Kapitel 21
Ich hätte niemals gedacht, dass es mir jemals etwas bringen würde Sendungen wie „Vermisst" oder „Bitte melde dich!" geschaut zu haben, die wohlgemerkt auf RTL laufen und meiner Meinung nach ziemlich beschissen sind. Nun ja, jetzt ist der Moment gekommen, wo ich selbst eine nette Dame anheuere, um jemanden für mich zu finden. Zumindest indirekt für mich.
Das Tuten des Telefons dringt in meinen Gehörgang, während ich darauf warte, dass der Hörer am anderen Ende der Leitung abgenommen wird.
„Guten Tag, Jenny Dreyer hier. Was kann ich für Sie tun?" Ihre Stimme ist wie erwartet für meinen Geschmack viel zu hoch und viel zu freundlich. Da bekommt man allein vom zuhören schon Karies.
„Hallo, mein Name ist Kate Mayer. Ich melde mich, da ich nach zwei Personen suche, um genauer zu sein die leiblichen Eltern meines Adoptivbruders."
Eigentlich lüge ich wirklich nicht gerne, aber harte Aufgaben erfordern harte Maßnahmen.
„Verstehe. Wie lautet der Name ihrer Zielpersonen?"
„Ich suche Tania und Phil Brücker, da mein Bruder sie gerne finden würde."
Hoffentlich riecht sie nicht, dass etwas gewaltig faul ist und macht es einfach gegen gute Bezahlung. Ich konnte in den letzten Jahren einiges ansparen und ich denke jetzt ist die richtige Verwendung dafür gekommen. Luke tut so unglaublich viel für mich, jetzt bin ich auch mal an der Reihe.
„Ist notiert. Ich muss sie jetzt um einige persönliche Daten bitten und es ist zudem eine Anzahlung erforderlich. Wenn sie den Betrag auf das Konto, dessen Daten ich Ihnen gleich geben werde, überwiesen haben, werde ich mit der Suche beginnen."
Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es so leicht ist jemanden zu finden, der sogar vielleicht nicht mal gefunden werden will, aber anscheinend läuft heutzutage mit Geld einfach alles. Frau Dreyer regelt die restlichen Dinge mit mir am Telefon und verspricht sich bald zu melden.
Um ehrlich zu sein erschien mir das Ganze zu Anfang ganz schön unseriös, aber sie hat mir ebenfalls alle ihre persönlichen Daten gegeben und verfügt wie es scheint über einige Auszeichnungen und ist staatlich geprüft. Ein persönliches Treffen ist leider nicht möglich, da sie sich zurzeit scheinbar in Belgien befindet, um eine andere Person zu finden.
Mit 200 Euro ist die Anzahlung auch bei weitem nicht so hoch wie zuerst gedacht. Mal schauen was noch alles dazu kommt...
Ich mache mich sofort auf den Weg zur Bank um das Geld zu überweisen, brülle meinen Eltern noch ein schnelles „Auf Wiedersehen!" zu und schließe die Tür bevor sie irgendetwas erwidern oder sich beschweren können.
Die Luft ist so kalt, dass das Atmen nach kurzer Zeit schon schmerzt und meine Wangen in ein tiefes rot getaucht werden. Die ersten Schneeflocken rieseln hinunter und führen einen wunderschönen Tanz auf, bevor sie am Boden ankommen und größtenteils schmelzen.
Als ich die Bank betrete, überwältigt mich dieser riesige Schwall von Wärme, der wie eine Welle über mich hinein bricht. Die Überweisung ist schnell erledigt und ich beschließe jetzt endlich Maja anzurufen, was ich eigentlich schon heute morgen erledigt haben wollte. Ich bin gespannt ob sie sich genau so sehr freut wie ich.
Sie nimmt schon nach kurzer Zeit ab, doch sie babbelt nicht wie sonst immer, direkt fröhlich drauf los, sondern es ertönt nur ein schwaches „Hallo". Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht...
„Was ist los, Maja?"
Ein leises Wimmern ertönt, aber immer noch keine Antwort. Anscheinend weint sie, jedoch beunruhigt mich das nur noch viel mehr, da Maja eigentlich nie weint.
„Maja? Rede mit mir verdammt!"
Panik breitet sich in mir aus, lässt meine Beine immer schnell werden und ich mache mich automatisch auf den Weg zu ihr. Die schlimmsten Szenarien entstehen in meinem Kopf und schneiden mir die Luft ab, mal ganz abgesehen von meinem Lungenzustand und meiner Unsportlichkeit.
„Ich bin schwanger."
Ich bleibe mitten auf dem Gehweg abrupt stehen. Ihre Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen und sofort ertönen wieder die immer lauter werdenden Schluchzer.
„Ich bin gleich da. Alles wird gut."
Sie ist schwanger?! Von Finn? Oh Gott, ich hatte mich auf alles vorbereitet, aber definitiv nicht darauf. Haben die beiden denn nicht verhütet?!
Wenige Minuten später stehe ich schnaufend vor der Haustür der Neumanns und warte darauf, dass mir endlich jemand die Tür aufmacht. Als Adam vor mir steht und zu einer Begrüßung ansetzten will, schiebe ich ihn beiseite und setze meinen Weg zu Maja fort.
Ich reiße komplett außer Atem ihre Zimmertür auf, wo ich sie zusammengekrümmt auf ihrem Bett entdecke und ziehe sie erstmal in eine enge Umarmung.
Ihr Körper bebt unheimlich, liegt aber gleichzeitig schlaff und ausgelaugt in meinen Armen. Sie muss schon viel geweint haben, hätte ich doch besser früher angerufen.
Die ganzen letzten Tage und Wochen war ich so mit mir selbst und der Krankheit beschäftigt, dass ich überhaupt nicht mehr auf das Wohlergehen meiner besten Freunde geachtet habe, die mir mehr als alles andere bedeuten und für die ich alles erdenkliche auf dieser Welt tun würde. Ich hasse mich gerade wirklich noch mehr als ich es so oder so schon in der letzten Zeit tue.
Nach einiger Zeit lassen die Schluchzer immer mehr nach und auch ihr Körper wird wieder ruhiger, bis sie sich aufsetzt und mir mit aufgequollenen, roten Augen entgegen blickt.
Tiefe, dunkle Ringe zeichnen sich unter ihren Augen ab, die darauf hinweisen, dass sie wahrscheinlich schon die ganze Nacht nicht geschlafen hat.
„Ich versteh es nicht, Kate. Ich verstehe es einfach nicht. Wir haben doch verhütet! Wie konnte das denn passieren?"
Ihr Stimme klingt weinerlich, was natürlich total überraschend ist. Ich habe sie noch nie so fertig gesehen, nichtmal als ihr Hamster gestorben war und das war schon der Weltuntergang für sie.
„Es kann leider immer was passieren, aber damit, dass es ausgerechnet dich trifft, hätte wirklich nicht gerechnet."
Hatte ich schonmal erwähnt, dass ich super schlecht im trösten bin? Nein? Dann wisst ihr es jetzt.
„Was soll ich denn jetzt tun? Ich bin gerade mal achtzehn, da hat man doch noch alles vor sich und jetzt soll ich schon Mutter werden?!"
„Willst du... Willst du es abtreiben?"
Ich muss sagen, dass ich eigentlich ziemlich gegen Abtreibung bin und das Ding sobald es einen Herzschlag hat für mich ein Mensch und somit Leben ist, aber das sollte doch jeder für sich selbst entscheiden und ich möchte auf keinen Fall urteilen oder sonstiges, denn das steht mir nicht zu. Ich kann nichtmal ansatzweise wissen wie sich Maja gerade fühlen muss und vor was für einer Entscheidung sie steht.
„Ich weiß es nicht... Ich weiß es einfach nicht. Ich kann doch nicht einfach so abtreiben, aber gleichzeitig wären dadurch alle meine Pläne zerstört, dabei wollte ich doch ab nächstem Jahr Tiermedizin studieren! Und Finn..."
„Weiß er es schon?" Alleine an dem panischen Blick, den sie mir gerade zuwirft, kann ich die Antwort schon erkennen...
„Nein und ehrlich gesagt will es ihm gar nicht sagen. Er wird mich hassen."
„Warum sollte er? Er ist genauso dafür verantwortlich, außerdem liebt Finn dich. Egal was passiert und du kennst ihn doch selbst. Ich weiß, dass ich eigentlich gar nicht dazu berechtigt bin dir Ratschläge zu geben, aber ich denke ihr solltet erstmal miteinander reden, bevor weitere Entscheidungen getroffen werden."
Maja beißt nachdenklich auf ihrer Lippe herum, bis sie schließlich langsam zu nicken beginnt.
„Du hast recht. Ich schreibe ihm."
Sie holt mit zitternden Händen ihr Handy heraus und tippt Finn eine Nachricht, dass er doch bitte so schnell wie möglich herkommen soll.
Ich schließe einfach wieder meine Arme um sie und versuche ihr irgendwie ein bisschen Trost und Mut zu spenden und einfach für sie da zu sein, was ich in letzter Zeit viel zu selten war.
„Es tut mir leid, dass ich in letzter Zeit so sehr mit mir selbst beschäftigt war und euch, vor allem dich, so links liegen gelassen habe... Es tut mir leid."
Der Rotschopf schnauft laut und befreit sich wieder aus meinen Armen.
„Das bekommst auch nur du fertig, sich dafür zu entschuldigen, dass man Krebs hat, du Vogel. Außerdem weiß ich es selbst erst seit gestern Abend."
Die Klingel ertönt, woraufhin sich auf Majas Gesicht wieder die blanke Panik ausbreitet und ihr ganzer Körper wieder zu zittern beginnt. Ich schließe sie noch ein letztes Mal fest in meine Arme, als auch schon die Zimmertür aufgeht und ein gehetzter Finn herein kommt.
„Ich lass euch dann mal alleine. Ruf mich sofort an ja?"
Maja nickt leicht, hat jedoch ihren ängstlichen Blick starr auf Finn gerichtet. Ich hoffe stark, dass alles gut ausgeht und Finn vernünftig ist. Die beiden brauchen jetzt definitiv ganz viel Kraft.
Die kühle Luft strömt mir wieder entgegen als ich das Haus verlasse und meine Beine nehmen schon von alleine diese bestimmte Richtung an, bevor mir überhaupt richtig klar ist wohin ich jetzt gehen werde. Picasso ist einfach immer der richtige Gesprächspartner. Immer.
Das sagen sie alle und dann sind sie schwanger...
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