Teil 52 Danach - Julian und Ronja

Ronja und Julian blieben zurück.
Patrick und Greta waren mit Leonie zu den Großeltern gegangen.
Julian nahm sie in den Arm. 

„Heute hast du wieder einmal sehr gut gequasselt!" zog er sie auf. Ihr Lächeln zeigte ihm, dass sie seinen Scherz nicht krumm nahm.

Und plötzlich fühlte sie seine Nähe, atmete seinen Duft ein, spürte seinen Körper.
Und plötzlich überkam sie eine solche Sehnsucht nach Liebe, körperlicher Liebe, dass sie laut aufstöhnen musste.

Julian presste sie an sich, vor Begehren nach dieser schönen, starken Frau halb von Sinnen.
Sie hatten schon miteinander geschlafen in den letzten Wochen, aber es war mehr ein gegenseitiger Rettungsversuch gewesen, damit nicht einer von ihnen im Schmerz versank.

Doch jetzt wollten sie sich nicht retten, sie wollten sich beschenken, und sie wollten annehmen.
Sie tasteten sich langsam an die alte Leidenschaft heran. Es war fast wie damals, ganz am Anfang, als Julian ihr die Liebe gezeigt hatte.
Sie versanken, tauchten auf, trugen sich, hielten sich, liebten sich.

„Ich denke, Marlon wäre wirklich stolz auf uns, weil wir uns die Liebe so erhalten konnten, weil das Monster nicht gesiegt hat und wir uns nicht unterkriegen lassen! Er war auch ein kleiner Kämpfer, er wäre ein guter Mensch geworden, wenn sie ihn hätte erwachsen werden lassen. Ich weiß genau, dass er etwas Großes geleistet hätte!" sprudelte es aus ihr hervor.

„Ganz wie die Mama, nur dass er nicht so viel gequasselt hätte!" meinte Julian lachend.
„Das erledigt schon Leonie, weil....!" fing sie wieder an.
„Halt die Klappe!" sagte er und küsste ihr für eine Weile die Worte von ihren schönen Lippen.

Er liebte seine Räubertochter jedes Jahr mehr.
Sie was seine hinreißende Geliebte, seine wahnsinnig begabte Kollegin, seine beste Freundin.

Sie war die Vertraute seiner Großen, eine fantastische Mutter seiner Kleinen, trotz ihres nie endenden beruflichen Engagements.
Sie hatten zahlreiche Prozesse gewonnen als Team.
Sie waren gefürchtet bei allen, die auf einen Prozess warteten.

„Wenn du die Fellners bekommst, stehst du schon mit eineinhalb Beinen im Gefängnis!" waren sich die Ganoven sicher.

Aber sie vertraten auch viele Opfer von Gewalttaten, meist unentgeltlich oder auf Basis einer Erfolgsprovision, holten große Entschädigungssummen heraus.
Julian vertrat die Theorie, dass Ronja die Gegenseite so lange zutextete, dass die gar nicht mehr durchblickte, welchen Zahlen sie zustimmten.

Greta eiferte ihr sehr nach, würde mit Sicherheit noch eine Fellner werden, die vor Gericht gefürchtet würde.
Patrick war mehr der Besonnene, wie er selbst.

Sandra hatte ihre Behandlung abgeschlossen, hatte ihre Neurose überwunden.
Sie hatte einen Job bei ihrem alten Sender gefunden, nicht ganz oben, wie sie immer geplant hatte, als sie noch krank war.

Aber sie hatte sich hoch gearbeitet, führte ein zufriedenes Leben.
Sie hatte auch wieder geheiratet, einen erfolgreichen Talkmaster.

Die beiden hatten einen recht guten Kontakt zu Greta und Patrick aufgebaut, gehörten auch zum weiteren Freundeskreis von Ronja und Julian.
Sandra bewunderte die jüngere Frau offen, es gab keine Eifersüchteleien.

Alle hatten das Leben gefunden, das sie sich erträumt hatten.
In der Zeit des tiefsten Leides hatten sich Sandra und Thomas auch sehr um Leonie gekümmert, waren ihren Eltern eine große Stütze.

Der Showmaster hatte immer wieder versucht, Ronja und Julian zu einem Besuch in seiner Sendung zu überreden, er fand die kleine Quasselstrippe höchst amüsant.
Doch die beiden hatten dankend abgelehnt, sie wollten nicht zu sehr in der Öffentlichkeit stehen, auch wegen der Kinder.

Sie verdienten nicht mehr die Summen, die Julian früher gescheffelt hatte, aber sie hatten durchaus ihr Auskommen, und vor allem, sie waren zufrieden mit dem, was sie taten.

Julian hatte sich mit den neuen Medien angefreundet, duldete sie, würde sie aber nie lieben.
Das tat dafür Ronja umso mehr.

Als EDV-Beauftragte setzte sie immer die neueste Technik für ihre Abteilung und die Kriminalpolizei durch.
Sie besuchte Fortbildungen zur Thematik, kam meistens wütend zurück.
„Der Dozent war wieder mal aus der Steinzeit! Dem hättest du etwas beibringen können!" maulte sie meistens.

Sie nervte den Innenminister solange, bis er aufgab.
Dann organsierte sie ein Fortbildungsprogramm für Polizei und Staatsanwälte, das auf dem heutigen Stand war.

Zu den Referenten gehörten unter anderem ihr ehemaliger Professor und drei ihrer Kommilitonen.
Die Kollegen dankten es ihr, indem sie die Fortbildungen eifrig besuchten und die Topgeräte nutzten.

Sie schrieb auch immer wieder Programme, die die Arbeit der Ermittlungsbehörden vereinfachten.

Damit hätte sie eine Menge Geld auf dem freien Markt verdienen können, aber sie stellte alles, was sie machte, unentgeltlich zur Verfügung.
Julian platzte vor Stolz auf sein kluges Mädchen, das dazu auch immer noch vor Lebenslust strotzte.

Sie besuchten Partys, gaben selbst welche, gingen auf Popkonzerte oder ins Theater.
Ronja war immer fröhlich, lief lachend durchs Leben.
Sie waren überall gern gesehen.

Sie war eloquent, unterhielt ganze Abende lang die Gäste, er war intelligent wie sie, ein guter Gesprächspartner.
Sie zusammen waren ein herzerfrischendes Liebespaar, das aus seiner Zuneigung zueinander keinen Hehl machte.

Eine ganze Stadt liebte sie.
Als das Schicksal gerade bei den beiden so gnadenlos zuschlug, war eine ganze Stadt fassungslos.
Nach dem Prozess erlebte dann eine ganze Stadt, dass ihr Paar Nummer eins ins Leben zurückfand.

Alle wussten, dass der Schmerz nie vergehen kann, wenn man ein Kind verloren hat, aber alle freuten sich, als Julian und Ronja Fellner auf einem Open Air Konzert gesehen wurden.

„Robin hat uns Karten geschickt, für sein Konzert im Juni!" berichtete Ronja glücklich, als sie die Post durchgesehen hatte.
Julian nahm seinen schönen Schmetterling, der endlich wieder bereit war zu fliegen, in die Arme.

„Und du meinst, wir sollen da hingehen?" foppte er sie ernst.
Sie stockte nur kurz, merkte schnell, dass er sie aufzog.
„Ja, das meine ich! Und du weißt, wenn ich etwas meine, wenn ich etwas ganz und gar möchte, wirst du auch ganz brav mit mir dahin gehen, weil du es nämlich gar nicht ertragen könntest, wenn ich enttäuscht wäre, weil du so ein lieber Ehemann bist, der mir die meisten meiner Wünsche nur zu gern erfüllt!"

Julian strengte sich an, um so schnell hören zu können, wie sie sprach.
Er schaffte es, weil er ja die letzten Jahre ganz gut hatte üben können.
Ronja sagte nie nur ja oder nein.

Ronja brauchte mindestens fünf Nebensätze!
Und sie vergaß nicht ein einziges Mal Subjekt oder Prädikat.
Das hatte ihn in der Zeit des tiefsten Leides mit am meisten traurig gemacht: Dass seine geliebte Plaudertasche so einsilbig geworden war.
Aber an der Länge ihrer Monologe konnte man den Heilungsprozess ihrer Seele ablesen.

So fuhren sie an einem wunderschönen Juniabend zur Arena.
Eines ihrer Privilegien als Staatsanwälte war, dass sie ihr Auto auf einem der abgesperrten Parkplätze abstellen konnten.

Die diensthabenden Polizisten begrüßten sie herzlich. „Auch Fans von Robin Westen?" wurden sie gefragt.
„Ja!" antwortete Julian. „Und Freunde!"
„Dann kennen Sie auch den heißen Käfer, seine Frau? Die schreibt Superkrimis!" fragte einer der Jüngeren.
„Auch die kennen wir natürlich! Sie ist eine ganz fantastische Frau!" bestätigte Ronja und freute sich auf Kira.

Die erwartete sie am Eingang, führte sie in den VIP-Bereich.
Es wurde ein wunderbarer losgelöster Abend.
Sie tranken Sekt, genossen Robins Musik und seine Texte.
Dann wurden natürlich wieder die „Kira"-Rufe laut, und sie flitzte zur Bühne.
Robin fing sie lachend auf, wirbelte sie durch die Luft.

Doch dann wurde er ernst.
„Ich spiele für euch heute als Premiere ein Lied, das viele von euch berühren wird. In eurer Stadt ist ein schrecklicher Mord geschehen, der einem Paar aus eurer Mitte ein Kind genommen hat, wie auch noch drei anderen Paaren in Deutschland. Wir beide standen auch auf der Liste der Mörderin, doch wir hatten unwahrscheinliches Glück. Wir durften unsere beiden Augensterne behalten. „Vier kleine Engel" soll die Erinnerung von euch allen an diese Kinder wach halten, soll aber auch trösten und Zuversicht schenken! Ich hoffe, ich schaffe dieses Mal den Text ohne zu heulen, wenn nicht, wird Kira ihn für mich sprechen, denn mein wunderschönes Mädchen kann ganz viele Dinge besser als singen!"

Er sah sie frech an.
Das Publikum tobte trotz der traurigen Ankündigung.
Diese wunderbar normale Liebesbeziehung der beiden, die seit Jahren ganz ohne Skandale oder Trennungsgerüchte einfach anhielt, wärmte immer wieder die Herzen.

Dann fing Robin an zu spielen, nach einer Weile hatte er sich so in Griff, dass er auch singen konnte.

Julian und Ronja hielten sich im Publikum im Arm.
Sie warteten auf die Tränenflut, aber die blieb aus.
Sie hörten Robins ans Herz gehenden Worte, lauschten der wunderschönen Melodie, wiegten sich dazu.
Die Zuversicht, die er schenken wollte, wirkte.

Sie sahen nach vorne, sahen in die Zukunft, sahen ihr Leben. Nicht mehr zu viert, aber zu dritt. Und es würde ein gutes Leben werden!
Damit Marlon stolz auf sie sein konnte!

Nach dem Lied war es still im Stadion.
Keine „Zugabe"-Rufe kamen.
Alle wussten, dass es nach diesem Song nichts mehr geben konnte.
„Ich danke euch fürs Zuhören!" sagte Robin leise. „Kommt gut nach Hause und passt auf eure Kinder auf! Ich habe das Lied als Single herausgebracht, der Erlös fließt in die Zoe-Wissmann-Stiftung. Auch Zoe war ein Opfer der Teufelin! Die Nummer des Spendenkontos findet ihr übrigens auf der Homepage!"

Nach dem Konzert gingen die vier zum Essen in ein Restaurant in der Innenstadt.
Fred hatte sicherheitshalber einen Tisch bestellt, wusste er doch, wie hungrig sein Schützling nach den Auftritten immer war.

Gegen Mitternacht verließen sie das Lokal. „Sollen wir euch zu eurem Hotel bringen?" fragte Julian.
Robin sah Kira an. „Weißt du, wo wir wohnen?"

Sie bekam einen Lachkrampf. „Nein!" japste sie. „Keine Ahnung!"
Sie nahmen sich in die Arme, lachten, bis die Tränen kamen.
Sie erzählten Julian und Ronja von ihrem ersten Abend.

„Dann hat sie gottergeben gesagt: Ja, dann musst du halt mit zu mir!" stieß Robin zwischen zwei Lachanfällen hervor. „Das kleine Biest! Als wäre das die Strafe der Götter für sie! Dabei war sie total verknallt in mich! Schon lange!"
Kira knuffte ihn.

Er drückte sie an sich. „Und für mich war es der Lohn der Götter! Denn ich war vollkommen verknallt in sie!"
Er küsste die süße Maus, in die er sich so verliebt hatte an diesem einen Abend, zärtlich. „Und seit dem sind wir zusammen!"

Ronja und Julian küssten sich ebenfalls.
Liebesgeschichten waren doch immer wieder schön und animierend.
„Dann kommt ihr eben mit zu uns ins Gästezimmer! Zwei Zahnbürsten werden wir schon auftreiben!" schlug Ronja vor.

Sie saßen noch die halbe Nacht im Garten, Windlichter flackerten auf dem Tisch.
Sie tranken zwei Flaschen Wein zusammen, leerten die Schüsseln mit den Knabbersachen, die Ronja gebracht hatte.

Beschwipst vom Alkohol und betrunken vor Glück gingen sie schließlich schlafen.
Sie hatten einen ganzen Tag nicht geweint!

Die Betten im Schlaf- und im Gästezimmer quietschten noch lange in dieser Nacht.


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