008 - ELIJAH

Der große Saal wirkte erdrückend auf Elijah, nachdem WIllow sich verabschiedet hatte. Alle Gäste waren bereits vor über einer Stunde gegangen, denn die Stimmung war, nach dem Willow abgehauen war, sehr angespannt gewesen. Ihre Eltern haben sich peinlich berührt entschuldigt und waren ihr hinterher gelaufen, hatten aber noch einmal kurz bei Daniel gehalten, der wie versteinert immer noch auf dem Boden gekniet hatte, den Blick auf den Punkt gerichtet, an dem Willow ihn vor versammelter Mannschaft eine Abfuhr erteilt hatte. Sharon hatte ihm auf die Schulter geklopft und ihm versichert mit ihrer Tochter zu reden und sie zur Vernunft zu bringen.

Elijah dachte immerzu an ihre grünen Augen die ihn so flehend angestarrt hatten, als Daniel vor ihr in die Knie gegangen war. Ihre Augen sagten all das, was sie zunächst nicht über die Lippen bringen konnte. Er wollte ihr helfen.

Er erinnerte sich daran, wie sie an seiner Bar gestanden hatte. Sie war ihm von Anfang an aufgefallen und ihm war auch nicht entgangen, wie sie ihn immer wieder angestarrt hatte. Er hatte ihren bohrenden Blick im Rücken gespürt und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.Und dann hatte er sich umgedreht, ihr Gesicht studiert und ihren Geruch wahrgenommen. Sie war wirklich schön. Lange gewellte Haare fielen ihr locker über die Schultern und der kleine Schönheitsfleck auf der linken Seite über ihrer Lippe passte perfekt in das gesamt Bild. Sie war nur dezent geschminkt, anders als die anderen Frauen,welche hier zu Gast waren, sie trugen alle übermäßig viel Rouge und die meisten hatten roten oder pinken Lippenstift. Es war fast schon eine Clownsparade, die sich in Parfüm getränkt hatte.

Willow roch nach einem frischen Sommermorgen. Nach Tau, der sich auf Blütenblättern gesammelt hatte. Nach frischem Regen an einem heißen Tag. Ihr Geruch war nur sehr dezent und schwer wahrzunehmen, aber er war unverkennbar.

Seufzend schmiss Elijah das Geschirrtuch, welches er benutzte um die Gläser zu trocknen über seine Schulter und verräumte das gespülte Geschirr, als er hinter sich die Tür ins Schloss fallen hörte. Ohne sich umzudrehen sagte er: „Die Bar ist geschlossen, kommen Sie morgen wieder."

„Elijah."

Die Stimme war nur ein sanftes Raunen, aber er würde diese Stimme überall wiedererkennen. Rasch drehte er sich um. Vor ihm stand ein sehr fertig aussehender Daniel Celment.

„Daniel...ich dachte du wärst zurück in dein Penthouse. Du siehst müde aus, willst du dich nicht schlafen legen?"

„Ich brauche die Gesellschaft."

Ohne ein weiteres Wort schleppte sich der Mann zu den Barhockern, welche vor dem Tresen standen und ließ sich auf einem nieder.

Den Kopf versteckte er zwischen seinen Händen, die roten Haare hingen in matten Strähnen nach unten.

„Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Alles war perfekt", murmelte er und starrte mit ausdruckslosem Blick auf die dunkle Thresenfläche. „Die Atmosphäre hat gestimmt, deine Show hat die Stimmung gelockert. Sie hätte doch nur 'Ja' sagen sollen. Und jetzt wird sich die Presse das Maul darüber zerreißen, wie ich mich blamiert habe."

Elijah hörte geduldig zu. Einerseits konnte er Daniels Gefühle nachvollziehen. Es war ihm peinlich vor so vielen wichtigen Leuten abgewiesen worden zu sein. Und dann auch noch auf einer Gala die speziell dafür bestimmt war, dass er sich verloben konnte. Andererseits konnte er kein Mitgefühl aufbringen. Der gebrochene Mann vor ihm wollte eine junge Frau heiraten, die er nur als Mittel zum Zweck angesehen hatte. Er wäre nicht gut zu ihr gewesen. Nicht mit seiner Krankheit, die ihn von Innen zerfraß wie ein Parasit.

„Mach mir irgendetwas Starkes", forderte ihn der Halbschotte auf.

„Daniel, ich glaube nicht, dass es gut ist in deinem jetzigen Zustand zu trinken. Es bringt doch nichts seine Gefühle mit Alkohol zu verdrängen."

„Ich habe gesagt, du sollst mir etwas Starkes machen!"

Daniels Tonfall ließ keinen Raum für Diskussionen übrig und seufzend griff Elijah unter die Theke und holte aus einem Kühlschrank einen klaren Schnaps. Die halbvolle Flasche stellte er auf dem Tresen ab und drehte sich um, um aus dem Schrank ein Schnapsglas zu holen, doch als er sich wieder zurückdrehte und das Glas neben die Flasche stellen wollte, trank Daniel bereits in gierigen Zügen die klare Flüssigkeit. Er brauchte nur wenige Sekunden und der Inhalt der Flasche war verteilt auf seinen Magen, sein Hemd und in kleinen Pfützen auf dem dunklen Holz der Theke.

„Noch einen!" rief Daniel aus.

Kopfschüttelnd nahm Elijah ihm die Flasche aus der Hand und stellte sie in die Kiste mit den leeren Flaschen. Er wusste selbst, dass Daniel sich allerspätestens morgen früh mehr als schlecht fühlen würde – sowohl wegen des Katers als auch wegen der misslungenen Verlobung. Elijah selbst hatte in seinen Jugendjahren mit Alkohol zu kämpfen gehabt und war froh, dass Arlington ihn nie verlassen hatte, egal welche schlimmen und abscheulichen Sachen er in seiner Trunkenheit an ihm ausgelassen hatte.

Daniel Celment würde ihm abscheuliche Dinge an den Kopf werfen, wenn er weiter trank. Und dann würde er in ein schwarzes Loch fallen. Er würde fallen und fallen und fallen, wenn Elijah nicht vorher nach ihm griff.

Doch dem Blick seines Ziehvaters nach zu urteilen, würde er Elijah eher die Hand abhacken, sollte er versuchen ihn aus dem Loch seiner Trauer und bevorstehenden Trunkenheit zu retten. Heute konnte er nichts mehr für ihn tun. Heute war Daniel nicht mehr zu helfen.

Er stellte ihm das nächste Glas direkt vor die Nase, diesmal gefüllt mit einem feinen Whiskey, aus Daniels Privatsammlung, welche er zum Teil bei Elijah aufbewahren ließ, sodass er immer das Beste vom Besten zum trinken hatte.

Die braun goldene Flüssigkeit war nur kurz in dem Glas, ehe der Rothaarige auch diese hinunterkippte. Dann klopfte er einladend auf den Stuhl neben sich.

„Elijah, lieber Junge. Komm und setz dich zu mir. Trink ein wenig mit mir."

„Nein, danke. Du weißt doch, dass ich keinen Alkohol trinke."

„Und warum arbeitest du dann an einer Bar?"

„Weil du mir damals die Ausbildung organisiert hast. Du hast gesagt du brauchst jemanden der weltoffen ist und deine Gäste unterhalten kann. Du hast gesagt du brauchst jemanden, der keine Berührungsängste hat."

„Hab ich das gesagt? Dann wird das wohl stimmen."

Wortlos schenkte Elijah ihm nach, doch Daniel schwenkte diesmal nachdenklich den Whiskey im Glas.

„Hast du welche?"

„Hab ich was?" Verwirrt betrachtete der junge Asiate seinen Gegenüber. Sein Chef sah ihm tief in die Augen.

„Berührungsängste. Stört es dich wenn jemand mit dir offen über seine Probleme redet? Stört es dich wenn jemand eine intime Konversation mit dir führt? Stört es dich wenn man dich berührt und deinen Körper fühlt? Stört es dich wenn man dich berührt wie jemanden der dazu geboren wurde berührt zu werden?"

Einige Herzschläge vergingen und Elijah starrte, verwirrt über die seltsame Frage, auf die Flasche, die er eben wieder verschließen wollte - oder sollte er sie offen lassen, um Daniel gleich wieder einschenken zu können?

"Ähm..." Daniel betrachtete ihn aus ernsten Augen. Sein Blick wirkte wach und interessiert und beinahe hätte man denken können, er hätte nichts getrunken - wäre da nicht die Röte auf seinen Wangen. "Ich habe kein Problem damit, wenn man mich berührt. Intime Konversationen zu führen ist in gewissem Maße in Ordnung. Kommt natürlich auf die Umgebung und die Personen an, die anwesend sind, aber im Prinzip ist das für mich nicht weiter schlimm." Elijah schraubte die Flasche nun doch zu. "Intime Angelegenheiten sind meist sehr persönlich, doch sie gehören zum Leben und zum Alltag dazu und wir sind alle keine kleinen Kinder mehr und Erwachsene sollten sich offen über alles unterhalten können."

Daniel nickte und schien sich mit der Antwort vorerst zufrieden zu geben. Die Flüssigkeit schwappte in seinem Glas umher und das matte Licht an der Wand hinter Elijah ließ das Glas funkeln. "Ich hatte gedacht, dass sie nicht 'Nein' sagen könnte", murmelte er plötzlich. Dann kippte er sich den Inhalt runter und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Flasche. Doch er bat um keinen weiteren Drink. Stattdessen sah er Elijah genau in die Augen.

"Ich wollte sie eigentlich gar nicht heiraten, nicht direkt", gestand er. "Die Freundschaft zwischen ihren Eltern und mir war schon immer stark und sehr eng gewesen. Dann wurde Willow geboren und Sharon hatte mir ihre Tochter versprochen."

Er stellte das Glas ab und ließ den Barkeeper dabei nicht aus den Augen.

"Wir hatten vor zwanzig Jahren eine Beziehung. Nachdem Sharon Willow bekommen hatte, war Bruce viel arbeiten und hatte in der Firma so viel zu tun gehabt, dass sie sich einsam gefühlt hatte. Ich war ihre erste Ansprechperson und...naja, daraus ist eben mehr geworden. Doch irgendwann hat sie mich abgewiesen. Es ging nicht mehr - sie ist schließlich verheiratet. Mir wurde Willow versprochen, sobald sie im heiratsfähigen Alter sein würde. Unter anderem damit die Freundschaft immer bestehen würde."

Elijah wandte sich ab und schluckte. Sein Herz klopfte wild gegen seine Brust und kurz schloss er die Augen, um die Kopfschmerzen zu verdrängen, die sich anbahnten. Das waren zu viele Informationen. Er musste aufhören. Er sollte sich ins Bett legen, die Augen schließen und sie einfach nicht wieder aufmachen.
Ob er auch mit verbundenen Augen so gut mixen könnte?

"Daniel, es wäre für uns beide das Beste, wenn wir schlafen gehen. Der Tag war lang und anstrengend und..."

Er sah dem Halbschotten entschuldigend aber bestimmend in die Augen.

"Ich hatte eigentlich nur darauf gewartet, dass du das sagst." Überrascht zog Elijah eine Augenbraue hoch. Doch seine Erleichterung verflog mit dem nächsten Satz, der Daniels Lippen verließ. "Heute Nacht hätte ich die Kleine das erste Mal so richtig durchgenommen. Und dann hätte ich entschieden, ob ich nochmal versuche bei Sharon anzukommen, oder ob es mit ihrer Tochter gereicht hätte."

Entsetzt taumelte Elijah nach hinten und kniff die Augen zusammen. Seine Hände legte er auf das Gesicht und laut atmete er aus. Einen Moment war es still und dann stellte Daniel das Glas auf den Tisch. "Ich sollte jetzt ins Bett gehen." Elijah hörte, wie Daniel aufstand.
"Wir sehen uns morgen, Elijah. Gute Nacht."

Schritte entfernten sich, dann war es ruhig.

Langsam nahm Elijah die Hände vom Gesicht, strich sich durch die Haare, er löste seinen Zopf und sah aus dem Augenwinkel, wie seine dunklen Strähnen ihm ins Gesicht fielen.

Was hatte er nur wieder angestellt?


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