Teil 53 Danach - Benedikt und Lara
Benedikt und Lara fuhren über die Autobahn.
Es begann zu dämmern.
Es war vorbei!
Die Teufelin würde im Gefängnis verrotten!
Ihren Sohn würden sie zwar nicht zurückbekommen, aber er war stolz auf sie, hatte die wortgewandte Ronja gesagt.
Es war fast unerträglich schwer gewesen zu überleben, aber sie hatten es geschafft, auch für den wunderbaren zweiten Sohn hatten sie überleben müssen!
Da hörten sie vom Rücksitz Kilian leise singen.
Der Junge war sehr musikalisch, sie wussten lange nicht, woher er dieses Talent hatte.
Sie beide waren vollkommen unmusikalisch.
Dann hatte ihr Vater, der sich sehr verändert hatte seit jenem Abend im Restaurant, ihnen erzählt, dass ihre Mutter Klavier und Gesang an der Akademie studiert hatte.
30 Jahre lang war er jedem Gespräch über seine verstorbene Frau aus dem Weg gegangen. Erst in den letzten Jahren hatte Lara mehr und mehr aus dem Leben ihrer Mutter erfahren.
Seine zweite Frau, Rachel, förderte diese Vergangenheitsbewältigung der beiden, war nicht im mindesten eifersüchtig auf die Tote.
Lara hörte, wie ihr Elfjähriger Robins Refrain sang und die Strophe über Kilian.
Sie drehte sich um, lächelte ihn liebevoll an.
„Das ist ein schönes Lied, nicht wahr?" sagte sie leise.
„Ja!" antwortete der Junge. „Es macht immer die Seele etwas heiler!"
Er litt am meisten darunter, dass er an jenem verhängnisvollen Tag nicht auf seinen Bruder aufgepasst hatte.
Oft und oft hatten die Eltern ihm erklärt, dass er nicht die geringste Schuld trug, dass die Teufelin Florian irgendwo erwischt hätte.
„Kannte Robin Florian eigentlich?" fragte er dann. „Weil er so schön über ihn geschrieben hat?"
„Nein!" erklärte Benedikt. „Aber er kann sich sehr in Menschen hineinfühlen!"
Kilian schwieg wieder eine Weile.
Doch ein Gedanke musste noch aus seinem Kopf heraus. „Welches seiner Kinder wäre gestorben, wenn sie nicht so ein verdammtes Glück gehabt hätten?"
Er zitierte den Sänger, deshalb gab es auch keine Rüge wegen des „verdammt".
„Nicola!" antwortete Lara gepresst.
Sie hatten den Kindern bisher noch nicht erklärt, warum ein Kind hatte sterben müssen, das andere am Leben bleiben durfte.
Es hatte auch nie Fragen darüber gegeben.
Sie waren sich alle einig, dass die Kleinen es nie erfahren sollten, dass eine Mörderin sie ausgetragen und zur Welt gebracht hatte.
Sie hofften sehr, dass dieser besondere Umstand auch nicht von der Presse herausgefunden und breitgetreten wurde.
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes waren keine Journalisten zu dem Prozess zugelassen gewesen, die Verhandlungen hatten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.
Ronja hatte das durchgesetzt, hatte den Gerichtspräsidenten zugetextet, bis der beinahe einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.
All die Paragraphen nachzuschlagen, die sie ihm um die Ohren gehauen hatte, hätte seiner Meinung nach Monate gedauert.
Da glaubte er der kleinen Staatsanwältin lieber und gab nach.
„Oh!" stieß Kilian hervor.
Die hübsche Tochter des Popstars hatte ihm ausnehmend gut gefallen.
Doch dann besann er sich. „Aber bei beiden wäre es gleich schlimm gewesen, nicht wahr? Ihr wärt sicher genauso traurig gewesen, wenn sie mich erwischt hätte!"
Benedikt musste den nächsten Parkplatz anfahren, seine Augen waren tränenblind.
Er brauchte eine Zigarette, er hatte nach dem Tod seines Kindes wieder angefangen zu rauchen, nach 15 Jahren.
Kilian sah ihn mit schlechtem Gewissen an. Er hatte den Papa nicht zum Weinen bringen wollen! Aber mit wem sollte er denn reden?
Es war so viel in seinem Kopf durcheinander!
Wer sollte das denn wieder in Ordnung bringen, wenn nicht die Eltern?
Lara sah seine ängstlichen Blicke.
„Du musst reden, Kilian! Alles, was dir durch den Kopf geht, musst du sagen! Versprichst du mir das? Wir werden immer wieder ein bisschen traurig werden, aber das ist normal! Doch wir sind erwachsen, wir halten das schon aus! Du bist ein Kind, du brauchst unsere Hilfe bei deinen Fragen und Gedanken!"
Kilian lächelte seine hübsche Mama an.
Sie verstand ihn, er hatte es gewusst!
Und der Papa verstand ihn auch, weil er ihn lieb hatte!
Er stieg aus, legte seinen Arm um die Taille des großen Mannes, sah in den Himmel.
„Hast du gesehen! Der Stern hat geblinkt! Florian hat gewunken!" Er winkte zurück.
Dann sah er seinen Vater an. „Und er hat gesagt, du musst mit dem Rauchen aufhören! Er will dich nicht schon bald da oben haben!"
Benedikt lächelte seinen Großen an und wusste, dass das die letzte Zigarette gewesen war. Er warf die Packung in den Abfallkorb.
Die letzten Kilometer hielt er Laras Hand.
Zum Glück war wenig Verkehr, und ihr Wagen hatte Automatik.
Er fühlte, wie eine große Ruhe über ihn kam.
Eine Ruhe, die nur sie ihm schenken konnte, die kleine, blondgelockte Schönheit!
Die fantastische Ärztin, die wunderbare Mutter, die erregende Geliebte.
Seine beste Freundin, die in den letzten Wochen auch wieder begonnen hatte, ihm ihr wunderschönes Lachen zu schenken, das er so vermisst hatte.
Zärtlich streichelte er ihr Gesicht.
Er liebte sie grenzenlos, und jetzt in diesem Augenblick begehrte er sie grenzenlos.
Sie fühlte, was er dachte, grinste ihn frech an.
Ihre Hand krabbelte seinen Oberschenkel hinauf, fasste in seinen Schritt, griff zu, dass er die Luft ausstieß.
Zum Glück war Kilian eingeschlafen.
„Vorsicht, Madame!" flüsterte er. „In einer halben Stunde möchte ich dann mehr davon!"
„Aber gerne!" versprach sie lächelnd.
Ja, sie würden es schaffen, wenn sie es auch damals, gleich nach dem Verlust nicht für möglich gehalten hatten.
Immer mehr kam die Leichtigkeit in ihr Leben zurück, immer öfter ließen sie die Leidenschaft wieder zu. Sie hatten ihren zweiten Sohn verloren, aber sie hatten ihn auch acht Jahre lang haben dürfen, das Kind, das eigentlich nie hätte geboren werden sollen.
Sie würden weiter leben, mit einem wunderbaren Kind bei sich und einem zweiten, das auf einem Stern saß und stolz auf sie war!
Sie freuten sich auf zu Hause, heizten sich mit Blicken und vorsichtigen Berührungen an.
Kilian stellte sich weiter schlafend, sah aber zufrieden mit einem halboffenen Auge, wie die Eltern sich ansahen.
So wie früher.
Oft hatte er mit Florian darüber Witze gerissen, dass die beiden den ganzen Tag aneinanderkleben konnten!
„Bussi! Bussi! Bussi!" hatte der Kleinere oft gerufen, wenn der Papa die Mama an sich gezogen hatte.
Er war frecher gewesen als er selbst.
Der Papa hatte ihn dann oft durchs Zimmer gejagt, Florian hatte gekieckst vor Lachen.
Er war so fröhlich gewesen, immer schon!
Er hatte ihn verdammt lieb gehabt!
Lächelnd schlief er ein, träumte von einem Blondschopf, der auf einem Stern saß und ihm zuwinkte.
Zu Hause erwartete Lara und Benedikt eine Überraschung. Eigentlich hatten sie ja vorgehabt, gleich im Schlafzimmer zu verschwinden, aber in ihrem Haus brannte Licht.
Robert und sein Mann, ihr Vater und Rachel warteten auf sie, hatten sich Sorgen gemacht, wollten ihnen zur Seite stehen, falls es ihnen schlecht ging.
Laras Exmann und Dr. Baumann hatten Frieden geschlossen, was dem Arzt leicht gefallen war, seit sein Kind so glücklich mit ihrem zweiten Mann war.
Er schätzte John an Roberts Seite sehr, der überaus gebildet und ernsthaft war.
Auch Rachel kam mit den beiden gut zurecht, die mittlerweile ein fester Bestandteil der Familie waren.
John hatte Lasagne gemacht, die im Ofen warm gehalten wurde. Das Licht war gedimmt, ein paar Kerzen brannten.
Lara fiel allen um den Hals, Benedikt begrüßte sie alle mit Handschlag. Er war nicht so der Verbrüderungstyp, in seinen Armen mochte er eigentlich nur Lara, aber das musste wohl noch ein wenig warten!
Sie erzählten vom Prozess, nachdem sie Kilian ins Bett gebracht hatten.
Sie aßen die Lasagne, tranken ein Glas Wein dazu.
Dr. Baumann wunderte sich, dass Benedikt gar nicht zum Rauchen auf die Terrasse ging.
Lächelnd erzählte der Schwiegersohn von Kilians Worten.
Um ein Uhr verabschiedeten sich die Gäste mit der Sicherheit, dass die beiden es packen würden.
Rachel drängte auch ein wenig.
Sie hatte die Blitze gespürt, die zwischen dem Ehepaar hin und her schossen.
Dann endlich konnten die beiden sich frei ihrer Leidenschaft hingeben.
Kilian hörte sie im Schlafzimmer lachen.
„Sie werden wieder wie früher!" sagte er zu seinem kleinen Bruder. „Das ist gut! Wir beide passen auf sie auf!"
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