Kapitel 27
Leon sah betreten zu Boden. Er wusste was für ein mieses Arschloch er war. Er hatte Shirley sehr verletzt. Riki hatte noch versucht es ihm auszureden.
Rückblick:
„Ich kann dich nicht verstehen, Leon. Warum sagst du ihr nicht einfach die Wahrheit? Oder warum muss das unbedingt jetzt sein? Ich meine, wenn du doch noch ein paar Monate hast, dass gib doch nicht so schnell die Hoffnung auf. Eine Operation könnte dir noch helfen."
„Und was wenn nicht, Riki? Mir läuft die Zeit davon und bald schon kann ich die Symptome nicht mehr länger verbergen. Ich will einfach nicht so von ihr gesehen werden. Ich will nicht, dass sich meine Krankheit in ihren Augen widerspiegelt. Ich kann das nicht ertragen. Nenn' mich egoistisch und gemein, aber so habe ich mich entschieden."
„Hast du mal darüber nachgedacht wie sehr du sie damit verletzt? Ich kenne Shirley nicht so gut, aber was ich von ihr weiß, ist dass sie sehr misstrauisch und sensibel ist. Wie lange hat es denn gedauert bis sie dir vertraut hat?"
„Lange genug", antwortete er niedergeschlagen.
„Na siehst du? Ich halte das für einen Fehler. Mir macht es nichts aus da mitzuspielen, weil Tim und ich noch bei dir in der Schuld stehen. Wenn wir damit quitt sind, mache ich alles, was du willst. Nur weiß ich, wie sehr du darunter leiden wirst. Und wie sehr Shirley darunter leiden wird."
Leons Handy klingelte.
„Ja?"
„Shirley ist unterwegs zu euch. Sie wird jeden Moment eintreffen", erklärte Tim.
„Danke", erwiderte Leon leise.
Er war grausam. Auf eine andere Weise, als Justin vielleicht, aber trotzdem war er grausam. In den letzten Tagen hatte er sich immer mehr zurück gezogen von Shirley, damit sie es glaubte. Im Nachhinein erkannte Leon, das das gar nicht nötig war. Ihn mit Riki zu sehen war überzeugend genug. Sie hatte nicht einmal gefragt warum oder wie lange das schon so ging.
Zu seiner Überraschung betrat sie wieder das Haus und stapfte an ihm vorbei ohne ihn anzusehen. Er blieb reglos da stehen. Auch die ROX sagten nichts, als sie wortlos ihr Handy vom Tisch nahm und wieder hinaus gehen wollte.
Ihm blieb das Herz stehen, als Shirley neben ihm stehen blieb und sich Tinas Jacke auszog, die sie über das Kleid gezogen hatte und lieblos auf den Boden schmiss.
„Das ist alles ein Witz", schimpfte sie wütend. „Ich will dich nie wieder sehen. Fahr zur Hölle, Leon."
Mit diesen Worten war alles vorbei. Genauso wie er es wollte. Sein Plan ging auf und dennoch tat es so unglaublich weh. Seine Augen betrachteten die Jacke auf dem Boden, während Shirley unsanft die Eisentür hinter sich zufallen ließ.
Leon holte tief Luft und sah an die Decke, damit er nicht die Fassung verlor. Er hatte es vollbracht. Shirley war fort. Sie hatte ihn verlassen. Sie hatte die ROX verlassen.
„Was um alles in der Welt war denn das?", fragte Sarah immer noch fassungslos. Tina hob die Jacke vom Boden auf und betrachtete ihren Bruder verständnisvoll. Nur sie wusste, wie schwer es ihm gefallen war Shirley zu täuschen.
„Das war eine Trennung...glaub ich", erklärte Vince brummig und unsicher zugleich. „War es doch, oder Leon?"
Er antwortete nicht. Starrte nur weiterhin ins leere.
„Was hast du angestellt?", fragte nun Alex und stellte sich vor seinen Freund.
Nach einer Weile fand Leon seine Sprache wieder.
„Ich...ich habe Rikki geküsst...und Shirley hat's gesehen."
Die Freunde waren erschüttert.
„Aber...wieso? Ich dachte du liebst Shirley."
Sarah stand auf und Leon sah wie verwirrt sie war.
„Nein, das war es nicht. Ich bin nie von Rikki los gekommen."
Wie sollten ihm die ROX diese Lüge abkaufen?
„Das glaube ich nicht. Ich kenne dich Leon, so ein Arsch bist du nicht."
Da war der erste Zweifel. Natürlich kam er von Alex.
„Ich habe meinem Bruder schon den Kopf dafür gewaschen, glaubt mir das. Ich war ebenso erschüttert, als ich es herausfand."
Leon war Tina für ihren Beistand dankbar. Er wusste wie schwer es war die ROX zu belügen. Ausgerechnet sie. Wo er doch immer die Wahrheit von ihnen verlangt hatte.
„Ich glaub's einfach nicht. Nach allem was wir für Shirley durchgemacht haben..."
Ian war erschüttert.
„Ich habe Shirley wirklich gern gehabt, nicht zuletzt als Mitglied von den ROX", erklärte Leon und nahm sich zusammen. „Ich wollte nicht, dass sie ging. Trotzdem ist es besser so. Es würde nur Probleme geben, wenn sie bleibt."
„Hey, Leon, das kannst du nicht ernst meinen", schrie Sarah aufgebracht.
„Ich meine es Todernst. Lasst sie gehen. Ich will das abhaken."
Mehr sagte er nicht dazu und ging nach oben. Er wollte sich die Vorwürfe nicht länger anhören. Er konnte nicht mehr.
Also stieg er die Stufen hinauf, ging durch die Wohnung und kletterte aus dem Fenster im Wohnzimmer auf die Feuerleiter. Er stieg ganz nach oben und kümmerte sich nicht mehr um seine Freunde. Sie würden ihn nicht verstehen, solange sie nicht die Wahrheit kannten.
Leon setzte sich aufs Dach und steckte sich eine Zigarette an. Sein Leben war eh bald vorbei. Da kümmerte ihn diese Zigarette auch nicht mehr.
Egal wie schwer es war, Leon musste diese Maskerade aufrecht erhalten.
Vor seinen Freunden spielte er den harten, aber innerlich schrie er.
Die nächsten Tage wurden noch grausamer. Im College ignorierte Shirley ihn und die ROX. Alle fragten sich warum, doch weder er noch Shirley gaben große Erklärungen ab. Es war nur allzu deutlich, dass Schluss war zwischen ihnen.
~
Jack ahnte was passiert war. Wie konnte er auch nicht, nachdem seine Tochter sich jeden Abend in den Schlaf weinte und keine Minute mehr auf dem Schrottplatz abging. Wenn Shirley ihm genau erzählen würde was der Grund für ihren Kummer war, würde er Leon doch noch erschießen.
Im Nachhinein fiel es Shirley wie Schuppen von den Augen. Auch als man versucht hatte Leon einen Mord anzuhängen, war er zuerst zu Rikki geeilt, anstelle zu ihr. Schon da hätte sie sich wundern sollen.
Sie fühlte sich hilflos und dumm. Warum hatte er nur ihr Herz erobert, um sie dann wie ein wertloses Stück Dreck fallen zu lassen.
Sie hatte sich ja so in Leon getäuscht. Er war nicht besser als Rico. Kein Stückchen.
Joanna hatte sie auf die verkorkste Situation angesprochen, aber Shirley war noch nicht in der Lage dazu mit ihr darüber zu sprechen. Sie wollte mit niemandem sprechen. Also setzte sie sich ab und wurde zur Einzelgängerin. Nach dem College ging sie arbeiten und danach direkt nach Hause.
Sie hatte keinerlei Motivation irgendetwas zu machen. Sie versuchte zu lernen, doch auch das gelang ihr nicht.
Es fiel ihr immer schwerer nicht an Leon zu denken und den ROX im College auszuweichen.
Es schien ihnen auch nicht zu gefallen, dass sie Abstand hielt. Wer weiß was Leon ihnen aufgetischt hatte, denn sie machten nicht einen Annäherungsversuch.
Beim Sport war es am schlimmsten. Mr. Connor nahm keine Rücksicht auf gestörte Verhältnisse und brachte nur wenig Verständnis auf, als sie sich weigerte im Team mitzuspielen. Dafür kassierte sie eine Stunde nachsitzen. Das kümmerte Shirley nicht.
Sie setzte sich nur auf die Bank und schaute den ROX beim Training zu. Krampfhaft versuchte sie sich nicht auf Leon zu konzentrieren, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Blick hin und wieder zu ihm abschweifte.
Bald war das Turnier. Der Coach nahm ihn hart ran dafür.
„Na, kommst du auch zur Meisterschaft?", fragte Joanna und setzte sich einfach neben Shirley auf die Tribüne.
„Hatte ich nicht vor. Ich bin nicht im Team also was soll ich da?"
„Na zusehen wie wir gewinnen. Es wird die letzte Meisterschaft für die ROX werden. Danach gehen sie vom College."
Das wusste Shirley. Ihr Verstand sagte ihr, dass es besser wäre die ROX nicht mehr jeden Tag zu sehen. Gleichzeitig stimmte es sie traurig.
„Das ist los mit euch? Bist du...kein Mitglied mehr?", fragte Joanna vorsichtig.
Shirley schüttelte den Kopf. Als sie erneut in Leons Richtung sah, traf ihr Blick den seinen. Was sollte das? Wieso beobachtete er sie noch?
„Wirkt für mich nicht so, als ob Schluss wäre", meinte Joanna ganz nebenbei.
„Wieso?"
„Weil Leon scheinbar noch großes Interesse an dir hat."
„Ich aber nicht an ihm!", rief Shirley laut, stand auf und ging in die Umkleide.
Joanna hatte ja keine Ahnung. Manchmal konnte sie echt nervig sein.
Gleich darauf bereute Shirley ihre Gedanken. Joanna war vermutlich die einzige Freundin, die ihr jetzt noch blieb. Sie sollte etwas freundlicher zu ihr sein.
Shirley öffnete die Tür und erschrak, als sie Tina vor den Spinden auf der Bank sitzen sah. Ihre Augen waren verheult und sie blickte nur beschämt hoch, als sie Shirley erkannte. Schnell wischte sie sich das Gesicht ab und stand auf.
„Tina...was ist los?"
Shirley konnte nicht anders als zu fragen.
„Ach nichts", schniefte das hübsche Mädchen.
„Das stimmt nicht. Du weinst."
„Bitte tu mir einen Gefallen und frag nicht. Lass mich einfach in Ruhe, Shirley."
Sie packte ihre Tasche und ging an Shirley vorbei in den Flur. Im Vorbeigehen hauchte sie noch: „Wehe du erzählst jemandem davon."
Nicht einmal im Traum würde Shirley nach dieser Warnung daran denken.
Verwirrt und besorgt blieb sie allein zurück und zog sich um.
Die nächsten Tage rätselte sie darüber, was die starke Tina so erschüttern konnte. Hatte sie Streit mit Alex, oder hatte es etwas mit Leon zu tun? Es ging sie zwar nichts mehr an, aber dennoch machte sie sich sorgen. Sie sollte sich raushalten und es ignorieren, doch dafür hatte sie die ROX zu gerne.
Als es Shirley wieder passierte, dass sie Tina alleine im Chemieraum sitzen sah, ging sie wieder zu ihr. Wieder sah es so aus als hätte sie geweint. Doch auch dieses Mal wich Tina ihr aus und wollte sich ihr nicht anvertrauen. Offenbar wollte sie sich niemandem anvertrauen. Warum, wenn sie doch so tollte Freunde hatte?
Offenbar hatte das Mädchen große Probleme, sie sie nicht einmal mit den Rox teilen konnte.
Aus Sorge heraus beschloss Shirley etwas zu unternehmen. Also fasste sie in der Pause all ihren Mut zusammen und ging zur Rotbuche, unter welcher sich die ROX wie üblich versammelt hatten. Nur Tina war nicht da.
Schnurstracks ging sie auf Leon zu.
Er schien zwar überrascht über ihr Erscheinen, aber schenkte ihr keinerlei Emotion im Gesicht.
„Ich muss mit dir reden."
Er rührte sich nicht, noch sagte er etwas. Sein Verhalten ging ihr gegen den Strich.
„Hör zu, es hat nichts mit mir zu tun. Aber falls es dich interessiert, dann sie doch mal nach deiner Schwester, die sich fast täglich die Augen ausheult", motzte sie ihn an.
Sofort wurde er blass. Sein Gesicht wechselte von einer steinernen Miene zu etwas undefinierbaren und vor allem Sorge.
„Bitte was?", fragte Alex nach und kam zu Shirley.
„Warum denn das?"
„Ich weiß es nicht. Ich habe sie nur die Tage gesehen. Ich dachte als ihre Familie wüsstet ihr etwas."
Leon bewegte sich und eilte los. Er achtete nicht auf die anderen, die ihm hinterher riefen.
„Offenbar weiß Leon etwas", bemerkte Susan und sah ihm nach wie er ins Gebäude lief.
„Danke, Shirley, das bedeutet uns fiel. Ich weiß du hast nichts mehr mit uns zu tun, daher...wissen wir das zu schätzen", sagte Ian dankbar.
„Keine Ursache. Ich habe mir nur Sorgen gemacht. Es scheint was schlimmes zu sein."
Anhand der ratlosen Gesichter erkannte Shirley, dass keiner so richtig wusste was los war.
„Ich hoffe sie kriegt das wieder hin", meinte Shirley noch zum Abschied und zog sich wieder zurück.
Nun fühlte sie sich besser auch wenn sie Tina versprochen hatte nichts zu sagen. Vielleicht war es besser so.
In den nächsten Wochen sah sie nichts mehr von Leons Schwester. Was auch immer mit Tina war, Shirley würde es nicht mehr erfahren.
Erst zur Meisterschaft tauchte sie wieder auf. Am Rande bekam sie nur von Joanna mit, dass sie angeblich einen Ausflug gemacht haben soll. So richtig glauben wollte Shirley das nicht. Sie fürchtete sich auch ein wenig vor der Begegnung mit Tina, weil sie sich eingemischt hatte. War sie deswegen sauer?
Shirley bekam die Gelegenheit das heraus zu finden, als Mr. Connor sie zum Ersatzspieler verdonnerte und sie damit zwang zur Meisterschaft zu kommen. Auch Tina sollte Ersatzspielern sein. So landeten beide auf der selben Bank am Rande des Spielfeldes.
Zögernd ignorierte Shirley ihre Bauchschmerzen und blendete die vielen Leute aus, die sich auf den vier weiträumigen Tribünen verteilten. Die College-Meisterschaft war jedes Jahr ein Fest und keiner wollte es verpassen. Sie war fast so sehr herbeigesehnt wie der Abschlussball.
„Hey", grüßte Tina überraschend freundlich und reichte ihr eine Flasche Wasser.
Shirley nickte dankend und erwiderte den Gruß schüchtern.
„Geht's dir besser? Hab dich lange nicht gesehen."
Tina nickte lächelnd. Sie war wie ausgewechselt. War wirklich alles in Ordnung oder tat sie nur so?
„Bist du mir böse?"
„Nein. Ich habe keine Energie dir böse zu sein, wo du doch nur helfen wolltest."
Shirley war erleichtert.
Als sich Leon zu ihnen begab, verkrampfte Shirley augenblicklich. Er hatte nur seine Uniform an. Himmel, der Typ war immer noch so sexy.
Leider gehörte er nur Rikki. Was war eigentlich mit den beiden? Sollte sie jetzt nicht hier sein und ihn anfeuern?
Bei der Party hatte es so ausgesehen, als würde sie seine Gefühle erwiedern, also wo war sie nun?
„Leon, pass bitte auf dich auf", bat Tina mit besorgten Unterton.
„Sicher", erwiderte er tonlos und ignorierte Shirley gekonnt.
„Ich meine es ernst. Ich konnte dir die Meisterschaft nicht ausreden, aber halte dich an dein Versprechen. Nur eine Hälfte, okay?"
„Ja, ja. Doch werde ich es nicht zulassen, dass wir verlieren. Das ist das letzte Spiel."
„Leon!", sagte Tina warnend und erhob sich. „Ich will dich nicht bevormunden, aber..."
„Dann tu's nicht", unterbrach er sie genervt.
„Ich habe mich bestens vorbereitet, Tina. Ich will den Sieg. Ein aller letztes Mal, versteh das doch."
„Ich verstehe dich", antwortete sie geknickt. Leon legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und ging aufs Spielfeld.
Nach ein paar Minuten nahmen die Teams Aufstellung. Zwei Colleges traten gegeneinander an. Der Titelverteidiger war Shirleys College und auch sie wollte ein letztes Mal den Pokal holen. Doch irgendwie hing die Stimmung in den Seilen. Sie wusste von Leons Krankheit. War er wirklich fit genug für das Spiel?
Der Pfiff ertönte und das Spiel begann. Die Jungs passten sich geschickt den Ball zu und schon bald hatten sich die ROX, die ein eingespieltes Team waren, den Ball erobert und bestimmten die ersten zehn Minuten für sich.
Sie liefen so geschwind hin und her, dass Shirleys Augen kaum folgen konnten. Die Zuschauer tobten und feuerten die heissen Jungs an. Vor allem Leon. Der persönliche Fanclub der ROX durfte bei dieser Veranstaltung nicht fehlen.
Auch Shirley feuerte ihn insgeheim an. Er war ein herausragender Spieler. Das hatte sie selbst schon am eigenen Leib erfahren.
Doch an diesem Tag lief Leon zur Höchstform auf. Er kämpfte verbissen um jeden Ball, rannte wie ein Besessener übers Spielfeld und sorgte für einen gewaltigen Punktevorsprung für sein Team. Kurz vor der ersten Pause war seine Mannschaft haushoch in Führung und seine Kollegen klopften ihm bewundernd auf die Schulter.
Auch Shirley applaudierte. Nur solange er nicht in ihre Richtung sah. Er hatte sie so sehr verletzt, da wollte sie ihm keinen falschen Eindruck vermitteln.
Trotzdem wünschte sie sich den Sieg für ihn.
Der Abpfiff kam und Leon setzte sich schnaufend neben Tina auf die Bank. Es störte ihn gar nicht, dass Shirley auch da war.
Tina reichte ihm ein Handtuch und Wasser.
„Du willst dich wirklich umbringen, oder?", maulte sie.
Er zuckte mit den Schultern und trank die halbe Flasche aus.
„Ich will gewinnen", antwortet er wie selbstverständlich mit einem Grinsen.
Tinas Blick war vorwurfsvoll, doch sagte sie nichts dazu.
Es ging weiter und Leon joggte zurück aufs Feld. Die zweite Runde war fast noch mörderischer als die erste, weil die Gegner sich nicht einfach so unterkriegen lassen wollten. Sie trumpften noch einmal auf und machten es Leon nicht leicht den Vorsprung zu halten.
So endete das zweite Viertel mit einem weitaus geringeren Vorsprung. Tina winkte Leon zu sich und deutete auf ihre Armbanduhr. Doch ihr Bruder schüttelte nur den Kopf.
Das gefiel ihr gar nicht.
Er hielt sich warm in der langen Pause und spielte auch das dritte Viertel noch mit.
Tina schlug mit dem Handtuch nach ihm, als er sich in der Auszeit was zu trinken holte.
„Du weißt was Dr. Noris gesagt hat. Hör endlich auf."
Shirley guckte bewusst weg, als er sich - verschwitzt wie er war - neben sie setzte und seine Schnürsenkel neu band.
Er atmete schwer und seine Gesichtsfarbe hatte sich schon längst von blass rosa zu nur blass verändert. Sie konnte nicht leugnen Tinas Sorge zu teilen. Er war krank. Er sollte es nicht derart übertreiben.
„Hör auf dich wie meine Mutter aufzuspielen."
„Dann sei du etwas verantwortungsvoller, Leon. Willst du auf dem Spielfeld zusammen klappen?"
„Mir geht's gut."
„Ja sicher", meinte Tina ironisch. „Du bist erschöpft, außer Atem und..."
„Tina!", rief er sie zur Räson.
Sofort war sie still und wagte nicht weiter auf ihn einzureden.
„Hört auf. Ihr beiden erregt zu viel Aufmerksamkeit", sagte Alex, der zu ihnen gekommen war. „Was ist nur in letzter Zeit los mit euch beiden? Ihr streitet ja nur noch."
Kopfschüttelnd ließ er die Geschwister stehen und nahm wieder Aufstellung. Auch Leon erhob sich, blieb aber noch kurz vor der Bank stehen. Shirley musterte ihn und kam nicht umhin festzustellen, dass er wirklich schrecklich aussah. Er sollte nicht mehr weiter spielen.
„Es ist nur ein Spiel, Leon", flüsterte sie und bereute gleich darauf ihre Worte laut ausgesprochen zu haben.
„Ihr könnt mich einfach nicht verstehen", meinte er nur und ging ebenfalls zum Spielfeld.
„Wieso tut er das, Tina?"
Tina schüttelte verständnislos den Kopf und ließ sich niedergeschlagen auf die Bank sinken. Sie hielt noch Leons Handtuch in der Hand, als Shirley den selben traurigen Gesichtsausdruck bei ihr vernahm, den sie die letzten Wochen auch gehabt hatte. Also hatte es etwas mit Leon zu tun.
Jede weitere Minute wurde sie nervöser und als es am Ende der Zeit unentschieden stand, verlor sie die Fassung. Sie stand auf und wanderte umher, raufte sich die Haare und wirkte völlig neben der Spur. Ihr Verhalten steckte Shirley an und bereitete ihr Sorgen.
Das gegnerische Team versuchte in der Verlängerung zu blocken. Sie deckten Leon zu dritt, damit er keinen weiteren Korb mehr machen konnte.
Das gefiel ihm gar nicht. Er versuchte sich zu befreien, ohne gegen die Regeln zu verstoßen. Alex und Vince versuchten sich immer wieder den Ball zuzuspielen und eine Lücke in der gegnerischen Verteidigung zu finden. Es war echt schwer einen Punkt zu landen.
„Sie müssen durchbrechen", sagte Shirley verzweifelt.
„Solange Leon in Deckung ist, können sie nicht viel machen. Sie sind zu wenige", antwortete Tina ihr ebenso verzweifelt.
„Mach schon Leon, werd sie los!", rief jemand von der Tribüne. War das Joanna?
Er hatte sie gehört und versuchte ein letztes Mal den drei Gegnern zu entkommen.
Er täuschte links an und brach drehend rechts weg. Er lief zum gegnerischen Korb und warf einen Blick auf Sam, der sich bereit machte den Ball zu werfen. Er dribbelte zweimal, hob die Arme und passte ganz genau auf Leon. Dieser sprang hoch, holte sich den Ball im Sprung und lenkte ihn geschickt ins Netz.
Er lächelte siegessicher und sank nach unten. Doch hatten drei Gegenspieler versucht ihn aufzuhalten und waren ebenfalls nach oben gesprungen. Für sie leider viel zu spät. Der Ball war im Netz, doch prallte Leon hinterher mit ihnen zusammen.
Alle drei gingen unter dem Korb zu Boden. Entsetzt sprang Tina auf. Einer von ihnen kämpfte sich auf die Beine und zeigte Sportsgeist, als er Leon wieder auf die Beine half. Erleichtert setzte Tina sich wieder. Sie war nervlich noch angespannter, als Shirley.
Es gab noch eine kurze Pause, in der eilte Tina zu ihrem Bruder.
„Bitte, Leon, hör doch auf. Ich spiele für dich. Wir werden nicht verlieren."
Shirley sah sein Kopfschütteln. Was wollte sich der Typ eigentlich beweisen? Er stützte sich auf den Knien ab und sah überhaupt nicht mehr fit aus. Doch absolut gar nichts konnte Leon Rassey dazu bewegen das Spielfeld zu verlassen. Auch Shirley verstand es nicht.
Das Team kämpfte verbissen um den Titel. Alle wollten mit der Trophäe nach Hause gehen. Vince und Alex spürten wie Leons Kräfte schwanden und versuchten ihn zu entlasten. Sie gingen für ihn in die Zweikämpfe und blockten seine Gegenwehr, damit er werfen konnte. Leider hatte er keine Kraft mehr und warf zweimal daneben.
Auch die Zuschauer raunten verzweifelt. Es sollte endlich vorbei sein. Shirley rutschte unruhig auf der Bank herum. Sie wollte spielen. Nicht wegen des Pokals, nur wegen Leon. Langsam aber sicher zweifelte sie an seinem Verstand.
Sie wagte einen Blick auf Tina. Diese stand mit verschränkten Armen am Spielfeldrand und hatte es aufgegeben. Immer wieder starrte sie auf die große Uhr über der Tribüne.
Endlich fiel der Schlusspfiff. Leons Team hatte den geringen Vorsprung halten können und hatte somit gewonnen. Erleichtert und überglücklich fielen sich die Spieler in die Arme und freuten sich über den knappen aber gerechten Sieg.
Shirley stand auf und legte erleichtert die Hand auf Tinas Schulter.
„Es ist überstanden", sagte sie lächelnd.
Doch Tina freute sich nicht. Was machte sie den für ein Gesicht?
Bevor sie etwas antworten konnte, kam Alex zu ihr und hob sie triumphierend in seine Arme.
„Wir haben es geschafft! Wir haben gewonnen."
Noch immer hing Shirleys Blick an Tina, die es kaum erwarten konnte wieder Boden unter den Füßen zu haben.
„Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Freu dich für uns", kam es von Alex, der ihr Stimmung nicht richtig deutete.
„Sie kann sich nicht freuen. Sie ist sauer, weil ich durch gespielt habe", erklärte Leon im selben Moment und kam auf die beiden zu.
„Ach jetzt sei doch nicht so. Kannst du nicht später schmollen?"
Tina schenkte ihrem Freund einen bösen Blick und setzte sich wortlos auf die Bank. Leon zog Alex mit sich zu den anderen und empfing mit ihnen freudig die Siegertrophäe.
Shirley freute sich für die Jungs, auch wenn das eine knappe Entscheidung war. Zugegeben sie hatte ganz schön geschwitzt.
Fast genauso sehr wie Leon, der sich von Vince den Preis abnehmen lies. Dieser hob ihn jubelnd noch höher und schnitt Grimassen mit Sam.
Alle wirkten so glücklich, so erleichtert und stolz.
Nur Tina nicht. Tina wirkte viel zu ernst für diese Veranstaltung und Shirley hatte keine Ahnung warum, bis das Mädchen blass wurde und von der Bank aufstand.
Shirley folgte ihrem Blick. Im selben Moment blieb ihr das Herz stehen, als sie den Grund für Tinas Reaktion erkannte.
Leon verzog das Gesicht. Er starrte auf seine Freunde, die sich grölend in den Armen lagen und feierten. Doch sah er nicht wirklich hin.
Irgendetwas stimmte nicht. Shirley spürte eine Gänsehaut, als er plötzlich nach hinten kippte und auf den Boden sackte. Tina rannte schon zu ihm.
Alex bemerkte es im selben Moment und drehte sich erschrocken zu seinem Freund um.
„Leon!"
Tina kniete neben ihrem Bruder und beugte sich über ihn. Shirley schlug sich die Hand vor den Mund. Auch sie lief hinüber.
„Leon! Leon sag doch was!", rief Tina panisch.
Doch ihr Bruder konnte nichts mehr sagen. Er war kreidebleich und blinzelte gegen die hellen Lichter an.
„Warum hast du nicht auf mich gehört? Verdammt!"
Sie fing wieder an zu weinen.
Zwei Sanitäter kamen zu dem kleinen Auflauf, der sich um sie gebildet hatte und leisteten erste Hilfe.
Sie fühlten seinen viel zu schwachen Puls und packten ihre Geräte aus. Doch für so einen Fall waren sie definitiv nicht ausgerüstet. Shirley hoffte nur, dass er wieder auf die Beine kam. Mit seiner Herzschwäche hätte er eigentlich nicht so lange spielen dürfen. Er hatte siech definitiv verausgabt.
„Er muss sofort ins Krankenhaus", erklärte Tina verzweifelt.
„Alles gut, Miss, wir kümmern uns um ihn", meinten die Sanis beruhigend.
„Nein, Sie verstehen nicht. Es ist sein Herz. Er ist todkrank. Er stirbt, wenn er nicht sofort ins Krankenhaus kommt."
Nun hielten alle die Luft an.
Die Sanitäter packten Leon auf eine Trage und brachten sie zu ihrem Fahrzeug.
„Was soll das heißen, Tina?", fragte Alex aufgelöst und drehte seine Freundin zu sich um.
„Todkrank? Du willst uns doch nur Angst machen."
„Nein, will ich nicht. Leon...er wird sterben."
Die ROX waren erschüttert. Sie starrten Tina an, als wäre sie ein Alien. Gleichzeitig wurde ihr Shirleys Anwesenheit bewusst und hielt sich die Hand vor den Mund.
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