Kapitel 37
,,Starr mich nicht so an!"
Ich spüre wie mir die Hitze in den Kopf schießt, was ich allein Lukes intensivem Blick zu verdanken habe, den er stur auf mich gerichtet hält. Seine dunklen Augen leuchten mir warm entgegen, sie hüllen mich in Geborgenheit und geben mir das Gefühl, dass alles gut ist. Wenn er bei mir ist, ist alles gut. Wenn er bei mir ist fühle ich mich sicher.
Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf seine sanften Lippen und lässt ebenfalls eines auf meinen enstehen. Ich werde niemals auch nur ansatzweise beschreiben können, wie sehr ich ihn liebe, wie sehr ich ihn brauche und wie sehr ich ihn vermissen werde.
,,Ich mag es aber dich anzuschauen. Wenn du den wunderschönsten Anblick der Welt zu Augen bekommen würdest, würdest du dann wegschauen?"
,,Nein, aber ich würde es gruselig finden, dich jede einzelne Sekunde anzuschauen." In meiner Stimme schwingt ein ironischer und belustigter Ton mit, nie im Leben würde ich etwas derartiges ernsthaft sagen, auch wenn es in gewisser Weise wahr ist.
Er wendet immer noch nicht seinen Blick von mir ab und betrachtet mich weiterhin still, sodass ich es ihm gleich tue. Meine Augen fahren über seine markanten Wangenknochen, über sein schiefes Grinsen, seine dunklen, weichen Haare, die ihm wie immer unordentlich in die Stirn hängen und wieder hin zu seinen atemberaubenden Augen.
Weitere Minuten vergehen, in denen wir unseren Augenkontakt nicht abbrechen, bis Picasso sich seinem Skizzenbuch zuwendet und den Stift auf dem Papier aufsetzt. Er sitzt am anderen Ende des Bettes, weswegen ich nicht sehen kann was er gerade zeichnet, während ich am anderen Ende liege und wie immer mit meiner Müdigkeit zu kämpfen habe.
Aber ich will nicht schlafen. Ich will nicht die Augen schließen und sie von der Liebe meines Lebens abwenden, weil ich nicht weiß, ob ich sie überhaupt wieder öffnen werde. Ich will diesen Augenblick, diesen Tag mit ihm genießen und einfach seine Anwesenheit spüren. Seine Stimme hören, seine rauen Hände auf meinen Wangen und seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren.
Heute ist etwas anders, ich kann es deutlich spüren. Ich kann spüren, dass es Zeit für den Abschied wird.
,,Ich liebe dich."
Luke schaut breit lächelnd von seinem Buch auf und schaut mich erneut für einige Sekunden einfach nur an, als würde er sich alles an mir ganz genau einprägen, bevor es zu spät sein könnte und die Erinnerung an mein Gesicht Stück für Stück verblasst. Ich liebe ihn so sehr.
,,Ich liebe dich, Kitty. Mehr als du dir vorstellen kannst. Und das wird sich auch niemals ändern."
Tränen sammeln sich in meinen Augen, doch ich blinzle sie wieder weg. Es gibt keinen Grund zu weinen. Keinen Grund traurig zu sein, denn es wird alles gut werden.
Er setzt den Stift erneut auf das Papier auf, zieht einige Striche und betrachtet mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck seine offenbar fertige Zeichnung.
,,Zeig mal."
Luke legt den Bleistift beiseite und hält mir die aufgeschlagene Seite entgegen.
Erneut eine Zeichnung von mir, wie ich momentan hier liege, nur wie immer viel schöner und anmutiger. Die Schraffierungen sind großartig ausgearbeitet und lassen das Bild lebendiger wirken als ich es in Wahrheit bin.
,,Es ist toll. Danke."
Ich schenke ihm ein liebevolles Lächeln, während er das Porträt beiseite legt, zu mir hochkrabelt und sich sitzend an der Wand anlehnt. Auch ich setzte mich so gut es geht auf und schmiege mich an seinen warmen Körper. Luke drückt mir einen sanften Kuss auf den Scheitel, woraufhin er seinen Kopf auf meinen ablegt.
Wir sitzen still aneinander gelehnt auf meinem Bett und genießen den Moment, ungewiss wie viele wir von diesen noch haben werden.
Meine Zimmertür öffnet sich und kurz darauf kommen meine Eltern mit Verpflegung hinein.
,,Wir dachten, wir bringen euch mal ein bisschen was hoch."
Ich habe keinen Hunger, den habe ich mittlerweile so gut wie nie, doch ich nehme meinen Eltern zu Liebe einen der Kekse, beiße hinein und würge ihn irgendwie hinunter. Früher liebte ich diese Kekse.
,,Kommt mal her."
Sie kommen sichtlich verwirrt zu mir, woraufhin ich meine Arme fest um beide schlinge. Ich atme tief ihren Geruch ein, schließe die Augen und versuche mich ausschließlich aufs Atmen und auf diese zwei geliebten Menschen, die mir das Leben geschenkt haben und jetzt zusehen müssen wie es mir wieder genommen wird, zu konzentrieren.
,,Ich hab euch lieb. So sehr."
Ich flüstere ihnen meine Botschaft zu und hoffe, dass sie immer dran denken werden.
,,Wir dich auch, Schatz. Wir freuen uns schon auf den Urlaub."
Die geplante Abreise ist übermorgen, doch ob der Plan aufgeht ist die andere Sache.
Als wir uns voneinander lösen stehen Mama schon wieder die Tränen in den Augen, während Papas Gesichtsausdruck ebenfalls schmerzlich verzogen ist. Sie lassen ihren Blick noch einige Zeit auf mir Ruhen bis sie sich abwenden und das Zimmer verlassen wollen.
,,Wir lassen euch dann mal alleine."
Ich lausche ihrer zittrigen Stimme und muss an das ganze Leid denken, dass sie durch mich erfahren mussten, das aber bald ein Ende haben wird. Vielleicht war das hier das letzte Mal, dass ich ihre Stimmen hören und ihre Berührungen und ihre Liebe zu mir spüren konnte.
Die Tür schließt sich wieder, doch meine Augen bleiben noch an ihr haften. Ich hoffe, dass sie es schaffen mich loszulassen. Dass sie es schaffen weiter zu machen.
Ich bin so dankbar für all die Augenblicke, die ich erleben durfte, dass ich Menschen um mich habe, die mich lieben und dass ich das Privileg habe dieses Leben gelebt zu haben. Und wenn ich nun an meine Krankheit denke, denke ich nicht mehr an die Schmerzen und das Leid, sondern an die hell leuchtende Zukunft und dass ich sonst nie Luke, das Licht meines Lebens, kennengelernt hätte. Dass ich noch blind vor mich her leben würde.
Maja, Finn und Oma werden mir so unheimlich fehlen. Und ich bedaure es den kleinen Engel nicht persönlich zu Gesicht bekommen zu können, doch mir kann nicht jeder Wunsch erfüllt werden.
Ich wende mich Luke zu und lege meinen Kopf auf seinen Schoß. Er verschränkt seine Hand mit meiner und streicht mir mit seiner anderen sanft durch meine Haare. Wir schauen uns tief in die Augen, darauf bedacht jedes noch so kleine Detail des anderen aufzusaugen. Picasso beugt sich kurz zu mir herunter und legt seine Lippen sanft auf meine.
Ich weiß nicht, was ich ohne ihn getan hätte, was ich ohne ihn tun würde. Er ist mein Lebenselexier, mein Fels in stürmischer See und mein Ruhepol. Und ich werde ihm nie all das zurück geben können, was er mir geschenkt hat. Ich hoffe, dass er mir verzeihen kann. Dass er mir verzeihen kann, dass ich gehen muss, dass er mir verzeihen kann, dass ich so egoistsich war und ihn hierbehalten habe.
Er ist meine große Liebe. Und wie er das ist.
Ich habe alles nötige erledigt. Hinterlassen, was hinterlassen werden muss. Es ist Zeit zu gehen, ich spüre es. Es wird nicht vorbei sein, es fängt gerade erst an. Ein neuer Abschnitt, für jeden Einzelnen von uns und ich bin gespannt was er bereithält.
Die Sterne über mir leuchten hell und ich bin bereit ihnen Gesellschaft zu leisten. Bin bereit loszulassen, mich fallen zu lassen. Neue Weiten zu entdecken und eine größere Unendlichkeit zu spüren.
,,Du bist der großartigste Mensch, der mir je begegnet ist, behalte das immer Kopf. Und vergiss nicht wie sehr ich dich liebe."
Ich schaue das letzte Mal sein wunderschönes Gesicht an, auf dem sich ein trauriges Lächeln abbildet. Schaue in seine wunderschönen braunen Augen, die mich gerettet haben. Die mich nie allein gelassen haben, die immer bei mir waren, während sich meine langsam schließen.
Das Meer, in dem ich mich schon so lange versuche über Wasser zu halten, wird ruhig. Ich lasse komplett los, entspanne mich und lasse es einfach passieren. Alles wird gut werden.
Mein Atem wird immer ruhiger, meine Gesichtszüge entspannen sich, doch das leichte Lächeln verschwindet nicht. Besser könnte es nicht geschehen. Nirgends lieber würde ich meine Augen für immer schließen als hier direkt bei Luke.
Das letzte Sandkorn rinnt durch die Uhr, trifft auf dem Boden auf und signalisiert mir, dass meine Zeit abgelaufen ist. Dass der Abschied vor dem großen Wiedersehen gekommen ist.
Ich bin bereit.
Ich versinke im Meer des Lebens.
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