Kapitel 19


Heute steht mal wieder ein Arzttermin an. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich dafür bereit bin, denn das Ergebnis wird wahrscheinlich wieder so wie beim letzten Mal ausfallen und das hatte ich ja nicht ganz so gut aufgefasst...

Fawkes liegt schlafend auf meinen Beinen und schnurrt ruhig vor sich hin. Es gibt keinen entspannenderen Klang auf dieser Welt, als das Schnurren einer Katze. Ich hätte auch nichts dagegen mit ihm zu tauschen. Den ganzen Tag schlafen, essen und gekrault werden hört sich ziemlich verlockend an.

Die Tür zu meinem Zimmer öffnet sich, woraufhin kurze Zeit später meine Mutter ihren Kopf herein streckt.

„Wir müssen in zehn Minuten fahren Spätzchen, mach dich so langsam bereit, ja?" Ich nicke bloß, während Mama auch schon wieder verschwindet.

Schweren Herzens muss ich Fawkes aufwecken und ihn von meinen Beinen scheuchen, damit ich mich fürs Krankenhaus fertig machen kann.

Komischerweise habe ich, nachdem ich bei Luke übernachtet hatte, gar nicht mal so großen Ärger bekommen. Natürlich waren Mama und Papa außer sich vor Sorge, aber ich hatte mit weitaus Schlimmerem gerechnet. Ich wäre zwar fast an Luftmangel gestorben, weil mich beide wortwörtlich erdrückt haben, aber ich denke es gibt schlimmere Wege, die Luftmangel verursachen...

Unten angekommen ist Mama gerade dabei ihre Jacke überzuziehen. Auf ihrer Stirn zeichnet sich eine tiefe Sorgenfalte ab, welche sich jedoch sofort glättet, sobald sie mich sieht. Wahrscheinlich denkt sie, dass ich ihre Sorgen und das Ganze nicht sehe, dabei sehe ich nichts klarer als das. Es frisst mich quälend langsam von innen auf und mit jedem Tag wird es schmerzhafter.

„Bereit?"

„Ich war noch nie bereit."

Ich dachte immer, dass ich alles im Griff hätte, dass ich meine Zukunft und alles was kommt selbst in die Hand nehmen kann und bereit bin, nur leider hat mein naives Ich sich da gewaltig geirrt. Ich war noch nie bereit und werde es auch nie sein. Man weiß nie was passiert und manchmal reißt es einen so von den Füßen, dass man nicht mehr, oder nur mit Hilfe, aufstehen kann.

Wir steigen gemeinsam ins Auto, meine Mutter nimmt auf dem Fahrersitz Platz und ich daneben. Ich bin viel zu nervös um jetzt fahren zu können, wobei es Mom wahrscheinlich nicht anders geht.

„Hör mal Kate... Ich weiß, dass du nicht über Luke oder euer Verhältnis zueinander reden willst, was ich auch vollkommen akzeptiere, nur wollte ich dir sagen, dass ich Luke und vor allem dir vertraue. Du musst gar nicht mit mir darüber reden, aber ich finde, dass er ein toller Junge ist, was bestimmt auch damit zusammenhängt, dass du immer viel mehr lächelst, wenn er da ist. Er tut dir gut."

Sie konzentriert sich während sie redet nur auf die Straße, wahrscheinlich weil sie vielleicht sogar etwas Angst vor meiner Reaktion hat, die in letzter Zeit ja nicht immer so nett ausfallen... Aber ich denke größtenteils, weil sie einfach keinen Unfall bauen will, logisch.

Ich weiß es sehr zu schätzen und ich bin ihr sehr dankbar, dass sie es dabei belässt, nur bringe ich nicht mehr als ein schwaches Nicken und ein winziges Lächeln zustande.

Der Termin liegt mir wie Steine im Magen und ich habe unheimlich Angst. Angst, dass meine Hoffnung und die der anderen weiter zerstört wird. Dass das Licht am Ende des Tunnels immer mehr verblasst.

Am Krankenhaus angekommen tragen mich meine Beine schon wie von selbst hinein, alles läuft mittlerweile automatisch ab. Ich wünschte es wäre nicht so, aber das hier ist mittlerweile Normalität.

Die nette Empfangsdame bittet uns für einen Moment im Wartezimmer Platz zu nehmen, was manchmal ganz schön lange Momente sind, jedoch werden wir schon kurze Zeit später in den Behandlungsraum gebeten, wo Dr. Carter bereits auf uns wartet.

„Hallo Kate! Hallo Frau Mayer!"

Er gibt jedem von uns freundlich die Hand, wonach ich mich schonmal auf die Liege lege. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, da sollte man keine verschwenden.

Die üblichen Behandlungen und Tests werden durchgeführt, während ich einfach nur hoffe, dass sich der wolkenüberzogene Himmel etwas lichtet.

„So, das wars dann."

Ich setze mich auf und blicke Herr Carter entgegen, der ein aufmunternderes Lächeln auf den Lippen trägt. Vielleicht bilde ich es mir einfach nur ein, weil es eine Wunschvorstellung in meinem Kopf ist, doch er schaut im Gegensatz zum letzten Mal deutlich fröhlicher und optimistischer aus.

Ich sollte mir nicht zu viel Hoffnung machen, denn desto größer die Hoffnung, desto größer der Schmerz und die Enttäuschung und davon halte ich im Moment wirklich nicht mehr aus.

„Wie ging es dir die letzten Tage?"

Anscheinend möchte mich der Gute noch etwas auf die Folter spannen und mein Herzinfarktrisiko erhöhen.

„Ganz gut, ab und zu sind Nebenwirkungen aufgetreten, aber im Großen und Ganzen wirklich in Ordnung.", was ja auch die Wahrheit ist.

Da die Träume wahrscheinlich eher mit meinem psychischen als physischem Zustand zusammenhängen, halte ich es für unnötig darüber zu berichten.

„Das hört sich doch schonmal gut an. Dein Körper ist zwar sehr erschöpft und ausgelaugt, er muss ja schließlich den ganzen Tag gegen den Tumor in dir ankämpfen und die ganzen Medikamente verarbeiten, doch er scheint es zu schaffen und die Medikamente scheinen auch zu helfen..."

Er macht eine kurze, dramatische Pause, während mein Brustkorb vor Anspannung zu zerreißen droht.

„Ich freue mich dir sagen zu können, dass der Tumor nicht mehr gewachsen ist. Du wirst nochmal zusätzliche Medikamente bekommen, aber so wie es aussieht, können wir nächste Woche mit der richtigen Behandlung beginnen, vorausgesetzt dein Zustand bleibt so. Ich kann natürlich nichts versprechen, aber deine Überlebenschancen sind heute um einiges angestiegen."

Dr. Carter lächelt mich freudig an, doch mein Hirn braucht erstmal einige Sekunden bis wirklich ankommt, was er gerade gesagt hat. Wahrscheinlich starre ich ihn mit offenem Mund an und sehe absolut bescheuert aus, aber das ist mir gerade so egal.

Der Tumor ist nicht mehr gewachsen. Meine Überlebenschancen sind um einiges gestiegen.

Freudentränen rinnen meine Wangen herunter und ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so erleichtert und aufgeregt wie gerade. Ich kann es schaffen.

Mama schlingt aufgelöst und zitternd ihre zierlichen Arme um mich und flüstert mir die ganze Zeit irgendetwas zu, doch ich bin so überrumpelt, dass ich überhaupt nichts mitbekomme, nur diesmal ist der Grund ein anderer. Es liegt nicht daran, dass der Schock mich taub macht, sondern die Freude, die wie süßer Honig schmeckt.

Ich kann tatsächlich den Krebs besiegen.

Wir verlassen gemeinsam das Krankenhaus und Mama ist so euphorisch, dass sie einige Male das vorgegebene Tempolimit überschreitet.

„Das muss gefeiert werden! Dein Vater wird Freudensprünge machen! Heute Abend wird es ein fantastisches Essen geben, frag doch Luke und seine Mutter ob sie auch kommen wollen. Er wird es sicherlich auch nicht glauben können. Oma werde ich natürlich auch noch abholen, sie werden alle sprachlos sein!" Und ausnahmsweise hat sie recht.

Das muss gefeiert werden! Ich habe schon lange nicht mehr so viel Euphorie und Lebenswillen gespürt.

„Ich rufe ihn gleich an."

Zu Hause angekommen sprinte ich sofort in mein Zimmer, knuddle Fawkes einmal kräftig und wähle auch schon Lukes Nummer, der sofort abnimmt.

„Hallo?"

„Hey, Picasso! Haben du und deine Mom heute Abend schon was vor?" Ich kann den verwirrten Blick und die zusammengezogenen Augenbrauen förmlich vor mir sehen.

„Neein... Kitty was-"

„Sehr gut, sieben Uhr bei uns. Du weißt ja wo ich wohne. Tschüss."

So hat mich Luke definitiv noch nie erlebt, ich habe mich ja schon selbst lange nicht mehr so so erlebt. Er dürfte jetzt mehr als nur verwirrt sein, aber ich möchte ihm die Neuigkeiten unbedingt persönlich mitteilen.

Papa war eben noch nicht zu Hause, aber auch er dürfte gleich da sein.

Eigentlich sollte ich mich nicht so sehr freuen und mir so große Hoffnungen machen, denn desto höher ich fliege, desto tiefer falle ich. Nichts ist sicher und der Tumor kann jederzeit weiter wachsen, doch im Augenblick bin ich einfach nur glücklich und erleichtert.

Ich will es schaffen und ich werde es schaffen, mein Kämpfergeist ist auf jeden Fall erwacht. Zumindest bis der nächste Rückschlag anfällt...

Mama bereitet schon fleißig das Essen für später vor, wobei ich ausnahmsweise mal helfe. Normalerweise ist kochen und alles was dazu gehört nicht so mein Fall.

Die Tür fällt ins Schloss und kurze Zeit später steht auch schon Papa vor mir.

„Was ist denn hier los?!"

Er mustert uns kritisch, was ich auch verstehen kann, denn das Grinsen auf Mamas und meinem Gesicht muss schon gruselig aussehen. Ich erlöse ihn schließlich, indem ich ihm die Neuigkeiten erzähle und wie vermutet ist Papa genau so überwältigt wie wir alle. Auch er schließt seine Arme fest um mich und kann nicht verhindern, dass ihm ein paar Tränchen die Wange herunterkullern.

Als schließlich Oma ankommt, fällt ihre Reaktion nicht anders aus. Ich atme ihren vertrauten Duft ein, der mich immer so geborgen fühlen lässt und ehrlich gesagt könnte ich mich gerade nicht viel besser fühlen.

Es tut gut meine Eltern und Oma nach langer Zeit nochmal so hoffnungsvoll und ausgelassen zu sehen, was mir ebenfalls unheimlich viel Kraft und Mut gibt.

Ich freue mich auf unser Abendessen, doch noch mehr freue ich mich auf Andrea und Picasso und vor allem auf seine Reaktion. Pünktlich um sieben Uhr ertönt die Klingel, sodass ich sofort zur Haustür laufe, um sie den beiden zu öffnen.

Mach dich auf was gefasst Luke Bennett...

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