▸ 02. Ich sollte meine Wohnung dringend aufräumen.

Ich habe die Entscheidung einem Plastikfisch überlassen. Wie dämlich kann man eigentlich sein? Ja, ich weiß, ich bin ein super Beispiel für die Antwort dieser Frage. Zum wiederholten Mal drehe ich das Wertvoll in meinen Händen. Es ist tatsächlich ein Glasfläschchen und in etwa so groß wie ein Tennisball. Der Verschluss ist dunkelgrau. Seit ich das Wertvoll habe, leuchtet der dichte, weiße Rauch darin hell, der etwas an Mondstrahlen erinnert. Das Licht schwebt in der Mitte des Glases, umschlossen von dieser Käfigstruktur. Sie ist löchrig… Wirklich ein bisschen wie die Mondoberfläche.

Letztendlich habe ich keine Ahnung, wer Kurz-Nach-Deutschlehrer ist. Als Dead nicht protestiert hat, habe ich mit den Schultern gezuckt und angenommen und sobald er das Wertvoll aus seinen Händen gegeben hat, ist er weggerannt. Also so richtig Whusch, weg. Wie in einem Cartoon. Da man meine sportlichen mit meinen romantischen Leistungen vergleichen kann, habe ich ihm bloß verdutzt hinterhergestarrt. Ich kann sowas gut. Verdutzt hinterherstarren meine ich, nicht rennen. Wer bin ich denn?

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits Sonntag ist, und ich schlafe immer noch nicht. Vorerst habe ich den seltsamen Gegenstand auf meinem Küchentisch abgestellt und mich umgezogen, damit ich mich hinlegen konnte. Sogar mein Handy habe ich beiseite gelegt, ist das nicht unglaublich? Ist es. Trotzdem war ich kein bisschen müder als davor. Als wäre ich ein kleines Kind, verdammt. Dieser Spaziergang hat nichts gebracht.

Genervt wälze ich mich hin und her, die Luft ist zu stickig und das Kissen auf beiden Seiten warm, ein richtiger Alptraum – Aber natürlich ohne, dass ich schlafe. Meine Decke landet auf dem Boden, kurz danach meine Füße. Ich bezweifle, dass das noch etwas wird. Nicht, solange das Wertvoll sich in meiner Wohnung befindet. Barfuß trotte ich in die Küche, stoße mit der Schulter gegen den Türrahmen, den ich im Dunkeln nicht gesehen habe, und fluche.

Die einzige Lichtquelle ist das Glasfläschchen. Es beleuchtet meine Einrichtung und das Chaos (ich muss wirklich mal meinen Abwasch machen) so mystisch weiß. Dass ich das IKEA-Logo nicht darauf gefunden habe und auch sonst keine andere Kennzeichnung angebracht wurde, verwirrt mich. Kurz-Nach-Deutschlehrer hat gesagt, ich soll es bloß nicht öffnen, aber ich will. Ich will wissen, was das ist und was passiert, wenn ich das Gefäß aufmache. Wird der Rauch ausdringen? Riecht er nach irgendetwas? Oder wird er sich einfach auflösen? Oder ist es vielleicht doch eine Droge und ich werde extrem high?

Auf dem Weg zum Tisch stolpere ich gegen ein Paar Hausschuhe, das ich murrend hinter mich kicke. Ich liebe Ordnung, doch ich hasse es aufzuräumen. Eine grässliche Kombination. Als wäre ich besessen von dem Wertvoll, nehme ich es, drehe es, fühle die glatte Oberfläche. Halt, ich habe etwas übersehen… Obwohl ich wie ein Meisterdetektiv meine Augen zusammenkneife, erkenne ich nur die Silhouetten von Kleberüberresten, vielleicht auch ein Etikett, schließlich leuchtet das Licht von hinten. Das ist mir vorhin gar nicht aufgefallen.

Mein Blick klebt an den winzigen Flecken, als ich Richtung Lichtschalter gehe. Was ich dabei nicht bedacht habe, sind die Schuhe, die ich genau dorthin gestoßen habe. Immerhin erinnere ich mich schnell wieder, als meine Füße daran hängenbleiben. Mein Oberkörper allerdings ist der festen Überzeugung, dass es weiter nach vorne geht, und bewegt sich also in diese Richtung. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht und ich Genie falle. Um meinen wunderbaren Körper aufzufangen, beschließen meine Reflexe, dass das Wertvoll in meinen Händen nicht ganz so wertvoll wie meine Unversehrtheit ist.

»Fuck.«

Das Glas zerschellt auf dem Boden, während ich knapp daneben auf den Boden krache. Mein Handgelenk knackt (wie mein Rücken jeden Morgen). Doch seltsamerweise kümmere ich mich darum überhaupt nicht, sondern rappele mich auf und blicke direkt zum Wertvoll. Die Scherben liegen verteilt um den Rauch, der wie eine Kugel einige Zentimeter über dem Parkett schwebt. Er ist den Strukturen entflohen, die zwischen den Splittern liegen. Kann ich es noch auffangen? Die hellgrauen Käfigwände lösen sich langsam auf, was…? Aber bevor ich einen weiteren Gedanken denken kann, zerstiebt das Weiß.

Mit weit aufgerissen Augen verfolge ich die funkelnden Wirbel, die durch meine Küche fliegen. Was um alles in der Welt ist das? Es sieht so… unecht aus. Ich zittere, obwohl es gar nicht so kalt ist. Gänsehaut. Ich kann nicht anders als das entkommene Wertvoll anzustarren. Es scheint mich zu bemerken, denn auf einmal sammelt es sich wieder zu einer wabernden Kugel einen Meter vor mir. Es ist so schön und so merkwürdig. Mein Gehirn ist zu langsam, um diese Informationen zu verarbeiten.

Nach einigen atemlosen Sekunden schießt das Wertvoll ohne jegliche Vorwarnung wie eine abgeschossene Kugel auf mich zu. Das Licht wird gleißend hell, blendet mich, ich spüre Hitze auf meiner Stirn und kippe nach hinten, der Mund aufgerissen zu einem Schrei. Ein dumpfer Schmerz an meinem Hinterkopf zeigt mir, dass ich gelandet bin, dann verschwimmt alles.

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