Tag 1591 - Beruhigungsmittel

Heute war endlich der Tag, an dem uns Izana in Empfang nehmen würde und ich hatte nichts besseres zu tun, als über der Kloschüssel zu hocken, weil ich mir die Seele aus dem Leib kotzte. Doch nicht weil ich auf einmal mit einer Grippe zu kämpfen hatte und auch nicht weil ich etwas falsches gegessen hatte, sondern weil ich so abartig nervös war.
Das schlimmste jedoch daran war, dass ich seit vorgestern kaum was zu mir nehmen konnte, weil ich viel zu aufgeregt war und jetzt deshalb beinah an meiner eigenen Galle erstickte.

"Vielleicht sollten wir den Termin mit Izana verschieben" ,schlug mein bester Freund vor, welcher im Türrahmen - meines am Schlafzimmer grenzenden Badezimmers, stand und auf meine am Boden kauernde Gestalt blickte.
"Nein!" ,presste ich mühsam hervor, während ich mich an der Klobrille in die Höhe stämmte, "wir fahren!"
"Mikey, ich glaube nicht das du in der Ver-..." ,versuchte Ken-chin wieder mich von meinem Vorhaben abzubringen, als ich ihn das Wort zerschnitt.
"Ich sagte wir fahren! Ich muss mich doch nicht ständig wiederholen" ,fuhr ich ihn an, bevor ich an das Waschbecken trat und erst meine Hände und dann mein Gesicht wusch.
"Hast du es besorgt?" ,wollte ich anschließend von ihm wissen, als ich schon zur Zahnbürste griff.
"Ja, ich hab's dabei."

Mein Vize trat neben mich und stellte ein kleines Fläschchen neben mir ab. Es war ein relativ starkes Beruhigungsmittel, um welches ich einen unserer Ärzte gebeten hatte.
"Meinst du wirklich, dass dir das hilft?" ,harkte der Blondschopf nach, worauf ich jedoch nur mit den Schultern zucken konnte. Ich hatte noch keine Erfahrung mit dem Zeug, doch hatte ich auch keine Zeit mich groß rumzuprobieren. Es musste einfach helfen, damit ich meinen Lämmchen bei unseren Wiedersehen nicht direkt vor die Füße kotzte.
Dieser Gedanke machte mich beinah nervöser, als das Treffen selbst.

Seitdem wir meine Schwester befreit hatten, waren vier Tage vergangen, doch hatte sie nichts von sich hören lassen. Mein Vize hatte in der Nacht noch bei Kakucho um ein Treffen mit Izana gebeten, bei dem eigentlichen jedem klar war, dass wir in Wirklichkeit mein Mädchen treffen wollten. Doch hatte der König Tenjiku's - wie er sich selbst bezeichnete, angeblich kein früheres treffen für uns einrichten können.
Was für ein großer Schwachsinn! Bisher hatte der Pisser immer Zeit gefunden, sich mit seinen utopischen Plänen an mich zu wenden und jetzt sollte ich vier verschissene Tage warten...
Vier verschissene Tage in welchen meine Nervosität, bis ins unendliche wachsen konnte.

Ich hatte wahnsinnige Angst davor, wie sie reagieren würde.
Was sie sagen würde.
Welche Vorwürfe sie mir machen würde.
Ich hatte mir jedes nur erdenkliche Szenario in meinen Kopf ausgemalt. Fast keines davon verlief gut und wenn, war es mehr als unrealistisch. Niemals würde sie mir einfach um den Hals fallen und mir sagen, wie sehr sie mich vermisst hatte oder das sie mich noch liebte. Das wusste ich mit Sicherheit, doch gab es nichts was mich davon abhalten konnte, jetzt in meinen verschissene Wagen zu steigen, um zu ihr zu fahren.
Nichtmal das aller schrecklichste aller Szenarien.
Nichtmal das ich mir die Seele aus dem Leib kotzte.
Nichtmal das ich so sehr zitterte, dass ich die Flasche mit den Beruhigungstropfen kaum halten konnte.
Nichts und niemand würde mich davon abhalten, zu meinen Lämmchen zu fahren.
Ganz gleich was mich dort erwarten würde, es konnte nicht schmerzhafter sein, als diese Ungewissheit, was mit ihr geschehen war und diese Sehnsucht, die mich um den Verstand brachte.

Ich drehte den Deckel des Fläschchen's auf, entfernte die Kappe für die Dosierung, warf den Kopf in den Nacken und kippte mir die Hälfte des Inhalts in den Mund, ohne auf die Proteste meines besten Freundes zu achten.
"Oi, hast du ein Rad ab!?" ,pöbelte der Große mich an, als er mir das Fläschchen von den Lippen riss.
Doch ich trat nur um ihn herum, ohne groß auf ihn zu achten und lief zu meinen begehbaren Kleiderschrank, wo ich mir eine Anzughose, ein Hemd und ein Sakko schnappte. Mit storrischen Gesichtsausdruck sah Ken-chin mir dabei zu wie ich mich anzog.

Als ich mir die Schuhe überzog, musste ich jedoch kurz meine Augen schließen. Stöhnend griff ich mir an die Stirn.
"Tz... weil du es auch so übertreiben und dir gleich die halbe Flasche reinziehen musst" ,meinte mein bester Freund, mich belehren zu müssen. Warnend sah ich zu ihm und machte mich dann wieder daran meine Schuhe zu binden, als der Schwindel ein wenig nachgelassen hatte.
"Steh da nicht so blöd rum und mach mir die Haare" ,maulte ich ihn an, während ich meine Augen wieder schloss und den Kopf ein wenig in den Nacken fallen ließ.
Fluchend wandte Ken-chin sich ab und lief zum Bad, um keine fünf Sekunden später mit einer Haarbürste und einen Haargummi auf mich zu zukommen.

"Sehe ich gut so aus?" ,fragte ich meinen Vizen dann, als er fertig war und alles wieder an seinen Platz gebracht hatte. Einen Moment sah er mich mit einem - ist das dein ernst? Blick an, doch etwas in meiner Miene, muss ihn wohl zum einlenken gebracht haben.
"Ja... Ja, du siehst gut aus Mikey" ,meinte er dann ruhig, doch konnte ich das Mitgefühl in seiner Stimme stark heraus hören, ebenso wie das ungesagte, dass ich für meine momentanen Verhältnisse gut aussah.

Ich war zu dünn geworden.
Meine Muskeln kaum, bis gar nicht mehr vorhanden.
Die dunklen Ringe unter meinen Augen, zu ausgeprägt.
Meine Haut zu blass und fahl.
Meine Haare zu stumpf.
Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst. Als hätte man mir all mein Glück, all mein Licht geraubt.
Es war kein Strahlen mehr vorhanden.
Denn als mein Lämmchen ging, hat sie all mein Glück, all mein Licht, all mein Strahlen mitgenommen und nur sie - einzige allein sie, konnte es mir wieder bringen.

Doch das ich dies wiederbekommen würde, hing an einen seidenen Faden und es war mehr als fraglich, das dieser poröse Faden halten würde.
Dennoch klammerte ich mich mit aller Kraft an diesen.
Setzte alles was ich hatte, darauf das er hielt, denn ich wusste wenn er nicht halten würde, ich in den Abgrund fiel. Es gab für mich kein entrinnen. Entweder hielt er oder ich würde diesen Sturz nicht überleben.

Ich nickte, ohne meinen besten Freund richtig anzusehen, bevor ich mich in Bewegung setzte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich musste immer wieder kurz innehalten, wenn mich wieder Schwindel überkam. Doch jedesmal wenn Ken-chin seine Hilfe anbot, wies ich ihn ab und lief weiter. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis ich endlich aus dem Haus, hinaus zum Wagen trat, vor welchem meine Schwester stand. Lächelnd sah sie mir entgegen und als ich vor ihr hielt, Griff sie nach dem Kragen meines Sakkos.
"Du siehst sehr gut aus" ,kam es sanft von ihr, worauf sie mir ein Kuss auf die Wange hauchte. Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe, nickte dann aber einfach und stieg dann hinten ein.

In diesen Fahrzeug fuhren nur Emma, Ken-chin und ich mit. Die anderen würden mit ihren eigenen Auto's - zum Teil vor und zum Teil hinter uns, nach Yokohama fahren. Als mein bester Freund und meine kleine Schwester vorne einstiegen, ließ ich meinen Kopf gegen die kühle Glasscheibe sinken und sah in den Sonnenuntergang. Die Fahrt zum Anwesen Tenjiku's, würde nicht lange dauern, doch solangsam merkte ich neben den leichten Schwindel, auch endlich die Wirkung des Beruhigungsmittels. Mir wurde nicht mehr schlecht, das Zittern ließ stark nach und meine Hände schwitzten auch nicht mehr so wiederlich. Doch als das Hochhaus in Sicht kam - welches Izana sein eigen nannte, begann dennoch wieder mein Herz zu rasen.

Das Gebäude in welchen die hochrangigen Mitglieder Tenjiku's residierten, lag inmitten Yokohama's und bot mit seiner beachtlichen Größe, einen gewaltigen Ausblick über die Stadt. Das Hochhaus, war das komplette Gegenteil von dem was Toman sich geschaffen hatte und ich konnte nicht umhin darüber nachzudenken, ob meinen Lämmchen dies besser gefiel, als ein im Vergleich kleines Häuschen am Rande der Stadt.
Wollte sie lieber direkt in der Stadt leben? Wollte sie all diesen Prunk?
Früher hatte sie von einen kleinen Haus in einem ruhigen Gebiet geträumt, wo die Kinder noch auf der Straße spielen konnten... War dem heutzutage nicht mehr so?
War das was ich geschaffen hatte, genau das Gegenteil von dem was sie jetzt wollte?

All diese Gedanken spukten in meinen Kopf herum, als ich zu den vollverspiegelten Fensterscheiben des Gebäudes empor blickte. Es war hochmodern und schrie gerade zu vor Reichtum, Macht und Presstisch. Mit großen Buchstaben leuchtete "Kingdom T. Group" ,an der Steinfassade vor dem Gebäude, welches einen kleinen Vorgarten zierte.
Vor der Einfahrt zum unterirdischen Parkhaus, würden wir kontrolliert bevor wir einfahren durften, doch war dies ein Prozess welcher uns geläufig war und selbst bei uns praktiziert wurde, weshalb mich das herzlich wenig kümmerte.
Ganz anders ging es mir jedoch mit meinen Erscheinungsbild. Jetzt da wir kurz davor waren, schoss doch wieder die Nervosität hervor. Auch wenn nicht ganz so heftig wie zuvor.

"Ken-chin, mein Mittel" ,forderte ich ihn auf, während ich an meinem Hemd und Sakko zupfte.
"Nein" ,kam es jedoch ungerührt von dem am Lenkrad sitzenden, als er auf einen Parkplatz zusteuerte. Verdutzt sah ich zu ihm.
"Hab ich mich etwa verhört? Mein Mittel, Ken-chin!" ,entfuhr es mir streng, wobei ich jedoch hektisch meine Strähnen zurück strich.
"Du siehst gut aus, Mikey" ,meinte meine Schwester dann dazwischen zu sabbeln. Tief atmete ich ein, als ich nochmal warnend den Namen des Riesen aussprach.
"Nein Mikey! Du hast die halbe Flasche gesoffen, obwohl Dr. Kawou meinte höchstens fünfzehn Tropfen, alle vier Stunden. Ich gebe dir das Zeug nicht!" ,kam es Rüge von ihm. Meine Schwester schlug erschrocken die Hand vor dem Mund.
"Mikey" ,drang es gequält und dumpf, hinter ihrer Hand, doch stand mir nicht der Sinn danach, darauf einzugehen.

"Ken-chin ich warne dich!" ,zischte ich ihn an, während meine Schwester ihr Handy aus ihrer Handtasche fischte und wie wild eine Nummer heraus suchte. Wahrscheinlich die von Dr. Kawou.
Die Tür an meiner Seite wurde aufgezogen und Chifuyu steckte seinen Kopf in das innere des Wagens.
"Na kommt ihr jetzt Mal oder habt ihr vor hier drin noch eine Party zu veranstalten, denn dann bin ich auch mit dabei" ,wollte der grünäugige vorwitzig von uns wissen, während meine Schwester aufgebracht mit dem Arzt sprach und mein ehemaliger bester Freund ihr sogar erzählte, dass ich kotzend über der Kloschüssel hing und mir immer wieder schwindelig wurde. Verdattert sah Chifuyu zu den beiden Vordersitzen, als ich mich knurrend vor stützte und in Ken-chin's Sakkotasche griff.

"Oi!" ,fauchte der tattoowierte und umklammerte mein Handgelenk.
"Wou..." ,machte Chifuyu und zog seinen Kopf schnell wieder aus dem Innenraum, ehe er zwei Schritte zurück machte und ich mit meinem Vize zu rangeln anfing, "also das hatte ich nicht unbedingt mit Party gemeint."
Verwünschungen flogen umher, während wir die Rauferei auf die Rückbank verlegten. Ich verpasste Ken-chin einen Tritt in den Magen, sodass er mit dem Oberkörper zwischen den Fahrer- und Beifahrersitz landete, doch gerade als er sich laut brüllend auf mich stürzte griff Emma ein.

"Kenny, gib ihm das verdammte Mittel. Der Arzt sagt es ist okay" ,rief sie ihn leicht panisch zu, sodass Ken-chin erstmal verwundert zu ihr blickte, wobei unsere Fäuste noch erhoben in der Luft hingen, bereit den Schlag auszuführen, sollte es doch zu weiteren Unstimmigkeiten kommen. Doch während er meine Schwester blöde anglotzte, griff ich schon in seine Tasche und holte das Fläschen hervor.
"Das kann nicht dein Ernst sein!?" ,fragte er meine Schwester fassungslos, als ich schon die Flasche aufdrehte und exte.
"Oi!!!" ,pöbelte Ken-chin, doch da hatte ich schon den kompletten Inhalt geschluckt, "das kann doch nicht wahr sein!"
Emma legte ihn die Hand auf die Schulter, während ich ihn triumphierend angrinste und mich aufraffte.

"Es ist wirklich okay" ,versuchte meine Schwester ihn zu besänftigen.
"Ja genau, es ist wirklich okay" ,meinte ich immer noch leicht grinsend zu ihm, als ich meine Hand zum Griff der Autotür ausstreckte, nur um dann festzustellen das sie schon geöffnet dastand. Bei dem ganzen Gerangel, hatte ich vergessen das Chifuyu diese schon geöffnet hatte - welcher nun mit einem amüsierten Ausdruck, auf dem Boden hockend zu uns herüber sah. Anscheind hatte er sich das Schauspiel aus sicherer Entfernung angesehen und nicht nur er, auch die anderen standen in ähnlichen Positionen da und sahen zu uns herein.
Augenverdrehend stieg ich aus dem Wagen, während mein Vize und meine Schwester weiter über etwas diskutierten, dass eh nicht mehr umkehrbar war.

"Shit" ,fluchte ich, als ich an mir herunter sah. Schnell versuchte ich zu retten, was zu retten war. Durch die Rangelei, war mein Outfit ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden.
"Fuck man!" ,entfuhr es mir aufgebracht, als ich sah das mir zwei Knöpfe fehlten. Doch trat Yuzuha schnell an meine Seite und bat Takashi, dass Nähgarn aus ihrem Wagen zu holen, während sie mein Hemd aufknöpfte und mich bat es kurz auszuziehen. Der silberhaarige holte zwei kleine schwarze Knöpfe, sowie Nadel und Faden hervor, ehe er mir das Hemd abnahm.
"Geht schneller, als die Knöpfe zu suchen" ,meinte er, als er begann diese mit schnellen präzisen stichen, anzunähen.

Es war manchmal wirklich praktisch, Freunde mit näh Fähigkeiten zu haben... ,dachte ich schmunzelnd, als Ken-chin mit Emma aus dem Wagen trat. Mein Vize kam zu uns und hielt sich den Bauch, als Takashi mir das Hemd wieder gab.
Schnell schlüpfte ich hinein und fragte dann Yuzuha ob alles wieder gut aussah, ehe ich mich an meinen besten Freund wandte.
"Stell dich nicht so an. So fest habe ich gar nicht zugetreten" ,maulte ich, als ich nochmal an den Ärmel meines Sakkos zupfte. Der tattoowierte Riese, bedachte mich jedoch nur mit einen abschätzigen Blick.
"Echt. Ich habe wirklich nicht doll zugetreten und außerdem hättest du mir die Flasche auch gleich geben können, dann hättest du dir das erspart" ,versuchte ich mich weiter zu rechtfertigen. Doch es stimmte auch, dass ich nicht Mal ansatzweise mit voller Kraft zugetreten hatte. Das tat ich nie bei meinen Freunden, auch wenn sie es manchmal verdient hätten.

Kopfschüttelnd lief Ken-chin an mir vorbei.
"Ernsthaft und das alles für so ein blödes Placebo. Das hätte mir dieser Trottel von Arzt auch gleich sagen können" ,maulte mein Vize, während er voraus ging. Schockiert klappte mir der Mund auf.
"Was? Wie?" ,kam es mir fassungslos über die Lippen, "was meinst du mit
Placebo?" ,ich beschleunigte meine Schritte um neben ihn zu laufen, "Oi, Ken-chin! Was zur Hölle... Das war nur ein Placebo?"
Ich konnte es nicht fassen und blieb wie belämmert stehen, doch als Chifuyu und Pah vorbei liefen, hörte ich sie leise darüber lachten.
"Echt, Sue ist noch gar nicht wirklich da und schon holt sie unseren alten Mikey zurück" ,meinte Pah erheitert.

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