▸ 09. Wie meine beste Freundin zeigt, dass sie die Beste ist.

Devika isst ein weiteres Stück Sushi und trinkt darauf einen Schluck Wein. Langsam stellt sie das Glas zurück, sodass es laut und betont auf dem Glastisch aufkommt. Sie atmet gedehnt aus, fährt sich durch die langen Haare und sieht mir direkt in die Augen. Die ganze Zeit über hat sie geschwiegen und mich auf ihre Antwort warten lassen. Unruhig beiße ich auf meinem Daumennagel herum.

»What the fuck«, bringt Devika heraus. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.
»Ja, haha«, lache ich künstlich. Sie hebt bloß ihre Augenbrauen und öffnet den Mund, um darin allerdings Essen verschwinden zu lassen. Kopfschüttelnd kaut sie. Devika muss es auch immer so spannend machen. Das Kribbeln in mir stammt bestimmt von 21, die mir Vorwürfe macht, alles Devika berichtet zu haben, doch ich versuche die Übelkeit zu ignorieren. Auch, weil ich dieses super Sushi noch essen möchte.

»Also, Mallory, ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll«, meint Devika, während sie nach Worten sucht, »Das ist wirklich… Was willst du jetzt tun? Ins OS einbrechen oder was?«
»Hahaha… Ja.«
»Fuck«, stöhnt Devika und greift nach ihrem mittlerweile leeren Weinglas. Als sie bemerkt, dass nichts mehr darin ist, nimmt sie einen Schluck direkt aus der Flasche.

»Hilfst du mir bitte? Du hast mich doch ganz dolle lieb, oder? Oder?«, bettele ich sie an, falte sogar meine Hände. Sie blickt mich an als würde sie sich gerade wünschen, mich nicht eingeladen zu haben. Ich kann das >Ich habe es gesagt< von 21 bereits lesen.
»Bitte! Du hast dann wirklich etwas gut bei mir. Ich kann nicht ewig mit einer zweiten Seele in meinem Kopf mein Leben leben. Und 21 will das auch nicht.«
Mir fällt auf, dass ich mich genau so anhöre wie 21, als sie mich gebeten hat, ihr zu helfen. Hoffentlich ist Devika nicht so unreif wie ich und ignoriert mich erst einmal. Ich beiße mir auf die Lippe.

»Was soll ich sonst tun?«, seufzt mein Gegenüber. Ruckartig hebe ich den Blick. Ein warmes Gefühl der Erleichterung löst die Stresskrämpfe ab, doch bevor ich ihr danken kann, spricht sie weiter.
»Ich habe Informationen zu Projekt 21, wenn auch wenige. Mein Auftrag ist es, eine Software zu entwickeln, die speziell auf Seelenforschung angepasst ist und mit der man Vorhersagen erhalten und mit tatsächlichen Testergebnissen vergleichen kann. Es ist ziemlich kompliziert, deswegen brauche ich so lange. Egal, die technischen Details interessieren dich vermutlich sowieso nicht und du würdest sie wohl nicht verstehen, was?«

Da hat sie allerdings Recht. Devika setzt an, um weiterzusprechen, hält allerdings inne und deutet an, dass ich ihr folgen soll. Ich begleite meine beste Freundin in ihr Arbeitszimmer. Im Gegensatz zu mir hat sie tatsächlich ein eigenes Zimmer und muss es sich nicht mit dem Bett teilen - Ein weißes, sortiertes Bücherregal an der Wand mit passendem Sessel und ein perfekt aufgeräumter Schreibtisch mit zwei riesigen Bildschirmen zeigen den Kontrast zu meiner Wohnung. Sie lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen und schaltet den Computer ein.

»Eigentlich sind diese Informationen vertraulich und wenn rauskommt, dass ich dir das zeige…«, sie führt den Satz nicht zu Ende, aber ich kann mir so ungefähr denken, was sie meint. Wenn das rauskommt, dann ist sie ihren Job los und wenn Kelian Wind davon kriegt, vielleicht auch ihr Leben. Ein Frösteln überzieht mich bei dem Gedanken daran, dass ich sie in Gefahr bringen könnte. Das ist das letzte, was ich will - Und in dem Moment fasse ich den Entschluss, dass ich Devika auf gar keinen Fall mit mir einbrechen lasse.

Nicht, dass ich das geplant hatte - Aber das kann ich einfach nicht von ihr verlangen. Das wäre nicht richtig. Ich meine, es ist auch nicht richtig, irgendwo einzubrechen… Egal. Ich muss das tun, ich habe keine andere Wahl, obwohl allein bei der Vorstellung an irgendwelche kriminellen Aktivitäten meinerseits mein Herz ein paar Schläge aussetzt.

Devika hat mittlerweile ihr Programmierprogramm (Wie hat man das eigentlich programmiert?) geöffnet. Ich hatte etwa vier oder fünf Jahre Informatik in der Schule, trotzdem erkenne ich… nichts. Kein Wunder, unsere Lehrerin hat den Unterricht nie gehalten. Sie war nicht krank oder so, sie hatte einfach keine Lust. Ich habe es ihr nie verübelt.

»Okay, also«, murmelt meine beste Freundin, während sie mit zusammengekniffenen Augen die kryptischen Zeichen auf dem Bildschirm scannt, »Wozu brauchst du Informationen? Was könnte dir helfen?«
»Ich muss irgendwie ins OS reinkommen. 21 hat mir gesagt, dass sie einen Code kennt, der uns zumindest am Pförtner vorbeibringt und sie kennt sich auch im Gebäude aus. Aber weißt du irgendetwas anderes, was uns Probleme bereiten könnte?«
Sie überlegt kurz.
»Ich arbeite hauptsächlich von hier aus, ich bin sehr selten tatsächlich im OS. Wo genau müsst ihr hin, um den Körper von 21 zu finden?«

»Sie hat gemeint, die Räume sind im Keller.«
»Für den Keller braucht ihr eine Schlüsselkarte«, informiert mich Devika mit gehobener Augenbraue.
»Oh«, mache ich. Eine Schlüsselkarte. Die ich nicht habe.
»Du hast nicht zufällig eine?«, frage ich sie.
»Zufällig nicht.«

Seufzend setze ich mich auf den Boden. Daran scheitert es wohl. Ich habe keinen Zutritt zum Keller. Welche Optionen bleiben mir noch? Ich könnte wie ein Agent jemanden aus dem Forschungsteam kennenlernen und dazu manipulieren, dass er mich in die Räume bringt und ihn dann k.o. schlagen, nachdem ich einen epischen Satz wie >Tut mir leid, es hat nichts mit dir zu tun< gesagt habe. Aber das ist mir zu anstrengend.

Mein linker Arm zuckt. Ich erhebe mich wieder und klaue einen Kugelschreiber aus Devikas Stiftehalterung und lege einen Notizzettel vor mich hin. Sofort schreibt 21 in ihrer wirklich beneidenswert schönen Schrift.
Ich weiß, wo wir eine Schlüsselkarte holen können. Der Hausmeister besitzt einen Universalschlüssel – Wir müssen bloß Glück haben, dass sich nur der Schlüssel und nicht der Hausmeister im Büro befinden, wenn wir dort sind.

»Ist ja irre«, kommentiert Devika die Notiz wispernd und blinzelt als könnte sie nicht ganz glauben, was sie da liest. Ich war genauso erstaunt, als ich mich das erste Mal mit einer verdammten zweiten Seele in meinem Körper über ein Blatt Papier unterhalten habe.
»Ich weiß, sie kann auch super Eyeliner ziehen«, gebe ich ihr Recht und lese die Worte erneut. Ein weiterer Einbruch innerhalb des Gebäudes, in dem wir Einbruch begehen. Na ja, auf einen mehr oder weniger kommt es jetzt wohl nicht mehr an, schätze ich.

Devika schnaubt belustigt, ehe sie sich wieder dem Bildschirm zuwendet und scrollt. Ich sehe ihr wie ein Profi über die Schulter.
»Projekt 21 befasst sich mit der Trennung einer menschlichen Seele von seinem Körper, aber ein großer Bestandteil ist auch die Aufrechterhaltung der Seele. Wenn ich die Anweisungen und Informationen, die ich zum Testen des Programms erhalten habe, richtig deute, dann haben sie bereits mehrere Experimente durchgeführt, um einen Stoff zu entwickeln, der eine Seele quasi einsperrt.«

Dieses käfigartige Gewebe, das die leuchtende Kugel umgeben hat – Das muss es gewesen sein. Anscheinend war es allerdings noch nicht ganz perfekt, schließlich hatte es bereits Löcher und hat angefangen, sich in Staub aufzulösen. Und als es auf dem Boden aufgeschlagen ist, war es ohnehin vorbei. Ob 21 also auch hätte fliehen können, wenn ich das Pneuma nicht zerbrochen hätte, weil es sich sowieso zerstörte?
»Das Projekt wird von Kelian Jenson und seinem Team geleitet, das weißt du ja schon. Team 2 beteiligt sich ebenfalls, wird jedoch gerne von der Öffentlichkeit übersehen. Jenson ist das Gesicht von Projekt 21.«

Wut kribbelt in meinen Fingerspitzen. Wut, die mir nicht gehört. Ich balle meine Hände zu Fäusten und konzentriere mich auf den Bildschirm vor mir.
»Weißt du noch mehr?«, frage ich meine beste Freundin. Sie lehnt sich seufzend zurück, wobei ihr Schreibtischstuhl laut knarzt.
»Zu dem Projekt an sich – Nein, nicht wirklich. Sie wollen im Programm viele Eingabemöglichkeiten für versuchte Materialien und so. Da fällt mir auf…«

Sie runzelt die Stirn und beugt sich wieder vor. Ich verfolge die Computermaus, die das Programmierprogramm (so ein schönes Wort) schließt und die Mails aufruft.
Zwischen einer ganzen Menge ungelesenen Nachrichten fischt Devika eine heraus, die mit >Auftragsbestätigung< betitelt ist. Mehrere Dokumente sind angehängt, von denen sie eins öffnet und die vielen Seiten überfliegt. Wenn ich mich nicht irre, sind das die ganzen Anweisungen und Forderungen, die ihr Programm erfüllen muss. Eine ganze Menge. Ich stoße beeindruckt Luft aus. Bin ich froh, Juwelierin geworden zu sein.

»Ach du… Warum ist mir das nicht vorher aufgefallen?«, murmelt meine Meisterprogrammiererin zu sich selbst.
»Was denn?«
»Das Experiment, mit dem sie die Zusammensetzung für das Pneuma testen – Ich habe nie darüber nachgedacht, woran sie das ausprobieren. Natürlich können sie das nur mit einer echten Seele! Scheiße, wie dumm war ich bitte?«
Devika dreht ihren Stuhl ruckartig zu mir herum und sieht mir direkt in die Augen.
»Sie haben schon herausgefunden, wie man die Seele aus dem Körper zieht und der Öffentlichkeit nichts verraten.«

Ich, der lebende Beweis dafür und diejenige, die das die ganze Zeit schon gesagt hat, nicke bloß. Meine beste Freundin rauft sich die Haare.
»Das ist ein Skandal! Was, wenn das rauskommt?«
Da ich keine Ahnung habe, was ich darauf antworten soll, zucke ich mit den Schultern. Mir ist klar, dass auf meine geplante Aktion natürlich ein Aufschrei folgen wird. Schließlich werden 21 und ich Kelian nach alldem wegen Entführung (der Seele und des Körpers) anzeigen.
»Oh, Mallory… Wo bist du da nur wieder hineingeraten?«

»Ich habe einfach ein unfassbares Talent«, grinse ich und zwinkere sehr verführerisch. Devika muss beim Anblick meines humoristischen Genies auflachen. Endlich sehe ich etwas Anspannung von ihren Schultern fallen. Irgendetwas sagt mir, dass sie sich mehr Sorgen um mich macht als ich mir. Das war allerdings schon immer so. Ich habe Unsinn angestellt, sie hat sich um mich gekümmert. Ist wohl ein Fluch von intelligenten Menschen – Dass sie immer so viel denken.
»Hat man bereits bei deiner Rolle als Baum in diesem Theaterstück gemerkt. Du hattest so eine richtig schöne… Baumaustrahlung.«
»Hey, Devika!«, stöhne ich und versuche die unangenehmen Erinnerungen zu verdrängen. Sie war zwar nicht im Wahlkurs, aber während einer Probe hat Rion ein Video von mir gemacht, inklusive Kostüm und maximal angepisstem Gesichtsausdruck. Natürlich hat Devika das gesehen und erinnert mich öfter gerne daran. Sie vergisst sowas nicht.

»Was denn? Du warst so toll als Baum. Ich glaube, im vorherigen Leben warst du einer. So ein wirklich hübscher, vielleicht nicht ganz so großer Baum, der seine Blätter genau auf die Beete im Garten wirft und seine Früchte auf die Köpfe der Kinder, die sich darunter gesetzt haben.«
»Nett von dir.«
»Ja, nicht wahr?«
Devika lächelt mich an, ihre Augen funkeln fröhlich dabei. Nein, dieses Mädchen werde ich nicht bei dem Einbruch dabei haben. Sie seufzt leise und fährt sich durch die Haare.

»Spaß beiseite – Wir haben eine Straftat zu planen.«



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