Liebe Sophie

Freitag, 01.02:
Warum tust du mir das an Sophie? Warum muss ich hinter deinem Sarg bis zum Grab herlaufen und mir noch ein letztes Mal deinen stummen Körper anschauen? Heute war deine Beerdigung, Mutter war nicht da, sie meinte sie müsse sich das alles nicht antun. Aber ich war da. Ich habe dir Lilien auf dein Grab gelegt, einen ganzen Strauß, den von dem Blumenladen deren Blumen du immer bewundert hast aber dir nie kaufen durftest, weil Mutter sie zu teuer fand. Die Trauerfeier war nicht schön, zumindest hättest du sie nicht schön gefunden. Alle waren so still, haben kaum geredet sondern nur mühevoll die Torte runter geschlungen und versucht, mir aufmunternde Blicke zu zuwerfen. Irgendwann bin ich einfach gegangen, den anderen ist wahrscheinlich sowieso nicht aufgefallen, dass ich gefehlt habe.

Samstag, 02.02:
Ich habe heute Nacht nicht Zuhause geschlafen. Ich glaube ich hätte die erstickende Leere und die Stille ohne dich nicht ausgehalten. Ich habe bei unserem Lieblingsplatz übernachtet, auf der Bank unter der alten Fichte und habe mir die Sterne angesehen. Ich weiß nicht wie lange ich so dalag und einfach nur in den Himmel gestarrt habe, vielleicht eine Stunde, vielleicht mehr. Hast du mich gehört als ich mit dir gesprochen habe? Ich hoffe es, denn mit wem soll ich denn sonst sprechen, jetzt wo du weg bist? Ich vermisse dich.

Dienstag, 05.02:
Meine Hand steckt in einem dicken Verband, weil ich gegen den großen Wandspiegel in meinem Zimmer geschlagen habe. Er ist in tausend Scherben zersprungen, die sich in meine geballte Faust geborgt haben. Danach habe ich alle Sachen von meinem Schreibtisch auf den Boden gefegt und das Regal umgeworfen. Mutter stand mit weit aufgerissenen Augen an der Türschwelle. Sie ist nicht reingekommen. Danach hat sie einen Termin bei einem Psychotherapeuten für mich ausgemacht. Ich will da nicht hin, bitte hilf mir!

Freitag, 08.02:

Die Psychotherapeutin meint, es ist ganz normal, dass ich in dieser Situation traurig und auch wütend bin und sie hat gesagt, dass sie mich verstehen würde. Aber warum sollte sie das tun, niemand kann das.Ich fühle mich so alleine, seit du weg bist, ich halte es ohne dich einfach nicht mehr aus. Vater arbeitet den ganzen Tag und Mutter trinkt schon Mittags Alkohol. Die Psychotherapeutin sagt auch, ich soll aufhören dir Briefe zu schreiben und mich lieber mit echten Menschen unterhalten, zum Beispiel mit ihr und meinen Freunden. Aber du bist doch auch ein echter Mensch, sonst wärst du jetzt schließlich nicht tot. Ich kann seitdem einfach mit niemandem mehr sprechen. Es ist, als wäre meine Stimme mit dir gestorben.

Montag, 11.02:

Heute habe ich das erste mal seit du weg bist geweint. Erst war es nur ein mulmiges Gefühl, dann war da ein Klos in meinem Hals und dann ist alles vor meinen Augen verschwommen. Alle in meiner Klasse haben mich mitleidig angesehen und die Lehrerin meinte, es sei wohl besser wenn sie meine Mutter anrufen würde. Mutter hat mich abgeholt. Sie hat nach Alkohol gerochen ich will sie nicht an den Alkohol verlieren, nicht sie auch noch, verstehst du Sophie?

Dienstag, 12.02:
Liebe Sophie, heute war ich nicht in der Schule. Ich bin noch nicht einmal aufgestanden, sondern einfach im Bett geblieben. Vielleicht sollte ich für immer hier liegen bleiben und einfach warten bis mein Leben vorbei ist. In manchen Minuten wünsche ich mir, ich wäre bei dir. Ich fühle mich so einsam, warum hast du mich verlassen Sophie? Warum hast du mir das angetan? Wieso musstest du in dieses Auto steigen?

Samstag, 16.02:

Ich kann dir erst jetzt wieder schreiben, weil ich davor nicht in der Lage dazu war. Ich war generell nicht in der Lage irgendwas zu tun. Ich kann nicht mehr schlafen und habe keinen Appetit mehr. Neulich habe ich mich im regen auf die Straße gestellt und habe mich solange im Kreis gedreht, bis ich nicht mehr stehen konnte, nur damit ich irgendwas fühle. Ich bin so leer, so einsam Sophie. Ich weiß nicht was ich tun soll, ich fühle mich hier einfach nur noch falsch. Vielleicht sollte ich zu dir kommen.

Sonntag, 17.02:
Es ist halb drei morgens, ich musste mich übergeben, wie so oft in letzter Zeit. Seit deiner Beerdigung habe ich fast sechs Kilo abgenommen, obwohl ich seitdem nicht mehr zum Schwimmen gegangen bin. Der Trainer sagt, wenn ich nicht bald zurück komme kann ich die Meisterschaften vergessen. Aber ich fühle mich einfach nicht dazu in der Lage. Letztens war ich einmal im Schwimmbad, alleine, um irgendetwas sinnvolles zu tun. Ich habe mich einfach so im Wasser treiben lassen, mit dem Kopf unter Wasser, bis mich der Bademeister raus gezogen hat. Aber das hat sich nicht falsch angefühlt, alles war auf einmal so leicht, so befreit...Sophie ich möchte zu dir kommen.

Samstag, 02.03:
Liebe Sophie, dass hier ist mein letzter Brief . Ich kann dir einfach nicht mehr schreiben, ich habe keine Kraft mehr dazu. Vor einem Monat hast du mich verlassen, und ich habe mich entschieden zu dir zu kommen. Ich wollte wirklich, ich stand an der Brücke, es hätte nur noch ein Schritt gefehlt und ich wäre bei dir gewesen, aber ich habe gezögert. Vater hat mich von der Brücke gezogen und mich nach Hause gebracht, Mutter hat von all dem nichts mitbekommen, sie bekommt fast nie mehr etwas mit. Ich will nach vorne schauen, aber ich weiß nicht ob ich dazu bereit bin. Vielleicht sehen wir uns also schon ganz bald wieder, ich hoffe es sehr. Aber bis dahin lebe wohl. 

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