Pʀᴏʟᴏɢ

Viele Menschen würden mich als Spiegel bezeichnen. Als menschlichen Spiegel, der das reflektiert, was verborgen zu sein scheint. Der den Menschen zeigt, wer sie sind und, was sie bedeuten.

Ich weiß nicht, ob ich das von mir selber behaupten würde. Ich glaube nicht daran, dass sich die Gefühle der Menschen in meinen Augen spiegeln, dass ich ihre Emotionen reflektieren kann, denn das kann niemand, oder?

Niemand könnte dem Mensch seine Gefühle nehmen und zu seinen eigenen machen. Niemand.

Ich würde mich selber nicht als Spiegel bezeichnen, denn, wenn ein Mensch in den Spiegel blickt, sieht er nur das, was er sehen will. Er übersieht Dinge, die ihn stören, versucht sie auszublenden.
Ich jedoch, zeige ihnen alles. Alles, was sie bedrückt, jede Emotion, die in ihrer Seele aufblitzt. Ich zeige ihnen alles...selbst das, was eigentlich verborgen sein sollte, das, was sie nicht sehen wollen.

Deswegen würde ich mich nicht der Spiegel, sondern die Wahrheit nennen.

Viele werden sich an der Stelle fragen, wie ich den Menschen zeige, was in ihrem Kopf vorgeht, wie ich ihnen die kalte Wahrheit hinter ihren Masken zeige. Diese Frage, die schließlich die Schlüsselfrage meiner Existenz ist, kann ich leider nicht beantworten.

Schlaflose Nächte, Tage, sogar Jahre liegen nun hinter mir, in denen ich nachgedacht habe. Über mich.
Über meine Gabe, Menschen ihre Gefühle zu zeigen, ohne meine eigenen dabei preiszugeben.

Ich weiß nicht, wie das geschieht. Ich bin nur ein gebrochenes Mädchen, welches sich davor fürchtet, anderen Schmerzen zuzufügen. Ich weiß nur, dass ich Menschen verletzt habe, in dem ich ihnen Dinge an ihnen gezeigt und ihnen ihre Gefühle zugeflüstert habe. Ich habe ihnen ihr wahres ich gezeigt, das sie niemals kennen wollten. Ich habe sie verletzt, bis sie mich letztendlich gehasst haben... obwohl ich ihnen nur die Augen öffnen und die Wahrheit zeigen wollte.

Ich kann es ihnen nicht verübeln, dass sie mich hassen. Ich habe sie schließlich verletzt und bin ohne Erlaubnis in ihre Seelen, in ihre Gefühle eingebrochen, als wären es meine.

Vielleicht sollte ich mich nicht die Wahrheit nennen, wenn ich den Menschen nicht die Wahrheit zeige, die sie sehen wollen. Ich sollte mich eine Diebin nennen. Denn ich habe gestohlen, richtig? Ich habe ihre Gefühle gestohlen, um sie ihnen zu zeigen. Und, um diese Gefühle dann wieder sorgfältig in ihre Seelen einzubetten, als wäre nie etwas gewesen.

Ja, das ist es, was ich tue.

Aber was, sag mir, was kann ich dagegen tun? Ich kann nicht anders, als in ihre Seelen einzubrechen, ich habe das Gefühl, sie ziehen mich an, flüstern mir zu, ich solle doch zu ihnen kommen. Ich muss diese Gefühle sehen, spüren. Ich kann nicht anders.

Umso schmerzhafter ist es, zu sehen, wie sich Menschen von mir entfernen, weil sie nicht die Wahrheit wollen, weil sie ihre Gefühle nicht von jemand anderem offenbart bekommen wollen.

Und jedes Mal frage ich mich, was das Richtige ist. Ist es besser in einer Lüge zu leben oder an der Wahrheit zu zerbrechen? Ist es das richtige, den Menschen alles über sie zu erzählen?

Und doch, selbst wenn ich wollen würde, kann ich sie nicht in einer Lüge leben lassen. Ich kann nicht anders, als in ihre Seelen einzudringen und sie zu belehren. Ich kann nicht anders...

Deshalb habe ich es mir zu meiner Lebensaufgabe gemacht, den Menschen zu helfen, sich nicht selbst zu belügen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihnen zu zeigen, wer sie sind. Wer sie in Wirklichkeit sind.

Es war nicht leicht, diese Aufgabe zu akzeptieren. Ich habe mich oft dafür gehasst, denn dafür musste ich mein Leben geben. Ich werde nie das Leben leben, das ich will, dass ich vielleicht verdiene. Ich muss jede Nacht mit dem Gedanken einschlafen, von allen gehasst zu werden, gehasst, weil ich doch nur eins will. Die Wahrheit.

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