Kapitel 18
„Kate? Kate, wach auf!" Irgendjemand rüttelt an mir und beendet somit meinen unruhigen Schlaf.
Als ich die Augen aufschlage erblicke ich nicht mein Zimmer und liege auch nicht in meinem Bett, sondern befinde mich in einer völlig fremden Umgebung. Sofort überkommt mich die Panik, woraufhin ich mich ruckartig aufsetze und aufstehen will, doch zwei große Hände halten mich zurück.
„Es ist alles gut, ich bin da."
Luke redet auf mich ein, wodurch ich mich langsam entspanne. Mein Haaransatz ist nass und meine Haut ist von einem dünnen, klebrigen Schweißfilm benetzt. Der Alptraum. Schon wieder.
„Wo sind wir?"
Das Letzte woran ich mich erinnere ist, wie Luke und ich auf der Motorhaube lagen und die Sterne beobachteten.
Mein Brustkorb hebt sich unregelmäßig schnell und ich zittere am ganzen Körper. Warum kann ich nicht wenigstens gut schlafen?
„Ich habe dich mit zu mir genommen. Du warst eingeschlafen und ich wollte dich nicht wecken."
„Warum bin ich nicht zu Hause?" Er hätte mich doch auch bei mir ins Bett legen können.
Ich will nicht, dass er auch noch von meinem kaum vorhandenen Schlaf und den Alpträumen erfährt, obwohl es sich schon deutlich an meinen tiefen Augenringen erahnen lässt.
„Ich wusste nicht wo deine Schlüssel sind und bei euch zu Hause war auch schon alles dunkel, weswegen ich deine Eltern nicht wecken wollte." Hoffentlich sterben sie nicht vor Sorgen, weil ich nicht heim gekommen bin.
„Ist alles gut bei dir? Du hast eben die ganze Zeit etwas vor dich hingemurmelt und dich ziemlich heftig rumgewälzt..."
„Ja klar, alles bestens! Ich liebe es schweißgebadet aufzuwachen, dann kann ich mir nämlich immer schon direkt die Dusche sparen."
Ich sah wahrscheinlich wie ein zappelnder Fisch auf trockenem Untergrund aus, der verzweifelt versucht wieder ins Wasser zu gelangen, aber das ist natürlich ganz normal, macht heutzutage jeder so.
„Kate, ich meine es ernst. Was war los?"
„Ein Alptraum, nichts weiter." Ich blicke auf die Uhr, die auf dem Nachttisch neben mir steht und gerade einmal vier Uhr morgens anzeigt.
Mir tut es leid, dass Luke wegen mir weniger Schlaf bekommt. Ich werde jetzt schon zur Last. Hätte ich doch besser seinen Brief ungeöffnet in den Müll geworfen...
„Das ist schon das dritte Mal, dass ich versucht habe sich aufzuwecken... Die ersten zwei Male warst du wieder still, nachdem ich mit dir gesprochen hatte, aber es hat einfach nicht aufgehört, weswegen ich dich geweckt habe. Das ist definitiv nicht normal."
„Normal ist relativ."
Für mich ist es mittlerweile normal, nachts nicht schlafen zu können und wenn doch, von Alpträumen geplagt zu werden. Anscheinend denkt er, dass ich ihm jetzt endlich mein Herz ausschütte, aber ich bin noch nicht so weit. Ich möchte ihn nicht noch mehr mit meinen Problemen belasten. Er hat genug Dinge, mit denen er zu kämpfen hat...
„Ich akzeptiere jetzt einfach mal die Tatsache, dass du nicht mit mir darüber reden willst, obwohl es meiner Meinung nach besser wäre. Aber da du so ein Dickkopf bist, tust du es ja so oder so nicht."
Wo er recht hat, hat er recht.
„Wo hast du eigentlich geschlafen? Bei deiner Mama im Bett?" Ich grinse ihn frech und vielleicht auch etwas provozierend an, größtenteils um vom eigentlichen Thema abzulenken.
Mittlerweile habe ich erkannt, dass es sich bei dem Bett in dem ich liege um Lukes handelt, nur stellt sich die Frage wo er geschlafen hat. Ich kenne Luke mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er sich niemals mit mir in ein Bett legen würde, ohne vorher gefragt zu haben.
„Ha ha ha. So früh am Morgen und schon so lustig."
Picasso bemüht sich ernst zu bleiben und sein Grinsen zu verstecken, doch letztendlich gelingt es ihm nicht und ein breites Grinsen zeichnet sich auf seinen Lippen ab.
„Auf der Couch." Er deutet hinter sich, wo tatsächlich eine ausgezogene Schlafcouch steht. Ob er wohl öfter Besuch über Nacht hat?
Ist jetzt dieser Moment gekommen, wo ich ihm unschuldig und natürlich ohne irgendwelche Hintergedanken anbiete bei mir, in seinem Bett zu schlafen?
Ähmm... Nein.
„Ich denke wir können beide noch etwas Schönheitsschlaf gebrauchen... Weck mich, wenn du wach werden solltest oder sonst irgendetwas ist." Luke legt sich wieder hin, ich versuche währenddessen die unterschwellige Beleidigung zu ignorieren. Wenigstens hat er sich selbst auch damit beleidigt.
Meine Lider werden Stück für Stück wieder schwerer und nach kurzer Zeit wird erneut alles schwarz um mich...
***
Als ich das nächste Mal die Augen öffne, ist es schon hell und ich fühle mich bei weitem ausgeschlafener. Die Couch, auf der Luke geschlafen hat, ist schon leer, woraufhin ich beschließe ebenfalls aufzustehen.
Ich erinnere mich noch vage wo sich das Badezimmer befindet und versuche dort das Vogelnest auf meinem Kopf zu bändigen, sowie den ekligen Geschmack in meinem Mund loszuwerden.
An meinem Körper befinden sich noch immer die Klamotten von gestern, nur meine Schuhe fehlen.
Nachdem ich mich ein wenig aufgefrischt habe, laufe ich die Treppe hinunter und halte nach Luke Ausschau, als ich eine kleinere Frau entdecke und sie auch mich.
Sie schaut mich kurz an, als sich schlagartig ihr Ausdruck erhellt und ein breites Lächeln auf ihr Gesicht tritt. Die Frau überrumpelt mich, indem sie mich plötzlich in ihre Arme zieht und mich fest an sich drückt.
„Du musst die hübsche Kate sein! Luke schwärmt andauernd von dir!"
Sie zwinkert mir zu und dann wird mir auch endlich klar, dass es sich bei dieser Frau um Lukes Mutter handeln muss.
Ihre glatten Haare sind tiefschwarz und schulterlang, wohingegen ihre Augen in einem schönen Haselnussbraun strahlen.
„Du hast bestimmt mächtig Hunger, komm mit, Liebes!" Sie legt mir sanft ihre Hand in den Rücken und schiebt mich in Richtung Küche.
„Jetzt habe ich doch fast vergessen mich vorzustellen. Ich heiße Andrea, Schätzchen, und bin, wie du vielleicht schon erkannt hast, die Mutter des kleinen Frechdachses!"
Ihr klares Lachen ertönt und mir wird sofort klar woher Picasso seine fröhliche, offene und freundliche Art hat. Andrea läuft schnell zum Herd und rührt im Essen, welches verdächtig nach Rührei mit Bacon riecht.
„Jetzt wär mir doch glatt das Essen angebrannt!" Sie lacht herzlich über ihre eigene Schusseligkeit und beginnt den Tisch zu decken.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?" Ich fühle mich ziemlich unbeholfen und unwohl dabei, hier so nutzlos rumzustehen.
„Nein, nein danke. Setz dich doch bitte schon mal, Kate, bei uns muss niemand stehen. Und sieze mich bloß nicht, da fühl ich mich immer so alt!"
Ich befolge ihre Anweisung und setze mich hin, während sie weiter in der Küche herumwuselt.
Ihre lebensfrohe, aufgeweckte Art steckt mich an, sodass ich ebenfalls lächeln muss. Ich habe selten einen so bewundernswerten Menschen gesehen.
Ihr Mann ist gestorben, sie musste ihren Sohn alleine weiter großziehen und alleine Geld verdienen, um über die Runden zu kommen und ist trotzdem so ein positiver Mensch.
Ich wünschte ich wäre auch so, aber ich muss mir, sobald eine Kleinigkeit im Gegensatz zu dem Schicksal von anderen Menschen passiert, erstmal versuchen das Leben zu nehmen.
Eine positive Einstellung habe ich auf jeden Fall... Nicht.
„Luke ist noch oben im Atelier, er müsste aber auch gleich kommen." Andrea schenkt mir ein flüchtiges Lächeln und wendet sich dann wieder dem Rührei zu.
Picasso macht seinem Namen wirklich alle Ehre. Noch nichts gegessen, aber Hauptsache schon gemalt oder was auch immer er dort tut.
Das Frühstück ist kurze Zeit später fertig zubereitet, als sich auch die Tür öffnet und Luke herein tritt. Er trägt ein mit Farbe beschmiertes T-Shirt und seine dunklen Haare liegen wie immer unordentlich auf seinem Kopf, was aber zugeben ziemlich gut aussieht.
Er drückt seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, bevor er sich auf den Stuhl neben mich setzt.
„Na, Kitty."
„Hey."
Er grinst kurz, wendet sich dann aber dem herrlich riechenden Essen zu und beginnt sich dieses wortwörtlich auf den Teller zu schaufeln.
„Lass Kate und mir doch bitte auch noch etwas übrig!" Andrea versucht ernst und streng zu wirken, doch auch sie schafft es, genau wie ihr Sohn, nicht.
Als jeder seinen Teller beladen hat, beginnen wir zu essen und ich muss sagen, dass ich schon lange kein so gutes Frühstück mehr hatte. Sorry Mom.
Andrea erzählt währenddessen lebhafte Geschichten aus ihrer Jugend und aus Lukes Kindheit, wodurch der Raum immer wieder mit herzlichem Lachen erfüllt wird.
Ich fühle mich unheimlich wohl und es scheint, als würde meine Krankheit gar nicht existieren, als würde ich in einer besseren Welt leben und alles andere war einfach nur ein böser Traum.
Von den bösen Träumen habe ich nachts genug, nur aus dem Alptraum namens Leben kann ich leider nicht einfach so aufwachen.
Nach dem Essen helfe ich beim Abräumen, obwohl Andrea es mir ausdrücklich verboten hat, aber mein schlechtes Gewissen plagt mich sonst und meine Mutter würde mir eine Standpauke halten, wenn ich faul rumsitzen würde als Gast.
Mittlerweile ist es schon fast Mittag und ich habe mich immer noch nicht bei meinen Eltern gemeldet, die wahrscheinlich schon denken, dass etwas passiert ist.
„Ich denke ich sollte so langsam nach Hause gehen. Meine Eltern wissen immerhin nicht, dass ich hier bin."
„Ich bringe dich.", erwidert Luke sofort, doch ich schüttle bloß den Kopf.
„Nein, ich habe doch schonmal gesagt, dass ich alt genug bin um alleine nach Hause zu finden und falls du es noch nicht gemerkt hast, meine Beine sind noch funktionstüchtig. Dieses Mal gebe ich übrigens nicht nach."
Luke seufzt ergeben, worauf ich einen kurzen Moment später wieder herzlich in Andreas Arme gezogen werde.
„Ich hoffe wir sehen uns bald wieder, aber wenn mein Sohn vernünftig ist, was ich doch schwer hoffe, dürfte dem nichts im Wege stehen! Du musst dir auch unbedingt noch das Atelier ansehen...Du bist ein tolles Mädchen, Kate, bleib so wie du bist!"
Ich merke wie meine Augen langsam feucht werden, aber ich blinzle die aufkommenden Tränen schnell weg. Bloß keine weitere Schwäche zeigen, von dieser Seite hab ich in den letzten Tagen nämlich viel zu viel durchschimmern lassen.
Andrea löst sich wieder von mir, doch kurz darauf umschlingen mich zwei andere, starke Arme.
Zuerst versteife ich mich, allerdings schlinge ich letztendlich auch meine Arme um seinen Torso und vergraben mein Gesicht an seiner Brust.
„Ich weiß, dass du das eigentlich gar nicht willst, aber es musste sein."
Meine Augen sind geschlossen, ich lausche einfach seiner rauen Stimme, welche nah an meinem Ohr ertönt und spüre seinen Atem, welcher meinen Hals streift.
„Ich denke ich überlebe es gerade so... Zumindest noch für ein paar Monate." Ich spüre wie sein Brustkorb vibriert, weshalb ich vermute, dass er leise in sich hinein lacht.
„Wir sehen uns, Kitty."
„Bis dann, Picasso."
Wir lösen uns voneinander, ich trete aus dem Haus und winke den beiden nochmals zum Abschied, was sie erwidern.
Andrea lächelt, doch diesmal handelt es sich nicht um ein glückliches, sondern um ein mitleidiges Lächeln. Luke muss ihr vom Krebs erzählt haben, nur weiß ich nicht ob sich das mitleidige Lächeln an mich, Luke oder uns beide richtet...
Die kalte Luft umhüllt mich und taucht meine Wangen in einen zarten Rotton. Ich laufe bis zur nächsten Bushaltestelle und warte dort auf den nächsten Bus. Was eine Überraschung.
Neben mir steht ein wild knutschendes Paar, das sich zwischendurch immer wieder sagt, wie sehr sie den jeweils anderen lieben.
Ich war noch nie in meinem ganzen Leben so wirklich verliebt. Ich hatte zwar schon einen Freund und mit dem Wort Jungfrau kann ich mich auch nicht mehr schmücken, aber wenn mich jetzt jemand fragen würde, was wahre Liebe ist, ich könnte es nicht beantworten.
Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt aus tiefstem Herzen lieben kann.
Vielleicht hätte ich irgendwann noch die wahre Liebe gefunden, aber ich glaube wohl kaum, dass die Zeit, die mir noch bleibt, ausreichend ist...
Ich bin mal wieder so in Gedanken gefangen, dass ich fast nicht den heranfahrenden Bus bemerke. Die Fahrgäste steigen ein und ich schließe mich ihnen an.
Beim Einsteigen strömt mir sofort eine angenehme Wärme entgegen und ich setzte mich an den nächstbesten Platz am Fenster, wo ich am aller liebsten sitze.
Die Landschaft und die Häuser ziehen still an mir vorbei und versetzten mich in eine Art Trance.
Das Leben zieht genau so, wie die Landschaft, an jedem Einzelnen von uns vorbei, nur bei manchen dauert die Busfahrt etwas länger als bei anderen. Und ich... Ich muss an der nächsten Station aussteigen.
Was sagt ihr zu Lukes Mutter?
Fahrt ihr in den Sommerferien in den Urlaub?🌊
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