Teil 3 Etwas beginnt - Robin und Kira III

Sie betraten einen Club, in dem sie von allen Seiten lautstark begrüßt wurde. Nach ihm krähte kein Hahn. Das war eigentlich seltsam, denn er war ja schon so etwas wie ein Star.
Aber die fehlenden Piercings machten ihn scheinbar unkenntlich, außerdem rechnete wohl niemand hier mit ihm.

In Grunde genoss er diese Anonymität, genoss aber auch die Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wurde, sie machte ihn beinahe etwas stolz.

Einige unfreundliche Männerblicke trafen ihn, einige interessierte weibliche. Die Musik war gut, nicht zu laut, das Publikum war in ihrem Alter.
Sie tranken beide Cola, sie, weil sie fahren musste, er, weil er fast nie trank, außer hin und wieder ein Glas Rotwein.

Nach einer Tanzrunde setzten sie sich in eine freie Nische.
„Und, wie bist du zur Musik gekommen?" fragte sie und sah ihn offen an.

Er hielt ihrem Blick stand, ihr Interesse tat ihm gut. „Ich komme aus einer Musikerfamilie." berichtete er. „Mein Vater hatte eine recht erfolgreiche Band, ist heute Professor an der Musikakademie in Hamburg für Klavier und Gitarre. Meine Mutter hat ihn bei den Auftritten so lange angehimmelt, bis er sie nicht mehr übersehen konnte. Dann bin ich entstanden, sie haben geheiratet, Mama hat Musik studiert, Gesang und Klavier, dann sind die weitern Kinderlein eingetrudelt.
Ich konnte eigentlich nichts anderes werden!" erklärte er lachend.

„Also, wenn ich einen sogenannten ordentlichen Beruf angestrebt hätte, wäre ich wahrscheinlich enterbt worden!"

Kira konnte einfach nicht die Augen von ihm lassen. Rede doch noch zwei Tage weiter! flehte sie für sich.
„Ich habe dann auch Musik studiert, also Gitarre, Klavier, Komposition und - jedes Lachen wird bestraft - Gesang." sprach er weiter, sog ihre Blicke in sich auf.

Ich bleibe jetzt einfach zwei Tage lang hier sitzen, rede und genieße, wie sie mich ansieht, dass sie mich ansieht, dass ich sie ansehen kann! dachte er.

„Vier Fächer? Hut ab!" bewunderte sie ihn.
„Naja! Halb so wild!" wiegelte er ab. „Gitarre und Klavier hatte ich ja eigentlich schon abgeschlossen, bevor ich zu studieren angefangen habe. Komposition hat einen Riesenspaß gemacht und Gesang, na ja, das ist so mitgelaufen. Schadet nie, wenn man mit der Stimme umgehen kann."

Aber jetzt musste er etwas von ihr erfahren. „Und du? Hast du was mit Musik am Hut?"

„Klar! Ich kann fantastisch gut zuhören!" scherzte sie. „Aber damit hat es sich auch! Ich bin musikalisch wie ein Stück Holz!"

Robin lachte. „Warst du schon einmal auf einem Konzert von mir?"
„Ja, achtmal! Neunmal mit heute!"
„Wow! Ein echter Fan!" freute er sich. „Wieviel hast du für das Treffen heute hingeblättert?"

„20.000 Euro!" gab sie offen zu.
Robin verschluckte sich an dem Schluck, den er gerade nehmen wollte. „Was? 20.000 Euro? Na, da fühle ich mich aber geschmeichelt! Donnerwetter!" Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Aber ich hätte umgekehrt das Doppelte bezahlt!" Es war ein Spaß, aber nichts hatte er je ernster gemeint!

Sie wählte wieder ein unverfänglicheres Thema. „Wie viele Geschwister hast du denn?"
„Fünf! Nach mir kam Tina, nach Tina Turner, dann Elton, nach Elton John. Dann wollten sie eigentlich aufhören, haben es sich wieder anders überlegt und noch einmal von vorne angefangen. Bonnie, nach Bonnie Tyler, Paul, nach Paul McCartney und Nesthäkchen Janis, natürlich nach Janis Joplin trudelten noch ein!"

Sein Gesicht strahlte, als er von seiner Familie erzählte. „Und wenn du errätst, von wem ich meinen bescheuerten Namen habe, schenke ich dir einen Tanz."
„Na, ich denke mal von Robin Gibb! Und dein Name ist nicht bescheuert, er ist wunderschön!"

Er zog sie hoch. „Die Kandidatin hat hundert Punkte und damit den Hauptgewinn des heutigen Abends gewonnen!"

Es war eine eher schnelle Nummer, aber er hielt sie leicht an den Schultern fest, drehte sich gekonnt mit ihr auf der Tanzfläche. Sie fühlte, dass er Musik und Rhythmus im Blut hatte. Da unterbrach der Discjockey kurz, um eine Ansage zu machen.

„Wir spielen jetzt drei Songs von Robin Westens neuer CD. Er hat heute bei uns ein mehr als ausverkauftes Konzert gegeben, und wie man hört, war es ein Spitzenereignis. Unsere allseits beliebte Kira hatte ja das Glück, eine Karte zu ergattern oder zu ergaunern, was weiß ich. Und ihren Tanzpartner möchte ich auf den Boden der Tatsachen zurückholen: Unser Regensburger Superstar steht voll und ganz auf den Typen."

Die anderen Gäste hörten das amüsierte Grinsen in der Stimme des Discjockeys, tauschten wissende Blicke miteinander.

Kira bekam einen Lachanfall. „Die erkennen dich echt nicht! Ich glaub's nicht! So viel können doch die Piercings nicht ausmachen."

Robin stimmte in ihr Lachen mit ein. Es war unglaublich, dass ihn niemand mit dem Rocker in Verbindung brachte. Aber er war überaus glücklich darüber.

Dann tanzten sie zu zwei Rocksongs und zu einer der Balladen. Er zog sie nicht an sich, wie er es gerne gemacht hätte. Es wäre ihm etwas peinlich gewesen, wenn sie seine Erregung gespürt hätte.

Kira wunderte sich ein wenig über seine Zurückhaltung, aber als erfahrene Frau hatte sie so ihre Vermutung, was sie leicht lächeln ließ.

Und er deutete ihr Lächeln ganz richtig. Sie war ja alles andere als dumm. Aber es war egal. Er war mit ihr zusammen, er fühlte sich so wohl wie noch nie in seinem Leben.

„Soll ich die Deppen nicht aufklären?" fragte sie ihn, als sie wieder saßen.
„Nein, bloß nicht! Es ist herrlich, so inkognito zu sein!" widersprach Robin vehement. „Aber dich kennt hier die ganze Stadt, oder?"

„Ja, schon! Aber das ist ja normal. Wir sind eine kleine Großstadt, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Meine Familie lebt seit Generationen hier." wiegelte sie ab. „Ich werde ja nie bedrängt oder gar belästigt."
„Was machen deine Eltern?" wollte er dann wissen.

„Mein Vater ist Chefarzt der Chirurgie am Klinikum und meine Mutter Chefärztin für Gynäkologie." sagte sie, und ihm fiel auf, wie distanziert ihre Antwort klang.

„Hast du Geschwister?" fragte er weiter.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, mehr als einen Unfall haben sie nicht zugelassen in ihrem durchgeplanten Leben."

„Das klingt ziemlich bitter!" wagte er anzumerken.
„Nein, es war schon okay! Ich hatte zwei Paare von sehr lieben Großeltern." Ihre Blicke schweiften ab. „Die haben es auch verstanden, dass ich mit Medizin nichts am Hut hatte!"

Kira hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass ihre Eltern mehr als enttäuscht waren von ihrem einzigen Kind. Dass sie weit davon entfernt waren, stolz auf die Tochter zu sein, die mit ihren Büchern ausgesprochen erfolgreich war und weit mehr damit verdiente, als die beiden zusammen.
Schreiben war kein Beruf, Schluss, aus.

„Deine Eltern mögen nicht, was du machst?" fragte er nach.
„So könnte man es sehr untertrieben ausdrücken, ja!" antwortete sie.
Robin griff nach ihrer Hand, hatte das Gefühl, sie trösten zu müssen.
Nein, nicht zu müssen.

Er wollte sie trösten.
Er wollte nicht, dass sie traurig war.
Er wollte nicht, dass ihre Augen so feucht wurden.
Er wollte, dass sie glücklich war, einfach nur glücklich.
Er wollte, dass sie wieder strahlte, wie den ganzen Abend, bevor er nach ihren Eltern gefragt hatte.

„Aber Kinder müssen ihren eigenen Weg gehen, nicht wahr? Wir sind nicht da, um ihre Wünsche und Träume zu erfüllen!" gab er ihr zu bedenken. „Du hast unheimlich viel erreicht, auf das du stolz sein kannst. Und du bist eine glückliche Schriftstellerin geworden, anstatt eine unglückliche Ärztin zu sein." Dabei streichelte er ihre Hände, und es fühlte sich zärtlich an. Und es fühlte sich so gut an wie die Worte, die er zu ihr gesagt hatte.

Das Lächeln kam zurück. Nein, eher das Strahlen.

Der Discjockey sagte die letzte Runde an. „Komm, nutzen wir die Chance!" bat er, glücklich, dass er die Trauer in ihren Augen hatte vertreiben können.
Es kamen zwei flotte Nummern, bei denen sie sich richtig austoben konnten.

„Und nun der definitiv letzte Song: „In deinen Armen" von Robin Westen, dessen Balladen uns immer besser gefallen!" unterbrach der Mann am Mikro noch einmal. „Und, liebste Kira: Wir haben ihn natürlich erkannt, deinen Schwarm. Aber wir wollten dir den Abend nicht kaputt machen."

Robin und Kira sahen sich überrascht an. Sie warf dem Mann am Mikro eine Kusshand zu.
Dann startete er das Lied, und Robin wagte es nun auch, sie an sich zu ziehen. Sollte sie ruhig merken, was in ihm vorging. Der Abend war ja bald vorbei, sie würden sich wohl nicht wiedersehen.

Doch warum blieb bei diesem Gedanken sein Herz fast stehen, verkrampfte sich sein Magen so sehr, dass ihm übel wurde?

Sie verließen mit den anderen den Club, standen etwas hilflos auf der Straße. „Soll ich dich in dein Hotel bringen?" fragte sie und wich zum ersten Mal seinem Blick aus.

„Ja! Danke! Das wäre nett!" antwortete er, und seine Stimme gehorchte ihm kaum.
Schweigend gingen sie zu ihrem Auto, stiegen ein und sie fuhr los. „In welchem Hotel wohnst du?" fragte sie, als sie das Parkhaus verließen.

Er sah sie erschrocken an. „Ja! Das ist eine gute Frage! Ich habe keine Ahnung!"
„Du weißt nicht, wo du heute wohnst?" Sie begann zu lachen.
„Nein! Fred hat gebucht, er hat mich hingebracht, zum Konzert gefahren. Ich weiß echt nicht, wie das Hotel heißt oder wo es liegt!"

„Na sauber! Heimatlos in Regensburg! Und jetzt?"
Ich hätte schon eine Idee! dachte er. Laut sagte er aber: „Ich ruf ihn an!"
„Es ist drei Uhr!" gab sie zu bedenken.
„Ja, hilft ja nix!"

Er wählte Freds Nummer. Es läutete endlos durch. Keine Mailbox, kein gar nichts.
„Der wird bei einer Mieze sein!" vermutete Robin.

„Ja, und jetzt?" fragte Kira.
„Ich rufe alle Hotels an, und frage, ob ich da wohne!" schlug er vor.

„Klar! Und übermorgen steht dann in der Zeitung, dass ein zugedröhnter oder besoffener Rocker sein Hotel nicht mehr gefunden hat!" wehrte sie seinen Vorschlag ab.
„Hast du eine bessere Idee?"

„Ja, dann musst du halt mit zu mir! Ich habe ein Gästezimmer mit Grundausstattung für männliche und weibliche Überraschungsgäste." sagte sie gottergeben und wusste nicht, warum ihr Herz so jubelte.

Seine Augen leuchteten so blitzartig auf, dass sie kurz den Verdacht hatte, er wüsste ganz genau, wie sein Hotel hieß.
„Das ist kein Trick?" fragte sie sicherheitshalber nach.
„Nein! So einfallsreich bin nicht einmal ich!" erklärte er grinsend. „Leider!"


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