017 - ELIJAH

Mit wippendem Bein saß Elijah auf dem Küchenhocker.
Er saß und wartete.
Und wartete.
Und wartete. 

Arlington war nach ihrer Auseinandersetzung nicht wieder zurückgekommen und Elijah machte sich tierische Sorgen. Und als wär das nicht genug, plagten ihn ein schlechtes Gewissen und Reue. Wie hatte er es jemals so weit kommen lassen können? Er spürte den Blick Arlingtons auf ihm, in dem so viel Enttäuschung gelegen hatte. 

Der Asiate starrte auf seine Hand, welche er immer wieder zur Faust schloss und öffnete. Wie war es dazu gekommen? Er hatte Arlington davor noch nie geschlagen. Hatte das bisschen Alkohol ihm seine Sinne so sehr geraubt? Warum hatte er nur nachgegeben?

Er musste dringend mit Arlington reden. Und mit Vincent. Arlington würde er versuchen klar zu machen, dass es ihm leid tat und Vincent würde er klar machen, dass wenn er noch einmal mit Alkohol vor seiner Tür aufkreuzen würde, er für eine lange Zeit nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen würde. Vielleicht auch eine nicht ganz so lange Zeit. So lange würde er es ohne Vincents Liebe nicht aushalten.

Elijahs Blick wanderte zu seinem Handy. Immer noch keine Nachricht von Arlington. So oft wie er bereits versucht hatte ihn anzurufen, musste er es doch mitbekommen haben. Warum rief er nicht zurück? Oder schrieb ihm zumindest eine Nachricht, dass er in Ordnung war? 

Energisch stand er auf.

"Ruf Arlington an!", rief er in die leere Wohnung , während er seine Lederjacke und seine hohen Stiefel anzog. 

"Anruf nicht möglich", antwortete die mechanische Stimme nach einigen Klingelzeichen.

"Verdammt, wo bist du Arli?"

Elijah griff nach seiner Schlüsselkarte und seinem Handy und stürmte zur Tür. Er drückte die Klinke herunter, doch im selben Moment wurde die Tür von außen aufgemacht und Elijah taumelte zurück. Wie versteinert starrte er seinen Gegenüber an. 

"Arlington", hauchte er.

Sein Bruder sah ihn aus harten Augen an. An seiner Stirn war ein Pflaster und das Blut war von seiner Nase gewischt. Doch nun sah man eine leichte Schwellung in seinem sonst so makellosen Gesicht. 

"Arlington! Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht, ich wollte dich suchen gehen! Du bist nicht dran gegangen, als ich dich angerufen habe."

Arlington zog die Augenbrauen zusammen und drängte sich an Elijah vorbei in ihr Loft.

"Bitte, rede mit mir! Ich weiß ich hab Scheiße gebaut, okay? Es tut mir leid!"

"Was tut dir leid?", zischte Arlington und drehte sich wütend um. "Dass du dein Versprechen gebrochen und dich zulaufen lassen hast? Dass du Tag für Tag Vincent mit anschleppst, obwohl er nicht gut für dich ist? Dass du mich, verdammte Scheiße, geschlagen hast? Was davon tut dir Leid? Ich hab genug, Elijah. Reiß dich erst wieder zusammen! Dann reden wir weiter."

"Du verstehst es nicht, Arli."

"Nein. Ich verstehe es wirklich nicht. Ich dachte, du hättest dich im Griff."

"Was kann ich tun, um es wieder gut zu machen? Bitte. Ich tue alles! Ich will nur meinen Bruder zurück."

"Ich will meinen Bruder zurück."

Arlington sah nicht zurück als er sich umdrehte und die ersten Stufen der Treppe hoch stieg. Elijah wollte ihm hinterher rufen, aber kein Laut verließ seine Kehle. Stattdessen rollte eine einzelne Träne seine Wange hinunter. Er hatte alles kaputt gemacht. Alles was ihm lieb und teuer war hatte er einfach so weggeworfen.

"Eingehender Anruf von Vincent", verkündete die mechanische Stimme des Smart Homes.

Arlington wirbelte herum und sah Elijah tief in die Augen. 

"Wenn du dich ändern willst, dann wird es Zeit gewisse Leute aus deinem Leben auszuschließen. Wenn du es wirklich Ernst meinst, dann weißt du was du jetzt tun musst."

Elijah wischte sich schnell die Träne weg und räusperte sich. Dann nahm er den Anruf an.

"Vince...schön von dir zu hören! Was gibt's?"

"Ich komme heute Abend vorbei. Die Nacht mit dir gestern ist mir einfach nicht aus dem Kopf gegangen und ich möchte das so schnell wie möglich wiederholen. Sagen wir so gegen acht? Ich bring Essen mit. Du weißt schon, von dem einem Laden den du so magst. So jetzt muss ich weiter arbeiten. Ich freue mich auf heute Abend!"

"Vincent, warte!"

Arlington blickte ihn eindringlich an. Elijah hielt dem Blick stand.

"Vincent, ich...ich glaube es ist keine gute Idee, wenn du heute Abend vorbei kommst."

"Oh? Hat der werte Herr etwa schon was vor? Hör zu. Ich komme vorbei, ob du willst oder nicht. Ich habe mich schon den ganzen Tag darauf gefreut. Sag ab, was auch immer du vorhast."

Dann schallte ein tiefes Tuten durch das Loft. Arlington sah Elijah an. Langsam schüttelte er den Kopf und ging dann nach oben. Erst als er die Tür hinter sich zugeknallt hatte löste sich Elijah aus der Starre.

"Verdammt."
Mit seiner Faust schlug er gegen die Wand, spürte wie die Haut an seinen Knöcheln aufplatzte und ein kleines Rinnsal seine Finger runterlief. 
"Verdammt!"
Er biss sich auf die Lippe. "Warum kann ich das nicht? Warum kann ich das einfach nicht?" Von Schmerz erfüllt, griff er sich an das Herz und schloss die Augen. Dann ging er an das bodentiefe Fenster und blickte hinab in die Tiefe. Das Wasser der Kanäle, die wie Sonnenstrahlen das helle Pflaster der Straßen durchbrachen und gen Mauer verliefen, funkelte im Sonnenlicht, die schützende Kuppel schimmerte bläulich und man konnte von dieser Höhe aus beinahe deutlich sehen, wie das Hexagonmuster die Stadt überdachte. 

So eine Schutzmauer hatte Elijah um sich aufgebaut, doch der Alkohol war wie das Virus da draußen in der Wüste. Es kratzte an seiner Hülle, jedes Mal, wenn er in der Nähe des Alkohols war, bestand die Gefahr, dass das Virus hindurchkommen und ihn anfallen könnte. Doch dafür musste jemand das Schild schwächen, durchdringbar machen - und das war einzig und alleine Vincent gelungen. Und Elijah hatte es nicht einmal bemerkt. 

Fluchend biss er die Zähne zusammen und wandte sich von der Stadt ab. In der Küche stand plötzlich Arlington. Seine feuchten, schwarzen Haare hingen ihm in die Stirn und zu gerne wäre Elijah jetzt zu ihm gegangen und hätte ihm die feinen Strähnen aus dem Gesicht gewischt oder ihn gefragt, weshalb er sich einen Toast machte und keinen Kaffee - doch er wusste nicht, wie Arlington reagieren würde. Ob er das ganze humorvoll hinnahm oder ob er überhaupt etwas sagen würde. Deshalb näherte er sich langsam und betrachtete die leeren Flaschen, die noch immer auf der Theke standen.

"Eigentlich wollte ich dich um etwas bitten", murmelte er schließlich, als Arlington sein Toast fast aufgegessen und Elijah nicht einmal angesehen hatte. Jetzt hob er seinen Kopf und starrte ihn durch seine Brille an. "Also..."

"Musst du nicht arbeiten? Es ist bereits nachmittags", unterbrach ihn Arlington und wischte sich die Krümel vom T-Shirt.

"Das hat etwas damit zu tun, was ich dir sagen wollte." Abwartend zog Arlington eine Augenbraue nach oben. "Daniel kam zu mir und sagte, dass ich dafür sorgen soll, dass Willow wieder auftaucht."

"Die Kleine van Higbee-Fisk?"

Elijah nickte. "Er gibts mir teilweise die Schuld daran, dass sie seinen Antrag abgelehnt hat, weil sie vorher mit mir geredet hat."

"Und du sollst sie jetzt für ihn finden?"

Elijah nickte wieder. "Ich weiß nicht wo ich suchen soll und weil du ja unten im IT-Bereich arbeitest, dachte ich..."

"...dass ich die Überwachungskameras checken kann", beendete Arlington den Satz.

Elijah sah ihn zaghaft an. "Ich weiß, dass du sauer auf mich bist und ich habe eigentlich nicht das Recht dich darum zu bitten, aber ich weiß nicht weiter. Daniel hängt mir im Nacken und Willows Eltern ihm."

"Ich bin nicht sauer", murmelte Arlington und stellte seinen Teller in die Spüle. "Ich bin enttäuscht."

Elijah biss die Zähne zusammen. Enttäuschung war schlimmer als Hass oder Wut, das wusste er. Und die Enttäuschung in Arlingtons Blick zerriss ihm das Herz. "Aber die Sache mit Willow hat nichts mit deiner Beziehung zu Vincent zu tun, deshalb helfe ich dir."

Erleichtert stieß Elijah Luft aus. "Im Ernst? Danke." Vor Freude hatte er sich über die Theke gebeugt und nach den Schultern seines Bruders gegriffen. Der Asiate tat so als hätte er nicht gemerkt, wie sein Bruder vor ihm zurückgezuckt war. "Wie lange glaubst du wird es dauern, bis die Überwachungskameras einen Treffer landen?"

"Sie werden keinen Treffer landen", sagte Arlington und verdattert zog Elijah seine Hände zurück. "Ich werde die Kameras nicht benutzen."

So schnell die Freude darüber gekommen war, dass Arlington ihm helfen wollte, so schnell verschwand sie auch wieder. "Was? Aber...Du hast doch...Eben hast du doch...gesagt, dass du..."

"Ich werde dir auch helfen", beschwichtigte Arlington. "Aber es ist nicht nötig, dass ich erst das Überwachungssystem anschalte und jede Kamera durchgehe. Ich weiß nämlich wo Willow ist."

Elijah starrte ihn sprachlos an. "Du...woher weißt du, wo sie ist?"

"Ich habe Freunde, Elijah. Freunde, die einen nicht nur für das eine ausnutzen."

Elijah grübelte kurz, woher sein Bruder Freunde haben könnte, bei denen sich Willow aufhalten könnte. Nicht, dass er seinem Bruder keine Freundschaften zutraute, aber in den IT-Abteilungen saß man hauptsächlich am Computer und Arlingtons special-Aufgabenbereich erlaubte es ihm immer hin und her zu wechseln, zwischen IT-Abteilung und Krankenstation. Doch Willow konnte sich schlecht im Tower verstecken. Die Sicherheitskontrollen hätten ihren Ausweis längst gescannt und somit wäre es selbst für Daniel ein Kinderspiel gewesen herauszufinden, dass sich seine geplante Ehefrau in seinem Tower befand.

"Kannst du mich zu ihr führen? Wenn wir jetzt zu ihr gehen, dann schaffen wir es pünktlich zu den Tests. Daniel sieht es nicht gerne, wenn wir uns verspäten..."

"Daniel ist mir genauso egal wie ich es ihm bin. Wenn wir zu spät kommen dann ist das eben so. Ich hab diese blöden Tests sowieso so satt", antwortete Arlington mürrisch während er seine Schuhe anzog und eine Jacke über seine Arme striff.

"Kommst du jetzt?"

Arlington stand an der Haustür, in der Hand seinen Pullover und die Tür abwartend aufhaltend.

"Ja", entgegnete Elijah. "Danke, Arli. Danke."

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