Kapitel 20


Ich reiße die Tür auf und erblicke eine breit lächelnde Andrea und einen sichtlich verwirrten Luke, aber um ehrlich zu sein macht, es mir ziemlich viel Spaß, ihn im Dunkeln tappen zu lassen. Andrea schließt mich in eine Umarmung, die ich auch erwidere und beginnt sich ihre Jacke und Schuhe auszuziehen.

„Willst du mir vielleicht jetzt sagen was los ist, Kitty?"

„Beerdigungskaffee. Ich wollte gerne mit dabei sein." 

Leider schaffe ich es nicht wirklich ernst zu bleiben, sodass sich meine Lippen zu einem komischen Grinsen verziehen, das sicherlich ziemlich schrecklich aussieht. Die Furche zwischen Lukes Augenbrauen wird immer tiefer und meine Belustigung hingegen immer größer.

„Ich weiß ja nicht wie das bei dir ist, aber eigentlich freut man sich nicht so abartig auf einen Beerdigungskaffee... Vor allem nicht auf den eigenen." Er verschränkt die Arme vor der Brust, während ich meine Rolle einfach nicht mehr einhalten kann.

„Der Tumor ist nicht mehr gewachsen! Ich kann es schaffen Luke!"

Mein Lächeln wird immer und immer breiter, sodass mir schon beinahe die Wangen schmerzen, aber solange es nur die Wangen sind, die mir Schmerzen bereiten, ist alles in bester Ordnung. Damit kann ich gut leben.

Picasso schaut mich erst ungläubig an, doch als dann auch endlich die Information in seinem Hirn angekommen ist, schließt er mich stürmisch in eine feste Umarmung, die viel mehr ausdrückt als es Worte jemals könnten.

„Das-... Das ist einfach nur fantastisch!"

Es könnte gerade nicht besser sein. Gute Nachrichten, Luke, der seine Arme um mich schlingt, sein Geruch in meiner Nase und seine raue Stimme dicht an meinem Ohr. All dies betört mich und lässt mich schwindelig fühlen, doch es ist ein wunderbares Gefühl.

Plötzlich spüre ich weiche Lippen, die sich auf meine Wange drücken und blicke kurz darauf zu einem grinsenden Luke hinauf, dessen Augen mich gründlich mustern. Ich spüre wie mir die Hitze in den Kopf steigt und drehe ihn leicht weg, damit Luke nicht sieht, dass ich wegen ihm rot geworden bin. Keine Ahnung wo das jetzt auf einmal herkommt...

„Ich hab doch gesagt, dass du es schaffen kannst!"

Bevor ich noch verlegener werde drehe ich mich zu Andrea, welche uns die ganze Zeit still gemustert hat, mich jedoch jetzt auch noch einmal in ihre Arme schließt.

„Das freut mich so unheimlich für dich, Kate!"

In ihren Augen spiegelt sich jedoch nicht nur Freude, sondern auch Sorge und Trauer, wodurch mir wieder schlagartig klar wird, dass nichts sicher ist und ich trotzdem jeder Zeit sterben kann. Aber eigentlich kann jeder jederzeit sterben, also sollte ich wenigstens heute einmal glücklich sein können.

Meine Gedanken wandern zu Andreas Ehemann, der den Krebs nicht besiegen konnte und ich frage mich, ob es Andrea und Luke unfair finden, dass ihr Vater und Mann es nicht geschafft hat, aber meine Chancen höher sind. Ich schiebe diesen Gedanken jedoch ganz schnell in die hinterste Ecke meines Gehirns, da ich wenigstens im Moment nicht über solche Dinge nachdenken möchte. Ich zerbreche mir viel zu oft den Kopf.

„Ähm, kommt doch mit in die Küche, da müssten die anderen sein." Luke und Andrea folgen mir brav, aber ich muss sagen, dass ich doch etwas nervös bin, warum auch immer.

Als uns Mama und Papa entdecken, springen beide sofort auf und begrüßen die beiden so freundlich, dass ich normalerweise wahrscheinlich einen Würgereiz bekommen würde, aber heute ausnahmsweise nicht.

„Hallo Luke! Hallo, Sie müssen seine Mutter sein! Ich bin Anne und das ist mein Mann Tobias."

„Hallo Anne und Tobias! Nennt mich bitte Andrea." Sie schütteln sich eifrig die Hände, wobei es so aussieht als würde ihnen nichts auf der Welt mehr Spaß machen als das.

Nachdem meine Oma dann auch noch vorgestellt wurde und sich die erste Welle der Aufregung gelegt hat, kommt das Essen auf den Tisch und alle nehmen Platz. Luke neben mir. Jeder lädt sich seinen Teller mit Essen voll, worauf ich mir schon direkt den Mund vollstopfe, als Luke und seine Mutter den Kopf senken und beten.

Ich dachte mir schon, dass Luke gläubig ist, da er ja auch in die Kirche zu gehen scheint, aber irgendwie haben wir noch nie so richtig darüber geredet.

Meine Eltern sind nicht wirklich christlich, weswegen ich ebenfalls nicht so erzogen wurde und ehrlich gesagt habe ich mich noch nie näher mit dem Glauben auseinander gesetzt. Für mich war irgendwie schon immer mehr oder weniger klar, dass dort einfach nichts ist.

Die Gespräche sind ausgelassen und es wird viel gelacht, was mich ebenfalls unheimlich glücklich macht. Die Last auf meinem Herzen verschwindet nahezu oder macht vielleicht auch einfach mal für ein paar Stunden Pause. Mir soll es recht sein.

Irgendwie kann ich mir gerade gar nicht vorstellen, dass meine Familie und vielleicht auch Luke in ein paar Wochen weinend hier sitzen könnten. Ich kann zwar nicht wissen ob sie weinen werden, aber mein Ego wäre schon ganz schön angekratzt, wenn sie es nicht tun würden.

Es wird immer gesagt, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber ich kann da nicht wirklich zustimmen. Meiner Meinung nach lernen wir lediglich damit zu leben.

Wenn man Tag für Tag Schmerzen hat, gehören sie nach einer gewissen Zeit einfach dazu und man spürt es schon fast gar nicht mehr, aber es kann jederzeit brennende Flüssigkeit hinein gegossen werden, die das innere Feuer neu entflammt.

Diese Wunden werden nie verschwinden. Sie erinnern uns tagtäglich an die schrecklichen Dinge, die wir erleben mussten.

„Ist alles in Ordnung?" Lukes Stimme dringt sanft zu mir durch.

Er mustert mich besorgt und es scheint, als würde er mein Gesicht nach einer Antwort absuchen.

„Ja, alles in Butter." Und das ist ausnahmsweise mal die Wahrheit, denn heute scheint die Welt wirklich in Ordnung zu sein.

Andrea, meine Eltern und Oma scheinen sich prächtig zu verstehen, sodass Luke und ich beschließen in mein Zimmer zu gehen, nachdem alle aufgegessen haben. Erwachsenengespräche sind sterbenslangweilig, ich hoffe, dass ich nicht solche Gespräche führe, wenn ich erwachsen bin... Oh, da war ja was.

Picasso schmeißt sich sofort auf mein Bett und ich mich gleich neben ihn, als auch schon Fawkes angeschlichen kommt, der es sich sofort auf Luke bequem macht. Er scheint ihn auf jeden Fall zu mögen, aber wer tut das nicht?

Der Dunkelhaarige krault ihn ausgiebig, wodurch das entspannte Schnurren des Katers ertönt, das ich so gerne höre.

„Ich wusste gar nicht, dass du so gläubig bist."

Ich setze mich etwas auf, um ihn besser anschauen zu können und warte gespannt auf seine Antwort.

„Meine Mom hat mich schon so erzogen und Gott hat mir schon in vielen Situationen Kraft geschenkt und mir geholfen. Der Glaube gibt mir Hoffnung."

„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dort irgendetwas ist."

Ich finde es unheimlich interessant mit ihm darüber zu sprechen, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es so etwas wie einen Gott geben soll...

„Aber warum? Die Bibel zum Beispiel hat alles überliefert und wenn wir mal ehrlich sind ist ein Urknall noch viel unwahrscheinlicher als ein großer Schöpfer. Außerdem ist die Vorstellung an ein Leben nach dem Tod im Himmel, im Paradies, mit all deinen Geliebten doch um einiges besser als einfach nichts. Der Glaube hat mir auch unheimlich nach dem Tod meines Vaters geholfen und generell in einigen Situationen oder Lebensphasen. Der Tod ist für mich kein endgültiger Abschied, sondern lediglich eine kurze Unterbrechung, ein kleiner Abschied vor dem großen Wiedersehen. Allein das hat mir unheimlich viel Trost gespendet. Ich vertraue darauf, dass Gott einen festen Plan für mich hat, für dich und alle anderen auf diesem Planeten und drauf, dass alles gut werden wird."

Es ist beeindruckend wie überzeugend und mit wie viel Leidenschaft Luke davon berichtet und ich bin immer wieder überrascht wie offen er mit seinen Gefühlen und Ansichten umgeht. Es gibt fast nichts besseres als Personen, mit denen man tiefgründige Gespräche führen kann.

„Ich weiß nicht... Es gibt doch auch so viele Dinge die dagegen sprechen."

„Wenn du willst gebe ich dir ein paar Bibelstellen und wir reden ein anderes Mal nochmal darüber. Ich würde gerne deine Ansichten besser kennenlernen."

Da es mich wirklich interessiert und ich immer offen für neue Ansichten sein möchte, nehme ich Lukes Angebot an und bin schon gespannt, was mich erwarten wird.

Ich lege mich wieder zurück auf den Rücken und genieße die angenehme Stille, die lediglich von Fawkes Schnurren unterbrochen wird.

„Erzähl mir eine komische Angewohnheit oder einen Fetisch von dir."

Ich grinse Luke an, der kurz zu überlegen scheint, dann aber kurze Zeit später auch grinst.

„Ich esse manchmal Gewürzgurken mit Nutella."

„Wow... Ich hätte nicht wirklich direkt mit so einer ekligen Eigenschaft gerechnet. Eigentlich machst du einen ziemlich normalen Eindruck, Luke Bennett, aber der wurde gerade leider zerstört. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich einfach sagen, dass du schwanger bist, aber soweit ich weiß verfügst du über keinen Uterus."

Sein Lachen erfüllt den Raum, was mein Kater aber anscheinend nicht so amüsant findet, da er erschrocken aufspringt.

„Nein tatsächlich nicht, aber hiermit zwinge ich dich dazu, es wenigstens mal zu probieren. Du sagst selbst immer man soll nicht vorschnell urteilen!"

„Touché!"

Die restliche Zeit vergeht wie im Flug und füllt sich mit ausgelassenen und zum Teil zugegeben ziemlich bescheuerten Gesprächen, die aber nicht besser sein könnten, bis sich meine Zimmertür öffnet und Andrea hereinkommt.

„Hallo ihr zwei! Es ist schon ganz schön spät, wir machen uns jetzt mal auf den Heimweg, also muss ich euch leider trennen." Sie zwinkert uns frech zu, woraufhin Luke einfach nur genervt schnauft. „Und sehr hübsches Zimmer, Kate!"

„Danke." Andrea verschwindet wieder nach unten, jedoch nicht ohne ihrem Sohn noch einmal zu sagen, dass er jetzt seinen Hintern bewegen soll.

„Wir sehen uns dann zum Gewürzgurken mit Nutella essen!"

Picasso grinst mich ein letztes Mal frech an, bevor auch er verschwindet und mich mit einem Lächeln auf meinem Gesicht zurücklässt.

Morgen sind meine Opfer dann Maja und Finn...

How are ya?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top