Teil 11 Etwas beginnt - Julian und Ronja I

Wir ziehen weiter nach Köln. Hier lebt Rechtsanwalt Julian, der alles hasst, was mit EDV zu tun hat. Jurastudentin Ronja dagegen ist ein Computer-Crack.

Denk daran: Ich freue mich über jede Rückmeldung!

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Julian schüttete den letzten Schluck Kaffee hinunter. „Seid ihr fertig?" fragte er seine beiden Kinder. Die nickten, standen mit den Schulrucksäcken bereit.

Wie jeden Tag versuchte er, Sandra, seine Frau zu küssen, wie jeden Tag drehte sie sich weg, so dass er nur ihre Wange erwischte, wie jeden Tag traf ihn diese Geste wie eine Ohrfeige.

Er nahm seine Kinder in den Arm, den 10jährigen Patrick und die 8jährige Greta. Sie waren die Sonne seines Lebens, für sie stand er am Morgen auf, für sie arbeitete er, für sie kam er nach Hause. Für sie und für die leise Hoffnung, seine Frau zurückzubekommen.

Er liebte Sandra, würde sie nie verlassen, schon der Kinder wegen.
Aber er war 34, er wollte Sex und Liebe, und noch wollte er beides nur von ihr.

Sie waren sehr jung gewesen, als sie sich kennengelernt und hoffnungslos ineinander verliebt hatten, waren sehr jung Eltern eines Sohnes geworden, hatten sehr jung geheiratet und waren immer noch sehr jung Eltern einer Tochter geworden.

Doch die Liebe zwischen ihnen war unendlich gewesen, sie hatten alles gepackt! Sein Jurastudium, ihr Medienmanagementstudium, die Kinder, die Geldknappheit! Alles hatten sie lachend und strahlend vor Glück auf die Reihe gekriegt! Beide Elternpaare hatten sie unterstützt, sie waren ein eingeschworenes Team gewesen.

Irgendwann war alles gekippt. Etwa zu dem Zeitpunkt, als er seine Kanzlei eröffnet hatte und erste Erfolge als Strafverteidiger verzeichnen konnte, hatte sie ihren Job bei einem großen Sender verloren.

Während der Personaleinsparungen verzichteten die BigBosse am leichtesten auf die Mutter zweier Kinder, die ein paar Mal im Jahr ausfiel, weil eines der beiden krank war, hatte sie wütend erklärt.

Julian hatte tage- und nächtelang mit ihr gesprochen, hatte sogar ein drittes Kind vorgeschlagen, was aber nicht gut bei ihr angekommen war.

„Ach! Machen wir ihr doch noch ein Baby! Dann vergeht ihr erst einmal die Nörgelei!" hatte sie ihm um die Ohren gehauen. Ein Wort hatte das andere ergeben, und es waren keine schönen gewesen!

In dieser Nacht hatte er zum ersten Mal auf dem Sofa geschlafen, aber nicht zum letzten Mal.

Als sie das Haus bauten, hatten sie schon zwei Schlafzimmer eingeplant, das war vor zwei Jahren gewesen.

Aus irgendwelchen Gründen fand sie einfach keinen neuen Job! Manchmal hatte Julian das Gefühl, es würde auch an ihr, an ihrer griesgrämigen Art liegen!

Sie fand auch keine Hobbys, keine Freunde, kam mit seinen Freunden nicht mehr aus und mit deren berufstätigen Frauen noch weniger.

Sex gab es nur noch, wenn sie genau den richtigen Alkoholpegel hatte, was selten genug der Fall war, meistens war er zu hoch.

Er bat sie, nein, er flehte sie an, eine Psychotherapie zu machen, was noch schlechter ankam als der Vorschlag mit dem dritten Kind.
Seine und ihre Eltern redeten ihr zu, sie blockte alles ab.

Er versuchte alles! Er flog mit ihr überall dahin, wo sie am Anfang hingewollt hatten, als sie es sich noch nicht leisten konnten.
Er führte sie zum Essen aus, ins Theater, ins Kino, machte ihr Geschenke – nichts veränderte sich! Er erreichte sie nicht mehr, keiner erreichte sie mehr.

Manchmal bekam er höllische Angst um seine Kinder, doch sie schienen die einzigen zu sein, die unter der Situation nicht leiden mussten.
Sie ging liebevoll mit ihnen um, sprach viel mit ihnen, machte mit ihnen Hausaufgaben, fuhr sie zum Sport oder zum Reiten.

Er saß wieder einmal grübelnd in seinem Büro in seiner erfolgreichen Kanzlei. Drei Mitarbeiter hatte er schon eingestellt, bald würde er noch mehr brauchen.
Da klopfte es zaghaft an seiner Türe.

Er musste Carina, seiner Sekretärin, endlich mal angewöhnen, kräftig gegen die Türe zu trommeln. Er hasste dieses ängstliche, unterwürfige Getue.
„Komm schon rein, verdammt noch mal!" rief er.

*

Ronja war hypernervös. Heute würde sie ihr Praktikumsjahr beginnen. Ihre guten Noten hatten ihr einen Platz in der renommierten Strafverteidigerkanzlei von Dr. Fellner eingebracht.
Sie hatte ihn schon oft im Gerichtssaal bewundern können. Er war brillant! Und er war höchstattraktiv!

Nicht, dass das für sie ein Kriterium gewesen wäre, für eine graue Maus wie sie es war, waren solche Männer unerreichbar! Dafür war sie aber intelligent, fleißig und sprachlich hochbegabt, wie ihr Professor ihr bescheinigt hatte.

Was sollte sie nur anziehen? Sie hatte sich extra ein ziemlich kesses Kostümchen besorgt, aber am Morgen verließ sie der Mut, es anzuziehen.

Lieber Businesslook! In dem grauen halblangen Rock mit der weitgeschnittenen Jacke verschwand sie zwar fast, aber Tante Irmengard, bei der sie lebte, seit ihre Eltern tödlich verunglückt waren, hatte es für sie gekauft.

„Eine erfolgreiche Frau definiert sich nicht über aufreizende Kleidung!" hatte sie ihr immer wieder eingebläut. „Niemand soll einmal sagen, du hättest dich hochgeschlafen!"

Die Tante war unverheiratet, und Sex oder alles, was Sex sein könnte, war für sie die Versuchung, die der Teufel gesandt hatte.

So stand sie etwas zittrig vor der Türe des Halbgottes, für den sie ein Jahr lang arbeiten durfte. Carina hatte gerade ein Telefongespräch, hatte sie durchgewinkt.
Zaghaft klopfte sie an die Türe seines Heiligtumes.

„Komm schon rein, verdammt noch mal!" rief er, und sie öffnete die schwere Türe.

„Was wollen Sie denn?" fragte er unhöflich.
„Ich... ich bin Ronja Karlson, die neue Praktikantin!" stammelte sie.
„O Gott!" stöhnte er. „Und was hat den Prof bewogen, ausgerechnet Sie zu schicken?"
Ronja packte die Wut. „Meine exzellenten Noten, meine sprachliche Begabung und meine hervorragenden EDV-Kenntnisse!" knallte sie ihm hin.

„Aber wohl nicht Ihre Bescheidenheit!" antwortete er und war fast versucht zu lächeln. Aber nur fast!
„Bescheidenheit ist etwas für Verlierer!" zitierte sie ihn mit einem Satz aus einem seiner Bücher.

Nun konnte er das Lächeln nicht mehr verhindern. „Haben Sie auch Kleidung, die Sie nicht verschluckt?" fragte er.

„Ja!" antwortete sie. „Einen Bikini, Hotpants mit Overknees, zwei Dutzend Miniröcke, die meine Tangas hervorblitzen lassen, durchsichtige Blusen en masse! Aber die trage ich nur bei meinem Zweitjob im Puff!"

Julian musste laut lachen, ohne es eigentlich zu wollen. Die graue Maus in ihrem riesigen Kostüm schien gut drauf zu sein! Der Fight machte ihm Spaß!

„Und etwas zwischen Puff und Kloster haben Sie nicht in Ihrem Kleiderschrank?" fragte er, während er sich die Lachtränen aus den Augen wischte.

„Bisher nicht! Aber wir können ja mal im Internet nachsehen, was Ihnen so gefällt! Internet kennen Sie?"

Ihr Professor hatte sie über Dr. Fellners absolute Abneigung den neuen Medien gegenüber unterrichtet.

„Internetrecherche ist für ihn Teufelszeug! Unethisch, aber nur, weil er nichts davon versteht, aber gar nichts! Weil er sich allem verschließt, was mit EDV zu tun hat! Das ist Ihre Chance, Ronja!" hatte er gesagt.

„Kennen wäre zu viel gesagt! Ich habe davon gehört, aber ich verabscheue es!" erklärte Julian dann auch wie erwartet.
„Und wie haben Sie es so jung aussehend aus dem letzten Jahrtausend in die Neuzeit geschafft?"

Julian lachte noch lauter. „Ich habe mich eine Weile einfrieren lassen!" antwortete er. Dann stand er auf, ging auf sie zu und hielt ihr die Hand hin. „Ich bin Julian! Willkommen, Ronja!"
Sie grinste ihn an. „Ein Pluspunkt!"

Er sah sie fragend an. „Sie haben mir nicht zum zweitausendsten Mal um die Ohren gehauen: Ronja Räubertochter!" antwortete sie auf seine ungestellte Frage.

„Das wäre als nächstes gekommen! Aber danke, dass du mir den Punkt schon gutgeschrieben hast! Wir duzen uns übrigens alle hier!"
Prima! Das macht Beleidigungen leichter! dachte sie bei sich. „So! Genug geplänkelt! Hast du Arbeit für mich?" fragte sie.

„Ja, klar! Du könntest die Akten im Archiv abstauben!" erklärte er todernst.
„Ich könnte die Akten im Archiv digitalisieren!" schlug sie vor.
„Oder so!" gab er sich lächelnd geschlagen.

*

Am Abend kam er in bester Laune nach Hause. Er warf seine süße Tochter in die Luft und küsste sie ab, spielte mit seinem Sohn Fußball, half Sandra in der Küche, verputzte mit Appetit eine Riesenportion Gulasch mit Semmelknödeln, mähte den Rasen, versuchte, Sandra in den Arm zu nehmen, als die Kinder im Bett waren.

Danach war die gute Laune verflogen. Er war wieder einmal gegen einen Eisberg geknallt!

„Wofür bestrafst du mich eigentlich?" fragte er, weil er endlich einmal eine Antwort brauchte. „Dass du vor Jahren deinen Job verloren hast? Dass du zwei wunderbare Kinder hast bekommen müssen? Dass ich erfolgreich bin, und du dich aufgegeben hast? Wofür, Sandra? Wofür muss ich seit so vielen Jahre bezahlen?"

Sie sah ihn an, und die Verachtung in ihrem Blick nahm ihm den Atem. „Dafür, dass du mein Leben zerstört hast!" antwortete sie.
Er sah sie fassungslos an. „Ich? Dein Leben zerstört?" flüsterte er.

„Ja!" schrie sie ihn an. „Ich hatte alle Chancen der Welt! Bei Männern und im Beruf! Du hast gesagt, du passt auf! Und? Einen Scheiß hast du getan! Ich stand mit 22 mit einem Baby da, und mit 24 mit einem Ehemann und einem zweiten Kind!"

„Wir haben uns geliebt, Sandra! Es war eine wundervolle Zeit!" wandte er fassungslos ein, und Tränen schossen aus seinen Augen.

„Einen Scheiß haben wir! Ein Scheiß war es!" schrie sie. „Babys wickeln, Babys stillen, Babys baden, Babys spazieren fahren! Meinst du echt, dass es das war, was ich vom Leben erhofft hatte? Das Leben hat mich angekotzt! Ich war jung! Ich wollte jung sein, nicht Mutter zweier plärrender Gören und Ehefrau eines Übervaters! Ich war supergut in meinem Job, ich war die Beste! Aber wegen der Kinder haben sie mich rausgeschmissen! Und weil ich einen Ehemann hatte, der mich ernähren konnte! Ohne dich und die Bälger wäre ich heute in Hollywood!"

Und in diesem Moment erkannte Julian, wie krank sie war, und wie hoffnungslos sein Kampf all die Jahre gewesen war.

„Du musst dir Hilfe suchen, Sandra!" wagte er einen letzten Versuch.
Sie kreischte los wie die Verrückte, die sie eigentlich schon lange war. „Genau! Ich gehe in die Klapse, und du kannst herumhuren!"

Sie trank das Glas Wein leer, die Flasche war es schon.
Da ging er nach oben, weckte seine Kinder. „Packt schnell ein paar Sachen, dann fahren wir weg!"

Er warf Wäsche und ein paar Hemden und Krawatten in eine Tasche, half dann seinen Kindern, die noch sehr verschlafen waren.
„Ist das ein Spiel?" fragte Greta gähnend.
„Ja!" presste er hervor.

Patrick sah ihn aufmerksam an. Er hatte die Mama wieder einmal schreien gehört, der Papa sah sehr traurig aus, auch wenn er versuchte zu lächeln.

Sie fuhren durch die Nacht. Er musste seine Kinder in Sicherheit bringen. Seine Eltern waren nicht sehr überrascht, als ihr Sohn mit ihren Enkelkindern mitten in der Nacht vor ihrem Haus stand.
Sie hatten die Katastrophe kommen gesehen.


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