18
"Du hast ihm nichts gesagt?" Ungläubig starren Elli und Ninni mich an. "Was denkt er, was du hast?"
"Grippe." Ich lasse mich auf die Couch sinken, verberge mein Gesicht hinter meinen Händen.
"Scheiße, Lotti, das geht gar nicht!" Aufgebracht springt meine Schwester von der Couch auf. "Ruf ihn an und erzähle es ihm!"
"Nein", sage ich bestimmt und hebe meine Hände, damit Ninni mich ausreden lässt. "Am Mittwoch habe ich einen Termin bei meiner Ärztin, am gleichen Abend kommt er nach Berlin, da seine erste Radiosendung am Donnerstag Abend läuft. Am Freitag sind wir verabredet."
Ich sitze schon seit einer Woche wie auf Kohlen, kann den Termin bei meiner Ärztin kaum noch erwarten. Ich muss es endlich schwarz auf weiß von ihr bekommen.
Erst habe ich gedacht, nein, gehofft, der Arzt in der Hamburger Ersten Hilfe möge sich geirrt haben. Doch kaum waren wir Sonntag Abend zu Hause angekommen, habe ich in Ruhe meinen Zykluskalender studiert.
Ich bin überfällig. Nicht sehr lang, doch lang genug, damit ich begreife, dass der Test richtig war.
"Wann glaubst du, ist es passiert?", holt Elli mich aus meinen Gedanken.
"Ich schätze, die Woche nachdem wir in Hamburg waren, als ich ihn bei Max zu Hause getroffen habe. Es spielt jedoch absolut keine Rolle. Es ist von John. Es gibt ja nicht mal ansatzweise einen anderen Kandidaten." Die Frage nach dem wann kann ich tatsächlich nicht sicher beantworten. Mein Zyklus ist immer ein wenig unregelmäßig und die beiden Male, die ich mit John Sex hatte, liegen nicht weit auseinander.
Wieso hat dieser Mann eine solche Macht über meine Libido? Hätte ich ihm widerstehen können, wäre ich nicht in dieser Situation. Schon wieder. Ich müsste mich nicht erneut entscheiden. Ich müsste nicht wieder überlegen, wie ich die Nachricht verkünde und wen ich im Vorfeld einbeziehe.
"Ich verstehe einfach nicht, wie du..."
"Wie hätte ich es John denn sagen sollen?", unterbreche ich schluchzend meine Schwester. "Hey John, du wirst schon wieder Vater, freust du dich?" Wütend über mich selbst, wische ich die Tränen weg. "Es ist nicht so leicht, Ninni. Da ist Mia, John und sie lernen sich gerade erst kennen. Außerdem lebt er in Hamburg! Ich ..."
"Du behälst es doch, oder?", will Elli wissen. Sie mustert mich eindringlich, sodass es mir schwer fällt, ihrem Blick standzuhalten. Ihr ist die Antwort auf ihre Frage wichtiger, als wie ich es John sage, das weiß ich. Sie wird mich unterstützen, egal, wie ich mich entscheide. Sie war schon einmal für mich da, sie wird mich nicht hängen lassen.
Verzweifelt zucke ich mit den Schultern.
"Das arme Ding kann doch nichts für meine Blödheit", erkläre ich leise.
Meine beiden besten Mädels auf der Welt nehmen mich in den Arm, versichern mir, dass alles gut gehen wird.
Ich kann nicht so recht daran glauben. John hat toll reagiert, als er von Mia erfahren hat. Doch ein zweites Kind?
Und wie soll ich das überhaupt schaffen? Alleinerziehend mit zwei Kindern? Außerdem muss ich mich wohl oder übel um eine andere Wohnung kümmern. Zu dritt haben wir hier einfach nicht genug Platz.
"Lotti, dein Handy klingelt." Sanft rüttelt jemand an meiner Schulter, lässt nicht von mir ab. "Lotti, es ist John."
Sofort bin ich hellwach, greife nach dem Handy, das meine Schwester mir reicht.
Die vergangenen Tage ist Ninni nicht von meiner Seite gewichen. Ihre Worte tun ihr zwar nicht leid, doch die Schärfe, wie sie es sagten schon.
Heute steht der Arzttermin an, Ninni will mich begleiten. Bei der Arbeit habe ich mich vorerst krankgemeldet. Es kommt mir komisch vor, meiner Chefin zu sagen, dass ich schwanger bin. Zumindest, so lange ich von meiner Ärztin keine eindeutige Bestätigung bekommen habe. Und so lange ich nicht weiß, wie ich es John sagen soll.
Um so mulmiger ist mir, beim Anblick von Johns Namen auf meinem Display. Der Klingelton ist schon längst verklungen, daher wähle ich schnell die Rückruftaste.
"Hey Baby!", grüßt John mich, ein deutliches Grinsen in der Stimme.
"Hi, was gibt's?"
"Marten und ich sind in etwa einer Stunde in Berlin. Ich wollte dich von der Arbeit abholen. Bei der Gelegenheit kann ich deiner nervigen Kollegin vielleicht ihr verlautes Maul..."
"Ich bin nicht arbeiten", unterbreche ich ihn. Ninni wedelt wild mit den Händen. Als ich nicht reagiere, holt sie Papier und Stift und schreibt mir etwas auf. Offenbar konnte sie John problemlos verstehen, denn sie schreibt, ich solle ihn zu mir einladen und keine Zeit mehr verstreichen lassen.
Dabei hatte ich mir so sehr gewünscht, mehr Zeit zum Nachdenken zu haben. Nun muss ich mir innerhalb weniger Minuten überlegen, wie ich John erzähle, dass er erneut Vater wird.
"Baby?"
"Ich bin noch dran", versichere ich. "Ich bin nicht arbeiten, weil ich nachher einen Termin bei meiner Ärztin habe."
"Ist der Magenvirus doch so schlimm?"
"John, kannst du her kommen? Dann erzähle ich dir alles."
John stimmt überrascht zu, fragt ob Marten mitkommen kann, oder ob er stören würde.
Ninni nickt wild, weshalb ich zustimme, dass Marten auch kommen kann. Ich werde die beiden einfach losschicken, um Mia aus der Kita zu holen. Meine Eltern haben sie mir gestern abgenommen, damit ich heute in aller Ruhe zum Arzt gehen kann.
Dieses Mal habe ich es nicht jedem verschwiegen, denn meine Entscheidung steht. Ich werde es schaffen, wenn nötig allein. Obwohl, ganz allein werde ich nicht sein. Meine Eltern, Ninni, Elli und auch Max werden wieder für mich da sein. Wobei Max noch nicht weiß, was los ist. Die Angst, er könnte John davon erzählen, bevor ich es konnte, war bisher einfach zu groß. Außerdem habe ich meinen besten Freund kaum zu Gesicht bekommen in letzter Zeit.
Knapp neunzig Minuten später, es ist bereits später Vormittag, klingelt es endlich an der Tür.
Sichtlich nervös streicht Ninni sich durch die Haare. Sie steht auf die 187, keiner weiß wieso, und nun wird sie John kennenlernen. Die Tatsache, dass er der Vater ihrer Nichte ist, spielt dabei eine geringere Rolle, als sein Profil als Musiker.
"Sie sind nette Kerle, ja?"
"Sie sind sehr nette Kerle", versichere ich. Meine Schwester betätigt den Summer, verharrt hinter der Tür und beobachtet durch den Spion, wie John und Marten die Treppe herauf kommen.
"Oh Gott, ist der heiß", quiekt sie flüsternd, was irgendwie niedlich und abstrus zu gleich ist. Sie ist immerhin eine erwachsene Frau. Ich hoffe, dass sie nicht von John redet. Es wäre doch wirklich eine blöde Situation, wenn meine Schwester sich in Mias Vater verknallt würde. "Wie viele Tattoos er wohl hat?"
Ninni öffnet die Tür, tritt beiseite und ... läuft doch tatsächlich rot an.
Marten betritt zuerst meine Wohnung, reicht Ninni die Hand und stellt sich vor, sie allerdings bringt keinen Ton heraus. Jetzt weiß ich, dass sie nicht von John sprach. Anschließend grinst er mich an und umarmt mich.
"Hey Marty."
"Vorsichtig, Lotti, ich erlaube nur einer Frau diesen Spitznamen und diese Frau bist leider nicht du", grinst er mich noch breiter an.
"Sei ein Mann und steh dazu", wiederhole ich meine Worte von unserer letzten Begegnung. "Sie wird dich bei jeder Gelegenheit so nennen und all deine Freunde werden es aufgreifen. Die sozialen Medien werden davon berichten, warum der Cousin des momentan erfolgreichsten deutschen Rap-Musikers einen so dämlichen Spitznamen hat. Die Männerwelt wird dich verspottet, die Frauen werden noch verrückter nach dir", prophezeie ich.
"Hör auf sie, sie kennt Mia am besten", mischt sich John ein. Er steht neben meiner kleinen Schwester, die ihn von der Seite anhimmelt. Sie mag Anfang Zwanzig sein, doch sie hat wohl nie damit gerechnet, DAS Mitglied der 187 kennenzulernen.
Leise und zeitlupenartig schließt Ninni die Tür, kann den Blick nicht von John und Marten wenden.
"Wo ist unsere Prinzessin eigentlich?", lenkt der große, tätowierte Marty ab.
"In der Kita natürlich, es ist immerhin mitten in der Woche", stelle ich klar. "Kommt rein." Ich gehe voraus ins Wohnzimmer, wo Ninni und ich bereits eine Flasche Cola Light und ein paar Snacks für John und Marten bereitgestellt haben.
Kurz erzählen sie von der Fahrt, wie sie, wie auch Mia und ich beim letzten Mal, von einem Stau in den nächsten gefahren sind. Ninni fragt John buchstäblich über die neue Radioshow aus.
Mein Blick wandert immer wieder zur Uhr an der Wand, direkt über meinem Fernseher. Um vierzehn Uhr habe ich den Termin, eine halbe Stunde vorher muss ich los. Mir bleiben also nur noch gut vierzig Minuten, um John einzuweihen. Ich involviere ihn in mein Leben. So hat er sich das Vaterwerden sicher nicht vorgestellt.
Aber welche Wahl haben wir? Welche Wahl habe ich?
"Ähm, John, ich würde dich gern kurz unter vier Augen sprechen", sage ich leise und verlasse das Wohnzimmer. Kommentarlos folgt er mir.
Meine Wohnung bietet nicht viele Möglichkeiten, wohin wir uns zurückziehen können, also führt unser Weg ins Schlafzimmer.
"Was ist los? Ist was mit Mia? Soll ich etwa wieder verschwinden?" In Johns Augen steht die blanke Panik.
Denkt er denn wirklich, dass ich ihn erst in Mias Leben lasse und ihn anschließend sofort wieder daraus streiche? Das könnte ich weder Mia noch ihm antun. Meine kleine ist verrückt nach ihm, sie liebt sein Haus und erst recht seinen Hund. Mia ist schlichtweg begeistert von John. Die ganze Woche war nur er Thema.
Auch in der Kita hat sie nur von ihm gesprochen. Wie er mit ihr auf dem Rücken schwimmen gegangen ist, dass sein Haus größer als die Kita wäre, was natürlich absoluter Quatsch ist. Und so ging es den lieben langen Tag.
"Nein, keine Sorge, nichts dergleichen", versichere ich ihm. Tief muss ich Luft holen, bevor ich die Bombe platzen lasse. Dabei betrachtet ich den Vater meiner Tochter genau, nehme jedes noch so kleine Merkmal in mir auf. Er hat so wahnsinnig männliche Züge, dabei hat er aber nichts von seiner Jugendlichkeit verloren.
Seine Haare sind länger geworden, kringeln sich zu dieses zarten Locken, die auch Mia hat. Seine Augen werden umrahmt von dichten Wimpern, die sich jede Frau nur wünschen kann.
"Es ist so", setze ich an, kann aber nicht weiter reden. Seine Augen nehmen mich gefangen, laden mich ein, mich darin zu verlieren.
Plötzlich wird es klar. Ich wusste es wahrscheinlich schon die ganze Zeit, all die Jahre, warum ich mich von John ferngehalten habe.
Nicht, weil er Drogen en masse konsumiert; nicht, weil er jede Woche mit einer anderen Fotos online stellt.
Ich habe mir jahrelang versucht einzureden, dass es nur ein One-Night-Stand war, auch nachdem ich wusste, wer dieser John eigentlich ist.
Jetzt stehe ich hier, in meinem Schlafzimmer und schaue in diese Augen. Augen, die auch meine Tochter hat.
Und plötzlich wird mir klar, dass ich den besten Sex meines Lebens mit diesem Mann hatte. Kein anderer vermochte das, was John mir gegeben hat. Anders, als er die Welt glauben machen will, ist er mir gegenüber immer der gute Kerl gewesen, nie Bonez. Okay, fast nie, aber das hatte ich wohl auch verdient. Und das wichtigste: Ich konnte mich immer auf ihn verlassen.
"Baby?" Sacht berührt John meinen Arm. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie er näher gekommen ist.
"Ich glaube, ich verliebe mich in dich", platzt es aus mir heraus. Sein Mund steht offen, Unglaube steht John ins Gesicht geschrieben. "Das wollte ich dir gar nicht sagen", rede ich schnell weiter. "Ich wollte dir sagen, dass ich keinen Magen Virus hatte. Und da habe ich dich angeguckt und es war plötzlich ganz klar. Mein Gehirn wollte es wohl einfach los werden, dabei wollte ich dir was ganz anderes sagen. Aber jetzt kann ich es nicht mehr zurücknehmen und das will ich auch gar nicht. Leider weiß ich immer noch nicht, wie das bloß funktionieren soll mit der Entfernung und so. Aber das muss wahrscheinlich auf uns..."
John bringt mich mit einem Kuss zum Schweigen. Ich seufze leise auf, lehne mich gegen John und genieße.
"Wenn du das nicht sagen wolltest, ich bin übrigens sehr froh, DASS du es getan hast, was wolltest du mir dann sagen?"
John hat seine Arme um mich gelegt, mein Kopf ruht an seiner Brust. Ich kann nicht zu ihm aufschauen, hole erneut tief Luft und sammle mich kurz. "Bevor du mir jedoch sagst, was los ist, will ich, dass du weißt, dass es heute nichts schöneres geben wird, als deine eben gesagten Worte." Ein zarter Kuss auf mein Haar folgt seinen Worten.
"Ich habe keinen Virus", beginne ich langsam. "Ich bin schwanger. Von dir, denn es gibt nach wie vor keinen anderen Mann. Nur dich."
John berührt sacht mein Kinn.
"Warum weinst du?", fragt er leise. Verblüfft wische ich mir über mein Gesicht. Die Tränen kamen von ganz allein, ich habe sie nicht einmal bemerkt.
"Was ... ich meine, was sagst du dazu?", frage ich, senke den Blick. Es macht mir Angst, dass er noch gar nicht auf die Nachricht reagiert hat. Ist er sauer, weil ich ihm nicht gleich eine Nachricht geschickt habe? Ist er vielleicht sogar wütend, weil wir erneut nicht aufgepasst haben und damit eine Schwangerschaft provozierten?
"Darf ich dich zum Arzt begleiten?"
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