▸ 12. Zwischen Escape-Room und Institut.
Der Blick des Leiters des ersten Forschungsteams ist hart und ich kann ihm sofort zutrauen, meine Haare zu packen und mich so lange gegen die Tür zu schlagen, bis mein Schädel zerspringt. Bisher habe ich ihn nur auf Bildern gesehen - Er wirkte so freundlich. In der Realität ist Kelian Jenson jedoch tatsächlich die Art Mensch, der man eine Entführung zutrauen könnte. Die Art Mensch, der man aus dem Weg geht, wenn man ihr auf dem Bürgersteig entgegenkommt.
»Lory Kafro«, antwortet 21 für mich, muss sich räuspern, nachdem ihre Stimme bricht. Mein abgekürzter Name klingt angespannt und schwingt vor Nervosität. Einige unangenehme Sekunden lang starrt er mich an, ehe er eine Augenbraue hebt.
»Lory Kafro?«, wiederholt Kelian. Endlich nimmt er seine Hand von meiner und macht einen Schritt zurück. Ich drehe mich zu ihm, in meinem Rücken die Tür und somit eine Sackgasse, straffe meine Schultern, damit ich nicht ganz so klein wirke. Vermutlich misslingt es mir. Wie schaffe ich es aus dieser Situation? Scheiße. Mein Kopf ist leergefegt vor Panik.
»Entschuldigung, aber ich kenne Sie nicht und jeden, der hinter dieser Tür arbeitet, habe ich mindestens einmal gesehen. Und anscheinend wussten Sie nicht, dass seit des Vorfalls mit Lysander Niaf dieses Türschloss auch für Universalschlüssel ab 19 Uhr gesperrt werden. Wir haben Viertel nach.«
Nein, das wusste ich nicht. Woher auch? Ich spüre kalten Schweiß ausbrechen und verstecke das Beiseitewischen der Tropfen auf meiner Stirn, indem ich mir durch die Haare fahre. Zum Glück übernimmt 21.
»Nein, das... wusste ich nicht.«
»Und weshalb sind Sie dann hier?«
Kelian ist viel zu groß und zu stark, um mich an ihm vorbei zu schleichen und zu flüchten, das sollte ich nicht einmal versuchen. Nach Hilfe schreien? Aber objektiv betrachtet gäbe es keinen Grund dazu.
»Ich soll die Software von Frau Hayes in ihrem Auftrag vor Ort überprüfen, ich gehöre zu ihr. Bei Team 4 «
»Ach. Davon wusste ich nichts.«
Kelians skeptischer Blick wandert über meinen Körper und ich fühle mich merkwürdig verwundbar. Sogar 21, die ihn so lange kennt, erzittert. Er bleibt an meinem Gastausweis hängen.
»Sollten Sie dann keinen Mitarbeiterausweis tragen?«
»Ich bin neu, der ist noch in Arbeit. Aber ich habe mich ganz ordnungsgemäß am Empfang ins System eintragen lassen und dort meinen Schlüssel abgeholt. Na ja, und dann habe ich mich leider verquatscht und es war nach 19 Uhr, aber mir wurde nicht gesagt, dass ich damit nicht mehr in diesen Bereich komme. Entschuldigen Sie vielmals. Könnten Sie mir dennoch helfen und aufsperren? Ich brauche auch nicht lange, versprochen.«
Kelian betrachtet mich eine Weile, dann schnaubt er amüsiert. Ich balle meine Hände zu Fäusten, damit er nicht bemerkt, wie sehr ich zittere - Oder 21. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal dermaßen nervös, durcheinander war. Wenn er mich entlarvt, habe ich so richtig verschissen. Er wird mich wegen Einbruchs anzeigen, ganz sicher. Fuck. Das war es. 21 hält mich fest in meinem stabilen Stand, denn ich bin bereit, nachzugeben.
Reflexartig zuckt 21 zusammen und stolpert zurück, als sich Kelian vorbeugt. Ein dumpfes Geräusch begleitet das Zusammenstoßen meines Rückens mit der Tür. Entgeistert starre ich diesen verfluchten Typen an, er ist viel, viel zu nah. Was hat er vor? Will er... Doch ein leises Surren ertönt an meiner Seite, ein Piepen, dann gibt die Tür nach. 21 reißt den Mund zu einem stummen Schrei auf, aber Kelian fängt mich, bevor wir auf den Boden krachen.
Seine Hand hält mich fest an der Taille und 21 braucht nur eine Sekunde, bis sie ihn wegstößt. Ihr Ekel vereint sich mit meinem. Was denkt der sich eigentlich? Ich bin eine Fremde, von Abstand hat er noch nie gehört, oder was? Wenn 21 mich nicht gerade übernommen hätte, würde ich ihn so richtig zur Schnecke dafür machen. Meine Güte, wie ich solche Typen hasse.
»Entschuldigen Sie«, Kelian räuspert beinahe verlegen, »Ich wollte Ihnen nicht so nahe treten.«
»Schon in Ordnung«, winkt 21 ab, obwohl es das ganz und gar nicht ist. Wie gerne würde ich dieses dämliche höfliche Lächeln aus seinem verdammten Gesicht schlagen. Ich bewundere wirklich, dass 21 so ruhig und beherrscht bleiben kann, auch wenn es sich bei diesem Idiot um ihren Ex handelt.
Er schließt die Tür hinter sich und hält seine Karte gegen das Schloss. Erneut ein Surren. Heißt das, er hat zugesperrt? Meine Kehle wird plötzlich ganz trocken. Bin ich etwa allein mit ihm hier unten? Nicht gut. Gar nicht gut. Ich werfe einen Blick über meine Schulter. Weitere weiße Gänge, diesmal verwinkelt, und mehrere Räume, wieder einige mit Scheiben. Eine Menge sonderbarer Apparate stehen dahinter. Ich erkenne ein deckenhohes Regal, das gefüllt mit Fläschchen ist, die dem Pneuma ähneln. Sind das... alles Seelen? Ach du...
»Weshalb haben Sie mich nun hineingelassen?«, fragt 21 und dreht damit meinen Kopf zu Kelian. Rasch mustere ich ihn. Weißes Hemd und schlichte, schwarze Hose, aber beides sieht teurer aus als meine gesamte Wohnungseinrichtung. Außerdem ist er gefährlich groß.
»Sie haben schließlich versprochen, dass sie nicht lange brauchen«, erwidert er bloß, »Wissen Sie, wo Sie hinmüssen?«
»Ich komme zurecht, danke.«
Ich glaube fast, dass der Dreckskerl sich ein Lachen verkneifen muss. Was denkt er eigentlich, wer er ist? Je länger ich ihn ansehen muss, desto mehr kann ich 21 verstehen. Zumindest in dem Teil mit dem Hass. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was sie dazu motiviert hat, den zu daten, aber jeder macht mal Fehler. Ich persönlich bevorzugt in den unpassendsten Situationen. Meine Mutter hat mal gesagt, aus Fehlern lernt man, na ja. Sie hat es nicht so gut vorgemacht.
»Dann will ich Sie auch nicht länger aufhalten. Wenn Sie fertig sind, kommen Sie bitte in U003, ich werde Ihnen die Tür aufsperren.«
»Warum lassen Sie sie nicht geöffnet?«
Kelian mustert mich langsam. 21 strafft die Schultern.
»Ich muss Sie den Vorschriften nach überprüfen, bevor Sie diesen Bereich verlassen. Wenn Sie mich nun entschuldigen.«
Er deutet eine Verbeugung an, ehe er sich abwendet und in einem der Räume verschwindet. Sowohl 21 als ich sehen ihm herablassend hinterher. Er bestärkt meine Tat irgendwie - Wer so eine komische Einstellung hat, bei dem kann man einbrechen.
21 lässt mir allerdings nicht so viel Zeit, um meine Abneigung zu Kelian zu entwickeln, sondern setzt mich direkt in Bewegung. Adrenalin schießt durch mich hindurch. Zu meiner Verwunderung übernimmt 21 nicht wie sonst und abgesprochen nur die Kontrolle über meine Beine, sondern über meinen gesamten Körper. So wie damals, als sie mich zu ihrer Wohnung geführt hat. Ein ungutes Gefühl macht sich in meiner Magengrube breit, aber ich schiebe das auf ihre Aufregung. Bestimmt achtet sie nicht so sehr darauf.
Als wir an den Glaswänden entlanglaufen, betrachte ich die sonderbaren Regale. Glücklicherweise leuchten die kleinen Flaschen nicht so wie das Pneuma, das mir Lysander überreicht hat. Das bedeutet, dass das keine Seelen sind, sondern nur leere Gefäße. Besser ist es. Devika hat mir doch erzählt, dass sie daran arbeiten, ein Material herzustellen, dass Seelen festhalten kann. Bei diesen vielen Flaschen muss es sich um Testobjekte handeln.
Ein merkwürdiges Kribbeln überzieht mich. Dieser Keller strahlt eine komische Aura aus, ich hoffe, wir können bald wieder nach draußen. Aber jetzt sind wir so nah dran. 21 marschiert extrem zielstrebig durch die Gänge. Sie hat mir zwar gesagt, dass sie sich hier auskennt, dennoch kann ich nicht leugnen, dass sie mich überrascht. Wenn sie Kelian nur hin und wieder begleitet hat, wie kann sie sich diese Untergrundstruktur so gut merken?
Wahrscheinlich spricht da der Neid aus mir. Schließlich bin ich orientierungsmäßig echt verdammt schlimm. Schon damals in der Schule, meine Güte. Am Anfang jedes Schuljahres bin ich konstant zu spät zu den Stunden gekommen, weil ich den Raum einfach nicht gefunden habe, obwohl ich mir tatsächlich Mühe gegeben habe. Als ich gerade bei Loenie angefangen habe, war es auch Alltag, dass ich mich regelmäßig in dem Einkaufszentrum verirrt habe. Was kann ich denn dafür, dass es so riesig ist? Nimmt keiner Rücksicht auf mich. Unverschämt.
Wir biegen ab und stehen plötzlich vor einer weiteren verschlossen Tür. Echt jetzt? Sag mal, bin ich in einem Escape-Room oder einem Institut? Ich will genervt aufstöhnen, aber 21 lässt es nicht zu. Die Angst und Nervosität, die ich die ganze Zeit schon verspürt habe, schlägt um. Ich weiß nicht genau, wie, ich kann es nicht wirklich beschreiben. Es erinnert mich daran zurück, als 21 gerade in meinen Körper gelangt ist. Wir haben uns allerdings geeinigt, dass sie mich nicht wieder komplett übernimmt. Was soll das? Darüber hätten wir sprechen sollen.
Egal. Ich muss ihr vertrauen. Wir haben den ganzen Rest gemeinsam geklärt und wir kennen beide den Plan, den wir mit Devika entwickelt haben. Das klingt so organisiert, in Wahrheit ist es nicht ganz so. 21 geht langsam auf die Tür zu. Mit jedem Schritt werde ich unruhiger, andererseits ist da auch etwas anderes... Ein Verlangen. Nicht sexuell oder materiell oder irgendetwas in der Art, sondern... anders. Die Seele von 21 sehnt sich nach dem passenden Körper.
Einerseits berauscht es mich irgendwie. Für den Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich betrunken, aber so richtig heftig, aber das hätte ich mir auch einbilden können. Es ist elektrisierend und woher, weiß ich nicht, doch etwas in mir ist sich sicher, dass hinter dieser Tür etwas liegt, das ich definitiv sehen muss. Dem ich mich nähern muss, auf jeden Fall. Dennoch schaltet sich mein Verstand, eine Art Warnung ein. Das kann nicht richtig sein. Oder? Ich will schlucken, aber es geht nicht. 21 hat die Tür erreicht, eine massive Stahltür. Diesmal kein Glas oder Sichtfenster, aber mit Schloss.
Ich erwarte, dass sie die Schlüsselkarte zieht, 21 legt meine Hand auf den Kasten - Und schiebt die Abdeckung nach oben. Zum Vorschein kommt ein Tastenfeld mit kleinem, rechteckigen Bildschirm. Sie drückt auf einen der unteren Knöpfe, die keine Zahlen aufweisen, und >Bitte PIN eingeben< blinkt auf. Ich starre die eckigen Buchstaben an. Welche PIN? Davon haben weder Devika noch 21 etwas gesagt. Trotzdem tippt sie eine Zahlenfolge so routiniert ein, dass man meinen könnte, dass sie es täglich tut, bestätigt diese und tritt ein. Laut fällt die schwere Tür hinter uns zu, der Laut vibriert in mir nach, 21 tastet zielsicher nach dem Lichtschalter. Flackernd schalten sich die Neonröhren an.
Eiskaltes Blut lässt mein Gesicht kribbeln. Scheiße. Das ist... verrückt.
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