Kapitel 21

Nach einer kalten Dusche ging es Shirley direkt besser. Sie zog sich etwas bequemes an und kuschelte sich neben Sarah aufs Sofa. Sogleich fühlte sie sich zuhause. Die Gesellschaft der Rox war angenehm beruhigend. Während Alex und Vince draußen Basketball spielten, beschäftigte sich Sam mit seinem Jahrhunderte alten Computer und Ian schraubte an seinem Motorrad herum. Leon hatte in letzter Zeit weniger Zeit gehabt seines zu reparieren, weshalb er stets mit Sam im Van mitgefahren war.

Susan quatschte ungehalten mit Tina, die sich in einer eleganten Haltung auf der anderen Couch niedergelassen hatte und nun so aussah, als wollte sie für eine Modezeitschrift posieren. Sie sollte ernsthaft darüber nachdenken.
Sarah hingegen las in ihren Studienaufgaben.

„Ich hätte jetzt keine Lust mich mit Lernen zu beschäftigen."
„Ich lerne auch nicht, versuche nur mich abzulenken. So wie die anderen."
„Wovon?"
„Ich will mich davon abhalten zu Rico zu gehen und ihm ordentlich wehzutun."
Erschüttert starrte Shirley ihre Freundin an. Von Sarah hätte sie so etwas nicht erwartet.

„Was fällt ihm nur ein solche Dinge zu dir zu sagen? Erzähl das bloß nicht Leon, sonst begeht er noch einen Mord."
„Sarah!", rief Shirley halb empört, schmunzelte aber anschließend.
„Ist doch wahr.", rechtfertigte Sarah sich.

„Sarah hat recht. Er ist dein Exfreund, Shirley. Hätte er sich von Anfang an um dich gekümmert, dann stünden die Dinge heute anders.", mischte sich Tina ein.
„Dann wäre sie heute nicht hier." Sarah zog eine Schnute und Tina verdrehte die Augen.

„Nun ich bin hier, dank dir Tina. Obwohl du die letzte warst von der ich erwartet habe, dass sie mich in ihre Familie aufnimmt. Immerhin ist mir unser Gespräch im Nirvana sehr gut im Gedächtnis geblieben."

„Oh Shirley, was ich damals gesagt habe tut mir heute unendlich leid", erklärte Tina reumütig.
„Als du Leon deine Geschichte erzählt hast, habe ich es durch Zufall mitbekommen und konnte nicht anders, als bis zum Ende zuzuhören. Wir alle haben viel durchgemacht. Gerade ich weiß was es bedeutet Angst zu haben und von jemandem misshandelt zu werden. Mein eigener Vater war ein Saufbold und Schläger. Er war nicht immer so. Der Alkohol hat ihn dazu gemacht."

Sie machte eine Pause und schaute gedankenversunken auf den Boden. „Ich weiß nicht wo ich heute wäre, wenn es Leon nicht gäbe. Er hat so viel für mich einstecken müssen. Deshalb versucht er stets anders als sein Vater zu werden. Aber was haben wir schon für eine Wahl? Wir führen ein raues Leben und müssen uns verteidigen."

Susan nickte. „Wir haben uns dazu entschlossen auf der Straße zu leben. Das ist in solch einer Stadt nicht ganz einfach. Unser Abschluss ist das einzige, was uns hier raus holen kann."
Sie machte kreisende Bewegung mit ihrem Finger und deutete auf alles um sich herum.

„Wie bist du eigentlich zu den Rox gestoßen?", wollte Shirley neugierig wissen. Sie hatte schon immer danach fragen wollen, wie sich die Rox kennen gelernt hatten und nun nutzte sie die Gelegenheit.

„Ich habe sie durch Vince kennen gelernt. Ich komme aus einer mittellosen Großfamilie. Das Geld hat einfach nicht gereicht, um sieben Kinder zu ernähren. Was eher daran lag, dass meine Mutter alles staatliche Geld für sich beanspruchte. Also schickte man die zwei Ältesten fort, um sich selbst zu versorgen. Ich war gerade alt genug für eine Arbeit."

„Trotzdem noch viel zu jung", hörte man Vince plötzlich sagen, der mit einem schmutzigen Basketball und einem noch schmutzigerem und vor allem nassen Alex durch die Eisentür stapfte und breit grinste.
Tina beäugte die beiden in einer Mischung aus Abscheu und Überraschung. „Was ist denn mit euch passiert?"

„Es hat angefangen zu regnen. Leider war unser Spiel noch nicht beendet, weshalb wir es noch eben zu Ende gebracht haben."
Alex schüttelte seine feuchten Haare aus dem Gesicht.
„Keine Angst ich komme dir schon nicht zu nahe", meinte er als er Tinas seltsamen Blick auffing.
„Zumindest erst nach einer ausgedehnten Dusche", fügte sie noch hinzu.
Alex schmunzelte und ging nach oben. Vince meinte, er wollte kurz nach Hause in seine Wohnung und sich dort frisch machen.

Währenddessen erzählte Susan weiter: „Ich hatte keine Ahnung vom Leben und wurde einfach auf die Stadt losgelassen. Als ich am Rande der Verzweiflung war, begegnete ich Vince. Er meinte er wüsste einen besseren Ort für mich, als neben einem alten Müllcontainer zu schlafen. Er brachte mich zum Schrottplatz."
„Und wie kam er hierhin?"

„Er kennt meinen Bruder schon seit der Grundschule. Damals haben sie sich zusammen geschlossen, wenn die älteren Jungs sie unterdrücken wollten. Mit Vince' Hilfe konnte mein Bruder sich behaupten.", erklärte Tina und richtete sich auf.

„Als Leon und ich die Gang gegründet haben, wollten wir ihn dabei haben. Nur hat er sich noch nie so gut mit Tim verstanden, der damals noch mit Riki fester Bestandteil der Rox war. Erst nachdem er und Riki ein Paar wurden, haben sie beide beschlossen zu gehen. Das hat Vince natürlich dazu gebracht doch Mitglied der Rox zu werden."

Shirley nickte und verarbeitete die Informationen, als Tina fortfuhr:  „Alex ist etwas später dazu gekommen. Eigentlich ist er nur wegen mir Mitglied geworden. Genauso wie Sarah wegen Sam, der schon dabei ist, seit ich denken kann."

Nachdem Shirley sie fragend ansah legte Sarah ihre Unterlagen beiseite und sagte: „Man wird eigentlich automatisch aufgenommen als Partner eines Familienmitglieds. Vorausgesetzt der Rest von uns ist einverstanden. Aber er hat sich hier sehr schnell eingefügt. Er war froh Anschluss gefunden zu haben, da er ständig Stress mit der Familie hatte. Also ist er abgehauen. Er hätte auch zu den Rats gehen können, aber die waren ihm von Anfang an zu überheblich. Nur weil sie reich sind, aus angesehenen Familien kommen und im gehoberen Gegenden wohnen, halten sie sich oft für was besseres und sehen auf unseresgleichen herab."

„Und was ist mit den Jungs? Wo sind sie eigentlich?"
Shirley wollte unbedingt wissen, wie die beiden ins Bild passten. In letzter Zeit hatten sie sich kaum gezeigt.

„Toni und Max haben noch eine Familie. Nur verbringen sie am liebsten Zeit auf dem Schrottplatz. Sie wollen uns ständig nacheifern und alles miterleben. Sie finden es lustig anderen Streiche zu spielen, wie du schon gemerkt haben solltest. Irgendwann wird es dich auch erwischen.", sagte Sarah und zwinkerte Shirley zu.

„Das wagen sie nicht", meldete sich Sam und schaltete dem Computer aus. Er reckte sich einmal und kam dann zu den anderen auf die Couch. Er ließ sich auf das Polster plumpsen und legte die Beine auf den kleinen Tisch in der  Mitte.
„Wenn sie es auch nur wagen würden, würde Leon ihnen die Ohren langziehen."

Die Mädchen lachten.
„Sehr wahrscheinlich nicht nur das", brachte Sarah kichernd hervor.
„Ich denke, im Moment werden sie sich ruhig verhalten. Wir haben schon genug Stress, das spüren sie. Außerdem fürchtet Leon um ihre Sicherheit, seit dem Justin in der Stadt aufgetaucht ist. Er wird ihnen sicher gesagt haben nicht mehr herzukommen, bis er es erlaubt."
Shirley wurde erneut klar, welche Autorität Leon eigentlich besaß und wie verantwortungsbewusst er war.

Ihr Blick fiel auf eine rostige Wanduhr, die sich niemand gerne ins Wohnzimmer gehangen hätte. Aber sie passte zum chaotischen und alten Ambiente auf dem Schrottplatz. Es war schon halb Neun. Leon hätte schon längst zurück sein müssen. Shirley kramte ihr Handy aus der Tasche. Weder eine Nachricht noch ein Anruf waren auf dem Display zu sehen. Seltsam.

„Sag mal, Tina, hat sich Leon inzwischen bei dir gemeldet? Er ist ein bisschen spät dran."
Tina schüttelte den Kopf, nachdem sie ebenfalls ihr Telefon kontrolliert hatte. „Es ist ungewöhnlich für meinen Bruder nicht Bescheid zu sagen, wenn er länger weg bleibt."
Sie stand auf und ging die Treppe rauf.

„Warte ich frage mal Alex, ob er was weiß. Manchmal meldet sich Leon nur bei ihm."
Schwups, da war Tina in der Wohnung verschwunden.

Wenig später kam sie wieder - mit ihrem Freund im Schlepptau - und gesellte sich wieder zu den anderen.
„Alex hat auch nichts gehört. Aber wir wollen nicht gleich die Pferde scheu machen. Er meldet sich schon noch."

Damit musste sich Shirley zufrieden geben. Zumindest bis Tina um Zehn Uhr einen Anruf bekam. Shirley lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, sobald Tina das Gespräch annahm.
„Doktor Noris?! Wieso rufen Sie mich so spät noch an?"
Sofort wurden alle hellhörig und wateten auf Tinas nächste Worte.


~



„Es tut mir leid, wenn ich euch so spät noch störe. Ich würde es nicht tun, wenn es nicht absolut dringend wäre."
„Bitte sprechen Sie!", forderte Tina und kaute an ihren dunkel lackierten Fingernägeln. Wenn der Arzt sie so spät noch anrief, dann musste etwas passiert sein.

„Ist Leon bei euch?"
„Nein", antwortete sie zügig. „Wir haben uns schon gewundert, weil er noch nicht hier ist."
„Das hatte ich befürchtet. Deshalb rufe ich an. Ihr müsst ihn suchen. Ich fürchte sonst, dass er eine Dummheit begeht."

Tina schwieg einen Moment bevor sie fragte: „Wie kommen Sie darauf?"
„Bitte frag mich nicht. Ich mache mir nur große Sorgen um ihn. Er war ziemlich neben der Spur, als er meine Praxis verließ."
„Um wieviel Uhr war das?"
„Nach Sechs Uhr."

„Und da rufen Sie mich jetzt an?", rief Tina aufgebracht und sprang auf.
„Ich wollte ihm etwas Zeit geben und nicht gleich eine Panik auslösen. Aber wenn er bis jetzt nicht bei euch ist, gibt mir das Grund zur Sorge."
„Und wie ich mich erst sorge. Vielen Dank für den Anruf, Doc. Ich halte Sie auf dem Laufenden."

„Tina, was ist denn los?", fragte Alex sie besorgt. Alle wussten, dass Leon bei Doktor Noris war. Seine Gesundheit hatte in den letzten Wochen rapide abgenommen. Tina wusste nicht wie krank ihr Bruder war. Nur konnte es nicht allzu rosig für ihn aussehen. Er hatte Schwindelanfälle, diese komischen Schmerzattacken und neuerdings auch noch Husten, weil er eine Zigarette nach der anderen rauchte.

„Ich weiß es nicht. Noris meinte, dass wir Leon suchen sollen."
„Ruf ihn an!", rief Sam und zog sich schon die Jacke über.

Tina zückte erneut ihr Handy und wählte Leons Nummer. Nach einer gefühlten Ewigkeit schüttelte sie den Kopf und steckte ihr Handy weg. Als würde sie mehr Erfolg haben, versuchte Shirley nun Leon anzurufen. Aber auch sie erreichte ihn nicht.

„Lasst uns ihn suchen. Es ist gefährlich für den Anführer der Rox sich alleine in der Stadt herum zu treiben. Erst recht, seit er mit Shirley zusammen ist."
Als sie Alex' Worte hörte, lies sie den Kopf hängen und Tina stieß ihrem Freund in die Seite. „Ich spreche nur Tatsachen aus", rechtfertigte er sich gleich.

„Lass das, sie fühlt sich schon schlecht genug deswegen. Hast du vergessen, dass sie wegen ihren Schuldgefühlen vor kurzem erst Abstand nehmen wollte?"
Auf diese Frage erwartete sie keine Antwort.

„Ich rufe Vince an. Er soll unterwegs zu uns stoßen."
Susan lief schon mit dem Handy am Ohr hinaus.
„Shirley und ich fahren mit dem Mustang", erklärte Tina eifrig.
„Bin dabei!", meldete sich Alex.
Ian und Sam sollten die Motorräder nehmen und Susan ging zu Vince.

Ein paar Minuten später fuhr Alex den offenen Mustang durch die City, Tina neben ihm und Shirley quetschte sich hinter den Beifahrersitz. Warum sie sich zusammen kauerte, war Tina klar. Vermutlich stand sie unter Anspannung. Tina verstand sie gut.

Ihr ging es ähnlich, nur konnte sie ihre Gefühle besser verstecken. Wo trieb sich ihr Bruder nur herum? Hoffentlich war ihm nichts zugestoßen.
Der Regen hatte schon lange wieder aufgehört, doch die Luft war noch unheimlich schwül.
Zwischendurch telefonierte sie mit den andern um gelegentliche Updates zu bekommen.
Leider fanden die Rox keinerlei Spur von Leon.

Es war schon nach Elf, als Alex den Mustang vor dem Kinoplatz anhielt und kurz durchatmete. Er schien müde zu sein und je später der Abend wurde, desto mehr konnte auch Tina ihre Angst und Unruhe nicht mehr verbergen.

Sie war nur einigermaßen erleichtert nichts von Shirley's Stalkern zu hören. Tina hatte schon damit gerechnet, dass Rico oder Justin sich bei Shirley meldete und ihr etwas über Leon's Verbleib sagen konnte. Dann hätten sie zumindest gewusst, was mit Leon war. Aber diese Ungewissheit trieb Tina in den puren Wahnsinn.

Er konnte überall sein. Keiner mochte sich ausmahlen, dass er er in irgend einer Ecke lag und Hilfe brauchte.
Plötzlich klingelte Shirley's Handy. Tina zuckte fast zusammen, weil sie sich alle möglichen Horrorszenarien ausdachte.
Als sie das eintönige „Hey, Jack" von Shirley hörte, entspannte sie sich etwas. Leider nur kurz.



~



Shirley hätte alles erwartet um diese Uhrzeit, aber keinen Anruf von ihrem Vater. Nervös rutschte sie auf dem kühlen Ledersitz hin und her und drückte ihr Handy ans Ohr, um ja kein Wort zu verpassen.

„Wo bist du? Ich muss dich dringend sehen!", schrie Jack schon fast panisch ins Telefon. Shirley hielt es einen Meter weit weg, bis ihr Vater zu Ende gebrüllt hatte. „Ich bin mit den Rox unterwegs, warum?"

„Du musst sofort herkommen! Ich will dich nicht länger in ihrer Nähe wissen. Sie sind gefährlich."
Jack schimpfte weiter über die Rox. Derweil bemerkte Shirley den misstrauischen Blick von Alex im Rückspiegel. Auch Tina hatte sich auf dem Beifahrersitz zu ihr umgedreht. Ihre kurzen Strähnen wurden durch einen recht starken Nachtwind durcheinander geweht - falls sie das nicht schon vom Fahrtwind waren.

„Das geht jetzt nicht, Dad. Ich kann jetzt nicht zu dir kommen. Wir müssen Leon finden."
„Allerdings", knurrte Jack.
„Wie meinst du das?"
„Dein toller Freund wird seit kurzem von der Polizei gesucht. Ich habe für sinnlose Streiche und gelegentliche Auseinandersetzungen ja noch Verständnis, aber Leon ist wirklich zu weit gegangen. Ich hätte ihm niemals vertrauen, ihm niemals eine Chance geben sollen. Er ist und bleibt ein schlechter Mensch."

„Bitte, Dad, beruhige dich. Erzähl mir was passiert ist. Warum bist du so wütend?"
„Ich musste eine Fahndung nach ihm raus geben. Wenn die Polizei ihn findet, dann kommt er für eine sehr, sehr lange Zeit in den Knast. Womöglich sogar lebenslänglich."

Shirley war schockiert. Sie vergaß für einen Moment das Atmen, bis ihr Vater fortfuhr: „Er wird wegen Mordes gesucht."
Ihr blieb die Spucke weg. Und auch die Sprache. Leon ein Mörder? Das konnte doch nur ein schlechter Witz sein. War das Jacks ausgefuchste Strategie, um Shirley von den Rox weg zu bekommen?

Er war von Anfang an nicht von ihrer Beziehung zu Leon begeistert gewesen. Aber würde er so weit gehen, um sie von ihm zu trennen? Eigentlich traute sie Jack so etwas nicht zu.

„Das...kann ich mir nicht vorstellen", erklärte Shirley mit halb erstickter Stimme und räusperte sich erst einmal. „Nicht Leon, nein. Das glaube ich nicht."
„Komm zum alten Stahlwerk. Dort gibt es eine Leiche und eindeutige Beweise, die deinen Freund beschuldigen."
„Wir kommen dorthin."

Damit beendete Shirley das Gespräch und bat Alex zum Stahlwerk zu fahren. Er wusste natürlich wo das war und legte den Gang ein.
„Was ist mit Leon?", fragte Tina leicht verstört, als der Wagen schon rollte.
„Leon wird von der Polizei gesucht. Er soll....jemanden umgebracht haben."

Ihre Stimme zitterte, ihre Brust bebte vor Aufregung und Angst. Sie wollte auf gar keinen Fall wahr haben, dass Leon zu solch einer Untat fähig war. Aber der Anruf von Doktor Noris und nun von Jack, ließen sie das schlimmste befürchten.

Unter normalen Umständen, wäre Shirley bei Alex' Fahrstil kotzübel geworden, doch verlangte die Situation nach solch einer rasanten Fahrt. Trotzdem brauchten sie eine Viertelstunde, wegen diversen Straßensperren. Nach ein paar weiteren Anrufen bei Jack, ließ man sie letztendlich doch zum Tatort. Sie durften nicht durch die direkte Absperrung, aber das war auch gar nicht notwendig.

Alex parkte den Wagen am Straßenrand, gegenüber von fünf blinkenden Streifenwagen. Einer davon gehörte Jack. Shirley erkannte das Nummernschild. Sie mussten nicht lange auf ihren Vater warten, der unter dem Absperrband hindurch schlüpfte und zu den dreien herüber kam, die aus dem Auto stiegen.

„Dad, ich kann nicht glauben, was du mir erzählt hast. Bitte sag mir was passiert ist."
„Genau kann ich das nicht sagen. Wir haben vom Nachtwächter des Stahlwerkes einen Anruf bekommen, der die Leiche gefunden hat."
Bei dem Wort „Leiche" kräuselten sich Shirley die Fußnägel.

„Er scheint Mitte zwanzig, Anfang dreißig gewesen zu sein. Sieht mir nicht nach einem eurer verfluchten Rattenfreunde aus.
Alex atmete einmal kurz auf. „Wie wurde er ermordet?"
„Pistole.", gab Jack nur knapp zurück.
„Pistole?", wiederholte Tina skeptisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Dann war es ganz sicher nicht mein Bruder. Er besitzt so etwas nicht einmal."

„Kannst du das beweisen?"
„Ich... ähm...", druckste sie herum.
„Ich weiß, dass ihr das nicht wahr haben wollt. Aber es wurden seine Fingerabdrücke auf der Tatwaffe gefunden, ebenso wie seine Lederjacke."

„Ganz sicher, dass es sich dabei um Leon's Jacke handelt?", fragte Alex mürrisch und Shirley gewann Hoffnung.
„Ganz sicher. Es war euer Ganglogo darauf. Es muss seine sein, oder hat noch jemand von euch den Verlust einer schwarzen Lederjacke gemeldet?", fragte Jack eisern. Der Blick, mit dem er Alex betrachtete, war mehr als ablehnend. Dieser guckte mindestens genauso grimmig, schüttelte aber den Kopf.

„Leon würde so etwas niemals tun, Chief", sage Tina verzweifelt. Die sonst so taffe Frau schien fast vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen.
„Ich kenn meinen Bruder. Das war er nicht. Auch wenn zur Zeit die Beweise noch etwas anderes sagen, er war es nicht!"
„Und wo ist er dann? Er ist doch bestimmt untergetaucht", rief Jack lauter. „Seine Fingerabdrücke waren auf der Tatwaffe, egal ob es seine ist oder nicht."

„Hören Sie, das alleine reicht nicht aus, um ihn zu verurteilen. Wir wissen doch nicht wie seine Fingerabdrücke dort hingelangt sind. Ich gehe eher davon aus, dass man ihm das anhängen will", kam es von Alex immer noch zerknirscht.

„So leid es mir tut, aber bei Leon's Ruf in der Stadt, und du weißt genau was ich meine, wird man ihn sehr schnell verurteilen. Es sei denn, er kann sich einen super tollen Anwalt leisten, der ihn da raus holt. So weit ich weiß, habt ihr das Geld nicht. Ein vom Staat gestellter Anwalt, wird ihn niemals da raus holen. Dafür ist das Verbrechen zu schwer und die Beweise zu eindeutig. An seiner Stelle würde ich mich sehr gut verstecken. Andernfalls ist es mit seiner Freiheit vorbei."

Nun war Shirleys Hoffnung gänzlich geplatzt. Wie sollten sie erklären, dass die Beweise getürkt waren?
Jack wandte sich zu seiner schweigsam gewordenen Tochter, die abwesend Löcher in den Boden starrte und noch immer nicht glauben konnte, das Leon ein Mörder war.
„Ich möchte dich nach Hause bringen, Shirley. Du wirst nicht länger Teil von den Rox sein. Das ist kein Umgang für dich. Womöglich endest du noch genauso wie sie."

„Bitte was?", fragte Alex beleidigt und machte sich groß. Tina hielt ihn auf, indem sie ihre Hände auf seine Brust legte und sich vor ihn stellte, ansonsten hätte Alex eine Dummheit begangen. Noch war Shirley's Vater im Dienst. Einen Polizisten anzugreifen oder zu beleidigen, konnte ebenfalls böse enden. Mit diesem Wissen beruhigte sich Alex wieder und ließ Jack einfach stehen. Wütend setzte er sich in den Mustang und beobachtete die anderen nur durch den Seitenspiegel des Cabriolets.

„Ich werde nicht mit dir gehen. Es ist mein Leben und deshalb entscheide ich mit wem ich gehe. Wir werden nach Leon suchen. Mach du nur weiter deine Arbeit, Jack."
Mit diesen Worten ließ auch Shirley ihren Vater stehen und zog Tina mit sich zum Mustang.

„Wir müssen Leon unbedingt vor der Polizei finden, sonst ist er verloren", machte Tina unmissverständlich klar. Sie warf noch einen Blick über die Schulter zu den vielen Polizisten, die eifrig den Tatort untersuchten.
Jack rief ihnen noch etwas hinterher, doch das nahm Shirley gar nicht mehr war. Sie hatte nur noch eine Sache im Kopf: Leon zu finden!

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