014 - ARLINGTON

Müde rieb sich Arlington über sein Gesicht. Er war schon wieder fast die ganze Nacht unterwegs gewesen, um seinen Pflichten nachzukommen. Doch die wenigen Stunden Schlaf, die er dadurch nur bekam, zehrten an seinen Nerven. Er war auf dem Weg zurück vom Wertstoffhof zum Celment Tower eingenickt, aber die zwanzig Minuten waren nichts weiter als ein kurzer Energieschub. Er wollte sich einfach nur schnell unter die Dusche stellen für zwei Stunden die Augen zu machen, um dann wieder zu seinem Job zurückzukehren.

Es war ja auch nicht so als würde ihm seine Arbeit nicht gefallen, die Abwechslung tat ihm gut. Die Arbeitszeiten waren das Problem. Vielleicht sollte er versuchen mit Daniel darüber zu reden, denn die ganze IT-Abteilung war mit Koffein zugepumpt, um funktionstüchtig sein zu können. Auf der anderen Seite sollte er einfach Elijah bitten mit ihrem Ziehvater zu reden, auf seinen Lieblingssohn würde er eher hören.

Die lange Fahrt im Aufzug mit der beruhigenden Musik ließ ihn fast schwach werden, aber er schreckte aus seinem Sekundenschlaf auf und schüttelte den Kopf. Dann schlug er ein paar mal mit der Hand auf seine Wangen, um sich ein bisschen wacher zu machen und starrte in den Spiegel. Seine Augenringe waren furchtbar.

"Reiß dich zusammen, Arlington!"

Der Schwarzhaarige straffte seine Schultern und fuhr sich durch die wuscheligen Haare, als der Aufzug zum stehen kam. Die mechanische Stimme verkündete das Ziel.

"Fünfzehntes Stockwerk erreicht."

Die Tür öffnete sich und er trat hinaus. Beim Laufen kramte er die Schlüsselkarte, die er brauchte, um ihr Loft auszusperren aus der Hosentasche und legte sie auf den Scanner. Das Schloss klackte und die Tür sprang auf. Der Raum vor ihm lag im halbdunkel, die Jalousien waren bis fast ganz unten gezogen. Arlington wunderte  sich darüber, normalerweise schlossen sie die Jalousien im Wohn- und Essbereich nie.

"Fred, öffne die Jalousien."

Ein Surren verriet, dass das Smart Home die Anweisung ausführte und wenige Augenblicke später wurde der Raum in das trübe Licht des Morgens gehüllt. Vor Arlington tat sich eine vertraute Szenerie auf. Auf dem Boden verteilt, lagen einige Kleidungsstücke, der Sofabezug war verzogen und einige Kissen lagen herum.  Kopfschüttelnd bückte er sich, um eines der Sofakissen aufzuheben.

Er konnte Vincent wirklich nicht ausstehen. Er hatte ihn zwar noch nie wirklich kennengelernt, oder gesehen, bis auf einige unpersönliche, zufällige Begegnungen, aber er hörte wie er manchmal mit seinem Bruder umging. Dieser Kerl war kein gesunder Umgang für ihn. Er ging um das Sofa herum, um die restlichen Kissen aufzuheben und stieß vor Schreck einen leisen Schrei aus. Hinter dem Sofa lag...

"Elijah." Der Name kam nur wie ein Flüstern über seine Lippen. Dann griff die Panik mit großen Klauen nach ihm und er kam in großen Schritten auf den am Boden liegenden Mann zu.

"Elijah! Elijah, kannst du mich hören? Was ist mit dir?" Er drehte den Mann auf den Rücken und nahm sein Gesicht in seine Hände. Die Wangen waren erhitzt, die Haut leicht feucht. Arlington strich ihm einige Strähnen aus dem Gesicht und blickte besorgt in das Gesicht seines Bruders.

Dann schlug er seine Augen auf und zog die Brauen zusammen.

"Arlington, was...? Warum...?" Seine Stimme war ein heißeres Krächzen und seine Kehle musste trocken sein. Der Asiate griff sich an den Kopf und drückte die Augen wieder zu. "Mein Schädel tut höllisch weh..."

"Mach dir keine Sorgen. Ich hole ein kühles Tuch für deine Stirn. Kannst du aufstehen? Setz dich aufs Sofa. Und...und zieh dir eine Decke oder so über."

Er half Elijah sich aufzusetzen und stützte ihn den kurzen Weg zum Sofa, auf welchem er sich niederließ.

"Ich bin gleich wieder da. Rühr dich nicht."

Der Schwarzhaarige eilte zur Küche, wo er in den Schubladen nach einem Geschirrtuch kramte, welches er unter kaltes Wasser hielt. Dem Umschlag, auf welchem Elijahs Name prangte schenkte er nur einen verächtlichen Blick.  Als er sich umdrehte um ein Glas aus dem Schrank zu holen, um dieses mit Wasser zu füllen stieß sein Fuß gegen etwas hartes. Der getretene Gegenstand rollte gegen eine Kante und klirrte gläsern. Arlington bückte sich und zog eine leere Flasche unter dem Schrank hervor.

Nachdenklich drehte er diese und las das Etikett. Es war Wein und noch dazu kein schlechter. Kurz blickte er zu Elijah und dann ging ihm ein Licht auf. "Ist das dein Ernst?", fragte er und stellte die leere Weinflasche auf den Tresen, dass Elijah sie sehen konnte. Dieser blinzelte einige Male und schloss dann wieder seine Augen. "Verdammt, Elijah, ich rede mit dir."

"Du redest sehr laut. Bist...kurz vorm Schreien, also pass auf. Ich habe Kopfschmerzen."

"Das interessiert mich einen Dreck!", zischte er und warf Elijah das nasse Tuch in das Gesicht. "Das war Vincents Idee, nicht wahr?"

Elijah sagte nichts. Er saß vollkommen still da.

"Vincent ist wirklich niemand, mit dem du..."

"Vincent ist nicht niemand", murrte Elijah und starrte Arlington wütend an. "Du hast kein recht so über ihn zu reden."

"Er hat dich abgefüllt, Elijah. Denkst du wirklich, dass er auch nur einmal daran gedacht hast, dass du danach wieder anfangen könntest zu trinken?"

"Er war da um mich aufzufangen. Er hat es mir versprochen." Seine Stimme stockte, er strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Außerdem haben wir uns unterhalten."

Arlington sah auf die zerknitterten Sofakissen und Elijahs Hose, die auf dem Boden neben der Theke lag. "Unterhalten...Schon klar." Er hob die Hose auf. "Schau dich doch mal an, Elijah. Sieht sowas für dich nach unterhalten aus?" Er warf die Hose auf den Asiaten. "Das einzige, was man unterhalten nennen könnte, wären die schmutzigen Sachen, die er dir ins Ohr geflüstert hat."

"Das beruht auf Gegenseitigkeit", nuschelte Elijah und verbarg seine geröteten Wangen hinter seinen Händen. 

Arlington schüttelte den Kopf. Vor seinem inneren Auge sah er den siebzehnjährigen Elijah, der betrunken in einer Straße der Nexos gelegen hatte, bewusstlos und mit einer Flasche in der Hand. Er sah den Elijah, der sich damals in ein Loch gestürzt hatte.

"Warum gebe ich mir eigentlich solche Mühe?", murmelte er und sah sich im Loft um.

"Es hat dich nie jemand darum gebeten", nuschelte Elijah und setzte sich endlich aufrechter hin. Seine Haaren waren zerzaust und die Röte auf seinen Wangen war entweder von dem verbliebenen Alkohol, der Wärme oder seinen Gedanken über seine letzte Nacht. Arlington war es egal.

Arlington biss die Zähne zusammen. "Ist das jetzt dein Ernst? Wäre ich damals nicht gewesen, wärst du in einer Ecke verrottet."

"Ich wäre nicht verrottet", murrte Elijah und stand schwankend auf. Das nasse Tuch lag in seinem Nacken.

Arlington verschränkte die Arme. Die Müdigkeit war verflogen. "Ach ja? Und warum bist du dir da so sicher?"

"Weil ich nicht alleine war."

"Elijah, du lagst hinter einer Bar zwischen Müllsäcken und warst kaum bei Bewusstsein. Der einzige Grund, weshalb du nicht alleine warst waren die Ratten, die durch den Hinterhof gerannt sind."

Elijah schüttelte den Kopf. "Du irrst dich. Du hast keine Ahnung. Also halt deine Klappe."

Schwankend ging er an seinem Bruder vorbei und drehte die leeren Weinflasche in seinen Händen.

"Wenn ich mich irre, kannst du mich ja aufklären!"

Wütend drehte sich Elijah um. "Verdammt, du kleine, neugierige Nervensäge. Ich war mit Vincent da. Er war nur kurz auf Toilette. Das ist eines der menschlichen Grundbedürfnisse, die man stillen muss, ehe man etwas anderes machen kann." Seine Augenbrauen waren wütend verzogen. "Und ich dachte immer du wärst der schlauere von uns beiden."

Alringtons Hand hatte bei der Erwähnung von Vincents Namen gezuckt. Wie lange ging das zwischen den beiden schon? Vincent musste damals bereits 23 gewesen sein. Was hatte er von einem 17 jährigen gewollt? "Also war er damals daran Schuld, dass du beinahe an einer Alkoholvergiftung gestorben wärst?"

"Wäre ich nicht und du weißt auch genau warum. Wir sind..."

"Das hätte nicht einmal dein Körper auf die Reihe bekommen, wenn ich dir nicht geholfen hätte!"

"Das weißt du nicht."

Arlington rieb sich über die Augen. "Halte dich einfach von Vincent fern."

"Du hast kein Recht mir vorzuschreiben, mit wem ich meine Zeit verbringe."

"Er tut dir verdammt nochmal nicht gut!", schrie Arlington und sah seinen Bruder sprachlos an. Wie konnte Elijah nur so blind sein? Wenn das Liebe war, dann wollte er nie in diesen Zustand kommen. Kurz tauchte das Gesicht von Peyton vor ihm auf und auch, wie ihr skeptischer Blick ihn gemustert hatte, als sie zusammen im Lager nach den Materialien gesucht hatten. Und dann das begeisterte Funkeln, als er die Maschine repariert hatte. Schnell schüttelte er seinen Kopf.

"Ich glaube du solltest jetzt gehen."

Arlington schnappte nach Luft. "Was?"

"Du solltest gehen. Wenn du nicht irgendetwas von mir hören möchtest, dann..."

"Das einzige was ich möchte ist, dass es dir gut geht, Elijah. Deshalb lass Vincent los, bitte. Ich bitte dich wirklich. Er ist kein guter Umgang."

Elijah knurrte. "Halt verdammt nochmal die Klappe!" Im nächsten Augenblick war er losgestürmt und hatte ausgeholt. Der Schlag kam überraschend und taumelnd hielt sich Arlington seine schmerzende Nase. Blut lief raus und als er sich festhalten wollte, rutschte er mit der Hand an der Wand ab und knallte mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch.
Vor seinen Augen tanzten schwarze Punkte und als er sie öffnete starrte ihn Elijah erschrocken an. Dann drehte er sich um und rannte, so schnell er konnte, die Treppe nach oben.

Arlington hielt sich die Stirn, aus der ebenfalls Blut in sein Auge lief, dann öffnete er die Tür vom Loft und taumelte zum Fahrstuhl.

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