Teil 18 Etwas beginnt - Benedikt und Lara III
Benedikt und Lara sprachen die ganze Nacht. Das heißt, anfangs sprachen sie, später lallten sie. Er hatte auf der Tanke neben der Klinik eine Flasche Whiskey gekauft, die sie systematisch leerten.
Als sein Handy klingelte, hörte er die Mailbox ab, hörte das Gelabere von der Frau, die er ein Leben lang zu lieben geglaubt hatte.
Doch diese Frau hatte es nie gegeben, sie war ein Gebilde gewesen, das Rauschgift geformt hatte.
Er lachte nur bitter bei ihren Worten, textete ihr seine Antwort und schaltete das Handy ebenfalls aus. Sie hatten beide keine Bereitschaft, da durfte er das.
Danach nahm er einen extragroßen Schluck.
Mit zunehmendem Alkoholkonsum begannen sie zu kichern, als die Flasche leer war, hielten sie sich gegenseitig die Köpfe über der Toilettenschüssel. Sie waren beide so gar nicht an Alkohol gewohnt.
Dann sanken sie in Benedikts Bett in tiefen, betrunkenen Schlaf.
Am nächsten Tag gegen Mittag kramte Lara ein paar Kopfschmerztabletten aus ihrer Handtasche. Danach holte Benedikt einen Berg Sandwiches und vier Becher Kaffee aus der Kantine.
Nach dem späten Frühstück hatten sich Mägen und Köpfe etwas beruhigt.
Plötzlich musste Lara lachen. „Aber cool ist das schon, dass wir beide in einer Nacht erwischt haben! So sind wir wenigstens gemeinsam abgestürzt!"
Benedikt stimmte in ihr Lachen ein. Sie hielten sich im Arm, fanden die ganze Situationskomik zum Brüllen.
„Und jetzt? Was machen wir jetzt?" fragte sie und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
Er fand es toll, wie sie mit der Situation umging!
„Wir sollten uns einen Anwalt suchen, denke ich!" schlug er vor. Sie machten die Handys an, suchten im Netz nach Adressen und Telefonnummern.
Beim zweiten Anruf bekamen sie schon einen Termin für den späten Nachmittag.
Der Herr im feinen Anzug begrüßte sie freundlich.
„Sie wollen sich also scheiden lassen?" fragte er sicherheitshalber nach.
„Ja!" erklärte Benedikt bestimmt.
Der Anwalt nahm die Personalien auf, stutzte ein wenig, als er die abweichenden Adressen genannt bekam.
Die beiden wohnten also schon getrennt.
„Gründe für den Trennungswunsch?" wollte er dann wissen.
„Mein Mann hat sich in einen anderen Mann verliebt!" sagte sie.
„Meine Frau kokst, wahrscheinlich schon seit Jahren!" sagte er.
Der Anwalt sah erstaunt von ihm zu ihr und wieder zurück.
Er wirkt so gar nicht schwul! dachte er. Und sie kokst, als Ärztin?
Lara sah die Blicke, und plötzlich fiel der Groschen. Sie prustete laut los.
„Nein, nicht wir beide!" japste sie, als sie wieder Luft hatte. „Seine Frau kokst, und mein Mann hat beschlossen, bisexuell zu sein! Wir zwei sind Freunde und Kollegen!"
Da kapierte der Anwalt, dass es sich um zwei Mandate handelte und lächelte über das Missverständnis.
„Gut, dann müssen wir alles noch mal neu schreiben!" erklärte er.
Als alles festgehalten und durchgesprochen war, hatte er eine gute Nachricht.
„Das kann ganz schnell über die Bühne gehen! Veränderte sexuelle Orientierung und Betäubungsmittelmissbrauch sind schwerwiegende Hinderungsgründe für eine eheliche Gemeinschaft, da verlangen die Richter auch nicht die Einhaltung des Trennungsjahres. Die eigentumsrechtlichen Belange scheinen auch geklärt zu sein. Das Haus von Frau Dr. Sandner wurde vor der Eheschließung erworben, nennenswertes eheliches Vermögen ist nicht vorhanden. Herr Gutenberg verzichtet auf seinen Anteil am gemeinsamen Haus ebenso wie am gemeinsam erworbenen Vermögen.
Dann bekommen die jeweiligen Ehepartner die Scheidungspapiere zugesandt, wenn ich sie unterschrieben zurückhabe, lasse ich mir ein paar Termine vom Gericht zur Auswahl geben, dann sehen wir, welcher bei Ihnen vom Dienst her passt!"
Sie unterschrieben ein paar Vordrucke und Vollmachten und verließen die Kanzlei. Draußen sahen sie sich verwundert an.
„So schnell ist dann alles zu Ende!" wunderte sich Benedikt. Er hatte ein wenig feuchte Augen, wusste aber, dass es der einzig richtige Weg für ihn war.
Die Liebe war in dem Moment gestorben, als er den Stoff in Händen gehalten hatte, und Erinnerungen an schöne Zeiten gab es auch nicht mehr, weil alles nur Lüge gewesen war.
Sie bummelten durch die Stadt, hingen beide ihren Gedanken nach. Bei einem angesagten Griechen fanden sie einen Tisch im Freien.
Der Chef begrüßte sie herzlich. „Ah! Frau Doktor und Kollege! Heute nur halb, beide?" fragte er verwundert. Sie waren oft zu viert hier Essen gewesen.
„Nein, wir beide sind schon ganz!" berichtigte sie ihn lachend. „Aber unsere schlechteren Hälften brauchen wir in Zukunft nicht mehr!"
Benedikt lächelte sie an. Sie hatte es in einem Satz auf den Punkt gebracht: Sie brauchten die beiden anderen nicht mehr.
Irgendetwas ist anders an ihr heute! dachte er. Sie wirkt selbstsicherer als sonst, wenn Robert dabei gewesen war.
Irgendwie befreit! Ihr Mann hatte sie immer beobachtet und war schnell mit Kritik bei der Hand gewesen, wenn ihm ein Satz, den sie gesagt hatte, nicht gefallen hatte.
Dabei war sie ihm intellektuell haushoch überlegen gewesen.
Robert hatte nicht einmal die Mittlere Reife geschafft, war aber ein redegewandter Blender, der es dadurch in seinem Beruf als Pharmareferent ziemlich weit gebracht hatte.
So hatte er Lara, die damals als Assistenzärztin gearbeitet hatte, auch kennengelernt. Er hatte sie bei einem Termin zugesülzt, zu einem Date überredet, sie danach nicht mehr aus seinen Fängen gelassen.
Lara fühlte sich wohl, wohler als sie vielleicht sollte, nachdem sie bei einem Scheidungsanwalt gewesen war, um ihre Ehe zu beenden. Die Ehe, die sie so glücklich, so voller Hoffnungen begonnen hatte.
Geblendet von zu vielen Worten, verführt von zu viel falschem Schein. Sie hatte relativ schnell gemerkt, dass er ihr oft nach dem Mund geredet hatte, viele Interessen vorgegaukelt hatte, um sie zu bekommen, nicht nur ins Bett, sondern vor dem Traualtar. Das war seine Chance gewesen, aus seinem Milieu auszubrechen, die soziale Leiter hochzuklettern.
Sie sah Benedikt an. Er wirkte anders als sonst, wenn Saskia dabei gewesen war. Die immer gutgelaunte Frau hatte stets das Tischgespräch dominiert, hatte manche spöttische Bemerkung über ihren Mann fallen lassen.
„Na, mein Benni? So still heute? Hast wohl wieder zu viele Leichen gesehen!" Solche und ähnliche unqualifizierte Äußerungen hatten oft für Betroffenheit am Tisch gesorgt. Sie hatte das nie wahrgenommen, hatte als Einzige über ihre Witze gelacht!
Benedikt schien deshalb immer etwas angespannt zu sein!
Er merkte, wie entspannt er war. Entspannter als er eigentlich sein sollte an so einem Tag! Aber er fühlte sich seltsam frei, hier mit Lara, ohne seine Frau. Er musste keine Angst haben, vorgeführt zu werden, lächerlich gemacht zu werden!
Wenn er recht überlegte, war die Liebe eher Leidenschaft gewesen. Im Bett war sie wirklich gut gewesen, aber jetzt wusste er ja auch, warum! Deshalb zählte das gar nichts mehr!
Ansonsten hatten sie wenig gemeinsam gehabt. Keine gleichen Interessen, keine Hobbys, die sie teilten.
Bei der Grundeinstellung fing es an: Er war ausgesprochen sozial eingestellt, sie glaubte nur an die Macht des Geldes.
Sie lasen grundverschiedene Bücher: sie Liebesschmonzetten, er ernsthafte Literatur.
Sie sahen verschiedene Sendungen: sie seichte Komödien, er politische Berichte.
Auch bei der Urlaubsgestaltung hatten sie sich nie wirklich einigen können. Er wanderte gerne, sie liebte Party an den Hotspots der Welt.
Dabei war sie sicher eine hochintelligente Frau! Aber sie ließ es sich auch schon gerne raushängen, dass sie studiert hatte und er nicht!
Da fielen dann schon mal Sätze wie: „Das versteht man nur, wenn man studiert hat!" oder „Wenn du so lange studiert hättest wie ich....!"
„Alles okay?" fragte Lara.
Er grinste sie an. „Alles bestens!"
Dann ließen sie sich das Gyros mit Tsatsiki schmecken.
„Da würde sie das Gesicht verziehen!" erinnerte er sich fröhlich. Saskia hatte Knoblauch gehasst!
Georgios stand an der Türe seines Restaurants und beobachtete die beiden.
Die würden zusammen passen! dachte er in seiner Muttersprache. Das sind zwei liebe, gute Menschen. Die Partner waren überheblich, frech und laut!
„Wo wirst du eigentlich wohnen?" fragte Lara.
Er zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich erst einmal bei meinen Eltern. Es ist zwar nicht schön, mit 35 wieder ins Hotel Mama zu ziehen, aber eine Wohnung in Frankfurt werde ich mir nicht leisten können!"
Lara sah ihn eine Weile an. Hoffentlich bekam er ihren Vorschlag nicht in den falschen Hals!
„Du könntest zu mir ins Gästeappartement ziehen!" schlug sie vor. „Es hat einen eigenen Eingang, ein eigenes Bad und kochen kannst du ja bei mir."
Er dachte nach. Das wäre nicht die schlechteste Lösung! „Und wenn du jemanden kennenlernst?" wandte er ein.
„O Gott! Das kann dauern, bis wieder einmal ein Pharmareferent vorbeikommt und mich zutextet!"
Benedikt sah sie überrascht an. „Du weißt aber schon, Lara, dass du eine sehr schöne Frau bist? Ich könnte auf Anhieb fünf Kollegen aufzählen, die in dich verliebt sind! Du musst nur deine Antennen ein wenig ausfahren!"
Lara wusste nicht, warum seine Worte sie so glücklich machten, sie so strahlen ließen! Ihr Vater hatte ihr immer gepredigt, dass sie auf eigenen Beinen stehen musste, weil sie wohl keinen Mann finden würde, so unscheinbar wie sie war. Doch Robert war ihm dann auch nicht recht gewesen! Wahrscheinlich, weil er seine Theorie untergraben hatte.
„Also, was ist jetzt? Was hältst du von meinem Vorschlag? Ich meine, wenn ich Robert losgeworden bin!" fragte sie noch einmal.
„Ja klar! Das wäre toll! Aber ich bezahle natürlich Miete!"
„Unbedingt! Und Strom und Wasser und Abwasser und Müllabfuhr und Grundsteuer! Von allem die Hälfte!" zog sie ihn auf.
Er lachte. „Gut! Abgemacht! Und so lange kann ich ja in der Klinik wohnen!" Sie schlugen sich ab, tranken den kostenlosen Ouzo auf ihren Deal.
Plötzlich fiel Benedikt etwas ein. „Könntest du mich vielleicht kurz zu Hause vorbeifahren? Ich muss mein Auto holen und einen Schwung an Klamotten!"
„Die Sachen können wir dann ja gleich zu mir bringen!" schlug sie vor.
„Superidee!" Dann sah er sie ernst an. „Wir machen schon gleich Nägel mit Köpfen! Wir sind schon ein Superteam!"
„Yep!" rief sie und reckte die Siegerfaust in die Luft. „Wir beide gegen den Rest der Welt!"
Nicht der schlechteste Vorschlag! dachte er und wunderte sich nur kurz.
Er winkte Georgios, um zu bezahlen.
Lara wollte die Hälfte übernehmen. „Hör bloß auf!" wies er ihr Ansinnen zurück. „Erstens bin ich gerne Gentleman, wenn ich es darf, zweitens muss ich mich bei meiner neuen Hausherrin einschleimen!"
Sie verstand seine Anspielung auf die Vergangenheit. Saskia hatte immer mit einer großen Geste ihre Platincard gezückt, wenn es ums Bezahlen in Restaurants ging. „Lass nur, Benni! Das geht auf Spesen!" hatte sie mehr als einmal verkündet.
Lara hatte jedes Mal das Mahlen seiner Kiefer gehört.
„Du musst dich nicht einschleimen, Benedikt! Du ganz bestimmt nicht!" sagte sie als Antwort auf den zweiten Teil seines Satzes.
Und er wusste nicht, warum ihn dieser Satz so glücklich machte, ihn so strahlen ließ.
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