015 - PEYTON

Waelon stand in der Küche und kochte Nudeln und Willow sollte das Gemüse schneiden, dass sie und Peyton aus dem Supermarkt geholt hatten. Peyton selbst hatte sich geduscht und saß mit nassen Haaren und barfuß auf dem Sofa und starrte ihre beiden Freunde von hinten an. 

Ja - Willow war ihre Freundin. Peyton schloss sonst sehr schlecht Freundschaften und die Bindung zwischen ihr und Waelon entstand auch nur zufällig. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt sich mit jemandem in der Fabrik anzufreunden, da dort so oft Unfälle passierten und sie nicht noch einen Verlust ertragen hätte.

Und jetzt hatte sie schon drei Leute an ihrer Seite. Sie lehnte ihren Kopf nach hinten und starrte an die Decke. Das Bild des schwarzhaarigen Brillenträgers tauchte vor ihren Augen auf. Das schelmische und selbstgefällige Grinsen, das seine Lippen umspielte, wirkte nicht mehr arrogant und die grauen Augen funkelten sie belustigt an. 

"Die Genehmigung dauert viel zu lange", murmelte Peyton und schloss die Augen, um das Bild von Arlington zu vertreiben. "Das ging sonst schneller."

"Mach dir keinen Stress", sagte Waelon und drehte sich um. Sein blondes Haar war verstrubbelt und mit einer schnellen Handbewegung strich er sie sich aus der Stirn. Seine vier Finger hatten den Kochlöffel fest umschlossen und er zeigte damit nun auf Peyton. "Außerdem ist es doch gemütlich so."

Peyton legte den Kopf schief.

"Na,...dass du hier bist, meine ich. Mich stört es nicht, dass du hier bist."

"Aber ich kann nicht ewig hier wohnen", entgegnete sie. "Finch wird das irgendwann herausfinden und dann wirst du auch aus deiner Wohnung geschmissen."

"Bis dahin hast du deine Genehmigung und ich kann dann bei dir wohnen."

Grinsend streckte Peyton die Beine aus. Plötzlich klopfte es an der Tür - oder vielmehr hämmerte es. Schnell ging sie zu Waelons Haustür und öffnete sie. Erschrocken holte sie Luft. "Arlington", stieß sie aus. Der schwarzhaarige IT-Supporter hielt sich die blutende Nase und grinste sie schief an.

"Darf ich reinkommen?", fragte er.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren zog Peyton den Brillenträger am Arm rein. "Waelon, ich brauche deinen Verbandskasten aus dem Bad", sprach sie und drehte sich kurz zu ihrem blonden Freund um. Der hastete in sein Bad, Peyton hörte wie er einen Schrank aufriss und kurz darauf kam er mit einem kleinen roten Kasten heraus.

"Hier."

Arlington hatte sich hingesetzt und Peyton kniete sich vor ihn. Vorsichtig tastete sie seine Nase ab und ließ ihre Finger über seine Wange streifen. Sanfte Stoppeln, die kaum sichtbar waren, kitzelten ihre Handflächen. "Was ist passiert?", fragte sie und sah ihm in die grauen Augen.

"Ach, ich bin ausgerutscht", murmelte er und schloss kurz die Augen. Peyton nahm die Hand von seiner Wange und kramte in dem Verbandskasten. Mit einem Feuchttuch wischte sie das Blut von Nase und Lippe und kramte dann nach einem schmalen Pflaster.

"Wenn man ausrutscht knallt man aber nicht mit dem Gesicht auf dem Boden auf. Jedenfalls nicht im Normalfall", bemerkte Peyton und sah Arlington mit hochgezogener Augenbraue an.
Willow und Waelon waren verstummt und im Rücken spürte Peyton die Blicke ihrer Freunde.

Arlington biss sich auf die Lippe als Peyton das Pflaster auf die Platzwunde an seiner Stirn klebte. Abwartend sah sie ihn an. Sein Blick bohrte sich in ihren und wäre da nicht das selbstgefällige Grinsen in seinen Mundwinkeln, würde Peyton den Abstand zwischen sich und ihm vergrößern, doch nicht jetzt.

"Ich bin ausgerutscht", wiederholte er sich. "Mit...etwas Schwung."

"Wer hat dich geschlagen."

Das war Willow gewesen. Sie hatte sich an der Theke aufgestützt und starrte zu Peyton und Arlington rüber. Waelon rührte derweil in den Töpfen um. Es roch nach Tomatensauce und Nudeln - doch irgendwie verspürte Peyton keinen Hunger mehr. Willow hatte es nicht wie eine Frage klingen lassen, obwohl es definitiv eine war. 

"Niemand", antwortete Arlington nach kurzem Zögern.

"Verkaufe uns nicht für dumm", brummte Willow. "Ich weiß wie ein Schlag ins Gesicht aussieht."

Stille.
Das Blubbern des Nudelwassers hallte durch das Zimmer und als es überkochte und zischend auf die Herdplatte traf, rissen sich alle aus der Starre. Waelon hievte den Topf vom Herd und Willow sah gedankenverloren aus dem Fenster.

"Es war mein Bruder", gestand Arlington leise.

Peyton war sich nicht sicher, ob die anderen beiden das ebenfalls gehört hatten, doch sie war ihm so nah, dass sie die dunklen Sprenkel in seiner Iris hätte zählen können. Sein Duft von Kaffee und Fliederseife umwirbelte ihre Nase und kurz schloss sie die Augen.

Eine Hand legte sich auf ihre. "Wir hatten einen Streit, aber das wird wieder. Mach dir keine Sorgen."

Sie öffnete wieder ihre Augen und stieß Luft aus. "Einen Streit? Wegen was?" Sie wollte selbstbewusst klingen, vielleicht auch etwas desinteressiert, doch da schwang eindeutig zu viel Sorge in ihren Worten mit. Warum zum Teufel war ihr der Brillenträger plötzlich so wichtig geworden?
Warum waren ihr die Personen, die sich hier momentan im Raum befanden, so wichtig geworden?
Wann? Wann war das passiert?

Arlington lehnte sich nach hinten und nahm seine Hand zurück. Am liebsten hätte Peyton wieder danach gegriffen, doch stattdessen ließ sie ihre Schultern sinken und sah Arlington nur an.

"Es ist eine lange Geschichte", murmelte er.

"Wir haben Zeit", entgegnete Waelon und stellte zwei Teller mit Nudeln auf den Tisch. Willow trug die anderen beiden und mit interessierten Blicken musterten sie Arlington. "Und Nudeln haben wir auch." Ein aufmunterndes Lächeln legte sich in ihre Gesichtszüge.

Arlington seufzte. "Ihr könnt echt nicht mit eurer Neugier aufhören, oder?"

"Wir leben im Doom-Ring, Arlington", erinnerte Peyton bissig. "Wir arbeiten in einer Fabrik - so unglaublich viel passiert da nicht und wenn man sich erstmal mit jemandem befreundet hat holt ihn am nächsten Tag die Seuche, ehe man auch nur mehr über diese Person erfahren kann."

Arlington biss sich auf die Lippe, doch stand dann auf, wobei er sich die Seite und einen Teil des Rückens hielt und schmerzhaft aufstöhnte. 

"Langsam", mahnte Willow und betrachtete den Schwarzschopf schief. "Geprellt oder gebrochen?"

Peytons Augen wurden für einen kurzen Moment groß vor Schreck. Woher wusste Willow das? Peyton selbst hatte schon oft geprellte Rippen gehabt. Als sie noch keine Wohnung gehabt hatte, hatte sie oft in den Einfahrten oder Hauseingängen geschlafen, von denen sie im Morgen vertrieben wurde - oftmals nicht unverletzt. 
Doch Willow lebte im Nexos-Ring. Dort sollte keine Gewalt herrschen. 
Aber was wusste Peyton schon?

"Geprellt", antwortete Arlington schließlich und ließ sich auf einem Stuhl nieder. "Aber alles halb so wild. Mit etwas Kaffee geht das wieder weg."

"Kaffee ist nicht die Lösung für alles", bemerkte Peyton, doch erntete nur ein Grinsen. 

"Naja, also..."

"Lenk nicht vom Thema ab, Arlington", murmelte Waelon mit offenem Mund. Er ließ die Gabel sinken und stützte sein Kinn auf die Hand auf. "Du wolltest uns deine lange, lange Geschichte über dich und deinen Bruder erzählen."

Arlington funkelte den Blondschopf kurz an, warf Peyton dann aber einen Blick zu, der ebenfalls abwartend auf ihm lag.
Er seufzte.

"Mein Bruder hatte mit siebzehn Jahren angefangen zu trinken. Er konnte wirklich keinen Tag ohne Alkohol leben. Es...Es hat ihn zerstört." Ohne es zu bemerken hatte Peyton nach seiner Hand gegriffen. "Ich habe ihn aus dem Loch geholt und als wir dann unsere Ausbildung abgeschlossen hatten, hatte er sich vollends unter Kontrolle, ich meine, er arbeitet ja an der Bar."

Willow schnappte nach Luft. "Dein Bruder,", hauchte sie, "ist Elijah."

Arlington nickte langsam.

"Du kennst seinen Bruder?", fragte Peyton.

Willow nickte. "Als ich mit Daniel verlobt werden sollte, hatte er an der Bar gearbeitet. Wir haben uns kurz unterhalten und dann hat er noch eine Show gegeben."

"Seine berühmten Shows, ja." Arlington lächelte leicht. "Während der Ausbildung war er immer sehr angespannt und ich habe ihm vorgeschlagen eine Show zu inszenieren. So konnte er etwas lockerer werden und den Alkohol noch anderweitig verwenden als nur in Gläser einzuschütten und die leeren Flaschen aufzuräumen. Sich selbst hat er nämlich geschworen nie wieder Alkohol zu trinken."

Peyton drückte seine Hand. "Aber, wenn du so viel für ihn getan hast, warum hat er dich geschlagen?"

Arlington seufzte, doch seine Brauen hatten sich wütend zusammen gezogen. "Er hat eine Beziehung oder, naja. Keine Ahnung was es wirklich ist, aber es kommt im Durchschnitt drei bis vier Mal ein Typ zu uns ins Loft und dann treiben sie's halt. Ich meine, ich habe kein Problem damit, soll er doch machen, was er machen will, aber dieses Mal ist es eskaliert. Ich kam hoch ins Loft und da lag er. Zwischen Weinflaschen und leeren Gläsern."

Diesmal war es Arlington, der Peytons Hand drückte. "Er hatte es versprochen." Seine Stimme wurde leise. "Nicht nur sich selbst, sondern auch mir. Aber als ich ihn darauf angesprochen habe und sagte, dass der Typ für ihn nicht gut ist, wurde er sauer und dann..."

"...hat er dich geschlagen", beendete Waelon den Satz.

Arlington nickte. "Wir haben gestritten und dann ist er eben durchgedreht. Das ist alles halb so wild. Ich bin eher enttäuscht, dass er den Typen noch immer verteidigt, obwohl er wegen ihm wieder Alkohol angerührt hat."

Plötzlich klingelte ein Handy. Arlington zog seins aus der Tasche und starrte wütend drauf. Er drückte den Anruf weg und steckte das Handy wieder weg. "Unwichtig", murmelte er und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Peyton sah es daran, dass seine Augen nicht das Funkeln hatten wie sonst. Das Grau wirkte matt und weißlich. Sie schob Arlington die Brille ein Stück höher und zupfte eine Strähne zurecht.

"Lass uns erstmal etwas essen", sagte sie.

"Wir haben gekocht", sprach Waelon freudig und wies auf die befüllten Teller hin. "Willow hat sogar geholfen. So langsam hat sie den Dreh raus, obwohl die Nudeln übergekocht sind."

"Für die Nudeln warst du zuständig, Waelon." Empört schlug sie ihm gegen die Schulter.

"Danke für das Angebot, aber ich kann leider nicht zum Essen bleiben." Sanft drückte Arlington Peytons Hand. Seine Mundwinkel zuckten.

"Warum nicht?"

"Weil wir beide", er zeigte mit einem Finger auf sie und sich, "jetzt einen Kaffee trinken gehen."



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