Kᴀᴘɪᴛᴇʟ 7

Die Enttäuschung ist so schmerzhaft wie ein Schlag in die Magengrube. Die Erkenntnis, dass ich nun versagt habe, dass man mich nicht mehr retten kann, ist überwältigend.

Denn nun bin ich hier in einer Hütte. Irgendwo in einem Nadelwald, wo mein Entführer mir alles antun kann, was er will, ohne, dass je eine Menschenseele davon erfährt.

Langsam drehe ich mich vom Fenster weg, da ich diese Frustration nicht mehr ertrage. Wortlos starre ich den Mann vor mir an, der mich mit einem spöttischen Blick durchbohrt. Ich bin nicht in der Lage zu sprechen oder mich zu bewegen, denn jede Bewegung, jede Aktion, die ich ausführe, kommt mir plötzlich sinnlos vor.

Ich will mich auf den Boden legen und weinen, denn mein ganzer Körper kommt mir plötzlich so unglaublich schwer vor. Ich habe Schwierigkeiten meine Augenlider offen zu halten, da mich plötzlich eine Welle der Müdigkeit erfasst. Mein Herzschlag dröhnt langsam und ruhig in meiner Brust.

„Wer bist du?", flüstere ich, während ich mich gegen die Wand lehne, um nicht umzukippen. „Und was willst du von mir?"

Schon wieder schwingt die Stille in der Luft, sie ist unangenehm, doch mein Blick ruht stets auf meinem Gegenüber. Er betrachtet mich schweigend und ich sehe zum ersten Mal Unschlüssigkeit in seinem sonst so kalten Blick. Seine dunklen Augen schimmern nachdenklich, während ich nur dastehe und warte.

Langsam tritt er auf mich zu, ohne seinen Blick von mir zu lösen. Die Unsicherheit ist wie fortgespült, seine Augen sind wieder kühl und ausdruckslos.

Ich schlucke, als ich feststelle, dass ich keine Chance habe, gegen ihn anzukommen. Denn nur ein Blick auf seine breiten Schultern verrät mir, dass ich versagt habe.

„Ich bin David", sagt er nun, woraufhin ich überrascht eine Augenbraue hebe. Ich versuche, meine Überraschung zu verstecken, doch ich kann an einem kurzen amüsierten Glitzern in seinen Augen sehen, dass er mich durchschaut hat.

„Du wunderst dich wahrscheinlich, dass ich dir meinen Namen verrate." Ich antworte nicht und zucke zusammen, als David einen erneuten Schritt auf mich zu macht. „Du musst wissen, dass mein Name nichts zur Sache tut. In einer Woche", er hält kurz inne, um mich zu mustern, doch nur wenige Sekunden später blickt er mir wieder in die Augen. „In einer Woche bin ich dich los."

Diesmal versuche ich es gar nicht erst, meinen Schock zu verbergen und zucke zusammen. Ich will nach hinten weichen, doch dort ist die kühle, harte Wand, die mich davon abhält.

„Was passiert mit mir?", frage ich schwach, während ich ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarre. „In einer Woche."

David beugt sein Gesicht leicht vor und lächelt, seine Augen glühen voller Ironie. „Hast du Angst, Eileen?", fragt er, fast schon empathisch, doch ich gerate nicht aus der Fassung.

Ja. Ich habe verdammte Angst.

„Nein", lüge ich, ohne zu zucken, während ich meine Emotionen zurückhalte. Ich darf jetzt nicht schwach sein. Ich muss Stärke zeigen. „Woher weißt du meinen Namen?"

David lacht auf, als hätte ich etwas humorvolles gesagt, doch seine Augen lachen nicht mit. Sie wirken immernoch geheimnisvoll und beängstigend.

„Du bist nicht in der Position, Fragen zu stellen", erwidert er trocken und betrachtet scheinbar interessiert die Wand hinter mir. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht aufzuschreien, als er seine Hand neben mir gegen die Wand stützt.

Keine Panik.

Ich atme tief ein und aus. Der Sauerstoff durchflutet meine Luftröhre endlich, nachdem ich für lange Zeit die Luft angehalten habe. Fast schon befreit und mit neuer Kraft hebe ich mein Kinn trotzig.

„Ich kann dir aber so viel sagen: Ich habe nicht umsonst dich hier hergeholt. Wenn ich ein Psychopath wäre, der irgendeine Frau umbringen will, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, in dein Haus einzudringen, sondern hätte irgendwo auf der Straße jemanden aufgegabelt", sagt er leise und bedrohlich, während er mich abwägend mustert.

Meine Hände schwitzend, während ich sie dicht an mich presse.

Was will er dann von mir?

„Aber ich habe dich entführt, Eileen. Hast du eine Ahnung, wieso dich?", fährt er fort und ich schüttele augenblicklich den Kopf. Nein. Ich kenne ihn nicht, habe ihn noch nie gesehen. Er hat keinen Grund, mich zu entführen, keinen Einzigen.

„Bist du wirklich so unaufmerksam?", fragt er nun, seine Lippen kräuseln sich amüsiert. „Hast du die Menschen nicht bemerkt?"

Welche Menschen? Wenn soll ich bemerkt haben...?

Ich wurde ja nicht...verfolgt.

Doch, das wurde ich.

Ich verenge meine Augen zu schmalen Schlitzen und denke scharf an den Tag, an dem Jonathan mich abgeholt hat, zurück. Ich versuche meinen Hass zu verstecken und rational daran zurückzudenken, doch die Verbitterung ist zu groß.

An dem Tag war alles noch gut. Jonathan und Nora waren frisch verlobt, ich war, abgesehen von meiner Seele, glücklich...

Aber ich wurde damals verfolgt, zweifellos. Zuerst die Frau auf den Stufen, danach der Mann. Sie haben sich gegenseitig abgelöst und sind stets den gleichen Weg wie ich gelaufen. War das nur ein Zufall?

Sind sie die Komplizen von David?!

David scheint die Erkenntnis in meinen Augen zu sehen, sodass er breit lächelt. In seinen Wangen erscheinen Grübchen und zum ersten Mal wirkt er freundlich.

Ich kaue auf meiner Unterlippe, woraufhin ich den eisenartigen Geschmack des Blutes schmecke. Aber es ist mir egal.

„Was wollt ihr von mir? Ich habe weder viel Geld noch besitze ich etwas anderes Wertvolles. Viel Lösegeld bekommt ihr auch nicht von meiner Schwester, wenn das euer Ziel ist", meine ich mit gepresster Stimme, doch kurz darauf schlage ich mir die Handfläche auf den Mund.

Wieso habe ich ihm gerade erzählt, dass ich eine Schwester habe? Was ist, wenn er Nora etwas antut?

Er lacht leise, als er meinen geschockten Gesichtsausdruck bemerkt und beugt sich leicht vor. „Keine Sorge, wir wissen schon längst, wo Nora und dein Neffe leben", flüstert er provokant und ich spüre förmlich sein Lächeln dicht bei meinem Ohr. Ich koche vor Wut. Eine Flamme des Hasses übertönt für einen Moment meinen gesunden Menschenverstand, sodass ich David von mir wegstoße.

„Wenn du ihr auch nur..."

„Sch...es ist alles gut", fällt David mir belustigt ins Wort und ist mit einer fließenden Bewegung wieder nah bei mir. „Du kannst rein gar nichts ausrichten. Wieso verschwendest du also deine Energie?"

Ich presse meine Lippen aufeinander und schlinge meine Arme um meinen Bauch, da mir plötzlich unglaublich kalt ist.

Ich will bereits eine weitere Frage stellen, doch David schüttelt kaum merklich den Kopf und deutet auf den Stuhl, auf welchem ich heute gefesselt aufgewacht bin. In mir schreit alles danach, sich seiner Aufforderung zu widersetzen, doch glücklicherweise siegt dieses Mal mein Verstand, der längst eingesehen hat, dass ich nur eine Chance habe, wenn ich alles mache, was von mir erwartet wird.

Wortlos trete ich zum Stuhl und lasse mich auf ihm nieder, während David jede meiner Bewegungen überwacht. Von meiner sitzenden Position aus, wirkt David noch bedrohlicher, weshalb ich schlucken muss.

Er zieht rasch die Vorhänge zu und verlässt den Raum,um kurz darauf, mit einem eigenen Stuhl zurückzukommen. Nachdem er ihn etwa zwei Meter vor mir abgestellt hat, setzt er sich ebenfalls hin.

„Also, Eileen. Ich wiederhole meine Frage. Wieso haben wir genau dich entführt?"

„Du spielst mit mir", erwidere ich trocken. „Nenn mir doch einfach den Grund."

David schweigt einen Moment, er scheint sichtlich genervt zu sein. „Also gut. Ich helfe dir ein wenig auf die Sprünge. Du kannst etwas, das andere nicht können", sagt er und massiert sich die Schläfe.

Mein Herz setzt aus, während mein Verstand auf Hochtouren arbeitet.

Er kann nicht meine Seele meinen. Niemand, außer Nora, weiß, dass ich in die Seelen anderer eindringen kann. Und bei David funktioniert es nicht einmal. Also kann er es einfach nicht wissen.

Einen Moment frage ich mich panisch, ob Nora irgendjemandem davon erzählt hat, doch ich verwerfe diesen Gedanken sofort. Egal wie wütend sie ist, egal, wie verletzt sie ist - das würde sie niemals tun.

Aber was meint er dann?

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst", meine ich kühl. David lächelt leicht und legt den Kopf schief.

„Oh doch. Du weißt ganz genau, wovon ich spreche", erklärt er mir und deutet auf seinen Kopf. „Bei mir funktioniert es bloß nicht, nicht wahr?"

Ich schnappe nach Luft, nicht in der Lage meinen Schock zu verbergen. Zweifellos. Er meint meine Seele.

Woher zur Hölle weiß er davon? Woher weiß er, was ich mit Seelen anstellen kann?

Einen Moment schließe ich die Augen, um meine Gedanken zu sammeln. Ich versuche an etwas schönes zu denken, das mich aufbaut und mir Halt gibt, doch vieles fällt mir nicht ein. Frisch gebackenes Brot. Ein Rapsfeld. Fotografie. Jazz-Musik. Das Holzkästchen bei mir zu Hause. Mein Neffe Louis.

Nora.

Als ich die Augen öffne, spüre ich die Verbitterung in mir stärker als zuvor. Mein Blickfeld ist verschleiert durch die sich bildenden Tränen, ich nehme David gar nicht mehr wahr.

All das tut so schrecklich weh. Meine Kraft ist weg.

„Was willst du?", flüstere ich kraftlos, doch der Hass ist kaum zu überhören. Ich wundere mich selber über meinen kalten Ton, der durch und durch in der Luft schwingt.

David scheint zu bemerken, wie sehr ich mich zusammenreiße, um nicht auszurasten, denn er mustert mich nur kühl und schweigt.

Nach einer geschlagenen Minute, in der ich in Erinnerungen schwelge, räuspert sich David, sodass ich unbewusst meinen verbitterten Blick hebe, um in seine Augen sehen zu können. Sie sind mal wieder schwarz und ausdruckslos. Keine Emotionen zu lesen. Wie immer.

„Wieso funktioniert es bei dir nicht?", setze ich nun erneut an, während ich meine Wut halbwegs herunterschlucken kann. Hier ist kein Platz für so irrelevante Gefühle wie Hass und Verbitterung. Das einzige, das zählt, ist, dass ich hier rauskommen muss. Lebend.

„Muss ich mich wirklich wiederholen?", erwidert David, fast schon genervt und streicht sich über sein schwarzes Shirt, um eine nicht existente Falte zu glätten. „Ich stelle die Fragen. Und du beantwortest sie."

Ich verkneife mir eine wütende Bemerkung und beiße mir auf die Unterlippe, um nichts Falsches zu sagen.

Ich muss sein Spiel mitspielen. Erst dann kann ich entkommen...

Gequält schaffe ich es sogar ein Lächeln aufzusetzen, das halbwegs glaubwürdig erscheint. „In Ordnung. Frag deine Fragen."

David legt den Kopf leicht schief und mustert mich abwägend. Er scheint über meine so plötzliche Gehorsamkeit überrascht zu sein, denn seine Augen wirken irritiert. Doch kurz darauf hat er sich wieder gefasst und stützt seine muskulösen Arme auf die Oberschenkel, um sich nach vorne zu beugen.

„Nun. Meine Aufgabe war es, dich zu entführen und zu ... meinem Chef zu bringen", erklärt David mir langsam, als würde er mit einem kleinen Kind reden und runzelt die Stirn ein wenig. „Aber ich habe einen kleinen Umweg ... hier her gemacht."

Verwirrt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. Ich verstehe nicht, was er damit ausdrücken will und er scheint es zu genießen, mit mir zu spielen, denn ein Grinsen erscheint langsam auf seinen Lippen.

„Ich erkläre es dir", meint er achselzuckend und lehnt sich amüsiert auf seinem Stuhl zurück. „Mein Chef hat mir nur den Auftrag erteilt, dich spätestens in einer Woche entführt und zu ihm gebracht zu haben. Von dem hier", er deutet in den Raum, „weiß er nichts."

Was zur Hölle? Was will er hier von mir?

„Das heißt also, du hast mich, ohne die Einverständnis deines Chefs, hier hergebracht?", frage ich, auch, wenn es eher eine Feststellung ist.

„Genau", meint David und nickt mir zu. „Und du hast sogar die Möglichkeit, dass ich dich freilasse."

Mein Herz setzt beinahe aus, als ich diese unscheinbaren Worte aus seinem Mund höre. Er lässt mich vielleicht frei? Auch, wenn ich am liebsten aufspringen würde, um zu jubeln, bleibe ich ruhig sitzen und unterdrücke meine Hoffnung.

Nein. Das kann nicht sein. Es gibt einen Haken an der Sache, denn er würde mich nicht einfach so freilassen.

„Und was soll ich als Gegenleistung tun?", frage ich sachlich, ohne meine Emotionen zu zeigen. Doch ich spüre erneute Angst in mir hochkommen. Ja, ich habe verdammte Angst vor dem, was ich tun muss, um zu entkommen.

David lächelt leicht, als er meine ruhige Mine sieht. „Du bist schlau, dass du mir von Grund auf misstraust. Aber du wirkst wie eine Person, die sowieso jedem misstraut. Gibt es einen Grund dafür? Eine dunkle Vergangenheit, eine schmerzhafte Erfahrung?"

Ich zeige es nicht, doch diese Worte hageln auf mich ein, als wären sie Nadeln. Tausende Nadeln, die sich gleichzeitig in mein Herz bohren.

Woher weiß er so viel über mich? Werde ich wirklich schon so lange verfolgt und beobachtet?

Ich versuche klar zu denken, doch tief in mir, häufen sich Bilder, Emotionen und Erinnerungen. Meine tote Adoptivmutter. Die Einsamkeit, die mich, seit ich denken kann, umhüllt. Ich konnte nie zu dem werden, was ich wollte.

„Du weichst vom Thema ab", meine ich kühl. „Was muss ich tun, damit du mich freilässt?"

David lächelt über meine abweisende Art, denn er hat nun einen meiner Schwachpunkte gefunden. Ich koche vor Wut.

„Du musst nichts weiter tun, als mir alles, ich wiederhole alles über deine Seele zu erzählen", sagt er und ich hebe meine Augenbraue, um ihm meine Ungläubigkeit zu symbolisieren.

„Was hast du davon?"

„Du musst wissen, ich bin ein unglaublich neugieriger Mensch. Und du hast eine interessante Gabe", erwidert David schlicht, als wäre das eine plausible Erklärung dafür, dass er seinen Chef hintergeht und mich ihm nicht ausliefert wie erwartet.

„Ich glaube dir nicht", sage ich, während ich in seinen dunklen Augen nach einem Hinweis suche, der mir verrät, dass er lügt. Doch sie sind ausdruckslos, ich bin nicht in der Lage sie zu lesen.

Früher, bevor ich David begegnet bin, war es eine Leichtigkeit, herauszufinden, ob jemand gelogen hat. Doch jetzt, jetzt funktioniert es nicht mehr.

David lächelt amüsiert und verschränkt die Arme vor seiner Brust. „Nun, ich werde dich so oder so zum Sprechen bringen. Die Frage ist, ob ich es sanft angehe oder, ob ich dich mit Gewalt dazu bringe." Er beugt sich vor, um mich näher zu betrachten, woraufhin ich zusammenzucke. „Also erzähl mir alles - und ich lasse dich frei."

Das Angebot ist so verführend, dass ich am liebsten sofort zusagen würde. Aber ich zweifle immernoch... denn warum sollte ich meinem Entführer trauen?

Ich habe sowieso keine Wahl. Ich muss zustimmen...

„Was willst du wissen?", zwinge ich mich leise zu fragen, woraufhin David zufrieden nickt. „Also, ich fange mit den einfachen Fragen an: Seit wann kannst du diese Dinge mit deiner Seele tun?"

„Schon immer", erwidere ich sofort und David beißt sich nachdenklich auf die trockenen Lippen, ehe er mir wieder in die Augen blickt.

„Wer weiß davon?"

Nora. Nora weiß davon.

„Niemand", flüstere ich, ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen. „Ich habe niemandem davon erzählt, weil ich Angst hatte." Das klingt doch plausibel. David scheint meine Lüge nicht zu durchschauen, da er einfach nur nickt und mich schon beinahe verständnisvoll anblickt.

„Ich verstehe. Und wie hast du es getan?" David erhebt sich und tritt auf mich zu, während ich bewegungslos auf meinem Stuhl sitze und zu ihm hinaufblicke. „Wie hast du die Seelen der Menschen zerbrochen, wie hast du die Emotionen zerstört, die nicht dir gehört haben?" Sein Gesicht nähert sich meinem, ich sehe in seinen Augen nichts außer der dunkelbraunen, nichts sagenden Iris.

Ich bin erstarrt, kann mich nicht mehr rühren.

David legt seine Hand auf meine Wange und blickt mir in die Augen, um meinen Schmerz auszukosten. Ja, er genießt es, in meinen Augen die Reue zu sehen. Den Selbsthass.

Ich will ihn anschreien. Ihn schlagen. Aber ich rühre mich nicht, bleibe in meiner Starre, als würde sich alles von selber auflösen. Als würde David gleich lachen und sich bei mir für die Worte entschuldigen. Ich tue nichts. Wie immer.

Davids eiskalte Hand berührt meine Wange noch immer, seine Augen erforschen meine, völlig verständnislos. „Wie tust du das, Eileen? Wie zerstörst du diese unschuldigen Menschen?", fragt er. Meine Lippen beben. Meine aufgestauten Tränen brennen.

„Du hast keine Ahnung", flüstere ich, meine Stimme lässt nichts außer einem schwachen Wispern zu. Doch in diesem kaum hörbaren Wispern bebt die Rage. „Du hast keine Ahnung", wiederhole ich, diesmal lauter, doch immer noch gepresst.

David schweigt und beobachtet mich. Seine Hand, die meine Wange umfasst, krallt sich in meine Haut. Doch ich spüre nichts, keinen Schmerz, nur diese unglaubliche Wut.

„Du weißt nicht, wie das ist, wenn deine Seele Andere zerstört! Du weißt auch nicht, wie schlimm diese Gier und dieser Durst sich anfühlt! Du hast überhaupt keine verdammte Ahnung, wie es ist, nicht zu wissen, wer du bist, weil deine Seele dich von innen einnimmt, dich von innen zerfrisst!", fauche ich verbittert, während mein viel zu schneller Herzschlag meine Brust beben lässt.

Davids Augen funkeln, seine Gleichgültigkeit schwindet. Er lächelt leicht, ein böses Lächeln, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

„Oh doch, Eileen. Ich habe eine Ahnung, wie das ist, nicht zu wissen, wer ich bin", sagt er mit seiner tiefen Stimme, die bedrohlich in der Luft liegt. Er krallt seine Hand noch tiefer in meine Haut an der Wange, sodass ich kurz aufschreie. „Ich habe mehr Ahnung, als du denkst." Er lässt abrupt von meiner Wange ab und nähert sich meinem Gesicht, um es für ein paar Sekunden lang finster zu betrachten.

Dann erhebt er sich, streicht sich über sein Hemd und kehrt mir den Rücken zu.

Was meint er damit, dass er auch nicht weiß, wer er ist? Ist er genauso wie ich...?

„Und nein. Ich bin nicht so ein Seelenleser wie du", meint er, als hätte er meine Gedanken gelesen und fährt zu mir herum. In seinen Augen glüht Zorn. Unkontrollierbare Wut, die mich zurückschrecken lässt. Er macht mir Angst.

„Ich bin nicht so wie du", wiederholt er eindringlich, bevor er erneut auf mich zutritt. Sein Gesichtsausdruck ist angespannt, doch seine Wut ist wieder hinter einer ausdruckslosen Maske versteckt. Unsichtbar für das bloße Auge.

Nur meine Seele könnte seinen Zorn erkennen, den er verbirgt. Aber sie versteckt sich tief in mir, zu feige, um mich zu beschützen...

„Ich bin anders", flüstert David nun kaum hörbar, während er einen Punkt hinter mir fokussiert. Er ist völlig in Gedanken versunken, ehe er zusammenzuckt und mich direkt anblickt. Seine Augen sagen mir nichts.

„Ich weiß nicht, wer ich bin", fährt er nun fort und legt den Kopf in den Nacken, „denn ich habe keine Erinnerungen mehr."






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