Teil 24 Etwas beginnt - Luca und Anna IV
Anna versuchte inzwischen, das was Luca ihr eben mitgeteilt hatte, zu begreifen.
So viel Geld! Was sie damit alles erreichen konnte.
„Also, nochmal zum Mitschreiben. Du willst mir jetzt und jedes Jahr 100.000 Euro überweisen, mit denen ich machen kann, was ich will?" fragte sie sicherheitshalber nach.
„Nun, wenn es gut läuft, können die Summen auch höher ausfallen, und wenn ich bei den Planungen etwas mit einbezogen würde, hätte ich nichts dagegen. Aber grundsätzlich hast du alles richtig verstanden."
Die Pasta kam, Wein wurde nachgeschenkt. „Ich habe auch schon mal überschlagen, was die Möbel für einen Speiseraum mit 100 Plätzen kosten würden. Wir hätten da einen Geschäftsfreund, der uns einen guten Preis machen würde. Bei den Übernachtungsplätzen käme uns halt entgegen, dass Duschen und Toiletten in der Kaserne vorhanden sind!" Er drehte geschickt ein paar Nudeln mit der Gabel, steckte sie in den Mund. Als er geschluckt hatte, redete er weiter.
„Ich habe auch schon mit dem Firmenanwalt gesprochen. Wenn die Stadt sich gegen unsere Pläne sperrt, kaufen wir das Areal!"
Anna verschluckte sich an einem Schluck Wein. „Ach ja! Dann kauft ihr das Areal! Klar!"
Er sah sie verständnislos an. „Ja! Warum nicht? Wäre doch keine dumme Idee?"
Da verstand Anna, in welchen finanziellen Dimensionen sich das Leben eines Luca Wissmann bewegte.
Schweigend aßen sie zu Ende. Luca verlangte die Rechnung.
Salvatore kam mit einem breiten Lächeln. „Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie meine Gäste wären, und wenn ich Sie beide bald wieder bei mir begrüßen dürfte!" sagte er in perfektem Deutsch.
Anna grinste ihn an. „Na, also! geht doch!"
Salvatore blinzelte Luca zu. „Jetzt muss ich nur noch wachsen, dann heiratet sie mich, die schöne Doktorin!"
Gut, dass das wohl nicht möglich ist! dachte Luca und wunderte sich ein wenig über sich selbst.
„Klar! Und am nächsten Tag erschießt mich eine gewisse Gloria!" antwortete Anna.
Sie bummelten ein wenig durch die noch stark belebten Gassen, redeten unentwegt über Chancen und Probleme bei ihrem Projekt.
Luca hatte sich schon viele Gedanken gemacht, wie Anna bemerkte. Sie setzten sich an den freien Tisch eines Straßencafés, sie zog ihr Tablet aus der Handtasche. Sie machten beide abwechselnd Notizen, schrieben Summen in Tabellen, kamen sich mit den Köpfen immer näher.
Plötzlich, ohne dass einer von beiden gemerkt hatte, wie es dazu kommen konnte, berührten sich ihre Lippen, lagen sanft streichelnd eine Weile aufeinander.
Erschrocken fuhr Anna zurück. Mein Gott! Was hatte sie getan? Fabian, verzeih mir!
Und fast glaubte sie, seine Stimme zu hören. „Shut up, Baby! Lebe dein Leben! Ich bin doch trotzdem immer bei dir!"
Und ohne zu wissen, warum, erzählte sie Luca von ihrem Ehemann, ihrer grenzenlosen Liebe zu ihm, seinem fürchterlichen Tod und ihrer Verzweiflung.
Als sie fertig geredet hatte, in Tränen aufgelöst zu ihm sah, sagte Luca einen Satz, der ihr Herz zerriss und augenblicklich neu zusammensetzte: „Wenn ein neuer Mann in dein Leben tritt, Anna, der dich wirklich liebt, wird er Fabian immer einen Platz in diesem Leben lassen!"
Und sie ahnte, wer dieser Mann sein könnte, und sie ahnte, dass sie dabei war, sich in einen reichen Schnösel zu verlieben, der in 60 Tagen gelernt hatte, wie erfüllend ein Leben sein konnte, wenn man etwas von dem zurückgab, was das Schicksal mehr als großzügig über einen ausgeschüttet hatte.
Wenn man es jenen gab, bei denen eben dieses Schicksal die Augen ganz fest geschlossen hatte, als es das Glück verteilt hatte.
Luca brachte sie spät in der Nacht zu ihrem Wagen. „Wir telefonieren?" fragte er voller Hoffnung.
„Meine Nummer hast du ja, falls du dich krankmelden musst!" zog sie ihn auf, um die aufgeheizte Stimmung etwas abzukühlen.
„Genau! Nicht, dass ich sterbend mutterseelenallein in einer Kammer liege!"
Lachend stieg sie ein, lachend fuhr sie durch die nächtliche Stadt, lachend betrat sie ihre Wohnung.
Sie war leer. Fabian war gegangen. Nicht aus ihrem Herzen, aber aus ihrem Leben. Schon vor einem Jahr. Und heute war sie bereit, ihn gehen zu lassen.
Sie küsste sein Bild, stellte es vom Tisch auf die Anrichte und glaubte wieder, seine Stimme zu hören: „Ich bin stolz auf dich, Baby! Ich wusste, du bist stark genug, um das zu packen."
Dann schlief sie ohne Tränen ein und wachte ohne Tränen auf. In ihr prickelte es vor Tatendrang.
Lucas Vater war noch wach, als sein Sohn nach Hause kam. Lächelnd bat er ihn in sein Arbeitszimmer.
Luca war sich dieses Mal keiner Schuld bewusst, folgte ihm beschwingt.
Sein alter Herr setzte sich an seinen Schreibtisch, bat ihn, ebenfalls Platz zu nehmen.
„Bernd hat mir erzählt, dass du eine Kaserne kaufen willst!" eröffnete er das Gespräch.
„Bernd ist ein Waschweib!" schimpfte Luca.
„Er ist mein Freund!" verteidigte Walter den Anwalt. „Ich finde die Idee gut!"
„Echt?" Luca freute sich, war aber auch erstaunt.
„Ja, echt!" bestätigte sein Vater. „Ich habe in meinem Leben eine Menge Geld gescheffelt, weil ich Glück hatte. Ich habe deine Mutter erobert, weil ich Glück hatte. Ich habe dich bekommen, weil ich Glück hatte. Aber ich habe nicht eine Minute daran gedacht, dass es andere gibt, die dieses Glück nicht hatten. Da musste erst ein 24jähriger kommen, um mir die Augen zu öffnen! Deine Mama und ich, wir sind sehr stolz auf dich, und wir werden dich unterstützen, wo wir nur können!"
Luca war baff!
Das klang gut.
Eltern, die stolz auf ihn waren.
Aber es war ja eigentlich gar nicht sein Verdienst. Es war das Verdienst einer Vogelscheuche, die die schönste Frau war, die er je gesehen hatte.
Einer Bitch, die ihn reingelegt und sein Leben verändert hatte.
„Anna hat das geschafft, dass ich umdenken musste!" sagte er leise.
„Und? Lernen wir sie einmal kennen, deine Anna?" fragte Walter Wissmann lächelnd.
„Sie ist nicht meine Anna!" wehrte Luca ab. Seine Blicke und Gedanken trifteten ab. „Oder doch! Aber sie weiß es noch nicht!"
Er grinste schief. Ja, sie würde seine Anna sein! Die Vogelscheuche mit der unförmigen Kittelschürze und dem hässlichen Kopftuch, dessen Farben sich so mit denen der Schürze bissen, die schönste Frau der Welt, würde seine Anna werden.
Er erzählte seinem Dad von Fabian. „Aber ich habe ihr gesagt, dass ein Mann, der sie wirklich liebt, Fabian seinen Platz in ihrem Leben nie streitig machen würde!"
Walter zog seinen nicht vorhandenen Hut vor ihm. War das noch der Sohn, der vor ein paar Wochen nur Unsinn im Kopf gehabt hatte? Unsinn und Frauen verschiedener Couleur und Partys, laut und teuer?
Diese Anna, die noch nicht wusste, dass sie wohl seine Schwiegertochter werden würde, interessierte ihn schon sehr.
„Lade sie doch zu unserer Silberhochzeit ein!" schlug er vor.
Sein Sohn, der sein Herz vor Stolz fast zum Platzen brachte, schlug ihn ab. „Eine Superidee, bester Dad von allen!"
Gleich textete Luca Anna die Einladung, sie las sie am nächsten Morgen, und ihr Herz machte einen Sprung.
„Was meinst du?" fragte sie das Bild auf ihrem Nachttisch.
Ich misch mich da nicht ein, Baby! Du bist alt genug! glaubte sie zu hören.
Sie flog seltsamerweise durch den Tag, arbeitete Berge an Bürokram auf, fuhr ein paar Familien ab, bei denen Pflegekinder untergebracht waren. Das war ihr immer ein Anliegen: Nachzusehen, ob die Kleinen auch gut behandelt wurden. Immer wieder sah sie unangemeldet vorbei, und leider musste sie auch ab und zu Kinder mitnehmen, die Zeichen von Verwahrlosung zeigten. In diesen Zeiten nahmen viele Ehepaare Pflegekinder wegen der Kohle auf. Sie musste die Augen offen halten.
Am Nachmittag rief Luca an. „Und? Kommst du?" fragte er nach der Begrüßung.
„Ja! Ja, natürlich! Sorry, ich habe vergessen zu antworten!"
„Nein! Nicht schlimm! Du hast bestimmt viel um die Ohren!" Er machte eine Pause, bevor er es wagte, die nächste Frage zu stellen. „Können wir uns heute Abend sehen?"
Warum flatterte ihr Herz so bei dieser Frage? Warum hatte es schon „ja" gesagt, bevor ihr Verstand die Frage überhaupt verarbeitet hatte?
„Wo?" fragte sie nur.
Sein Herz überschlug sich, hämmerte gegen die Rippen.
„Ich hole dich ab, wenn du mir deine Adresse verrätst!" wiederholte er die Frage, die er ihr vorgestern getextet hatte, und dieses Mal nannte sie ihm Straße und Hausnummer.
„Um acht?" fragte er.
„Perfekt!" antwortete sie und legte die Hand auf ihr rasendes Herz.
Von da an trafen sie sich täglich, sprachen über das Projekt, über Politik, über ihre Hobbys, über das Leben, über Musik, über Filme, die sie mochten, über Bücher, die sie gelesen hatten.
Es war Sommer, und es war ihr Sommer.
Sie küssten sich hin und wieder, mehr passierte nicht, aber ihre Seelen kamen sich verdammt nah.
Er bedrängte sie nicht, wunderte sich über sich selbst, über seine Zurückhaltung, aber er war froh über jede Stunde, die sie ihm schenkte.
Die Umbauarbeiten in der Kaserne liefen an, vor dem Winter wollten sie einige Plätze geschafft haben und den Speisesaal.
Luca fühlte, dass es keinen Grund mehr gab, um auszuflippen, um die Leere in sich zu übertönen.
Er wusste, was ihm, der alles zu haben schien, gefehlt hatte: Eine Aufgabe und sie!
Der Professor wunderte sich, als Luca an drei aufeinander folgenden Seminaren teilnahm.
„Schon wieder da, Wissmann?" zog er ihn auf. Er mochte den jungen Mann, auch wenn der manchmal über die Stränge schlug, auch wenn er ein eher seltener Gast an der Uni war. Er war so begabt, dass er die Prüfungen auch mit einem Mindestmaß an Einsatz schaffen würde.
„Haben Sie sich schon für ein Thema Ihrer Doktorarbeit entschieden?" fragte er den Jungen.
Das war ein Running Gag zwischen ihnen. Er wollte unbedingt, dass Luca seinen Doktor bei ihm machte, der hatte das immer weit von sich gewiesen. „So viel Arbeit für zwei Buchstaben!" hatte er abgewehrt.
Doch dieses Mal überraschte er seinen Professor. „Ja!" erklärte er lächelnd. „Den Aufbau einer Sozialstation aus privaten Mitteln unter kommunalpolitischen Aspekten!"
„Aha!" Der Ältere war etwas überfahren. „Ein etwas ungewöhnliches Thema für einen Firmenerben!"
„Nur auf den ersten Blick!" hielt Luca dagegen. „Wenn die Reichen beginnen zu teilen, entlastet das die Kommunen, die können mehr investieren, was wiederum der Wirtschaft zu Gute kommt!" erklärte Luca selbstbewusst.
„Gut! Schreiben Sie mal!" antwortete der Professor.
„Das werde ich!" versprach Luca und ging.
Sein Leben war wunderbar geworden. Er hatte einen Weg gefunden, der nicht nur der Weg des Erben war. Er würde eigene Schritte machen, nicht nur blind in die Fußstapfen seines Vaters treten.
Und er wusste, er würde diesen Weg mit Anna gehen, die ihn dorthin geführt hatte.
Er schrieb wie ein Verrückter, wie ein Besessener. Stellte Thesen auf, überlegte, was Anna dazu sagen würde, verwarf den einen oder anderen Gedanken wieder.
Er recherchierte in vielen Kommunen Deutschlands, sprach mit Bürgermeistern und Kämmerern, sein Name öffnete ihm viele Türen. Die Wissmann AG hatte Niederlassungen im ganzen Land.
Er sammelte Fakten und Zahlen. Am Tag der Silberhochzeit seiner Eltern setzte er den letzten Punkt. Er druckte alles einmal aus, das Exemplar für den Proff würde er später abgeben.
Heute gehörten seine Gedanken, die er auf mehreren hundert Seiten niedergeschrieben hatte, nur ihr. Sie sollte die Erste sein, die alles las. Seine Arbeit und den Nachtrag, der nur aus ein paar Worten bestand: Für Anna, die Liebe meines Lebens, die mich aufgeweckt hat.
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