Kapitel 31


„Und du willst das wirklich durchziehen?"

Luke wendet seinen skeptischen, wenn nicht sogar ängstlichen Blick von der Straße ab und wendet diesen für einen kurzen Moment zu mir. Er fährt sich nervös mit einer Hand durch seine Haare, was er seit Beginn der Fahrt öfters macht und mich verrückt werden lässt.

„Klar, aber ich glaube du hast Schiss in der Hose."

Ich grinse ihn neckend an, während Picasso nur mit den Augen rollt.

„Niemals."

Mir ist bewusst, dass er lügt, denn so nervös wie er ist, würde es mich nicht wundern, wenn er sich wirklich in die Hose macht. Seitdem ich den Termin bei dem Tattoostudio hier in der Nähe vereinbart hatte, lag er mir jeden Tag in den Ohren, ob ich mir denn auch ganz sicher wäre.

Ich persönlich bin mir sicher, aber Luke würde, nachdem er mir versprochen hat sich ebenfalls ein Tattoo stechen zu lassen, niemals einen Rückzieher machen, solange ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen will.

Glücklicherweise wurde ich tatsächlich wenige Tage nach Finns und Majas Besuch entlassen und seitdem rennt die Zeit nur so an mir vorbei.

Die Feiertage haben Luke und ich gemeinsam mit unseren Familien zusammen verbracht, die viel zu schnell wieder vorbei waren und dann stand auch schon das neue Jahr vor der Tür, in das Maja, Finn, Luke und ich zusammen hineingefeiert haben. Beziehungsweise war ich eingeschlafen und hatte deswegen das Feuerwerk verpasst.

Vorsätze gibt es für dieses Jahr keine, außer, dass ich einfach nur mein restliches Leben leben will. Zudem werden Vorsätze meist nie eingehalten und sind lediglich dazu da das eigene Gewissen zu beruhigen und sich im Nachhinein damit abzuspeisen, dass man es ja versucht hat.

Leider bleiben die ständigen Krankenhausbesuche nicht aus, aber wenigstens muss ich nicht mehr Tag und Nacht dort verbringen.

„Wir sind da."

Luke fährt sich erneut durch die Haare, schluckt schwer und hofft scheinbar, dass ich doch noch einen Rückzieher mache, aber da muss ich ihn leider enttäuschen.

Ich habe einen genauen Plan, was ich gestochen haben möchte und es bedeutet mir sehr viel, dieses Motiv auf meiner Haut zu tragen.

„Jetzt schau nicht so als müsstest du jemanden umbringen."

Ich will mich gerade von ihm weg drehen, als Picasso mir einen kurzen Kuss auf den Mund drückt, woraufhin sich dieses kleine Grinsen auf seinen Lippen bildet.

„Besser."

Ich schüttle leicht den Kopf, doch auch das glückliche Grinsen auf meinem Gesicht will einfach nicht verschwinden. Denn niemand macht mich glücklicher als er. Luke ist der Grund warum sich das Aufstehen morgens lohnt, selbst wenn ich mich vor lauter Schmerzen und weil ich einfach nicht mehr kann am liebsten den ganzen Tag im Bett verkriechen würde.

Wir steigen gemeinsam aus, wonach Luke direkt nach meiner Hand greift und diese einmal fest drückt. An manchen Tagen ist er mein fester Anker in stürmischer See und heute scheine ich eben seiner zu sein. Wenn er bei mir ist, brauche ich keine Angst haben zu ertrinken.

Die Lettern auf dem Schild über dem Eingang leuchten uns entgegen und als ich die Tür aufstoße ertönt direkt eine helle Klingel.

In dem Studio selbst hängen viele Bilder von unterschiedlichsten Tattoos, die anscheinend alle hier gestochen wurden und es riecht leicht nach Desinfektionsmittel. Das Licht in diesem Raum ist eher gedämmt und lässt eine gemütliche Atmosphäre entstehen.

„Hallo, ich bin Nadine."

Eine Frau mittleren Alters kommt auf uns zu und schüttelt uns die Hand. Sie trägt ein T-Shirt, wodurch die Tattoos auf ihren Armen und Händen zum Vorschein kommen und schenkt uns ein warmes Lächeln.

„Ich bin Kate, hallo. Und das ist Luke."

Auch ich schenke ihr ein freundliches Lächeln, wobei Picasso jedoch eher scheitert und eine interessante Grimasse zieht.

Er scheint von Minute zu Minute nervöser zu werden, was ich ihm jedoch nicht verübeln kann, da mittlerweile auch in mir die Nervosität steigt.

„Die Motive hatten wir ja schon besprochen, dann kannst du direkt mit mir kommen und der junge Herr kann dort hinten durch die linke Tür gehen. Alex wartet dort schon."

Ich laufe ihr also hinterher und werfe Luke einen letzten kurzen Blick zu, ehe er sich ebenfalls in Bewegung setzt.

Im neuen Raum angekommen deutet sie mir, mich auf die schwarze Liege in Mitte des Raumes zu setzen, neben der schon die Maschine und alles andere bereit liegen.

„Innenseite rechter Oberarm wolltest du es haben, richtig?"

„Ja, genau."

„Dann kannst du dich so hinlegen, dass es dir bequem ist und ich gut an deinen Arm komme und dann können wir auch schon loslegen. Wenn es zu schmerzhaft wird und du es wirklich nicht mehr aushältst oder sonst etwas ist, sag mir einfach Bescheid."

Ich nicke bloß und befolge ihre Anweisungen, wonach sie mir mit einem Tuch über die besagte Stelle streicht, das Motiv abdrückt und nach meiner Bestätigung mit dem eigentlichen Teil beginnt.

Die Nadel mit der schwarzen Tinte sticht in meine Haut und verursacht ziemliche Schmerzen.

Es ist nicht so stark, dass ich es nicht aushalten würde, jedoch eben auch nicht gerade angenehm.

Aber für das Ergebnis, das ich mir wünsche, ist mir definitiv jeder Schmerz wert. Das ist es mir für Luke wert.

„Dein Freund schien aber eben nicht so entspannt."

Ein kleines Lachen entfährt mir, woraufhin ich jedoch sofort wieder das Gesicht verziehe, da diese Stelle gerade besonders unangenehm ist.

„Nicht so entspannt trifft es ganz gut."

„Seid ihr schon lange ein Paar?"

Es ist immer noch unglaublich komisch das Wort Paar in Zusammenhang mit meiner Wenigkeit zu Ohren zu bekommen, doch auf der anderen Seite könnte ich mir nichts schöneres vorstellen.

„Nein, noch nicht so lange."

„Genieß die frische Liebe, solange du kannst."

Sie lächelt mich an, während meines langsam erstirbt.

So lange ich noch kann... Da stellt sich die Frage wie lange das noch sein wird, doch natürlich kann Nadine dieses winzige Teil meines Schicksals nicht kennen.

Sie kann nicht wissen, dass wir bald getrennte Wege gehen werden, dass ich sterben werde. Ich habe zwar die letzten Wochen unheimlich abgebaut und man sieht mir an, dass mit mir nicht alles stimmen kann, doch niemand geht direkt vom bevorstehenden Tod aus. Man geht eigentlich nie vom Extremen aus, auch wenn niemand davor geschützt ist.

Nadine konzentriert sich auf die Linien, die sie Stück für Stück nachzieht, sodass kein weiteres Gespräch mehr entsteht.

Mittlerweile habe ich mich immer mehr an den Schmerz gewöhnt, so wie wir es alle irgendwann tun und in in meinen Gedanken überwiegt immer mehr die Neugierde, wie Lukes Tattoo wohl aussehen wird.

Ob es eine Bedeutung haben wird, vielleicht etwas im Bezug zu seinem Vater? Oder einfach nur ein Motiv, das ihm besonders gefällt?

Die Möglichkeiten sind unendlich. Generell haben wir unendlich viele Möglichkeiten, bleiben aber immer bei dem selben Alltagstrott, bei den selben Entscheidungen jeden verschissenen Tag.

„Es ist fertig!"

Sie legt die Maschine beiseite, desinfiziert das frisch gewonnene Kunstwerk auf meiner Haut und auch ich kann es mir endlich anschauen.

Und es ist großartig geworden. Simpel, aber wunderschön, genau wie ich es wollte. Jedoch ist das wichtigste nicht die Erscheinung, sondern die Bedeutung, die es trägt.

„Ich nehme an, dass du es erst noch deinem Freund zeigen willst. Ich schau mal wie weit sie sind."

Mit diesen Worten verschwindet sie, kommt aber einige Minuten später mit Luke und einem stämmigen Mann im Schlepptau zurück.

Sofort schleicht sich ein riesiges Grinsen auf meine Lippen, denn ich kann gar nicht beschreiben, welches Glücksgefühl mich jedes Mal durchströmt, wenn ich ihn sehe. Auch ihm scheint es nicht anders zu gehen.

„Du lebst ja noch."

„Gerade so."

Wir schauen uns einige Augenblicke bloß an, bis meine Neugierde siegt und ich endlich sein Tattoo sehen will.

„Zeig mal her."

„Nein. Erst du."

Ich rolle gespielt mit den Augen, stehe aber auf und laufe einige Schritte auf Luke zu, bis ich wenige Zentimeter vor ihm stehe.

In seiner Nähe beginnt alles in mir zu kribbeln und meine Aufgeregtheit verbessert die Lage nicht gerade. Ich hoffe einfach nur, dass ihm das Tattoo gefällt.

Letztendlich überwinde ich mich und strecke ihm meinen rechten Arm so entgegen, dass er einen guten Blick auf mein Tattoo erlangen kann.

„Weißt du was es ist?" Meine Stimme zittert stark, da ich unglaublich gespannt auf seine Reaktion bin.

„Picassos Friedenstaube." Auch seine Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen, während er die Augen nicht von der Taube abwendet und vorsichtig die Linien mit seiner Fingerkuppe nachfährt.

„Genau und weißt du auch warum? Weil-..." Ich verharre kurz, jedoch gibt mir ein kurzer Blick zu Picasso, der mich abwartend anschaut, den Mut weiterzusprechen.

„Weil du mir meinen inneren Frieden gebracht hast. Weil du mir gezeigt hast, was es heißt zu leben und jede einzelne Sekunde zu genießen und wertzuschätzen. Weil ich zu dir aufblicken kann und mich kein Mensch auf dieser Welt glücklicher macht als du. Weil du das tobende Meer in mir zur Ruhe gebracht hast und mir jeden Tag hilfst etwas mehr mit mir selbst und meinem kleinen Handicap ins Reine zu kommen. Weil ich ohne dich nicht mehr leben würde und nicht mehr leben kann. Und weil du mein Picasso bist."

Ich traue mich erst nicht zu ihm zu schauen, als ich seine rauen Finger unter meinem Kinn spüre, kurz darauf einen liebevollen Kuss auf die Stirn und dann wie er mich in eine Umarmung schließt.

Ich schließe ebenfalls meine Arme so eng um ihn wie es nur geht und würde ihn am liebsten nie wieder los lassen.

Einige Tränen kullern mir die Wange hinunter und als sich Luke wieder von mir löst, wischt auch er sich unauffällig mit seinen Händen über die Augen.

„Jetzt will ich aber auch deins sehen!"

Er zieht sich wie auf Kommando sein T-Shirt aus, worauf ich definitiv nicht vorbereitet bin und dreht sich um.

Auf seinem Rücken prangt zwischen seinen Schulterblättern ein wunderschöner Adler, der seine Flügel ausgebreitet hat und mit erhobenem Haupt dort thront.

Das seine Tattoo ist ebenfalls schwarz, was das Ganze aber nur noch eindrucksvoller wirken lässt. Am Fuß des Adlers befindet sich zudem ein kleines K, der Anfangsbuchstabe meines Namens.

Ich bin sprachlos, wirklich sprachlos. Dieser Anblick überwältigt mich und kurzzeitig scheine ich nicht mehr zu wissen, wo überhaupt unten und wo oben ist.

Picasso gibt mir Zeit es ganz genau zu betrachten, jedes Detail in mich einzusaugen und auch ich streiche vorsichtig über seine vom Tätowieren gereizte Haut. Er zuckt kurz unter meinen kalten Fingern zusammen, entspannt sich jedoch sofort wieder.

„Gefällt es dir?"

Er schaut über seine Schulter zu mir, mit immer noch leicht verunsicherten Miene.

„Ja. Es ist-... Es ist unbeschreiblich schön." Meine Stimme ist sehr leise, lediglich das kleine Lächeln Lukes zeigt mir, dass er es verstanden haben muss.

„Adler sind das Symbol für Stärke, für Mut, für Freiheit, für Auferstehung, für Erlösung und für ewiges Leben. Und du, Kitty, bist die stärkste und mutigste Person, die mir je begegnet ist. Du trägst eine solche Last auf deinen Schultern und läufst trotzdem immer noch mit erhobenem Haupt durch die Gegend, so als wäre alles in bester Ordnung und würdest niemals auch nur den Gedanken bekommen, jemand nach Hilfe zu fragen. Und ich hoffe, dass du-... Ich weiß, dass ich dich nicht festhalten kann, auch wenn ich nichts mehr wollen würde als das, aber ich hoffe, dass du, wenn es so weit ist, deine Flügel wie dieser Adler komplett ausbreiten kannst, dass du vollkommen frei sein kannst. Dass du die ganzen Schmerzen und das Leid hinter dir lassen kannst, von ihnen erlöst wirst und wie ein Adler oben durch die Lüfte fliegst und vielleicht ab und zu mal ein Auge auf mich wirfst."

Seine Stimme bricht zum Ende hin und nun laufen ununterbrochen Tränen über seine und über meine Wangen.

Picasso dreht sich nun komplett zu mir um und schließt erneut die Arme um mich. Meine Schluchzer werden an seiner Brust gedämpft, die sich unregelmäßig auf und ab bewegt.

„Ich liebe dich, Kate."

Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt habe, löse ich mich erneut von ihm, wische die Tränen weg und drücke Luke einen leichten Kuss auf die Lippen.

Als ich mich nach einiger Zeit zu Nadine wende, um mich bei ihr zu bedanken, wischen auch sie und dieser stämmige Kerl sich eine Träne aus dem Augenwinkel und beide schenken uns ein leichtes Lächeln.

„Danke."

„Gerne. Sowas wie euch erlebt man nicht alle Tage."

Luke zieht sich sein T-Shirt letztendlich wieder über und nachdem unsere Tattoos verpackt wurden, damit sich nichts entzündet und sich alles wieder beruhigt hat, gehen wir an die Kasse und bezahlen.

Auf dem Weg zurück zum Auto greift Picasso wieder meine Hand und drückt einen kurzen Kuss auf sie, woraufhin ich ihn verliebt anlächle.

Und mittlerweile ist mir nichts klarer als die Tatsache, dass ich ihn verdammt nochmal liebe.

Was sagt ihr zu den Tattoos? :)
Und was sagt ihr zu Lana Del Reys neuem Album?

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