022 - ARLINGTON
Arlington schnappte sich den Stick von seinem Computer und verließ mit einem Kaffee in der Hand seinen Arbeitsplatz. Unterwegs griff er nach den Seiten, die im Kopierer lagen und stieg die Treppen nach oben. Im Empfang schien die Sonne durch die Scheiben und eine schwüle Hitze herrschte in der Vorhalle.
"Guten Morgen, Mister Cooper", begrüßte ihn der Mann am Empfangsthresen. "Ich habe Sie heute noch gar nicht gesehen. Haben Sie sich unsichtbar gemacht?" Ein Lachen verließ seine Kehle und auch Arlington musste grinsen.
"Nein, Matt, Sie haben mich nicht übersehen. Ich habe nur die Nacht durchgearbeitet. Die Berichte für die Krankenstation mussten noch fertiggestellt werden." Er hielt den USB-Stick und die Blätter in seinen Händen hoch.
Matt nickte. "Na dann, ab zur Krankenstation. Ich lasse Ihnen einen Kaffee nach unten bringen oder gehen Sie dann nach oben?"
"Das ist lieb von Ihnen, Matt, aber ich werde mir nachher selber einen Kaffee kochen, Dankeschön. Haben Sie noch einen schönen Arbeitstag."
"Danke, Mister Cooper. Ihnen einen erholsamen Tag. Sie haben sich die Pause wirklich verdient."
Mit einem Nicken verabschiedete sich Arlington und drückte nach dem Surren die Tür auf. Die Krankenstation war im Westen am Tower gebaut und erstreckte sich acht Etagen nach oben. Eingeteilt war der Krankenhaustower in Seuchenpatienten und normal Erkrankte. Solche, die in der Wüste von den Suchern aufgelesen wurden, wurden hierher gebracht, in eine Kontaminationskammer und anschließend unter strenger Beobachtung in einzelnen Zellen mit Glaswand stationiert.
Der Zugang zu den Seuchenpatienten war nur wenigen Ärzten und Mitarbeitern des Krankenhauses gestattet - Arlington war einer von ihnen. Er hatte das Privileg die Untersuchungen in Statistiken umzuformatieren, Listen zu erstellen und einige Patienten sogar überwachen zu dürfen, um Veränderungen und Symptome aufzulisten oder um mögliche Gemeinsamkeiten zu finden.
Als er jetzt im zweitobersten Stockwerk ankam, zog er seinen Ausweis durch den Scanner, das Licht über der Tür blinkte grün und dann durfte er hinein. Er streifte sich einen Kittel über, wurde in der Kontaminationskammer kurz mit dem bereinigenden Gas bepustet und dann ging die zweite Tür auf.
Die Seuchenstation war nahezu leer. Außer zwei Ärzten an einem Terminal waren, war niemand zu sehen und von den sieben Zellen, in denen die Patienten beobachtet wurden, waren nur vier gefüllt. Viele Patienten gab es hier noch nie - jedenfalls nicht, so weit sich Arlington noch erinnern konnte. Kurz nachdem die Seuche ausgebrochen ist, war das Krankenhaus fast überfüllt gewesen, doch nach und nach waren die Menschen an der Seuche gestorben. Niemand hatte überlebt. Wer einmal mit der Seuche in Kontakt gekommen war, überlebte nicht. Manche hatten das Glück und lebten drei Monate länger, als ihr Nachbar, aber letztlich starben sie alle.
"Arlington, wie schön dich zu sehen. Ich wäre nachher bei dir vorbeigekommen", begrüßte ihn Doktor Alex Williams. Der Oberarzt der Station strich sich durch sein kurzes braunes Haar und kam freundlich lächelnd auf Arlington zu.
"Freut mich auch Sie zu sehen, Doktor." Er reichte ihm den Stick und die Papiere. "Es tut ganz gut mal aus dem Keller zu kommen. Wenn man dort tagtäglich drinnen sitzt, fühlt man sich irgendwann erdrückt von den dunklen Wänden und den schwitzenden Mitarbeitern, die sich die Köpfe über einer Sicherheitslücke zerbrechen. Außerdem ist der Kaffee nicht der Beste und etwas Bewegung bringt den Blutdruck in Schwung."
Der Doktor nickte leicht. "Manchmal bedauere ich es sehr, dass du in der IT-Abteilung gelandet bist. Dein Wissen hätte uns hier so manche Situation erleichtert."
"Ich bin ja nicht vollkommen verschwunden. Mein Aufgabenbereich ist schließlich mit einigen Tätigkeiten der Krankenstation gekuppelt."
Der Arzt nickte. "Das stimmt. Ganz verloren haben wir dich nicht." Die Krankenschwester weiter hinten winkte ihm freundlich zu. "Na schön, dann wollen wir uns doch mal die Statistiken anschauen."
Gemeinsam gingen sie in das Büro, welches ein kleiner Raum mit Blick auf Krankenstation war. Die Glasscheibe glänzte und als Doktor Alex Williams den Stick in den Computer steckte, winkte ihn die Schwester plötzlich zu sich.
"Gib mir einen Moment, Arlington. Du kannst ja schon alles starten. Du weißt ja, dass diese alte Kiste hier einige Minuten braucht, um warm zu laufen." Sanft tätschelte er den Computermonitor und verließ dann das Büro.
Arlington setzte sich hin und tippte das Passwort ein. Der Log-in-Bildschirm verschwand und das Datenverzeichnis der medizinischen Sektion des Hauptcomputers erschien. Die Daten zeigten alle Patienten an, die seit der ersten Bestandsaufnahme hier eingetragen wurden. Soweit Arlington wusste, mussten noch viele Daten digital eingetragen werden. Vieles wurde anfangs auf Papier niedergeschrieben und bisher hatte es noch niemand geschafft alles einzutragen. Zwar hatte sich Arlington schon das ein oder andere Mal dran gesetzt, doch irgendwann war er eingeschlafen und im Traum waren ihm die Namen der Patienten lautstark durch den Kopf getobt.
Ein Aufleuchten des Bildschirms riss Arlington aus der Starre und schnell lud er die Daten vom Stick auf den Rechner. Als der Transfer abgeschlossen war, zog er den Stick wieder raus und tackerte die Papiere zusammen, ehe er den passenden Ordner im Regal fand und sie hineinsteckte. Als er mit seinem Stick in der Hand aus dem Büro trat, sah er, wie die Krankenschwester ein Tuch über eine Person auf einem Schiebebett legte.
"Was war es diesmal?", fragte er, als er an dem Bett ankam und einen Blick auf das weiße Laken warf.
"Lungenembolie", antwortete die Krankenschwester und schenkte Arlington ein bedauerndes Lächeln. "Der dritte in diesem Monat." Nachdem der Arzt noch einen Zettel an die Stirnseite des Bettes gehangen hatte, durfte die Krankenschwester den Toten hinausfahren. Im Keller des Krankenhauses gab es Kühlkammern, in der die normal erkrankten Patienten nach ihrem Tod gelagert wurden, bis ihre Familien sich verabschiedet haben. Danach wurden alle verbrannt. Die gestorbenen Seuchenpatienten hatten sogar einen eigenen Ofen, wenn man es so bezeichnen wollte.
Das diente alles der Sicherheit.
"Die Daten hast du erfolgreich übertragen?", fragte Doktor Alex Williams und Arlington nickte.
"Die Papiere habe ich auch abgeheftet."
"Sehr schön. Alle neuen Daten werde ich dir noch zukommen lassen, aber deinen Augenringen nach zu urteilen hast du dir eine Pause verdient."
Arlington lachte leise. "Das ist richtig. Haben Sie vielen Dank, Doktor."
Mit einem Wink verließ Arlington die Seuchenstation, pustete sich in der Kontaminationskammer ab und machte sich dann auf dem Weg zum Treppenhaus. Er wollte so schnell wie möglich duschen gehen und dann ins Bett. Der übermäßige Kaffeegenuss hatte nicht nur seinen Kreislauf etwas durcheinander gebracht, sondern auch dafür gesorgt, dass er seit drei Tagen nicht mehr geschlafen hatte. Er war zu hibbelig gewesen - die ganze Zeit.
Seufzend strich er sich durch die Haare und kam am Fahrstuhl vorbei, als er plötzlich die Krankenschwester am anderen Ende des Ganges sah, die den Toten wegbringen sollte. So schnell hätte sie nie sein können, wunderte sich Arlington. Mit dem Fahrstuhl bis nach ganz unten zu fahren dauerte zwar nicht lange, aber sie musste erst noch zwei Papiere ausfüllen, ehe sie den Patienten in die Obhut derer gab, die die Seuchenpatienten verbrannten. Und dann musste sie wieder hochfahren. Das ganze dauerte gute zehn Minuten und sie war erst vor drei Minuten aus der Station gegangen.
Hastig versteckte sich Arlington hinter einer Ecke. Er hatte das Glück, dass sich kein anderer im Gang befand. Beunruhigt beobachtete er, wie die Krankenschwester sich kurz nach allen Seiten umsah, ehe sie eine Tür hinter sich öffnete und ein Bett raus zog. Darauf lag der brüchige Mann, den Arlington aus der Ferne des Büros als tot identifiziert hatte - falsch.
Er hatte es nicht nur so wahrgenommen, es wurde ihm sogar bestätigt. Sowohl die vertraute Geste, dass der Tote verdeckt wird als auch die Aussage der Krankenschwester, er sei an einer Lungenembolie gestorben, bestätigte das.
Der Patient lag halb zugedeckt auf dem Bett, an seinem Mund brachte die Krankenschwester eine Atemmaske an und dann band sie eine Infusion fest. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und sie schob den Patienten rein. Kurz war Arlington versucht hinzurennen und mit dem Fahrstuhl zu fahren, um die Krankenschwester zur Rede zu stellen, doch er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Sein Magen krampfte sich zusammen, als sich die Türen schlossen. Dann sprintete er nach vorne. Die Anzeige über den Türen zeigte an, auf welcher Etage sich der Fahrstuhl befand. Der Seuchenofen war gekennzeichnet mit K2.
3
2
1
E
Noch zwei Etagen.
K1
K2
Arlington zuckte zusammen. Die Anzeige flackerte.
-..-..-..-
Er legte sein Ohr an die geschlossenen Türen. Der Fahrstuhl fuhr noch. Irgendwas stimmte nicht.
Er löste sich von dem kalten Metall und starrte auf die Anzeige. Sie flackerte zwischen der Anzeige von K2 und den Strichen hin und her. Entweder, die Anzeige war kaputt, das könnte er ganz einfach nachprüfen oder aber hier war irgendetwas faul.
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