▸ 10. Mein erster Einbruch, yay!
Hoffentlich das letzte Mal lasse ich 21 meinen Eyeliner ziehen, überprüfe meine Reflexion im Spiegel. Wenn ich schon kriminell unterwegs bin, muss ich dabei gut aussehen. Irgendwie habe ich es geschafft, meine Haare zusammenzubinden, sodass sie mir nicht störend ins Gesicht hängen. Ausnahmsweise trage ich keinen Schmuck, sondern nur einen schlichten, schwarzen Hoodie und eine Hose mit vielen Taschen, in denen mein Handy, mein Portemonnaie und dünne Handschuhe landen.
Gerne hätte ich auch eine Waffe mitgenommen – Man weiß ja nie –, aber ich besitze keine. Und außerdem muss ich mich nicht strafbarer machen als nötig. Ich habe keine Ahnung, was ich noch mitnehmen soll, ich habe keine Erfahrung mit Einbrüchen! Und ich bin so nervös. Meine Finger zittern die ganze Zeit schon, also eigentlich nur rechts, da 21 meinen linken Arm beruhigt. Gestern Abend bin ich den Plan mit Devika und ihr durchgegangen, es sollte nichts schiefgehen. Denke ich.
Ich werfe einen Blick auf meine Wanduhr, 18 Uhr. Langsam setzt die Dämmerung ein, aber es ist nicht so spät, dass es verdächtig ist, draußen zu sein. Nachdem ich einmal tief Luft geholt habe, verlasse ich meine vertraute Wohnung. Schon setzt ein flaues Gefühl im Magen ein, doch ich verdränge sie. Das wird funktionieren. Es ist das Beste für alle – Für 21, mich und… Ja, eigentlich war es das. Egal.
Als ich vor dem OS stehe, neigt sich die Sonne bereits dem Horizont. Je näher ich dem Pförtnerhaus komme, desto unruhiger werde ich. Ich war lange nicht mehr so nervös, mein Puls liegt vermutlich nicht in dem Bereich, in dem er sollte. Erinnert mich irgendwie an meine hervorragenden – hust – Referate.
»Ich verlasse mich auf dich, 21«, wispere ich, bevor ich vor das Fenster des Pförtners trete. Schon taucht das fremde Kribbeln und die Taubheit auf. Ich muss ihr einfach vertrauen.
Ein Mann mittleren Alters scrollt gerade auf seinem Handy und wirkt so, als könnte er sich mindestens fünfzig aufregendere Berufe vorstellen. 21 räuspert sich, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Er blickt auf und runzelt die Stirn, schließlich kennt er mich nicht.
»Guten Abend«, meint 21, »Ich bin wegen Projekt 21 hier.«
»Haben Sie Hinweise zu der Flucht von Lysander Niaf? Da sollten Sie sich an die Polizei wenden, dafür bin ich nicht zuständig.«
»Nein, nein«, winkt 21 ab, »Der Schwan hat nach zweifacher Hilfe gerufen.«
Der Pförtner hebt die Augenbrauen, kneift die Augen zusammen, mustert mich, als wolle er abschätzen, ob ich vertrauenswürdig bin. Mal ganz aus dem Kontext, was ist das für ein geheimer Code? Klingt wirklich sehr kitschig. Mit jeder Sekunde, in der der Mann schweigt, steigt meine Nervosität. Was, wenn er mich abweist?
Endlich regt er sich, beugt sich vor und drückt einen Knopf. Ein Surren ertönt und kurz darauf schwingt der rechte Torflügel auf. Zum Glück kontrolliert 21 mich gerade, denn ich hätte wohl kaum vermeiden können, erleichtert aufzulachen und einen comicreifen Freudensprung zu tun. Der Pförtner schenkt mir einen letzten, kritischen Blick, ehe er sein Handy wieder nimmt und sich zurücklehnt. 21 nickt ihm zu und tritt rasch durch das Tor, ein triumphierendes Lächeln auf ihren Lippe, während ich es kaum fassen kann.
Ich bin drin. Na ja, also ich bin auf dem Gelände des OS und das nur wegen eines kurzen Satzes. So einfach ist das? Unglaublich. Noch immer beherrscht 21 meinen Körper und führt mich zügig zum Haupteingang des U-förmigen Gebäudes. Gut so, denn ich wäre zu durcheinander, um gerade zu laufen. Nach einigen Metern erreichen wir die Tür und 21 zieht die Handschuhe über, ehe sie diese öffnet. Das Klicken, als sie hinter uns ins Schloss fällt, erscheint mir viel, viel zu laut.
Jetzt bin ich drin.
Am langen Empfangstresen steht niemand, der Eingangsbereich ist menschenleer. Rechts und links führen Gänge zu den Seitentrakten des OS, geradeaus von mir ist der Innenhof hinter einer Glaswand. In der Ferne sehe ich eine kleine Gruppe von Mitarbeitern beieinander stehen und rauchen, aber ich denke nicht, dass sie mich aus der Distanz erkennen können, da die Fenster auch spiegeln müssten. Nicht alle Lampen sind an und ich habe das Gefühl als stünde ich in meiner Schule nach einer Schulveranstaltung, nachdem alle schon gegangen sind.
21 führt mich hinter den Tresen, bevor ich sie aufhalten kann. Das ist eindeutig Mitarbeitergebiet, wenn mich jemand hier entdeckt… Eine Menge unbeschrifteter Schubladen befindet sich unterhalb der Tischfläche und zielsicher öffnet 21 eine davon. Woher weiß sie, welche sie wählen muss? Eine Menge dieser Ausweise, die sich Angestellte an ihre Kleidung klemmen, sind darin und 21 wählt einen Gastausweis aus, ganz nach Plan. Damit ich nicht auffalle oder angesprochen werde.
Ich muss eben nur so tun, als wäre ich ganz selbstverständlich hier und hätte nur eine einzige Seele, ganz normal eben. 21 zieht mein Handy hervor und die Taubheit aus dem Großteil meines Körpers. In der Notizenapp kommuniziert sie mit mir.
Ich denke, es ist angenehmer für dich, wenn du nun selbst wieder übernimmst. Zuerst müssen wir zum Büro des Hausmeisters, es ist nicht weit weg. Du musst in den Gang rechts, es ist der Raum E103.
»Alles klar«, wispere ich und setze mich in Bewegung.
Obwohl ich leichte Turnschuhe trage, scheinen meine Schritte zu hallen. Viel, viel zu laut. Ständig werfe ich Blicke über meine Schulter, aber der Großteil des Personals scheint tatsächlich schon Feierabend gemacht zu haben. Besser so, dann stehen die Chancen, dass ich erwischt werde, nicht so hoch. Aufmerksam betrachte ich die Schilder neben den Türen, bis ich vor der mit der Bezeichnung E103 stehenbleibe. Hier ist es.
Meine zitternden Finger legen sich auf die Türklinke und drücken sie hinunter. Leise bete ich, dass nicht verschlossen ist und… Verschlossen.
»Scheiße«, entweicht es mir. Ich rüttele etwas. Ja, das ist wirklich zu. Und jetzt? Ohne die Universalschlüsselkarte komme ich nicht in die Forschungsräume im Keller. An diesem Punkt war sogar Devika ratlos – Es war der Punkt, an dem unsere Mission scheitern konnte.
Andererseits würde mir nichts passieren, wenn ich jetzt abbreche und gehe. Ich könnte nachhause, eine Staffel der Serie neu schauen und es irgendwann wieder versuchen. Vielleicht könnte ich mich sogar mit der Tatsache, zwei in einem zu sein anfreunden. Und wenn nicht, kann ich ein anderes Mal…
»Kann ich Ihnen helfen?«
Beinahe entweicht mir ein sehr peinlicher, hoher Aufschrei, doch glücklicherweise ist 21 schneller als meine Reflexe. Sie wirbelt herum und stellt sich dem Mann entgegen, der nicht viel älter als ich zu sein scheint. Skeptisch verschränkt er die Arme, lässt seinen Blick zu meinem Gastausweis an meinem Hoodie wandern. Ich könnte mich täuschen, aber ich glaube, dass er eine Augenbraue hebt. Unverschämtheit. Der ist original gestohlen.
»Vielleicht«, erwidert 21. Ich finde seinen Ausweis an seinem Hemd, mit Bild sogar, der Name ist allerdings zu klein für meine alten Augen gedruckt. Dennoch erkenne ich, dass es ein Praktikant ist. Jung und unerfahren. Also, das steht nicht auf dem Ausweis, ich hoffe es einfach mal.
»Ich habe Sie noch nie hier gesehen.«
»Laufen Sie mal mit offenen Augen durch die Welt«, schleudert 21 ihm entgegen und ich bereue es ein bisschen, ihr die Kontrolle über meinen Körper gegeben zu haben. Andererseits hatte ich da auch eher wenig eine Wahl.
»Woah, nicht gleich so nett«, meint der Praktikant und hebt abwehrend die Arme, doch er grinst, »Soll ich Ihnen nun helfen oder nicht?«
»Sie wissen noch nicht einmal, wobei.«
»Dann sagen Sie es mir.«
»Ich habe etwas verloren und wollte nachsehen, ob es bei den Fundsachen ist, aber das Hausmeisterbüro ist verschlossen. Demnach benötige ich jemanden, der es öffnet.«
Der Praktikant, sichtlich amüsiert von der Situation, tritt einen Schritt näher.
»Und was kriege ich dafür?«
»Keinen Schlag ins Gesicht?«, schlägt 21 vor. So dreist war sie zu mir nicht. An diesem Punkt würde ich gerne wieder selbst sprechen, aber sie lässt mich nicht, hat wohl vergessen, dass die Konsequenzen nicht sie, sondern ich tragen muss.
»Klingt fair. Wie wäre es zusätzlich mit Ihrer Nummer?«
21 seufzt und das wäre genau das, was ich auch getan hätte. Der Praktikant ist tatsächlich ganz hübsch anzuschauen und ich muss zugeben, dass ich kein ungutes, warnendes Gefühl in seiner Nähe habe, aber er ist absolut nicht mein Typ (ganz abgesehen davon, dass jetzt der falsche Zeitpunkt zum Flirten ist). Leider bleibt mir – oder 21 – in diesem Moment nichts anderes übrig, als einzuwilligen, schließlich ist er unsere einzige Möglichkeit, in das Büro zu gelangen.
»Na gut, versprochen. Aber zuerst die Tür. Und vielleicht Ihr Name.«
»Delio«, antwortet er und schließt auf, ehe er mir galant die Tür aufhält. 21 deutet eine Verneigung an, dann huscht sie in den Raum und schaltet das Licht ein. Sofort sieht sie sich um. Wir befinden uns in einem Zimmer mit schlichtem Schrank und Schreibtisch, darüber eine Pinnwand mit Kalender, Notizzetteln und Notfallplänen im Falle eines Feueralarms, wenn ich das richtig deute. Neben dem Schrank führt ein andere Tür weiter.
»Freut mich sehr«, meint 21 an Delio gewandt, doch ihre Aufmerksamkeit gilt dem Raum, genauso wie meine. Der Praktikant stellt sich neben mich und folgt meinen Blicken, obwohl er eher wenig Ahnung zu haben scheint, wonach wir suchen. Ich hoffe nur, dass wir Delio loswerden können, ehe wir in den Keller einbrechen – Ich meine natürlich, den Keller aufsuchen werden (das klingt auch nicht viel besser).
»Und wie heißen Sie?«
Er gibt sein Bestes, das muss man ihm lassen. Wäre ich in einer anderen Situation, hätte ich mich vielleicht sogar gerne mit ihm unterhalten, doch gerade überwiegt Nervosität. Wenn ich entdeckt werde, kann man mir eigentlich nichts antun, dennoch… Ich fühle mich alles andere als wohl.
»Lory«, gibt 21 die halbe Wahrheit preis. Ich danke ihr stumm dafür, dass sie meinen echten, vollständigen Namen aus der Sache raushält.
»Lory, ein schöner Name.«
»Danke, habe ich zum Geburtstag bekommen«, murmelt 21 geistesabwesend. Obwohl sie im gleichen Kopf wie ich denkt, kann ich ihre Gedanken nicht lesen und habe so keine Ahnung, wonach sie Ausschau hält. Auf dem Schreibtisch befinden sich Tastatur, Maus, ein paar Wasserflaschen, Notizblöcke, ein Stiftehalter und lauter anderes Bürozeug, aber keine Universalschlüsselkarte. Ein sehr schönes Wort, fällt mir auf.
»Sagen Sie mal, Delio, können Sie mir einen Gefallen tun? Könnten Sie bitte in dem Raum eins weiter nachsehen, ob sich die Fundkiste dort befindet, während ich hier suche?«
»Klar, mach ich.«
»Vielen Dank.«
Tatsächlich verschwindet Delio in dem anderen Zimmer. Unglaublich. So einfach geht das also, andere Menschen auf seine Seite zu ziehen und für sich zu verwenden?
Ich habe keine Zeit, über die Überredungskünste von 21 zu staunen, denn kaum ist der Praktikant außer Sichtweite, reißt sie die erste Schreibtischschublade auf. Insgesamt stehen zwei Regale zu je fünf Schubladen unter der großen Tischplatte. Hektisch durchsucht 21 den Inhalt und geht direkt zur nächsten über, als sie nicht fündig wird. Hier ist nur Papier drin, da nur irgendwelche alten Ordner.
Ein dumpfes Geräusch, gefolgt von einem leisen >Ah, fuck< dringt aus dem anderen Raum – Es klingt verdächtig danach, dass Delio gegen irgendetwas gelaufen ist. Normalerweise bin ich die Person, der das passiert. Automatisch fasse ich mir an die Schulter, an der schon oft blaue Flecken geprangt haben.
»Alles gut?«, fragt 21 nach, aber es kümmert sie eindeutig nicht, während ich eigentlich gerne mal nachsehen würde. Trotzdem hat sie natürlich Recht, wir müssen weiter suchen. Nächste Schublade. Ein Stapel Dokumente, mit schnellen Fingern blättert 21 durch.
»Ja, ja«, dringt aus dem anderen Raum, während 21 die letzte Schublade des ersten Regals aufreißt. Ich bewundere die Geschwindigkeit, mit der 21 die ganzen Werkzeuge begutachtet – Auch wenn ich eher weniger erwarten würde, ausgerechnet in diesem Fach diese dämliche Schlüsselkarte zu finden. Andererseits sind die Dinge immer an den Orten, an denen man als letztes nachsehen würde. Ich habe mal meine Küchenschere unter meinem Bett gefunden, als mein Stift darunter gerollt ist. Lange Geschichte.
Rasch huscht 21 zum anderen Regal. Hoffentlich ist es dort, wenn nicht, bleibt uns nur der Schrank oder der Hausmeister verwendet die Karte gerade. Das wäre wirklich scheiße. Und was soll ich mit Delio machen? Loswerden, so auf die illegale Art und Weise? Nein, nein. Ich darf nicht so kriminell denken, was soll das denn? 21 reißt die oberste Schublade auf und ich spüre den Schrei schon in der Kehle. Sie schnappt sich die weiße Karte, auf der nur ein hellgraues, flaches Dreieck die Richtung zum Einstecken anzeigt.
»Gehst du wirklich davon aus, dass sich die Fundkiste in dieser niedrigen Schublade befindet, Lory?«
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