Kapitel 7: Halbe Wahrheit
Am nächsten Morgen wachte ich wieder von meinem Wecker auf, der mich für die heutige Vorlesung wachrütteln sollte. Ich hatte mich gestern einfach in das Bett meines zukünftigen Ichs gelegt und gehofft, dass die natürliche Ordnung meine Seele wieder in meine eigene Zeit zurückziehen würde. Das hatte offenbar funktioniert, dennoch hatte ich kaum Schlaf gefunden.
Wie konnte ich auch? Ich war in der Zukunft gewesen, vollkommen ohne die Sicherheit des ZRPs. Ich hatte herausgefunden, dass ich Katsuki heiraten würde und dass wir gemeinsam in der Spezialeinheit des ZRPs arbeiten würden. Es war zu viel auf einmal und meine Gedanken fuhren Karussell.
Und auch jetzt, als mein Wecker mich wieder in die Gegenwart zurückbrachte wanderten meine Gedanken umgehend zu den Ereignissen aus der Zukunft zurück. Stöhnend richtete ich mich auf und rieb mir das Gesicht.
Mein Körper bewegte sich wie von selbst, als ich aufstand, mich wusch und meine Sachen für die Uni packte. Doch mein Kopf spielte die Ereignisse immer und immer wieder ab. Ich verstand nicht, wie ich von meinem Lehramtsstudium zu einer Qualifikation gelangen konnte, die es mir ermöglichte in die Spezialeinheit zu gelangen. Generell schien mir der Kirishima aus der Zukunft so viel ... mehr zu sein, als ich es momentan war. Das fing mit meinem Körper an und geht bis hin zu meiner Fähigkeit tief genug in das System der Seelensprünge zu gelangen, um es zu verstehen und zu umgehen.
Als ich diesmal meine Tasche schulterte und die Tür öffnete, tat ich es weit weniger schwungvoll, um sie diesmal niemanden in dem engen Flur an den Kopf zu schlagen. Doch natürlich war niemand da. Kein Kaminari, der mich mit seinen Geschichten ablenkte. Schweigend lief ich den Flur entlang und verließ mit gesenktem Kopf das Gebäude.
In der Vorlesung saß ich neben Leuten, die ich nicht kannte und kam mit ihnen nur kurz ins Gespräch, weil sich ein freundliches Mädchen mit runden Wangen einen Stift von mir leihen wollte. Es wäre die Möglichkeit für mich gewesen mit Leuten aus meinem Studiengang in Kontakt zu kommen. Doch ich war einfach zu abgelenkt, kaute auf meinem Kugelschreiber herum und hing meinen Gedanken nach, anstatt dem Professor zuzuhören.
Auf dem Rückweg ging es mir nicht viel anders, bis ich schließlich wieder die Stufen zum Wohnheim wieder hochstieg. Ich stolperte und fiel fast hin, doch eine starke Hand packte mich und zog mich wieder hoch. Mein Herz machte einen Sprung, als ich Katsuki erblickte, der mich mit seinem typisch bohrendem Blick anschaute.
„Pass auf du Idiot", knurrte er mich an, bevor er meinen Arm losließ, sich gegen das Geländer lehnte und die Zigarette wieder an die Lippen setzte, die er in der anderen Hand gehalten hatte. Ich musste einen kurzen Moment verarbeiten, was soeben passiert war und starrte ihn nur an, bis er fragend eine Augenbraue hob. „Du siehst scheiße aus, geht's dir gut?"
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch ich wusste nicht was. Auf einmal war Zeros Gegenwart unheimlich intensiv für mich. Ich wusste nicht was ich sagen wollte, war überfordert, wo ich doch die ganze Zeit über ihn nachgedacht habe. Ich schloss den Mund wieder und sah verlegen zur Seite. „D-danke ... fürs Auffangen."
Katsuki runzelte die Stirn und drückte die Zigarette aus, bevor er sich dicht vor mich stellte. „Irgendwas stimmt nicht mit dir", stellte er fest und musterte mich eindringlich. „Spuck's aus, gestern warst du doch noch ganz vorlaut."
„I-ich... Ja sorry, Katsuki. Ich habe einfach nicht gut geschlafen..."
„Katsuki, hm? Ich habe dir nicht meinem Vornamen genannt, damit ihn verwendest." Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich, als er das sagte und dennoch klangen seine Worte nicht bedrohlich. Ich errötete heftig.
„Sorry Zero", sagte ich verlegen. Verdammt, warum schlug mein Herz so schnell? Gestern hatte mir seine Gegenwart noch nichts ausgemacht und nun konnte ich meinen Blick nicht von ihm wenden. Der Unterschied zu der jetzigen Situation war klar, denn nun wusste ich, dass ich ihn heiraten würde. Ich hatte die tiefe Liebe gespürt, die mein zukünftiges Ich für ihn empfand und konnte nun nicht anders, als zu bemerkten wie ebenmäßig seine helle Haut war.
Katsuki schnippte mir an die Stirn und brachte meine Gedanken so wieder auf Kurs. „Hey, hör auf dich zu entschuldigen und antworte, Shitty Hair! Was zum Fick ist los?"
Ich fuhr mir durch die Haare und seufzte, während ich versucht mich zu sortieren. „Wirklich, es ist alles in Ord-" Ich zuckte zusammen, als Katsuki nach meinem Handgelenk griff und es zu sich heranzog.
„Was zur Hölle soll das denn?" Seine Stimme hatte nun einen ernsten Ton angenommen, als er auf mein Handgelenk starrte. Verwirrt sah ich ihn an und folgte dann seinem Blick.
Ich schluckte. Meine Zukunftstage hatten sich schon wieder verändert. Statt 37 Zukunftstagen, wie es eigentlich heißen sollte, standen nur noch 23 darauf. Was sollte das denn jetzt? Ich schluckte und sah vorsichtig zu Katsuki hoch, der mich mit seinem Blick geradezu zu durchbohren schien.
Dann zog er mich abrupt mit sich und zerrte mich in das Wohnheimgebäude. Da mein Zimmer sich im Erdgeschoss befand, fackelte er nicht lange und ging mit mir im Schlepptau schnurstracks darauf zu. Unter seinem strengen Blick zog ich den Zimmerschlüssel hervor und hatte kaum Zeit ihn ins Schloss zu stecken und umzudrehen, als Katsuki schon die Tür aufriss und mich hinein schubste.
Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als er mich beim Kragen packte und gegen die Innenseite der Tür drückte. Seine rötlichen Augen funkelten gefährlich, als er mich eindringlich musterte. „Keine Spielchen, Shitty Hair!", knurrte er bedrohlich. „Verkauf mir keinen Blödsinn von wegen du hättest schlecht geschlafen oder es wäre nichts los. Denn deine verschissenen Zukunftstage haben sich von gestern auf heute um verdammte fünfzehn Tage reduziert! Und erzähl mich ja nicht, dass du zwei Wochen Urlaub im verschissenen Save Space gemacht hast!"
Ich schluckte und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Nach einigen Sekunden des Schweigens, packte er meinen Kragen noch ein wenig fester und bleckte die Zähne. Ein Anblick, bei dem es wohl jeder mit der Angst zu tun bekommen hätte. Ich schluckte. „Du hast recht, ich habe keine zwei Wochen im Save Space verbracht...", sagte ich langsam.
Zeros Augen tanzten zwischen meinen beiden Augen hin- und her, als würde er in ihnen nach einer Erklärung suchen. Dann ließ er mich los, sodass ich kurz meine Balance verlor und fast vor seinen Augen wieder hingefallen wäre.
„Erkläre mir das", zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Ich ging wortlos an ihm vorbei und setzte mich auf mein Bett. Meine Gedanken rasten schon wieder und ich fuhr mir müde über das Gesicht. Ich konnte ihm von dem Auftrag meines zukünftigen Ichs nicht erzählen. Nicht nur, dass es ein wenig seltsam wäre mit ihm über unsere sich aufbauende Liebe oder unsere Hochzeit zu sprechen. Ich fand außerdem die Vorstellung ihm zu sagen, dass er jung sterben würde überaus beunruhigend. Niemand sollte so viel über sein Schicksal wissen.
Aber ich wollte ihm trotzdem nicht alles verschweigen. Ich wusste bereits, dass er einiges über das ZRP wusste und wahrscheinlich hatte er selbst auch seine Gründe dafür. Ich wollte ihm näherkommen. Aus offensichtlichen Gründen, aber auch weil er die wertvollste Quelle war, die ich in dieser Mission haben konnte.
Ich hatte mir Gedanken über meine Recherche vom Vortag gemacht und war zu dem Entschluss gekommen, dass Katsukis Tod eng mit unserer Tätigkeit in der Spezialeinheit zu tun haben musste. Der Grund für meine Vermutung war ganz einfach. Ich hatte rein gar nichts über seinen Tod herausfinden können, was darauf hinwies, dass darüber keine Informationen an die Öffentlichkeit gelangt war. Noch nicht mal in Form einer öffentlichen Todesanzeige. Zusammen mit der Tatsache, dass wir in der Spezialeinheit dienten, war es der logische Schluss.
Katsuki setzte sich im Schneidersitz auf mein Bett und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf seinen Oberschenkeln herum, während er mir einen scharfen Blick von der Seite zuwarf.
„Bitte hab Verständnis dafür, dass ich dir nicht die ganze Wahrheit erzählen kann", flüsterte ich und warf ihm einen vorsichtigen Blick zu.
Das Trommeln seiner Finger pausierte kurz, als er die Augen zusammenkniff und mich musterte. Dann zögerte er kurz, bevor er sprach. „Ich bin mir bewusst, dass du mir keine Erklärung schuldig bist, aber ich muss es einfach wissen ... erzähl mir soviel wie du kannst. Doch lüg mich nicht an. Wenn du nicht die ganze Wahrheit erzählen kannst, dann belass es bei der halben."
Ich atmete tief durch. „Ich habe vor zwei Tagen das erste Mal seit langem einen Tag im Save Space beansprucht. Davor hatte ich ganz gewöhnliche elf Zukunftstage, aber wie du gesehen hast ist danach die Zahl auf achtunddreißig gestiegen. Einen Tag danach habe ich einen weiteren Zukunftstag in Anspruch genommen und diesmal sind die Tage wieder auf dreiundzwanzig abgefallen..."
Katsuki sah mich durchdringend an. „Ich stelle mal die Vermutung auf, dass du während der Tage in der Zukunft Dinge über diese erfahren hast?" Er zog eine Augenbraue hoch.
Ich schluckte. Einmischung in die Zukunft und allein das Wissen darüber war strafbar. Aber ich vertraute Katsuki und nickte daher langsam.
Er beugte sich vor und grinste mich an. „So so. Deine Zukunft verzweigt sich, sie ist instabil. Wer hätte das gedacht? Der so brav scheinende Eijirou Kirishima hat sich dem System entzogen. Du bist ja doch gar nicht so langweilig wie ich dachte!"
Ich errötete und Zero grinste breiter, als er sich wieder zurücklehnte und mir zuzwinkerte.
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