II
Nachdem einige aus unserer Truppe die letzten Wochen gestorben waren, gab es weniger Streit bei den wenigen Zelten, die wir bei uns trugen. So makaber es auch klingen mag, wir hatten mehr Platz und die Chance nach einer kalten Nacht wieder aufzuwachen war gestiegen.
Auch diesen Morgen, als ich die Augen aufschlug, wusste ich nicht, ob ich dankbar sein sollte am Leben zu sein. Die beiden Männer, die mit mir in dem eigentlichen Zweimannzelt schliefen, hatte ich erst gestern Nacht kennengelernt. Beim Marsch durften wir nicht viel sprechen. Erst abends, wenn wir das Lager aufschlugen, war so viel Chaos vorhanden, dass es niemanden mehr interessierte, wer mit wem sprach.
Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, als ich damals aus meinem Dorf abgeholt wurde, um den Dienst anzutreten. Aber ich hatte definitiv nicht diese allumfassende Stille bei all den tausend Schritten erwartet, die mich jede Sekunde des Tages begleitete. Nur die Stimme des Majors holte mich jedes Mal aus meiner Trance zurück, wenn ich zu lange an goldene Felder, samtige Hügel und meine lachenden Geschwister denken musste.
Keine Ahnung, ob all diese goldenen Erinnerungen dafür sorgten, dass ich bei dieser grauen und kalten Umgebung nicht den Verstand verlor, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl länger ich selbst zu sein. Wie ein Schatten meiner selbst beobachtete ich, wie Menschen starben, leiden und aufgaben.
Auch diesen Morgen überraschte mich mein eigenes Verhalten. Ich war gerade dabei, mit einem Kameraden mein Zelt der letzten Nacht abzubauen, als ich jemanden aus der Gruppe fluchen hörte.
„Verdammt nochmal, lieg nicht im Weg rum!"
Verwirrt hob ich den Kopf und sah in die Richtung, aus dem das Geräusch kam. Jemand lag draußen auf dem eisigen Boden und schien eingeschlafen zu sein. Doch keine Reaktion. Ich erkannte das blonde Haar und gab meinen Kameraden Bescheid, dass ich gleich zurück sein würde und lief rüber zum am Boden liegenden Henrik.
Als ich mich hinunterbeugte, sah ich Frost in seinen Haaren glänzen. Nachdem ich ihn ansprach, gab er keine Reaktion von sich. Ich fühlte nach seinem Puls und erschrak. Sein Körper war starr vor Kälte und auch seine Kleidung klebte ihm gefroren am Körper. Er hatte es wohl in der letzten Nacht in kein Zelt geschafft.
Seufzend sah ich neben ihm seine Tasche liegen, die er für den Marsch tragen musste. Neben wenigen persönlichen Dingen befand sich die gleiche Ausrüstung eines Fußsoldaten darin, wie die, welche ich besaß. Ich schnappte mir meine und seine Lederflasche und lies von ihm ab. Früher oder später würde es noch jemand bemerken und dafür sorgen, dass die noch brauchbaren Dinge, die er am Körper trug, an jemand anderen übergingen, der sie gebrauchen konnte.
Als ich zurück zu meinem Zelt lief, das fast fertig gepackt auf dem Boden lag, sah mich mein Kamerad fragend an. Ich schüttelte bloß den Kopf und machte mich weiter an die Arbeit. Ich hatte meine Flasche wieder und sicherte mir damit mein Überleben. So wie der Major es gerne sagte.
Immer wieder musste ich mich bei dem darauffolgenden Marsch daran erinnern, dass Henrik mit seiner Erkrankung so oder so gestorben wäre. Ihm nutzten die Flaschen Tod nichts mehr. Meine Scham wurde aber durch den Gedanken dennoch nicht weniger.
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