Kapitel 4
Es war noch nicht einmal hell, als Haru sich frustriert aufrichtete. Er hatte nicht gut geschlafen und es brachte nichts, sich noch weiter zu quälen. Noch immer schien es draußen zu regnen, doch der Regen und auch der Wind hatten über Nacht zugenommen. War ja klar, dass er kein Glück mit dem Wetter hatte. Er konnte wenigstens sich mit der Magie trocken halten, doch Sezuna würde es nicht können. Dazu reichte ihre eigene Magie nicht aus und er wusste das genau. Das hieß, dass er sie entweder zurück in die Schule bringen musste oder er ließ sie hier zurück, bis sie alleine gehen konnte. Haru verspürte nicht die geringste Lust, das Mädchen mitzunehmen. Nachdenklich sah er auf das schlafende Mädchen und dachte nach, was die beste Lösung war.
Es schien, als hätte Sezuna bemerkt, dass er erwacht war, denn nur wenig später murrte sie und rieb sich die Augen, bevor sie sich gähnend aufsetzte. Sie kramte in ihrem Rucksack und holte eine Wasserflasche hervor, von der sie einen großen Schluck trank. „Guten morgen", murmelte sie ein wenig schlaftrunken.
„Morgen", murmelte er nur, wobei sein Blick immer noch auf sie gerichtet war. Haru kaute auf seiner Unterlippe, was er oft tat, wenn er nachdachte. Vielleicht wäre es das einfachste, sie zu versteinern, dass sie ihm nicht mehr folgen konnte. Allerdings hatte er ja gesehen, was Magie bei ihr anrichten konnte und er wollte sie nicht leiden lassen. Was also sollte er tun?
Sezuna kramte erneut in ihrem Rucksack, bevor sie ihm eine kleine Tüte mit Keksen entgegenhielt. „Frühstück?", fragte sie mit einem schiefen Lächeln.
„Hunger hab ich schon, aber ich lasse mich dieses Mal nicht bestechen. Du bleibst hier oder gehst zurück zur Schule. Ich will nicht, dass du mir folgst", sagte Haru klar und deutlich. Wenn er nur nicht so eine Schwäche für Kekse hätte. Schon bei dem Anblick allein lief ihm das Wasser im Mund zusammen und er musste sich zusammen reißen, nicht einfach nach der Packung zu greifen. Haru wusste, dass sie alles versuchen würde, dass er sie mitnahm.
„Du weißt, dass mir das egal ist oder?", fragte sie und nahm die Packung Kekse zurück, um sie selbst zu öffnen und einen davon zu essen. „Ich werde dir sowieso folgen."
„Wage es nicht, Sezuna. Ich will keine Wegbegleitung auf die ich aufpassen muss. Wenn es sein muss, lege ich einen Zauber auf dich, dem du dich nicht widersetzen kannst", knurrte er beinahe gleichzeitig mit seinem Magen um die Wette. Warum war sie nur so stur? Konnte sie nicht wenigstens einmal das tun, was er von ihr verlangte, ohne ihren Kopf durchzusetzen?
„Dann tu das", meinte sie und streckte ihre Arme zur Seite, als Zeichen, dass sie sich nicht dagegen wehren würde.
„Du machst dich lustig über mich", bemerkte er frustriert. Frauen brachten wirklich nur Ärger. „Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe und lebst dein eigenes Leben? Ohne mich, wohl gemerkt!"
„Ich mache mich nicht lustig", versicherte sie. „Ich gebe dir nur die Möglichkeit deine Drohung leichter umzusetzen", erklärte sie und legte wieder ihren Kopf schief. „Und ich zwinge dich ja nicht mit dir zu reisen, ich kann dir auch wieder folgen, wie ich es anfangs getan habe."
„Und riskieren, dass Dir was passiert?", schnaubte er und zeigte ihr einen Vogel. Schon jetzt spürte er, wie wütend er war. Und das war gar nicht gut. „Du könntest auch genauso gut zu Dir nach Hause gehen anstatt mir zu folgen. Ich verstehe nicht einmal, warum du das überhaupt tust!"
Sezuna legte erneut den Kopf schief. „Ich habe kein Zuhause", erklärte sie mit einer Sachlichkeit, die für das Thema nicht passend schien.
„Was meinst du damit? Du hast doch deine Eltern", sagte er ärgerlich und dachte, sie spielte ein Spiel mit ihm.
„Wer sagt, dass ich meine Eltern habe?", fragte sie und wirkte noch immer so unbeteiligt, fast so, als versuche sie dieses Gespräch nicht einmal auf einer emotionalen Ebene zu führen.
„Soll das heißen, dass deine Eltern nicht mehr leben?", fragte Haru plötzlich leise.
Sezuna nickte leicht. „Sonst wäre ich nicht an die Schule gekommen."
„Warum würdest du dann ausgerechnet das zuhause dann aufgeben, wenn du nirgends hingehen kannst? Dort hast du alles, ein Dach über dem Kopf, deine Bücher und so weiter", versuchte er dem Mädchen die Rückkehr zur Schule schmackhaft zu machen. Der Junge wollte nicht, dass sie sah, wie leid es ihm tat, dass ihre Eltern nicht mehr am Leben waren. Nur zu gut wusste er, dass Mitleid und sowas nur noch mehr weh taten, deshalb bekundete er auch nicht sein Mitleid. Dabei konnte er sich gut vorstellen, wie schwer so ein Verlust war. Dennoch würde es ihr auch nicht helfen, wenn er sie deswegen in irgendeiner Art trösten würde.
„Wenn Zuhause nur das für dich ist, dann haben wir eine sehr unterschiedliche Definition von zuhause. Hier habe ich auch ein Dach über den Kopf und deshalb ist es nicht mein Zuhause", erklärte sie und deutete auf die Umgebung.
„Ich habe Dir schon mal gesagt, dass wir unterschiedliche Ansichten haben", knurrte er. Haru hatte seine Arme vor seiner Brust verschränkt und blickte sie genervt an. „Dort hattest du aber alles. Und wenn du die Schule abschließen würdest, könntest du entweder dort bestimmt anfangen zu arbeiten oder relativ schnell einen guten Job finden, wo du dann auch unter kommen würdest."
„Möglich, aber was bringt es mir unter Leuten zu sein, die mich ständig schief anschauen, für verrückt halten oder versuchen mich auszunutzen? Ich war zwar eine der besten Schülerinnen, doch das hieß nicht, dass die Lehrer mich mochten. Warum also sollte ich dort bleiben oder sogar dort anfangen wollen?", fragte sie und seufzte.
„Dann könntest du auch gleich dir eine Stelle suchen und arbeiten gehen", schlug er vor. „Und wenn du Glück hast, findest du vielleicht sogar einen Mann, der dich so nehmen wird, wie du bist. Wer weiß, vielleicht ist derjenige dann sogar dein Arbeitgeber", meinte Haru. Wieso diskutierte er überhaupt mit ihr? Ihn beschlich das Gefühl, dass sie sowieso machen würde, was sie wollte und er sie letztendlich doch mitnehmen musste. Auch wenn er sich noch so sehr sträubte. Müde fuhr er sich durch sein blasses Gesicht, denn noch immer war er nicht ganz fit.
„Ich denke wir wissen beide, wohin diese Diskussion führt. Ich werde dir sowieso folgen", sagte sie und bestätigte damit seine Befürchtungen. „Ich werde mich zurückfallen lassen und du wirst gar nicht bemerken, dass ich da bin. Hast du ja am Anfang auch nicht."
„Die Tatsache, dass du mir folgst, ist schon genug. Warum kannst du nicht einfach einen anderen Weg gehen. Gib mir wenigstens einen vernünftigen Grund, warum ich dich mitnehmen würde", forderte er frustriert. Wäre ja noch schöner, wenn sie ihm folgen und sich dabei verletzen würde. Dann müsste er wieder zurück und ihr helfen. Da war es wohl besser, wenn sie gleich neben ihm her lief.
Sezuna zuckte die Schultern. „Der einzige Grund, der für dich vernünftig wäre, wäre der, dass du dir sonst Sorgen machen würdest, dass ich in eine Schlucht falle oder von Drachen gefressen werden."
„Damit wäre das Problem zumindest behoben", murrte er. Harus Nacken begann zu schmerzen und er rieb ihn ein wenig, wobei er Magie benutzte. „Das ist kein Grund, das ist eine Tatsache. Bis jetzt hast du mir nämlich immer noch nicht verraten, warum du mir überhaupt folgst."
„Ich folge dir, weil ich dich interessant finde und ich meine Neugier stillen will. Das ist alles", erklärte sie, als wäre das etwas ganz Normales.
Haru stieß ein lautes Schnauben aus und schüttelte den Kopf. „Ich habe das Gefühl, dass du dir beim Sturz vom Baum doch irgendwas getan hast. Du redest ziemlichen Schwachsinn, Sezuna. Ich bin nicht interessant, du brauchst nur jemanden, der auf dich aufpasst", warf er ihr vor.
„Wenn das für dich ein akzeptabler Grund ist, warum ich dir folge, dann bitte", sagte sie und es war ihr im Grunde egal, ob er sie verstand oder nicht.
„Du bist unmöglich. Ich will dich nicht mitnehmen und ich will auch nicht, dass du mir folgst", knurrte er wütend. „Außerdem bin ich nicht dein Versuchskaninchen, um deine Neugierde zu stillen."
„Ich verlange von dir ja auch gar nicht, dass du mich mitnimmst", sagte sie erneut, während sie wie immer ruhig blieb, obwohl Haru kurz davor war zu explodieren.
Harus Augen begannen vor Wut zu blitzen. Was fiel ihr eigentlich ein? Sie war so nervig und er konnte es nicht leiden, wenn er eine Art Versuchskaninchen für sie war, nur damit sie ihr Wissen stellen konnte.
Er war nahe dran, seine Kontrolle zu verlieren, als er plötzlich ohne Vorwarnung in sich zusammen sank. Nicht nur, dass sein Körper noch vom letzten Mal geschwächt war, nein, die zusätzlichen Gewichte machten ihn zusätzlich schwächer, solange er nicht komplett geheilt war. Schon jetzt spürte er, wie seine Wut die Überhand genommen hatte und dass die Magie aus ihm floss, um ihn zu schützen. Haru musste sich beruhigen so schnell es ging. Deshalb fing er an, tief Luft zu holen und bis zehn zu zählen, damit er seine Wut wenigstens unter Kontrolle bekam. Das klappte auch, aber er war erschöpft, denn sein Körper reagierte gerade jetzt viel intensiver auf solche Reize und Einflüsse. „Also gut, komm mit, aber lass mich wenigstens in Ruhe", gab er schließlich klein bei und ließ seinen Kopf sinken.
„Ich verspreche dich nicht zu stören und nur zu reden, wenn du es mir erlaubst", bot sie an und packte ihren Rucksack wieder auf ihre Schultern.
„Mach was du willst", murrte er nur und rührte sich nicht von der Stelle. Sie würde sowieso tun, was sie immer tat. Haru wusste, dass das kein gutes Ende nehmen würde, wenn sie zusammen reisen würden. Aber das war dann ihre eigene Schuld.
Sezuna nickte stumm und beobachtete ihn neugierig. Sie war wirklich gespannt darauf, was er jetzt tun würde. Vor allem, ob er sich wieder mit Keksen bestechen ließ.
Haru hingegen rührte sich nicht, sondern saß mit gesenktem Kopf einfach da. Kein Wunder, warum er nicht gut mit Menschen umgehen konnte. Die nervenzermürbenden Diskussionen mit Sezuna waren wirklich nervig und er erreichte gar nichts bei ihr, weil sie am Ende sowieso das tat, was sie wollte. Seine Augen waren geschlossen und sein Atem ging wieder ruhiger. Der Regen, das Feuer und der Wind halfen ihm, wieder herunterzukommen.
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