3. Kapitel - Schicksal

Mit einem Blinzeln öffne ich meine Augen- um sie direkt wieder zu schließen, es ist viel zu hell. Und ich bin in Essen, was ich gegen das Klischee sofort weiß. Von wegen umsehen und verwirrt sein, wo man denn ist. Bei mir ist es jedenfalls nicht so.

Noch mal öffne ich meine Augen vorsichtig und warte, bis sie sich an da Licht gewöhnt haben. Die Sonne scheint von draußen genau durch die Glasscheibe in mein Zimmer. Logisch, es ist morgens und die Fenster zeigen Richtung Osten, wo bekanntlich die Sonne aufgeht. Unpraktisch, wirklich. Und es heißt wohl, dass ich ab jetzt die Rollladen runtermachen sollte, wenn ich nicht von der Sonne geweckt werden will. In Magdeburg war das besser.

Allerdings ändert alles nichts an der Tatsache, dass es offensichtlich noch ziemlich früh ist und ich wach bin, obwohl ich den Schlaf dringend nötig habe.

Seufzend setze ich mich aufrecht, sodass sich zwischen der Wand und mir mein Kissen befindet und beschließe, die Zeit mehr oder weniger produktiv zu nutzen. Meines Wissens nach, kommt meine Mutter erst mittags wieder, falls sie überhaupt schon weg ist, sie will noch einkaufen und sich umschauen oder so. Und mein Vater ist eh den ganzen Tag weg. Wegen seiner Arbeit, dem Grund, weswegen ich hier bin.

Ich nehme mein Handy- der wohl weniger produktive Teil des Morgens- und gehe auf WhatsApp. Mareike hat mir noch nicht geantwortet, komisch. Wobei, sie hat heute Schule, also doch nicht so komisch. Von meinen anderen Freunden gibt es auch nichts neues, also gehe ich in meine Kontaktliste, einfach aus Langeweile und schaue mir Profilbilder an. Langeweile kann man es eigentlich auch nicht nennen, ich drücke mich eher vor meinen Aufgaben, in diesem Fall vor dem Video, weil ich mich dafür noch umziehen und fertig machen müsste.

Während ich meine Kontakte durchscrolle, muss ich unwillkürlich an Lukas denken. Er hat sein Profilbild geändert. Nicht jetzt, schon vor ein paar Wochen. Nicht mehr wir beide, wie wir uns küssen, nicht mehr wir beide, wie wir uns lieben. Ich sollte mir keine Gedanken über so etwas machen. Es ist aus. Zuende. Und ich kann nichts daran ändern, trotzdem macht es mich wieder traurig und ein bisschen wütend. Ich vermisse Lukas.

Immerhin ist Mareike's Profilbild noch das gleiche. Immerhin eine gewohnte Sache.

Mit einem Kopfschütteln- um ein paar lästige Gedanken zu vertreiben- lege ich mein Handy weg. Jetzt kommt der produktivere Teil: Der Vlog. Eine Viertelstunde später habe ich mich ins Badezimmer gezwungen, entschieden, dass ich lieber heute abend dusche und mich angezogen. Meinen hellbraunen Pullover und eine normale Jeans. Dann noch etwas Mascara und mehr nicht. Ich bin schließlich keine Beauty-YouTuberin.

Und schon nehme ich meine Kamera und fange an, die Abmoderation zu drehen. Ich brauche zwei Versuche, einmal verspreche ich mich, beim zweiten Mal bin ich zufrieden. Gut, wäre das auch erledigt. Nur noch Schneiden, rendern und hochladen. Während der Autofahrt habe ich auch schon ein paar Szenen gefilmt, die ich für das Video verwenden will, das Material habe ich.

Aber bevor ich mich an das Video setze, will ich erst mal essen, langsam merke ich, dass ich echt Hunger habe. Die Treppen nach unten gegangen, bemerke ich mit einem Grinsen, dass meine Mutter mir schon einen Teller und Besteck hingelegt hat. Der Aufschnitt liegt daneben, mit einem Glas Orangensaft.

Ich werfe noch einen Blick in den Kühlschrank, aber der ist bis auf eine Wasserflasche fast leer. Also nehme ich mir nur zwei Toasts, stecke sie in den Toaster und warte, bis sie fertig sind.

Nachdem ich mit dem Frühstücken fertig bin, verschwinde ich wieder in meinem Zimmer, die Arbeit ruft. Naja.

Die Ausschnitte aus dem Auto unterlege ich mit Musik, dann die Begrüßung, bei dem Material vom Kartons auspacken, erhöhe ich die Geschwindigkeit. Erheblich erhöhen, ich komme von über zwei einhalb Stunden auf anderthalb Minuten. Ich glaube, das ist eine passende Zeit, denn ich bezweifele stark, dass sich das jemand komplett anschauen würde, wenn es noch eine Minute länger gehen würde.

Aber ich muss sagen, dass das schon lustig aussieht, wie der Raum so schnell 'Form' annimmt und ich mich in einer sehr schnellen Geschwindigkeit von einer Seite zur anderen bewege. Da könnte ich fast Flash Konkurrenz machen.

Mit dem Endergebnis bin ich auch zufrieden, der Vlog ist eine gute Zusammenfassung und viel besser hätte ich das auch nicht hinbekommen können.

Nur das Kabelwirrwarr rund um meinen Schreibtisch stört mich, auch wenn das wichtigste funktioniert, was an sich schon ein Wunder ist, steige ich schon jetzt nicht mehr durch, welche Kabel wozu gehören, das muss ich echt noch ändern. Aber ich bin ja noch nicht mal einen Tag hier, ich muss eh noch viel ändern, bis mein Zimmer fertig ist.

Gerade kümmere ich mich um mein Titelbild für das Video, als ich aus den Augenwinkeln bemerke, wie jemand auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlang geht. Und als ich auch noch sehe, dass die Person einen Hund an der Leine hat, ist mein Interesse geweckt. Ich lehne mich nach links, um einen besseren Blick auf die Straße zu bekommen. Warte. Die Jacke kenne ich doch irgendwoher! Manuel!

Ja, ich bin mir sicher, das muss er sein, die Jacke hatte er schon gestern an. Lustiger Zufall, so sieht man sich wieder. Beziehungsweise nur ich ihn, denn er schaut nicht in meine Richtung.

Ich grinse, fasse schnell einen Entschluss und mache das Fenster auf. "Manuuu!"

Die Person, aka Manuel, bleibt stehen und sieht sich verwundert um. Ich schaffe es nicht, mir ein Lachen zu verkneifen, dann winke ich ihm zu, komme mir dabei schon fast etwas lächerlich vor, aber erziele damit, dass Manuel mich sieht und ebenfalls winkt.

"Melliiii!", macht er meine Begrüßung nach.

"Warte ganz kurz, ich komme runter." So viel zum Vlog, aber den vergesse ich in dem Moment einfach, wenn ich mittags wiederkomme, schaffe ich den noch bis zum Nachmittag und das reicht.

Bevor Manu antworten kann, habe ich das Fenster wieder geschlossen.

Irgendwie kann ich es immer noch nicht glauben, dass ich ihn so einfach  wiedergetroffen habe. Klar, er wohnt in der Nähe und da er scheinbar  einen Hund hat, muss er mit diesem wohl auch jeden Tag Gassi gehen. Trotzdem, dass wir  so schnell wieder aufeinandertreffen, nach nicht einmal einem Tag, ist schon merkwürdig. Wer weiß, welche Rolle das Schicksal da spielt, auch wenn ich nicht an so etwas glaube.

Über meine Gedanken grinsend, schnappe ich meine Jacke, die noch auf dem Bett lag, und flitze die Treppen nach unten. Den Schlüssel stecke ich in meine Jackentasche und schlüpfe dann in meine Schuhe, die ich mehr oder   weniger zu schnüre.

Ich öffne die Tür und gehe, nachdem ich sie hinter mir zugezogen habe, zu Manuel, der sich nicht vom Fleck bewegt hat.

"Hey.",  begrüße ich ihn noch einmal richtig und werfe einen Blick auf den  kleinen, schwarzen Hund, der neugierig den Boden beschnuppert.

"Na Melanie.", antwortet dieser und lacht im nächsten Moment los. Ich bin mir nicht sicher, ob das an meinem ziemlich dummen Gesichtsausdruck liegt, oder, ob er sich nur über seinen eigenen 'Witz' amüsiert hat. Ich tippe auf ersteres.

"Sag das nicht nochmal!", warne ich ihn und versuche, so ernst wie möglich zu  schauen, in dieser Situation ist Ernsthaftigkeit nur leider unmöglich  und so lache ich mit.

"Ok, tut mir leid, Melissa.", meint Manu dann und betont das 'Melissa' dabei.

"Danke." Ich ringe mir ein Lächeln ab, da ich ja eigentlich immer noch wütend  bin. Oder auch nicht. Eher nicht, wie könnte ich so auch wütend sein. Manu teilt genau meinen Humor, das ist schon mal die halbe Miete, würde ich sagen.

"Und hier ist euer Haus."

"Ja, genau. Unser neues Haus.

"Sieht doch nicht schlecht aus." Ich will sagen, dass ich das auch nie behauptete hätte, folge aber stattdessen Manuel's Blick zur oberen Etage. Außerdem hat er recht, unser Haus hier sieht nicht schlecht aus. Aber auch nicht besonders, im Wohngebiet hier habe ich schon mindestens drei Häuser gesehen, die fast aussehen, wie unseres und ich habe noch nicht viel in der Gegend gesehen. Man könnte also sagen, es ist ein komplett normales Haus, ziemlich groß und schlicht. Mein Problem ist eher, dass es nicht das Haus ist, in dem ich aufgewachsen bin.

Mit dem Beton und dem Holz verbinde ich rein gar nichts, keine Kindheitserinnerung, nichts. Es erfüllt seinen Zweck als Haus und das war auch schon alles. Vielleicht kommt das mit der Zeit noch, doch ich bezweifele, dass ich mich daran gewöhnen will. Ein Teil von mir- ein Großer sogar- sträubt sich immer noch gegen den Umzug. Obwohl wir schon hier sind und es nicht mehr zu ändern ist.

Ich seufze und mir fällt ein, dass ich Manuel noch etwas fragen wollte. Wobei es  mittlerweile zwei Fragen sind: "Wie alt bist du eigentlich? Und was machst du hier?"

Manuel lächelt nur und lässt sich Zeit mit einer  Antwort. Während er so vor sich hin lächelt, zieht er den kleinen Hund  wieder etwas zu sich, der sich daraufhin widerwillig von dem Grashalm, mit dem er beschäftigt war, abwendet und zu Manu trottet. Süß.

"Ich bin zweiundzwanzig.", beantwortet er mir endlich Frage Nummer eins. Also geht er nicht mehr zur Schule, schließlich ist er fünf Jahre älter als ich. Das ist interessant. Und wirft mir gleich weitere Fragen auf.  Wenn er nicht mehr zur Schule geht,  macht er irgendetwas anderes.  Vielleicht studiert er. 

"Meine Mutter hat mich sozusagen gezwungen nach draußen zu gehen."

"Gezwungen?", hake ich nach und runzele die Stirn.

"Naja. Ich bin nicht so oft draußen, deswegen.", weicht er meiner Frage aus. Ich finde nicht, dass das eine Antwort ist. Definitiv keine, mit der ich  mich zufrieden geben werde. Ich nicke trotzdem langsam, ich werde später noch mal nachfragen. Vielleicht  bekomme ich dann eine etwas  genauere Antwort.

"Wie alt bist du denn? Ich schätze mal, du bist noch in der Schule?"

"Siebzehn."

"Also gehst du noch zur Schule.", stellt Manuel fest und nickt.

"Stimmt genau."

Manuel deutet zu den dunklen Wolken über uns und meint: "Ich glaube, es wird gleich noch regnen, wenn du Lust hast, können wir noch kurz zu mir gehen und uns unterhalten oder so."

Ich überlege kurz und nicke dann. Klingt gut und ich würde gerne mehr über ihn erfahren, warum nicht.

"Gut, ist direkt hier um die Ecke." Manuel lächelt und macht eine Handbewegung, die mir wohl verdeutlichen soll, in welche Richtung wir gehen müssen.

Da ist er wieder, unser Manuel :D

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