Kapitel 19

„Ich glaube nicht, dass es daran liegt", meinte Sezuna, die ihn nachdenklich musterte. „Du bist extrem verspannt. So verspannt, dass dein Körper schmerzen hat. Und wie reagiert Magie auf Schmerzen?", fragte sie und hoffte, dass er selbst drauf kam.

„Mit mehr Magie?", fragte er. Haru schüttelte selbst den Kopf, weil seine Antwort dämlich klang, aber er konnte keinen klaren Gedanken fassen.

„Ja, indem dein Körper versucht sich mit mehr Magie vor den Schmerzen zu schützen", nickte die Rothaarige und versuchte sich ein wenig zu strecken, jetzt wo die Gewichte wieder so leicht waren, dass sie sich bewegen konnte. auch wenn das nicht für ihre Beine galt.

„Dämliche Magie ...", murrte er. Einmal mehr wünschte er sich, diese Gabe überhaupt nicht zu besitzen. Dann würde es weitaus weniger Probleme geben. „Es wird Zeit, das Reservoir zu erweitern, damit das nicht mehr passiert ..."

„Das wird nur bedingt helfen. Es ist auch an der Zeit, dass du lernst auf deinen Körper zu hören und die Anzeichen richtig zu deuten", erklärte Sezuna und lehnte sich ein wenig im Bett zurück. „Und ich weiß, dass du Berührungen nicht magst, aber ich werde dich jetzt einmal am Tag massieren", sagte sie bestimmt. „Wenn es nichts bringt, können wir immer noch aufhören, aber du wirst es wenigstens ein zwei Tage lang versuchen", fügte sie schnell noch hinzu.

Haru schüttelte den Kopf. „Ich bin einfach noch zu schwach, um es auszuhalten ...", murmelte er und seufzte tief. Die Verspannungen hatten viele Gründe und er war nicht gewillt, diese preiszugeben. „Ich muss stärker werden, um Schmerzen besser aushalten zu können. Trotzdem danke für das Angebot, Sezuna ... und für deine Hilfe..."

„Es geht nicht darum Schmerzen auszuhalten, sondern diese zu erkennen und herauszufinden wie der Körper darauf reagiert", widersprach diese. „Indem du lernst die Schmerzen auszuhalten ignorierst du die natürlichen Warnungen deines Körpers."

Haru antwortete nicht darauf. „Ich kann es einfach nicht. Ich will die Schmerzen ignorieren, weil sie mich Schwächen und mich als Schwächling auszeichnen. Außerdem ... will ich stark für Sarah sein ...", flüsterte der blonde Junge und seufzte wieder.

„Stark sein heißt nicht, keine Schmerzen zuzulassen", meinte Sezuna sanft. „Stark ist man dann, wenn man sich dem stellt, was einem Angst macht. Wenn man sich ihm stellt und seinen Weg weiter geht."

„Wie soll man bitte die Angst besiegen, jemanden wieder umzubringen? Die Angst wird ein Leben lang bleiben", erwiderte er und ließ sich vom Bett rutschen, um sich anzulehnen.

Sezuna tätschelte ihm kurz den Kopf, bevor sie sich wieder hinlegte. Sie hatte auch kaum eine andere Wahl. „Indem man das, was der Grund dafür war, kontrolliert. Egal wie."

„Wie meinst du das?", wollte er wissen und rührte sich nicht, selbst als sie ihn berührte.

„Du weißt genau wie du sie umgebracht hast. Was der Grund dafür war. Deine Magie. Wenn du diese Magie kontrollieren lernst, selbst wenn du dafür etwas tun musst, was dir Angst macht, gehst du deinen Weg", erklärte sie sanft, während sie sich ein wenig zur Seite drehte, um Haru beobachten zu können.

„Du weißt ja gar nicht, wie es passiert ist. Warum sie ausgebrochen ist ...", erwiderte er und es schien, als wäre er mehr als verlegen dabei.

„Das muss ich auch nicht. Du musst es wissen. Aber wie es ausgebrochen ist, ist vielleicht auch nicht der Grund, sondern der Ausbruch an sich", meinte sie und beobachtete Haru dabei sehr genau.

„Dann sage mir, wie man so einen Ausbruch verhindert, wenn man ... sich so sehr über etwas freut und aufgeregt ist und ... ach vergiss es", murrte er. Sowas würde sie sowieso nicht verstehen können. Haru legte seinen Kopf auf die Arme und schloss die Augen.

„Indem man verstehen lernt, wie Gefühle die Magie beeinflussen", erklärte sie. „Man die Anzeichen zu lesen lernt und Wege findet, wie man einen Ausbruch frühzeitig verhindert."

„Wenn ich das früher gewusst hätte ... wäre das nie passiert ...", murmelte er nur. „Gefühle sind kompliziert und sollten gar nicht existieren."

„Es gibt schon Gründe, warum es sie gibt. Und so wie ich das sehe haben deine Eltern bei dir einiges verpasst", murmelte die Rothaarige und gähnte dann herzhaft.

„Du solltest schlafen. Ich lasse deine Hände frei, aber deine Füße bleiben. Sonst finde ich dich am Morgen nur wieder auf dem Boden. Danke Sezuna für die Hilfe ...", sagte er leise und lehnte sein Kopf nun gegen das Bettgestell um sich zu entspannen. Er wusste, dass alle Gedanken an Sarah ihn emotional werde ließen und er dabei seine Gefühle nicht kontrollieren konnte. Allerdings wusste er nicht, warum er seit dem Ausbruch in der Schule so extrem empfindlich geworden war.

„Sicher, dass du nicht auch hoch aufs Bett kommen willst?", fragte sie murmelnd. „Ich mach mich auch ganz klein und geh an die Wand."

„Nein ich will nichts riskieren ... ich bin zu emotional, um mit jemanden in einem Bett zu schlafen. Nicht, dass die Magie wieder zunimmt", gab er widerwillig zu.

„Was wäre es denn, was du riskierst?", wollte Sezuna leise und neugierig wissen.

„Ich werde davon nur gestresst, weil ich ständig daran denke, wie Sarah neben mir lag und mich gestreichelt oder massiert hat. Wie oft ich sie in den Arm genommen habe und wir gekuschelt haben. Je mehr ich gestresst bin, desto erschöpfter werde ich und zeitgleich nimmt die Magie erst recht zu", gab er zurück, aber nun starrte er an die Decke, wobei er auf seiner Unterlippe nagte.

„Dann sind es diese Erinnerungen, die dir Angst machen? Die deine Magie ausbrechen lassen?", wollte sie wissen und stellte fest, dass er noch nie so viel erzählt hatte. Aber damit konnte sie arbeiten. Wenn es das war, was ihn unruhig werden ließ, dann musste er sich genau diesen Dingen stellen und Sezuna beschloss für sich ihn dabei zu helfen. Bis er seine Magie in den Griff bekommen hatte, würde sie ihn begleiten.

„Vielleicht ... ich weiß es nicht ... ich vermisse sie so sehr, habe Angst, dass es jemand anderen geben könnte, der die gleichen Gefühle in mir auslösen können. Dabei ... gibt es nur Sarah für mich. Ich habe Angst, dass ich sie vergessen werde, aber auch, bei jeder Berührung an sie erinnert zu werden. Nur damals ... hatte ich Angst, ihr weh zu tun und ich war so aufgeregt, dass ... es urplötzlich passiert ist", versuchte er zu erklären.

Sezuna hob die Hand und ließ sie beruhigend über Harus Nacken wandern. „Gefühle kommen und gehen. Sie sind nicht rational erklärbar, aber ich denke die Angst, egal wovor du Angst hast, ist der Grund für deine Ausbrüche", erklärte sie sanft. „Das sind die Ängste, denen du dich irgendwann stellen musst, um das zu bekommen, was du wirklich willst."

„Das was ich will, wird nie passieren. Obwohl es schon Jahre zurückliegt ... wächst die Angst stärker und stärker. Deshalb bin ich lieber alleine, wo ich nicht Angst haben muss, dass ich anderen weh tue oder sie vergessen werde", meinte er und zu Sezunas Überraschung hielt er still, als er ihre Hand dort spürte.

Sezuna nahm das als stumme Zusage, dass sie weiter machen durfte. „Du wirst sie niemals vergessen. Sie wird immer ein sehr großer, wichtiger Teil in deinem Herzen sein. Selbst wenn du es irgendwann einmal für jemand anderen öffnen solltest."

„Ich kann es nicht. Ich will es nicht. Niemand wird je so sein wie sie", flüsterte er, als Sezuna ihn wieder leicht massierte. „Schon allein deine Berührungen dürfen sich nicht so gut anfühlen und mich entspannen."

„Wieso nicht?", wollte Sezuna wissen. „Menschen sind nicht gemacht, um ohne Berührungen auszukommen. Wir alle brauchen ab und an Nähe."

„Weil sie sich fast so anfühlen wie bei ihr. Das bringt die Erinnerungen umso mehr zurück, Sezuna. Vielleicht kannst du es nicht verstehen ..." Haru sprach eigentlich nie darüber, wie er sich fühlte und normalerweise würde er sofort von ihren Berührungen wegziehen, doch nachdem sie ihm geholfen hatte, seine Schmerzen zu lindern konnte er nicht anders, als still zu halten.

„Das ist doch nicht schlimmes. Du hast sie geliebt und du liebst sie immer noch. Wenn dich jemand berührt und du an sie denken musst, ist das die größte Ehre, die du ihr erweisen kannst", flüsterte Sezuna beruhigend. „Es mag schmerzen, aber du hältst du Erinnerungen an sie aufrecht und irgendwann wirst du nicht mehr nur den Schmerz dieser Erinnerungen sondern auch die Freude spüren, die du damals empfunden hast."

„Ich will sie einfach zurück, sie in meinem Arm halten und mit ihr Lachen. Mit ihr weinen und sie ärgern wie ich es oft getan habe. Ich will keinen an mich ranlassen, weil es sich anfühlt, als würde ich sie betrügen ...", schniefte er und seine Tränen liefen wieder über die Wangen.

Sezuna ließ ihre Hände über seine Schultern zu seiner Brust gleiten und umarmte ihn so gut es ging. „Das wirst du niemals tun. Und wenn sie dich wirklich geliebt hat, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sie für dich ein Leben in Einsamkeit und Dunkelheit gewollt hätte", flüsterte sie sanft und nah an seinem Ohr, bevor sie sich wieder zurückzog.

Haru zitterte, als sie das tat. Er hielt inne, als sie ihn umarmte und wollte sie von sich stoßen, aber er konnte es nicht. All die Jahre hatte er sich von allen fern gehalten und sie war die Erste, die sich traute, das zu tun. „Du hast wahrscheinlich recht ... trotzdem kann ich mir nicht helfen, nicht so zu fühlen, wie ich es tue. Oft habe ich das Gefühl, sie wartet auf der anderen Seite des Regenbogens auf mich mit offenen Armen. Sie wusste, dass ich anders bin und hat mich genauso genommen, wie ich war. Bei ihr war ich hundertprozentig ich selbst, ohne mich verstellen zu müssen", sagt er leise. Haru hob seine Hand, als wollte er Sezuna aufhalten, nicht von ihm zu gehen, doch er konnte sich nicht dazu durchringen.

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