Teil 27 Die nächsten Jahre - Robin und Kira II
Am Ende dieses Jahres merkte Kira, dass sie schwanger war. Ein einziges Mal hatten sie den Gummi vergessen, weil die Leidenschaft sie vollkommen übermannt hatte.
Erst wusste sie nicht recht, wie sie es Robin beibringen sollte. Sie hatten nie über Kinder gesprochen.
Doch dann, an einem sehr romantischen Abend, als er beiden ein Glas Wein eingeschenkt hatte und mit ihr auf das große Glück, sich gefunden zu haben, anstoßen wollte, stellte sie das Glas wieder auf den Tisch, ohne davon getrunken zu haben.
„Das sollte ich in nächster Zeit lieber lassen!" sagte sie leise.
Er sah sie verwundert an, dann drangen ihre Worte zu seinem Gefühlszentrum vor, er lächelte etwas ungläubig, grinste verstehend, strahlte überglücklich.
Dann fiel er vor ihr auf die Knie, nahm ihre Hand. „Ein Baby?" fragte er leise. „Wir bekommen ein Baby? Ein ganz echtes, richtiges Baby?"
Sie nickte nur, sprechen war im Moment nicht möglich. Und wenn es einen Preis für das glücklichste Männergesicht gegeben hätte, er hätte ihn mit großem Abstand gewonnen.
„Nein!" Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. „Ich werde Vater! Ich bekomme eine Tochter oder einen Sohn!" stammelte er.
„Ach, du kriegst das Kind? Das finde ich praktisch!"
Er lächelte sie an. Sie hatte ihre kesse Lippe zurückbekommen!
„Dann heiraten wir! Ich brauche einen Termin auf dem Standesamt und in der Kirche, und ein Fußballstadion für die Feier und einen Caterer und eine Band, weil meine ist ja bei den Gästen, und Blumen, und ein Auto! Mein Gott, ich dreh durch!" japste er, nach Luft schnappend.
Kira hielt sich den Bauch vor Lachen. „Deshalb müssen wir doch nicht heiraten! Das sieht man doch nicht mehr so eng!" wandte sie ein.
Er sah sie entsetzt an. „Ja, meinst du, ich lasse mir von dir ein uneheliches Kind anhängen? Ich bin ein ehrbarer Mann! Meine Eltern würden mich verstoßen!"
„Eltern!" rief er dann und zog das Handy aus der Tasche. „Ich bin schwanger! Ich werde Vater!" brüllte er hinein, als sein Vater sich meldete. Der lachte sich erst einmal aus, stellte dann eine Frage.
„Ja, wann? Wann, Süße?" gab Robin sie an Kira weiter.
„In acht Monaten!" antwortet sie.
„Acht Monate? Das halte ich nicht aus! Geht das nicht schneller?" Er war mit den Nerven total am Ende, und er blieb in diesem Zustand eine ganze Weile.
Wie ein Irrer rannte er durch die Wohnung, machte Pläne, verwarf sie wieder, hielt Selbstgespräche.
Nach ungefähr zwei Stunden hatte er sich einigermaßen beruhigt.
Mary rief an, fragte, ob ihr Sohn noch lebte. „Pete hat sich damals ähnlich aufgeführt!" erzählte sie lachend. Sie kamen auf einen Sprung vorbei, vor allem, um den durchgeknallten Robin zu beruhigen.
„Ich habe dir eine Packung Baldriantee mitgebracht!" zog sie ihn auf. „Der hat bei deinem Vater damals ganz gut gewirkt!"
Sie fingen an, die Hochzeit zu planen. Es sollte wie bei seinen Eltern ein buntes Fest werden.
„Ich würde mich freuen, wenn du mein Hochzeitskleid tragen würdest!" bat Mary ihre zukünftige Schwiegertochter. „Nicht weiß, sondern bunt und fröhlich. Tina war es zu eng, sie war ja schon im sechsten Monat!"
„Es wäre mir eine große Ehre!" antwortete Kira mit feuchten Augen.
Da wurde Robin auf einmal kreidebleich. „Mein Gott! Ich habe sie noch gar nicht um ihre Hand gebeten! Was, wenn sie mich gar nicht will?" fragte er entsetzt.
Kira lachte wieder. „Die Gefahr ist wahrlich groß!" meinte sie.
Er fiel zum zweiten Mal auf die Knie vor ihr. „Innig geliebte Kira! Wirst du mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?" fragte er ernst. Im Moment war ihm nicht zum Spaßen zumute.
„Ja! Natürlich will ich!"
Er küsste sie dankbar. „Uff!" stöhnte er. „Einen Ring bekommst du ein anderes Mal. Ich muss erst einen Kaugummiautomaten suchen."
Während der nächsten Woche brachten sie die Planungen unter Dach und Fach. Die Stadt stellte eine Festwiese zur Verfügung, die Musikerfamilie Westen war ein Aushängeschild Hamburgs geworden.
Bürgermeister und Pastor sagten ihr Kommen zu, anstelle eines Catererservices würde es Buden geben, an denen sich die Gäste versorgen konnten. Eine befreundete Band würde spielen. Ein Veranstaltungsservice würde Tische und Bänke aufstellen. Hunderte von Einladungskarten verschickte die Familie für das Hochzeitspaar.
Kira hatte der Form halber auch ihren Eltern eine geschickt, rechnete aber nicht mit einer Zusage. Ihr Kontakt hatte sich auf ein paar Telefonate zu Geburts- und Feiertagen reduziert.
Kurz darauf kam auch die Absage, was sie nicht weiter betroffen machte, wenigstens nicht nach außen. Viele Regensburger Freunde sagten zu, auch ihre Großeltern würden die mühsame Reise auf sich nehmen, aber ihren Eltern war die Hochzeit ihrer einzigen Tochter nicht wichtig genug.
Eine Woche vor dem großen Ereignis musste Robin kurzfristig nach München. Irgendetwas hatte mit der nächsten CD nicht geklappt, erzählte er. Ein Song musste neu eingespielt werden.
„Aber ich kann jetzt nicht weg!" wandte sie ein.
„Nein, das ist schon klar. Ich bin ja in zwei Tagen wieder da!" beruhigte er sie.
„Ja, hoffentlich!" scherzte sie. „Nicht, dass du der Bräutigam bist, der sich nicht traut!"
„Die Hoffnung kannst du ganz schnell aufgeben, Süße!" Dann musste er los, das Taxi zum Flughafen wartete.
In München setzte er sich ins nächste Taxi, ließ sich nach Regensburg fahren. Am Haus ihrer Eltern klingelte er relativ gefasst.
Ihr Vater öffnete. „Sie wünschen bitte?" fragte er von oben herab. Irgendwie kam ihm der junge Mann bekannt vor, aber so recht wusste er nicht, wohin mit ihm.
„Guten Tag!" grüßte Robin höflich. „Ich bin Robin Westen, der Mann, den ihre einzige Tochter in ein paar Tagen heiraten wird!"
Herr Walk lächelte zynisch. „Ah! Ihr Sängerknabe! Dann kommen Sie mal rein!"
Robins Kiefer mahlten, doch er schluckte die Herablassung stoisch.
Drinnen stellte der Chefarzt Robin seiner Frau vor. „Kiras Tingentangel-Freund! Robert irgendwas!"
„Robin! Robin Westen!" Er gab ihrer Mutter die Hand. Ihr Blick war genauso verächtlich, wie der ihres Mannes.
„Hat sie Sie geschickt?" fragte sie blasiert.
„Nein, sie, wie sie ihr Kind nennen, also Kira, weiß nicht, dass ich hier bin!"
„Und was wollen Sie?" Der Vater wurde langsam ungeduldig, er musste noch einen Artikel in der Fachpresse lesen.
„Eigentlich gar nichts!" Robin hatte kurzfristig seine Pläne geändert. „Als ich losgeflogen bin, hatte ich den Plan, Sie beide zu überreden, doch zu unserer Hochzeit zu kommen. Aber jetzt will ich das nicht mehr. An meinem glücklichsten Tag im Leben will ich nicht zwei Menschen in meiner Nähe haben und vor allem nicht in Kiras, die eiskalt ihre eigene Tochter vergessen haben, aus ihrem Leben gestrichen haben, oder vielmehr dort überhaupt nie hineingelassen haben.
Kira erwartet mein Kind und macht mich damit zum glücklichsten Mann der Welt. Es wird ihr Enkelkind sein, aber Sie werden es genauso wenig lieben können wie ihr eigenes. Ihre Tochter ist die erfolgreichste Autorin Deutschlands, aber sie hat eben nicht Medizin studiert! Sie ist der beste und liebenswerteste Mensch der Welt, aber sie hat eben nicht Medizin studiert. Wenn wir durch Ihre Stadt gehen, kommen von überall her Menschen auf uns zu, die sie lieben, aber ihre Eltern sind enttäuscht von ihr, weil sie eben nicht Medizin studiert hat. Ein fürwahr triftiger Grund, wenn ein Kind seine eigenen Wege geht!
Und nur, falls es Sie interessiert, was ich allerdings nicht glaube: Ich bin kein Tingeltangel-Sänger! Ich habe vier Fächer in klassischer Musik studiert, meine letzte CD hat innerhalb von zwei Wochen Platin-Status erreicht. Ich komponiere Melodien für viele Weltstars rund um den Globus.
Mein Vater ist Professor an der hochangesehen Fachakademie für Musik in Hamburg, meine Mutter und meine fünf Geschwister sind alle klassisch ausgebildete Musiker, und meine ganze Familie ist unheimlich stolz darauf, dass ich mir einen solchen Superstar geschnappt habe!"
Damit drehte er sich um und verließ das Haus. Solche Menschen hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht kennengelernt! Wie konnten zwei solche Eisblöcke einen Menschen wie Kira in die Welt setzen?
In der Einfahrt bestellte er sich ein Taxi. Er würde die Nacht in Kiras Haus bleiben.
Das Ehepaar Walk stand eine Weile da wie zwei begossene Pudel.
Dann sahen sie sich an und mussten lachen. „Was war das jetzt?" fragte er.
„Ein verliebter, aufgebrachter junger Mann, würde ich sagen!" antwortete sie.
„Eigentlich habe ich Respekt vor ihm! Das traut sich auch nicht jeder!" stellte er fest.
„Aber er passt zu unserem Sturkopf!" meinte sie.
Er dachte nach. „Vielleicht waren ja auch wir die Sturköpfe?" stellte er in den Raum.
„Vielleicht! Ja, ich denke schon!" gab sie leise zu.
„Vielleicht sollten wir damit aufhören? Vielleicht ist es noch nicht zu spät?" Er hatte doch tatsächlich Tränen in den Augen.
Sie raste zur Eingangstür, sah, dass Robin noch am Rande der Einfahrt stand.
„Herr Westen? Kommen Sie doch bitte zurück, Robin!" bat sie.
„Mein Taxi ist unterwegs!" wiegelte der ab. Sein Blick war nicht freundlicher als eben im Haus.
Da bog das Mietauto in die Einfahrt. Dr. Walk drückte dem Fahrer einen großen Schein in die Hand und schickte ihn weg.
Robin sah ihn wütend an. „Ich habe nicht gesagt, dass ich bleiben will!"
„Sie müssen es ja nicht wollen, Sie müssen es nur tun!" meinte sie lächelnd, und er wusste, woher Kira ihre Schlagfertigkeit hatte.
Brummend folgte er dem Eiszapfen-Ehepaar, das ein wenig angetaut zu sein schien, wieder ins Haus zurück.
Monika kochte Kaffee, Gregor saß ein wenig unbehaglich mit dem jungen Mann, der ihnen so gehörig die Leviten gelesen hatte, am Tisch.
„Wir waren sehr ungeeignete Eltern!" begann der Vater schließlich das notwendige Gespräch. „Wir wussten das! Darum wollten wir auch keine Kinder. Eine Magen-Darm-Grippe hat uns dann Kira beschert. Wir haben eine Weile über eine Abtreibung nachgedacht, aber als Ärzte konnten wir das nicht verantworten."
Robin zog hörbar die Luft ein.
Kiras Vater fuhr fort. „Unser Lebensplan lag klar vor uns. Wir wollten gute Ärzte sein, ganz nach oben kommen. Wir haben Kira dann ziemlich schnell zu Monikas Eltern gegeben, was wahrscheinlich gut für sie war. Als sie in die Schule kam, wurde die Großmutter krank, und Kira kam zu uns, betreut von Haushälterinnen und gelegentlich von meiner Mutter. Sie war ein unauffälliges, braves Kind, hat viel gelesen und auch bald eigene Geschichten geschrieben, aber wir hatten nach den langen Arbeitstagen keine Kraft mehr, uns mit ihr zu befassen. Sie hatte immer viele Freunde, war in allen Familien gern gesehen, schlief mal hier, mal da. Ich fürchte, wenn sie mal ein paar Tage verschwunden gewesen wäre, hätten wir das nicht einmal bemerkt.
Sie war sehr klug, hat auf Anraten der Lehrer die zehnte Klasse übersprungen und trotzdem ein Einser-Abi hingelegt. Für uns war klar, dass sie Medizin studieren würde, ich hatte schon mit den Professoren gesprochen und sie angekündigt. Doch zum ersten Mal gab sie Widerworte. Sie hatte nichts, aber schon gar nichts mit Medizin am Hut.
Das war für uns ein Schock. Wir waren sicher, das wäre eine Trotzreaktion. Als dann ihr erstes Buch erschienen ist und ein solcher Erfolg wurde, waren wir schon stolz, wussten auch, dass sie ihren Weg hatte gehen müssen, aber wir konnten nicht den ersten Schritt tun – und sie auch nicht.
Sie hatte begonnen, uns zu ignorieren."
„Das musste sie, um überleben zu können!" warf Robin ein.
„Ja, das mag sein!" stimmte Monika zu, die mit dem Kaffee aus der Küche kam. „Wir haben schon ihren Weg verfolgt, wenn es auch oft gezwickt hat, wenn uns Kollegen aufgezogen haben mit unserer Schriftsteller-Tochter. In unseren Kreisen ist es eben ein Makel."
Robin schüttelte den Kopf. „Und Sie hatten nie den Mut, Kira, diese wunderbare, begabte Tochter zu verteidigen gegen Dummschwätzer?"
„Nein! Leider nicht!" bedauerte sie.
Er war ziemlich fassungslos und stand auf. Es gab eine Menge an Worten, die er zu verdauen hatte.
„Also, ich rufe mir noch einmal ein Taxi. Überlegen Sie, was Sie tun wollen. Aber kommen Sie bitte nur, wenn Sie sicher sind, dass Sie mein Mädchen nicht verletzen werden mit irgendwelchen alten Kamellen."
„Ich fahre Sie!" Gregor sprang auf. „Wohin müssen Sie?"
„Ich schlafe eine Nacht in Kiras Haus. Ich bin offiziell in München im Tonstudio. Morgen fliege ich von München zurück."
Am Haus bat Robin ihren Vater, einen Moment zu warten. Er lief hinein, holte seine Erfolgs-CD und reichte sie ihm mit den Worten: „Diese Lieder habe ich alle für ihre Tochter geschrieben, als wir uns erst kurz kannten."
„Danke! Wann geht Ihr Flug?" fragte der Vater noch.
„Um 15.30!" antwortete Robin und wunderte sich ein wenig über die Frage. „Ich fahre gegen elf ab."
Am nächsten Morgen um zehn Uhr läutete es an der Türe. „Wir haben noch zwei Flüge bekommen!" erklärte Monika lächelnd. „Wir fliegen zusammen!"
Auf der Fahrt drehte sie sich zu ihrem künftigen Schwiegersohn um. „Danke, Robin!" sagte sie. „Auch für die Liebe zu unserer Tochter, die aus Ihren wunderschönen Liedern spricht. Wir haben die CD gestern den ganzen Abend angehört und viel geheult dabei." gestand sie.
„Na, dann hat sich die Arbeit ja gelohnt!" bemerkte er, und ein kleines Lächeln stahl sich in seine Augen. Das erste, seit Kiras Vater ihm die Türe geöffnet hatte.
Sie waren keine dicken Freunde, als sie in Hamburg landeten, aber sie wollten sich auch nicht mehr verletzen.
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