Kapitel 22
„Hey, Kitty. Hätte nicht gedacht, dass du SO scharf auf die Gewürzgurken bist."
Lukes Haare liegen total unordentlich und verstrubbelt auf seinem Kopf und generell sieht er noch unheimlich verschlafen aus. Normalerweise würde ich wahrscheinlich auch noch Bett liegen, aber es gab ja einiges zu tun.
„Ehrlich gesagt hatte ich es schon mehr oder weniger verdrängt."
Ich schlängle mich an ihm vorbei in den Flur und laufe dann Picasso hinterher, der anscheinend zur Küche läuft. Er öffnet einen der Schränke, aus dem er ein Gurkenglas nimmt, zieht eine Schublade auf und holt dort ein Nutellaglas heraus. Eigentlich dachte ich, dass das ein Scherz sein sollte, aber wie es aussieht meint er es absolut ernst.
Luke präpariert diese tödlich, ekelhafte Mischung und hält sie mir auffordernd entgegen.
„Das kannst du doch nicht von mir verlangen."
Er sagt daraufhin nichts, sondern streckt mir dieses Scheusal nur noch mehr entgegen. Ich nehme es ihm ab, blicke noch einmal angewidert darauf, bevor ich letztendlich doch einen Bissen nehme. Es war schön euch alle kennengelernt zu haben.
Ich muss eine schreckliche Grimasse ziehen, denn es schmeckt einfach nur scheußlich. Da schmeckt selbst das Tofu meiner Mutter noch besser und davon musste ich fast kotzen. Luke mustert mich nur amüsiert und versucht wohl mit aller Mühe sein Lachen zu unterdrücken. Wie kann man so was bitte mögen?!
„Wasser. Bitte, Wasser."
Freundlicherweise gibt er mir wenige Sekunden später ein Glas mit Wasser, das ich auch sofort auf Ex leer trinke. Mann war das ekelhaft.
„Das bekommst du alles noch zurück!"
Ich halte ihm drohend meinen Zeigefinger entgegen, doch leider scheint er sich davon nicht sonderlich beeindrucken zu lassen. Warte bloß ab, du kleines Gürkchen.
Ich denke schon, dass es gar nicht mehr schlimmer kommen kann, als er den Rest der verdammten Gewürzgurke einfach so in seinen Mund steckt und genüsslich darauf kaut.
„Hiermit ist es offiziell. Du bist nicht von diesem Planeten."
„Weil ich so außerirdisch gut aussehe?"
Er grinst mich frech an, woraufhin ich ihm leicht gegen den Arm boxe, auch wenn ich natürlich weiß, dass er es nicht ernst meint. Was ich aber nicht weiß ist, ob ich dieses traumatisierende Erlebnis jemals verarbeiten kann.
„Hast du Lust dir das Atelier anzuschauen?"
Meine Reaktion darauf besteht aus einem eifrigen nicken, da ich schon länger unbedingt den Ort sehen möchte, an dem Luke anscheinend so viel Zeit verbringt und an dem solche unglaublichen Werke entstehen können. Wir steigen einige Treppen hinauf, bis Picasso eine Klappe an der Decke öffnet, woraufhin eine weitere Treppe erscheint, die wir ebenfalls hochsteigen.
Oben angekommen bleibt mir bei dem Anblick fast der Atem weg und das nicht nur, weil Treppen steigen unheimlich anstrengend ist.
Der ganze Dachboden wurde umgebaut, eine Wand besteht komplett aus Glas, sodass der ganze Raum sehr hell und freundlich wirkt. In einer Ecke steht ein etwas älteres Sofa, mit einem kleinen Tisch und sonst besteht der ganze Dachboden einfach nur aus Kunst.
Überall hängen unzählige Bilder, manche vollendeterer als andere, einige Staffeleien stehen im Raum und an einer Wand steht ein großes altes Möbelstück, in dem wahrscheinlich die ganzen Utensilien aufbewahrt werden.
Auf einem großen Tisch in der Mitte liegen einige schmutzige Farbpaletten und Pinsel, die anscheinend vor kurzem noch benutzt wurden. Ich laufe umher und schaue mir dabei alles ganz genau an, damit ich mir jedes auch noch so kleine Detail merken kann.
„Es ist großartig! Ich muss zugeben, dass ich ganz schön neidisch bin."
Ich lächle Luke leicht an, welcher mein Lächeln erwidert, zwei Hocker hervor holt, sowie zwei Leinwände und einige Sachen bereit stellt. Während er all dies tut beobachte ich ihn lediglich still und genieße den Moment, auch wenn Majas Situation mir einfach nicht aus dem Kopf gehen will. Warum musste es ausgerechnet jetzt passieren?
„Maja ist schwanger."
Der Dunkelhaarige hält ruckartig in seiner Bewegung inne und schaut mich ungläubig an. Ich bin ganz schön mit der Tür ins Haus gefallen, aber wenn man mit einer tödlichen Krankheit lebt, lernt man, nicht lange um den heißen Brei zu reden und Zeit zu verschwenden, sondern einfach auf den Punkt zu kommen. Außerdem muss ich einfach mit irgendjemandem darüber reden und wenn schon, dann mit Luke.
„Maja ist was?"
„Schwanger. Soll ich es vielleicht noch buchstabieren? Ich war eben bei ihr."
Ich setze mich auf einen der Hocker, die er eben hingestellt hat, während er sich auf den gegenüber von mir setzt. Er zieht nachdenklich seine Augenbrauen zusammen, während ich gespannt auf seine Reaktion warte.
„Was will sie jetzt tun?"
„Sie weiß es noch nicht. Im Moment ist Finn bei ihr, ich denke es geht jetzt nur darum ob sie abtreibt oder nicht."
Die Furche zwischen seinen Brauen wird immer tiefer, wie so oft wenn er nachdenkt und er beißt auf seiner Unterlippe, was zugegebenermaßen gar nicht mal so scheiße aussieht. Zumindest nicht so scheiße wie ich es gerne hätte.
„Natürlich ist es ihre eigene Entscheidung, aber aus christlicher Sicht kann ich nur hoffen, dass sie es nicht tut. Jedes Kind ist ein Geschenk Gottes und ist von Gott gewollt , auch wenn manche Eltern das leider nicht so sehen und mit der Abtreibung würde man ein unschuldiges Leben nehmen. Ich kann irgendwie verstehen, wenn sie es tun möchte, da man ein Kind mal nicht eben so bekommt, aber manchmal muss man auch Opfer bringen."
Ich finde Lukes Standpunkt sehr interessant, zudem ich es noch nie aus der christlichen Sichtweise betrachtet habe und kann es auch irgendwo nachvollziehen. Letztendlich bleibt es aber Majas Entscheidung, die ja schließlich das Kind austragen muss. So wie ich sie kenne, denke ich nicht, dass sie abtreiben wird. Aber man weiß ja nie.
„Ich hoffe einfach nur, dass sie nicht eine falsche Entscheidung trifft, die sie dann später bereuen wird."
„Das hoffe ich auch. Ich werde auf jeden Fall für sie beten."
Für jemanden beten. Ob das wohl was bringt? Ich bin da ja eher etwas skeptisch.
Picasso wendet sich dem großen Tisch zu, reicht mir einen Behälter mit Pinseln, aus dem ich mir einen nehme und sucht einige Farben heraus.
„Nimm dir einfach was du brauchst, okay?"
Und so wendet sich jeder seiner eigenen weißen Leinwand zu, die mit immer mehr Leben gefüllt wird.
Während ich male tauche ich in eine komplett andere Welt ein und es scheint auch Picasso so zu gehen, denn auch er sagt die ganze Zeit kein Wort. Es ist unheimlich beruhigend, wie der Pinsel über die Leinwand gleitet und einen Schleier von Farbe hinterlässt, die letztendlich verschmilzt und ein Ganzes bildet.
Der Benachrichtigungston meines Handys weckt mich aus meiner Traumwelt und ich hole es hektisch hervor, da die Nachricht von Maja stammen muss, was mein Blick aufs Display dann auch bestätigt.
Finn bleibt hier. Treffen uns morgen, ja?
In Ordnung.
Ich würde zwar allzu gerne wissen wie es jetzt weitergehen soll, aber wenn Maja meint, dass es bis morgen Zeit hat, werde ich ihr auch diese Zeit geben. Anscheinend haben die beiden sich schonmal nicht zerstritten, was ein sehr positiver Anfang ist.
Auf Lukes Leinwand lassen sich schon die Umrisse eines Mädchens erkennen und ich frage mich, wie es wohl aussieht wenn es fertig ist, aber bis dahin werde ich mich wohl noch etwas gedulden müssen.
Ich nehme mich wieder meinem Kunstwerk an, falls man es überhaupt so betiteln kann, was ein Geschenk für Luke werden soll. Hoffentlich gefällt es ihm auch und er schmeißt es nicht heimlich in die Tonne, sobald ich wieder weg bin.
Die Zeit vergeht im Flug, so wie immer wenn ich mit Luke zusammen bin.
Zwischenzeitlich kam mal Andrea herein, die anscheinend gerade von der Arbeit kam und uns etwas zu Essen und zu Trinken mitgebracht hatte.
Nach einigen Stunden bin ich mit meinem Bild fertig und auch Picasso scheint bei seinen letzten Pinselstrichen angekommen zu sein. Gerade als ich einen Blick auf sein Werk erhaschen will, hält er seine Hände davor und befiehlt mir noch nicht zu gucken, was mich aber nur noch viel neugieriger macht.
Ich verbringe die Zeit in der er noch malt damit, mir einige Bilder nochmals näher anzuschauen, wobei ein Bild schöner als das andere ist.
Wenn Luke sein Kunststudium, aus welchen Gründen auch immer, doch nicht in Angriff nehmen will, muss ich seinen Hintern wohl höchstpersönlich dorthin schleifen. Natürlich nur falls ich dann überhaupt noch existiere.
„Fertig!"
Luke steht auf und betrachtet zufrieden seine Leinwand. Die Aufregung in mir wird immer größer und ich weiß nicht ob es daran liegt, dass ich so gespannt bin seins zu sehen oder ob ich einfach Angst habe, dass ihm meines nicht gefällt.
Ich greife nach meiner Leinwand und halte sie wie ein schützendes Schild vor mich, als könnte sie so seine intensiven Blicke abwehren.
„Es ist für dich."
Meine Augen sind leicht zusammengekniffen und ich warte gespannt auf irgendeine Reaktion seinerseits. Die Leinwand ist größtenteils schwarz, doch in der Mitte findet eine Explosion der leuchtendsten Farben statt. Meine Interpretation vom Licht in der Dunkelheit, das Luke zurzeit für mich ist. Ich werde es ganz sicherlich nicht laut aussprechen, aber ich hoffe, dass ihm das Bild das mehr als alles andere verdeutlichen kann.
„Wow."
Er nimmt mein Bild immer noch genau unter die Lupe und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen scheint es ihm wirklich zu gefallen, was mir einen riesigen Stein vom Herzen fallen lässt.
„Vielleicht solltest eher du den Spitznamen Picasso bekommen."
Er schenkt mir dieses hinreißende, leicht verspielte Lächeln, woraufhin ich aber nur Lache. Gegen seine Gemälde sieht meins wie ein Haufen Scheiße aus. Und das ist noch untertrieben.
„Mach die Augen zu."
„Warum?..."
„Hör einmal auf was ich sage, Kitty. Bitte."
Also schließe ich meine Augen und warte mehr oder weniger geduldig auf das, was jetzt wohl kommen wird.
„Augen wieder auf."
Als ich die Augen öffne, schaut mir ein seltsam bekanntes Paar blauer Augen entgegen. Ihre geschwungenen Lippen sind leicht geöffnet und sie sieht hinreißend aus, Luke hat sie fast schon wie eine Göttin dargestellt. Ihre hellbraunen Haare wehen im Wind und sind mit zarten Blumen geschmückt. Ihre Wangen sind leicht gerötet, doch ihr Gesichtsausdruck wirkt stark und sie wirkt begehrenswert.
Er hat mich gemalt. Eine bei weiterem schönere Version von mir, die zudem gesund ist, aber es soll mich darstellen. Ob Luke mich wohl so sieht?
„Ich-... Ich kann einfach keine Worte dafür finden. Danke."
Ich schaue zu dem Jungen neben mir, der mich still mustert und dessen dunkle Augen nun an meinen blauen hängen bleiben.
Sein Blick ist unglaublich intensiv und löst so eine Hitze in mir aus, dass ich auf der Stelle schmelzen könnte.
Er tritt näher an mich heran, wodurch wir nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind und ich gefühlt in sein Inneres schauen kann. Heißt es nicht, dass die Augen das Fenster zur Seele sind?
Unsere Gesichter und auch unsere Lippen sind so nah, dass ich seinen warmen Atem auf ihnen spüren kann, der mir gleichzeitig eine Gänsehaut beschert.
Ich sehe wie seine wunderschönen Augen zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her springen und auch mir geht es nicht anders. Erst jetzt fällt mir auf, wie unheimlich sanft, weich und rosig seine Lippen aussehen und wie perfekt sie geschwungen sind.
Wenn ich mich jetzt nur ein bisschen vorlehnen würde, würden unsere Lippen aufeinander treffen und ehrlich gesagt wäre mir gerade nichts lieber als das.
Als ich dann auch endlich mal merke, was ich hier gerade tue, was wir tun und dass es absolut falsch ist, da ich ihm wahrscheinlich das Herz brechen werde, weiten sich meine Augen geschockt.
Scheiße, scheiße und nochmal scheiße. Was hab ich mir nur gedacht?
Ich trete einige Schritte zurück, darauf bedacht auf den Boden zu schauen um Lukes Blicken zu entkommen und auch um Abstand zwischen uns zu schaffen, und räuspere mich peinlich berührt. Es hätte niemals so weit kommen dürfen. Niemals.
„Ich sollte mich wahrscheinlich so langsam auf den Heimweg machen... Danke nochmal für das Bild, ich kann gar nicht sagen wie großartig es ist."
Wir laufen daraufhin in gruseliger Stille nach unten. An der Haustür angekommen, hat sich schon wieder diese tiefe Furche zwischen seinen Augenbrauen gebildet, die ich am liebsten einfach glatt streichen würde.
Gerade als ich zum Gehen ansetzen will, ertönt Lukes raue Stimme: „Ich hätte es nicht bereut, Kitty. Nicht im geringsten."
Ich nicke nur schwach, da ich nicht weiß was ich sonst tun soll und verschwinde in die Kälte.
Mein Kopf brummt und fühlt sich tonnenschwer nach diesem Tag an. Heute sind einfach viel zu viele Dinge passiert.
Unter anderem ist da diese eine Sache, dass ich fast Luke fucking Bennett geküsst hätte.
Super gemacht, Kate, das wird jetzt sicherlich gar nicht unangenehm oder so und deine Pläne gehen echt immer auf. Nicht...
Oh boyy, glaubt mir, ich hätte auch am liebsten den Kuss gehabt...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top