Kapitel 75

Hatte Sezuna etwa mit solchen Kreaturen schon zu tun gehabt? Sie schien zu wissen, was sie tun musste, deshalb war er erstaunt, wie ruhig sie blieb. Angst hatte er nicht um sich, sondern um sie.

Haru tat es ihr gleich, denn er wusste nicht, was er sonst tun sollte. Trotzdem bemerkte er, wie sie näher kam.

Sezuna zog ihre eigenen Schlüsse aus der Situation. Auch wenn alles für sie neu war, begann sie doch nach und nach zu verstehen, was ihre anfängliche Angst ein wenig milderte. Menschen hatte vor den Dingen, die sie nicht verstanden am meisten Angst, doch darüber war Sezuna hinaus. Trotz des eigentümlichen und ein wenig gruselig anmutenden Aussehens nutzte sie Magie wie eine Magierin. Daher lag es nahe, dass sie eine war und vielleicht ein Experiment schiefgegangen war, weshalb sie nun so aussah. Außerdem hatte sie bemerkt, dass die Frau sehr gut darin war, sich in den Augenwinkel der Opfer aufzuhalten und wenn man versuchte sie näher zu betrachten, zu verschwinden. Daher sollte Haru sie auch nicht ansehen, damit sie nicht wieder verschwand und beide wussten, wo sie war.

Er musste sie nicht einmal ansehen, um sie zu spüren. Ihre Präsenz war sehr stark, auch wenn sie noch nicht so nahe war. Haru starrte Sezuna und das Wasser an, um den Geräuschen zu folgen, die die Frau machte. Schon allein von kleinen Geräuschen her konnte er ahnen, wo sie war. Haru Blick zu Sezuna war fragend, denn er würde nur zu gern wissen, was diese Person war. Da es aber wahrscheinlich eine schlechte Situation war, das nun zu fragen, hob er diese Frage lieber für später auf, falls sie noch am Leben sein sollten.

„Lauf weiter", murmelte Sezuna und ergriff seinen Arm. Haru spürte, wie sie ein wenig seiner Magie nutzte und einen Zauber erschuf. Er war jedoch überhaupt nicht in der Lage zu sagen, was es für eine Art Zauber war. „Lass sie in mein Netz laufen", fügte sie flüsternd und mit einem sanften Lächeln hinzu.

Deshalb nickte er nur. So wie er sich kannte, würde er wohl mit Stärke und Ausdauer sie bekämpfen wollen, Sezuna hingegen benutzte ihre Intelligenz dafür. Das zeigte ihm, wie unterschiedlich sie wirklich waren.

Haru lief sehr langsam, auch wenn er das Bedürfnis hatte, Sezuna zu schnappen und zu rennen. Noch immer waren beide in seinem Schild, das sie umgeben hatte.

„Tu mir einen Gefallen und greif sie an, wenn ich dir das Zeichen gebe. Sie wird ausweichen, aber direkt in meine Falle laufen", murmelte sie leise und ging ein kleines Bisschen schneller.

Wieder nickte er nur und wartete auf ihr Zeichen. Haru war froh, dass sie zusammen hier waren, auch wenn er gerne in dem Moment wo anders wäre. Innerlich bereitete er sich bereits darauf vor, sie anzugreifen. Anstatt genau wie Sezuna schneller zu laufen, hielt er seine Geschwindigkeit bei.

Damit trennten sie sich ein kleines Stückchen, das Haru alle Nerven kostete.

„Jetzt", hörte er ihre Stimme, die durch den Wind direkt an sein Ohr getragen wurde.

Genau in diesem Augenblick ließ er eine geballte Ladung Magie in die Richtung des Wesens schleudern. Dazu drehte er sich nicht um, denn er hörte, wo sie war und wie nahe sie war. Außerdem erschien es ihm sicherer, sie zu überraschen. Da Haru den Angriff vorbereitet hatte, hatte er in dem Moment reagieren können, als Sezuna den Befehl gegeben hatte.

Die Frau, oder was auch immer es war, bewegte sich wirklich blitzschnell, was Haru überraschte. Ganz plötzlich tauchte sie zwischen den beiden auf und mit einem kreischenden Geräusch wollte sie Haru angreifen, wurde aber im gleichen Moment von den Füßen gerissen.

Aus dem Boden schossen Ranken, wie die, die sie versucht hatten ins Wasser zu ziehen. Nur hielten sie jetzt die Hexe an den Beinen in der Luft und packten ihre Arme, bis sie sich nicht mehr bewegen konnte.

Sezuna lächelte fröhlich, weil es funktioniert hatte. „Ich habe ihre Zauber so manipuliert, dass sie auch sie als Ziel sehen, sobald sie zwischen uns steht", erklärte sie gut gelaunt.

Haru brachte ein leichtes Lächeln zustande und trat auf das Wesen, welches sich nun nicht mehr bewegen konnte, zu. Der Junge war stolz auf Sezuna, weil sie das getan hatte. Leider erinnerte es ihn auch genug daran, dass er wohl sowas nie machen konnte, weil es die Theorie nicht verstand. Viel Kraft hieß nicht automatisch, stark zu sein, das war ihm bewusst.

Neugierig inspizierte er die Frau, die wirklich seltsam aussah. „Was wollt Ihr von uns?", fragte er sie mit einer klaren Stimme, die keine Angst verriet.

Die Frau sprach nicht. Zumindest nicht wirklich. Sie gab Laute von sich, wie sie ein wildes Tier von sich gegeben hätte, das versuchte seine Beute zu ängstigen.

Mit gerunzelter Stirn sah er zu Sezuna, die mittlerweile wieder bei ihm war. „Setz mal deine Fähigkeiten ein, um ihr Gemurmel verständlich zu machen", sagte er belustigt, weil er sich an ihr Gespräch erinnerte, welches sie erst vor wenigen Stunden geführt hatten.

Die Blonde zuckte jedoch die Schultern. „Sie war einmal eine Magierin, schätze ich", meinte sie nachdenklich und musterte die Frau. „Ich glaube, dass wohl ein Zauber schief gelaufen ist und sie jetzt eher ... ein Tier ist. Und sie hat Hunger", bemerkte sie, da die Frau abgemagert wirkte.

„Wir sind keine Mahlzeiten, auch nicht für sie", stellte er klar. „Meinst du, wie können wir irgendwie helfen?", fragte er sie dann. Das war typisch für Haru, egal was jemand war oder tat, er wollte immer helfen, auch wenn es vielleicht nicht möglich war. „Ihr vielleicht essen geben oder ihr helfen, ihre alte Gestalt zurückzubekommen?"

„Ich denke nicht, dass man es rückgängig machen kann", meinte Sezuna nachdenklich. Sie wusste ja nicht einmal genau, wie sie es geschafft hatte, so zu werden. „Sie wirkt verwildert. Vielleicht war es auch kein Zauber, sondern jemand hat sie hier als Kind ausgesetzt", murmelte sie, wobei sie Möglichkeiten durchging. Die Frau tat ihr leid, aber sie wusste nicht, was sie tun konnten, außer ihr vielleicht wirklich Essen anbieten.

Also entschied Haru, dass sie ihr vielleicht etwas von ihrem eigenen Essen geben sollten, damit sie verschont werden würden. „Gib ihr am besten das, was du vorhin gekocht hast. Vielleicht hilft es ihr, sich ein wenig zu beruhigen", schlug Haru vor. Sein Adrenalin ließ langsam nach und er musterte das Wesen nachdenklich.

Sezuna nickte und kramte das Essen aus dem Rucksack. Dabei wies sie die Ranken magisch an, die Frau auf den Boden zu setzen, aber nicht los zu lassen. Erst dann reichte sie ihr einen Spies, so dass sie hineinbeißen konnte. „Aber wir können sie doch auch nicht hier wieder frei lassen oder?", fragte sie vorsichtig, als sie sah, wie diese mit spitzen Zähnen nach dem Spies schnappte.

„Du kannst sie freilassen, wenn wir weit genug von ihr entfernt sind. Noch einmal als eine Mahlzeit betrachtet zu werden, will ich nicht", meinte er trocken und fuhr fort, dass es ihr wohl schmecken würde, so gierig, wie sie aß. „Wenn sie nicht so bissig wäre, hätte ich ja gesagt, sie könnte mitkommen, um woanders zu leben, allerdings denke ich, würde sie das gar nicht wollen."

„Ich denke auch, dass dieser Ort hier ihr Zuhause ist", murmelte Sezuna nachdenklich und sah sich um. Es wirkte noch immer recht dunkel und gespenstig, aber eigentlich nicht schlecht. Zumindest nicht für ein solches Wesen.

Der blonde Junge beobachtete die Kreatur genau, während sie Sezunas Essen verschlang, sie schien genauso hungrig wie er selbst zu sein, denn egal wieviel sie aß, sie machte weiter. Da er ihr nicht traute, ließ er sie auch nicht aus den Augen.

„Ich werde noch ein bisschen was hier hinstellen", murmelte Sezuna und lud ein wenig rohes Fleisch aus, das ebenfalls gierig angestarrt wurde. „Dann hat sie noch etwas, wenn wir sie frei lassen", murmelte sie und blickte dann zu Haru. „Wollen wir weiter?"

„Ja ich will hier so schnell wie möglich raus. Wenn du je wieder in die Nähe eines Moors willst, kannst du alleine gehen", stellte Haru klar und warf einen letzten, nachdenklichen Blick auf die Kreatur, bevor er sich zum Gehen wandte.

„Ach komm. So schlimm war es doch nicht, wir haben immerhin was interessantes gesehen", lachte Sezuna und gab wieder den Weg an. Der Zauber, der die Frau hielt, würde sich lösen, sobald sie das Moor verlassen hatten.

„Na auf das hätte ich verzichten können", murrte Haru und fluchte gleichzeitig auf. „Verdammt, meine Manschetten sind noch im Moor!", fluchte er zornig und drehte um. Die würde er sicherlich nicht zurücklassen.

Sezuna seufzte auf und wandte sich ebenfalls noch einmal um, um die Manschetten zu holen. Sie wusste immerhin, wie wichtig diese Haru waren.

Tatsächlich war die Kreatur noch immer gefesselt, sodass Haru in Ruhe suchen konnte. Er wusste, wo er sie verloren hatte und es war nicht schwer, diese zu finden. Allerdings waren diese sehr schmutzig und verschlammt. Die würde er erst richtig säubern müssen, bis er die wieder anziehen konnte. Aber er war zufrieden, dass er sie wenigstens wieder hatte.

„Fertig?", wollte Sezuna wissen und betrachtete die Frau in den Ranken noch einmal skeptisch. Sie fand, dass dieser Moorbesuch eine interessante Erfahrung gewesen war und für sich selbst hatte Sezuna viele Dinge gelernt.

Haru nickte und sie machten sich auf den Weg, aus dem Moor zu kommen. Erst als sich die Landschaft geändert hatte, seufzte er tief auf und schüttelte den Kopf ungläubig. „Einmal und nie wieder", murrte er. Man konnte ihm ansehen, wie froh er war, dass sie aus dem Gebiet waren.

„Warum?", wollte Sezuna neugierig wissen. „Was war so schlimm für dich?"

„Naja Erinnerungen eben ...", wich er ihrer Frage aus und packte seine Manschetten in den Rucksack. Die würde er bei einer nächsten Pause reinigen.

„Aber gerade deshalb ist es doch wichtig neue Erinnerungen zu sammeln, damit man sich bei dem Anblick von etwas, nicht immer nur an eine, vielleicht unangenehme Sache erinnert", meinte Sezuna nachdenklich und ließ den Weg weiter, auch wenn es bald dunkel wurde.

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