▸ 17. Bitte wach auf!
In mir gefriert alles. Zeit schinden, ich muss Zeit schinden, die Polizei muss uns finden!
»Sicher?«, zweifelt einer der Typen, »Vielleicht kommen wir noch davon, wenn wir aufgeben.«
»Schwachsinn«, faucht 21, »Wisst ihr eigentlich, wie viele Gesetze wir bereits gebrochen haben? Vermutlich nicht im Geringsten. Jetzt tut, was ich euch sage, verdammt!«
Die beiden wechseln einen unsicheren Blick miteinander und ich bete, dass sie etwas Moral besitzen.
Falsch gehofft. Devika landet grob auf dem Boden, 21 knallt die Tür zu und wendet sich einem computerähnlichen Gerät zu. Nun ist auch alles egal. Der Fokus der Männer ist auf Devika gerichtet, 21 konzentriert sich auf ihr Gerät und Lysander betrachtet die Kamerabilder, während er sich auf den Fingernägeln herumbeißt (nicht sehr hygienisch). Einen Raum nach dem anderen stürmen die Polizisten. Sie sind ausgerüstet wie bei einem Sondereinsatz. Leider kann ich überhaupt nicht abschätzen, wie weit entfernt sie von uns sind – Der unterirdische Komplex ist riesig.
Leise gleite ich von meinem Sessel. Probeweise schleiche ich zu Kelian, schüttele ihn leicht an den Schultern. Vielleicht hat er doch geschauspielert. Allerdings bleiben seine Augen verschlossen. Schade, aber ich habe keine andere Wahl. Schritt für Schritt nähere ich mich Lysander und dem Arbeitstisch. Rasch sichte ich, was darauf steht, nehme die Wasserflasche aus meinem seit Neuestem absoluten Lieblingsmaterial – Glas – und schlage sie ihm mit voller Wucht und adrenalingetrieben von hinten gegen den Kopf.
Im Gegensatz zu meiner Erwartung zersplittert meine improvisierte Waffe nicht, trotzdem entweicht Lysander ein erstickter Schrei und er sinkt sofort zu Boden. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an. Ups. Dann war das Glas stabiler als ich dachte. Ich habe ihn jetzt aber nicht umgebracht, oder?
»Du-«
21 ballt die Hände zu Fäusten.
»Passt auf, dass sie mir nicht in die Quere kommt«, weist sie ihr Gefolge an.
Mit vollem Einsatz knalle ich die Flasche gegen die Tischkante, bis der Boden endlich abbricht und die Kanten scharf hervorstehen (dafür brauche ich lächerliche drei Versuche). Wie ein Schild halte ich sie vor mich und nähere mich den beiden vorsichtig, aber mein Blick zuckt zu 21, schließlich ist sie mein Ziel. Ich muss sie aufhalten, bevor Devika getrennt von ihrem Körper existiert. Langsam bewege ich mich in ihre Richtung.
Die beiden Typen scheinen nicht ganz zu wissen, was sie mit mir anstellen sollen, bis sie auf die Idee kommen, mich einzukreisen. Das ist nicht gut. Im Versuchsraum fährt ein merkwürdiges, metallenes Teil aus der Wand, das zu einer Spitze zusammenläuft, die auf Devikas bewusstlosen Körper zeigt. Ich will nicht Zeugin einer Seelenextraktion werden!
»Hör auf, 21! Du hast sowieso schon verloren, mach es nicht noch schlimmer!«
Ich habe den Eindruck, dass der Lärm auf den Gängen lauter wird.
»Ich verliere nie.«
Verzweifelt versuche ich die zwei Gehilfen gleichzeitig mit der Flasche auf Abstand zu halten. 21 tippt weiter unbeirrt auf dem Gerät herum. Ich beschleunige meine Schritte zu ihr und plötzlich rennen die Männer hinter mir her. Schneller, Mallory, schneller!
»Versuch es nicht einmal«, meint 21 seelenruhig. In vier Metern bin ich bei ihr. In vier Metern kann ich ihr die Flasche über den Kopf…
Kräftige Arme schließen sich um meine Hüfte, wir gehen beide zu Boden, die Waffe fällt mir krachend aus der Hand. Rasch schnappt sich der andere Typ die Flasche, während sich der andere aufrappelt, meine Hände auf den Rücken zieht und sie mit seinem Knie dort fixiert. Ich wehre mich so gut ich kann, aber ich bin viel zu schwach. Er drückt mit einem Körpergewicht auf mich, direkt auf meine Lunge, mein Atem wird flacher.
21 stolziert zu mir, ich kann ihre weißen Absätze direkt vor mir sehen. Das ist ganz nach hinten losgegangen. Ich kneife kurz die Augen zusammen, blinzele, vertreibe die Tränen, die ich mir nicht erklären kann. Anscheinend dachte ich, dass ich wirklich einmal etwas einigermaßen Schlaues getan habe – Fehlanzeige. Ich bringe mich einfach weiter in den Mist hinein. Der Schuh ist kalt an meinem Kinn, als 21 meinen Kopf damit anhebt.
»Du bist die schlimmste fucking Person, der ich je begegnet bin«, fauche ich sie wutentbrannt an, mein Gesicht glüht heiß. 21 grinst.
»Ist wohl so. Dafür biete ich dir eine einmalige, wissenschaftliche Gelegenheit – Du darfst bei einer Seelenextraktion zuschauen! Und das als erster Mensch, der nicht jahrelang auf diesem Gebiet geforscht hat. Übrigens habe ich mir erlaubt, diesmal eine zusätzliche Funktion hinzuzufügen; Ich werde die Seele direkt vernichten lassen. Was sagst du dazu?«
»Fick dich.«
Sie tritt mir gegen die Wange, zischend ziehe ich Luft ein. Dieser Tritt war persönlich, autsch. Frustriert muss ich beobachten, wie 21 zu dem Tastaturfeld stolziert und etwas aktiviert. Mein Blick huscht zu Devika, die so… allein auf dem kalten Boden liegt. Einige Lampen an dem komischen Metallgerät werden angeschaltet. Warte. 21 hat nicht wirklich…?
»NEIN!«, brülle ich, winde mich unter dem festen Druck des Knies in meinem Rücken, doch es wird nur schlimmer.
»DEVIKA!«
Das Licht wird heller, 21 lächelt nur und ich verstehe. Wenn sie untergeht, soll ich mit ihr untergehen. Devika wird sterben, ihre Seele wird zerstört werden, ich kann sie nicht ihrem Körper zurückgeben. Panik schüttelt mich, ich kann die Tränen nicht mehr halten.
»DEVIKA, WACH AUF!«, schreie ich, mein Hals schmerzt, meine Handgelenke auch, mein Rücken, meine Lunge. Bitte nicht, das darf nicht die Realität sein.
Es wird immer heller, ich muss die Augen leicht zusammenkneifen, was mich nicht davon abhält, gegen den Druck in meinem Rücken zu kämpfen. Trotzdem komme ich nicht frei. Ich brülle keine Worte mehr, es sind Klagelaute voller Verzweiflung, voller Schuld und Reue. Der Mann, der mich nicht am Boden hält, tritt langsam von der Glaswand weg, 21 schirmt ihre Augen ab. Wie hat Kelian den Versuch gestört? Wie hat er es geschafft, dass die Seele nicht von Lysander, sondern von 21 genommen wurde? Man muss den Strahl doch umlenken können!
Ein ohrenbetäubendes Krachen dringt durch meine Schreie. Die Tür. Die Polizei. Schritte von mehreren Personen.
»Stellen Sie diese Maschine ab und Hände hoch!«
Für eine kurze Schrecksekunde wird der Druck auf mir leichter. Sofort nutze ich das aus und winde mich frei, stehe auf, stürze mich auf 21. Überrascht kann sie mich nicht abwehren, ich stoße sie heftig gegen das Dreckssteuerungsgerät, sodass sie laut dagegen kracht.
»HAST DU GEHÖRT, 21? STELL DAS SCHEISSTEIL AB!«
Doch 21 scheuert mir bloß eine. Ich schreie auf, halte mir die ohnehin schon verletzte Wange und will sie schlagen, aber sie ist schneller und taucht unter meinem Hieb hindurch. Ein heftiger Schlag gegen meine Seite, genau auf die Rippenknochen, lässt mich zusammenzucken.
»Keine Bewegung!«, ruft der Einsatzleiter der Polizeigruppe, aber das hätte überflüssiger nicht sein können. Als würde ich jetzt aufgeben.
Ich will 21 an die Kehle greifen, aber sie schlägt meine Arme weg, bevor ich sie berühren kann. Grob packt sie ein Handgelenk, dreht mich damit (ich war wirklich nie gut in körperlichen Auseinandersetzungen) und zückt gleichzeitig etwas aus ihrer Manteltasche. Ich erkenne es erst, als sie meinen Arm auf ihrem Rücken fixiert hat und es mir an den Hals hält. Ein fucking Skalpell.
»Legen Sie das Messer nieder!«
Mit vorsichtigen Schritten nähert sich uns ein Teil der Gruppe, ein anderer hält die zwei Typen in Schach, die bereits ergeben ihre Hände erhoben haben, und wiederum ein anderer starrt das Licht an. Sie tragen Helme, Westen und Schusswaffen, halten diese auf uns. Nicht nur deswegen spüre ich meinen Herzschlag viel zu deutlich. Die Klinge ist eiskalt auf meiner Haut.
»Noch nicht«, erwidert 21 kühl und fest. Hat sie überhaupt keine Angst? Mein Blick zuckt die ganze Zeit zu Devika. Wie lange will diese Maschine noch hochfahren? Wie viel Zeit haben wir, bevor von meiner besten Freundin nur eine Leiche übrig geblieben ist?
»Legen Sie das Messer nieder«, wiederholt der Mann betont mit ruhiger, aber bedrohlicher Stimme, »Und wir können diese ganze Angelegenheit schnell abschließen.«
»Sie ist gleich abgeschlossen«, meint 21. Ich kann ihr Grinsen hören. Der Helm verbirgt den Gesichtsausdruck des Polizisten, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er darunter beunruhigt ist.
»Ich muss Sie bitten, die Frau loszulassen und das Messer niederzulegen.«
»Das Skalpell.«
»Dann bitte ich Sie, das Skalpell niederzulegen.«
»Ich denke nicht einmal daran.«
»Wenn Sie nicht kooperieren, müssen wir zu härteren Mitteln greifen. Deswegen bieten wir Ihnen die Chance, jetzt mitzuarbeiten. Bitte legen Sie das Skalpell nieder, lassen Sie die Frau los und deaktivieren Sie diese Maschine.«
»In zwei Minuten wird sie von ganz allein ausgehen«, erwidert 21, »Lassen Sie mir bis dahin Zeit.«
Ich habe das Gefühl, dass der Polizist zu mir sieht, um sich zu vergewissern, ob das in Ordnung wäre. Hektisch, aber ganz knapp schüttele ich den Kopf. Zu sprechen traue ich mich nicht.
Mein ganzer Körper zittert vor Adrenalin und Angst, doch erstarrt gefriert sofort, als eine warme Flüssigkeit meinen Hals hinunterläuft. Der Schmerz ist brennend, die Klinge gleitet in meine Haut wie ein heißes Messer durch Butter. Ich wimmere leise.
»Keine Bewegung oder ich ramme ihr das ganze Skalpell in den Hals.«
21 klingt nicht mehr menschlich. Sie muss wahnsinnig sein, also so richtig. Wie lange haben wir noch?
Eine ganze Weile ist es ziemlich still. Bis der Polizist seine Waffe hebt und schießt.
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