassen würde. Ihm war bewusst, dass er das Unausweichliche damit nur herauszögerte, aber abwenden konnte er es nicht.
Sezuna zog ihn an sich. "Du bist hier unter Leuten, die dich mögen und dir helfen wollen, nicht dir wehtun", sagte sie sanft und fuhr ihm durch die Haare. "Ich werde nicht zulassen, dass du Schmerzen hast, wenn ich es vermeiden kann."
Haru verstand nicht, was sie meinte. Eine Nadel tat immer weh, egal ob man es gut oder böse meinte. Sein muskulöser Körper hing wie eine Puppe in ihrer Umarmung. Es war seltsam, dass er nicht einmal bei großen Wunden solche Schmerzen und Panik verspürte wie bei einer Nadel.
Sezuna streichelte ihn ruhig weiter. "Hättest du auch Angst davor, wenn ich die Nadel führen würde?", fragte sie leise, da sie herausfinden wollte, wovor genau er Angst hatte, denn eine Nadel tat nicht zwingend weh.
"Es ist egal, wer sie nimmt. Die Tatsache, dass sie durch meine Haut dringt und den Schmerz verursacht, ist der Grund", versuchte er zu erklären. Er würde sich nicht einmal selbst damit stechen können.
"Verstehe", murmelte sie leise. "Und wenn es etwas anderes, als eine Nadel wäre?", fragte Sezuna weiter, die versuchte sich ein Bild zu machen.
"Du weißt selbst, dass ich mit Messern und solchen Dingen keine Probleme habe", murmelte Haru leise. Er war erschöpft durch den Stress und müde. Es war für sie vielleicht unverständlich, dass er solch eine Angst vor einer Nadel hatte, obwohl er sich schon oft beim Basteln gestochen oder das Messer an sich selbst benutzt hatte.
Sezuna fragte sich, was wohl passieren würde, wenn sie die Nadel als etwas anderes tarnen würde. Vielleicht nicht unsichtbar machen, sondern zu einem Messer verändern. Zumindest vom Aussehen her. Ob das Haru beruhigen würde?
Es war schwer zu sagen, denn bestimmt würde er es mitbekommen, wenn man das Messer dort anlegen würde, wo man die Nadel einführen würde. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie mit Haruto den Plan verfolgten, das im Schlaf zu machen, wenn er ruhig war.
Die Nadel konnten sie zusätzlich noch unsichtbar machen, damit er sie nicht gleich sah, sobald er wach wurde. Aber erst einmal musste sie Haru irgendwie beruhigen.
Sezuna schmiegte sich an ihn. "Jetzt im Moment ist alles gut", versicherte sie ihm. "Hier sind keine Nadeln und du kannst dich entspannen.
Haru brauchte eine lange Zeit, um sich wenigstens ein wenig wieder zu beruhigen. Noch immer zitterte er ab und zu, doch es hatte nachgelassen.
Ruhig lag er in Sezunas Armen und starrte vor sich hin. Es war schwer auszumachen, was er gerade dachte. Seine Augen waren ausdruckslos, als wäre er nicht mehr er selbst.
"Ich will es versuchen ...", sagte er plötzlich sehr leise. Sein Kopf schmerzte vom Nachdenken, da er jedoch wusste, dass es kein Entrinnen gab, war es vielleicht besser, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Sezuna lächelte leicht. "Du musst dich nicht zwingen", meinte sie sanft. "Erst einmal ist es wichtig, dass du dich wieder beruhigst und entspannst, sonst explodiert deine Magie wieder."
"Wird sie doch sowieso ...", murmelte Haru nervös. Dennoch rührte er sich nicht in ihren Armen, als hätte er keinen Mut, von sich aus anzufangen. "Wenn ich mich nicht zwinge, werde ich gezwungen werden", kam es leise von ihm und er hob seine Hand, um seine Schläfe zu massieren.
Die Kopfschmerzen nagten richtig an ihm.
"Nicht heute und nicht morgen", flüsterte sie leise und begann seine Schläfen zu massieren.
Also hatte er noch Zeit ... Unter ihren Fingern wurde sein Körper entspannter, denn tatsächlich halfen ihm ihre Berührungen. Die Kopfschmerzen wurden weniger, Haru dafür umso müder. Noch immer strömte seine Magie aus ihm heraus, die jedoch nun langsam abnahm, was ein Anzeichen war, dass er sich beruhigte.
Sezuna stupste ihn mit der Nase ein wenig an. Es war gut, dass er sich beruhigt hatte, oder zumindest auf den Weg war.
Ein leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen und er öffnete langsam die Augen, um sie anzusehen. Wie froh er war, dass sie bei ihm war. Ohne sie wäre er schon längst über alle Berge und vor Angst explodiert.
"Ich muss ... baden", flüsterte Haru leise, weil sein gesamter Körper klebte. Er ging nicht davon aus, dass die beiden etwas tun würden, da Haruto ihm ja gesagt hatte, dass sie es noch auf dem anderem Weg versuchen würden.
Sezuna nickte und rückte ein Stück von ihm ab. "Es gibt eine Badewanne", sagte sie lächelnd und wartete, bis sich Haru erhoben hat.
"Habe ich gar nicht bemerkt", murmelte er, während er schwerfällig aufstand. Seine Bewegungen waren ein wenig unkoordiniert, weil er sich so schwach fühlte.
Dennoch schaffte er es alleine ins Bad, wo Haru das Wasser aufdrehte, damit es in die Wanne laufen konnte. Solange zog er sich aus und warf seine Sachen erst einmal auf den Boden, bevor er sich an den Wannenrand setzte.
Noch immer drehten sich seine Gedanken darum und auch, wie Haruto und Sezuna ihn ausgetrickst hatten, um ihm zu helfen. Würde es auch dieses Mal helfen, wenn er wirklich schlief?
"Sezuna?", rief er in das kleine Schlafzimmer und wartete, bis sie an der Tür erschien.
"Ja?", fragte sie fast sofort, da sie nicht weit von ihm entfernt gewesen war. Sie trat ins Zimmer und musterte ihn nachdenklich. Hatte er etwa eine Ahnung?
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