Wunschsatz: "Du kannst nicht immer so tun als ob es dir gut geht, ich sehe doch das du Schmerzen hast"
Leons PoV
Männer kennen keinen Schmerz. Ein Satz der in meinen Augen völliger Blödsinn ist. Warum sollte ein Mann nicht ehrlich sagen dürfen, dass er Schmerzen hat? Wieso sollte er immer stark sein müssen? Bewies es nicht viel mehr Stärke eine Schwäche oder Verletzlichkeit zuzugeben? Aus welchem Grund sollte eine Person das Recht haben, über die Schmerzen einer anderen Person zu urteilen?
Viel zu oft hatte ich nach einem Foul aufm Fußballfeld von einer außenstehenden Person den Satz gehört, dass der verletzte Spieler sich nicht so anstellen solle. Mit einem Bier in der Hand auf der Tribüne ließ sich sowas leicht sagen. Als betroffene Person empfand man es anders. Der Schmerz war präsent und löste sich nicht einfach in Luft auf, nur weil man der Meinung war, dass man ihn nicht empfinden durfte.
Ich wünschte mir, dass mein Freund das auch einsehen würde. Doch statt das Feld zu verlassen, spielte er weiter. Er kämpfte weiter, obwohl wir bereits führten. Hätte der Schiedsrichter ihn nicht gezwungen, hätte er die Wunde vermutlich nicht einmal versorgen lassen. Ich war sauer auf den Spieler, der über Joshua rüber gesprungen war und diesen dabei mit dem Stollenschuh am Kopf erwischt hatte. Vermutlich hätte er meinen Ärger auch direkt zu spüren bekommen, wäre ich nicht so weiter weggewesen. Stattdessen lief das Spiel einfach weiter. Erst eine ganze Weile später, als der Schiedsrichter das Blut an Joshs Hals entdeckt hatte, wurde abgepfiffen, damit die Wunde versorgt werden konnte. Kaum war das Blut weggewischt und das Trikot getauscht, wurde weitergespielt. Die Option, ausgewechselt zu werden, bestand für Joshua gar nicht. Er wollte bis zum Ende mitspielen.
Eine kurze Unterbrechung, weil eine Szene wegen eines möglichen Handspiels überprüft werden musste, nutzte ich, um zu Joshua zu gehen. Ich musterte ihn besorgt, was ihn aufseufzen ließ, ehe ich auch nur ein Wort gesagt hatte.
"Es geht mir gut", behauptete er sofort.
"Das sah mit dem Blut gerade aber anders aus", widersprach ich.
"Beim Fußball kann es mal zu Verletzungen kommen. Das ist halt das Berufsrisiko."
"Ich weiß, aber Niemand zwingt uns mit Schmerzen zu spielen. Wir führen und ..."
"Und dabei wird es auch bleiben", unterbrach der Kleinere mich. Ich ging nicht auf den versuchten Themenwechsel ein.
"Vertraust du der Mannschaft?", fragte ich.
"Natürlich", lautete die Antwort ohne einen Moment des Zögerns.
"Dann kannst du dich ja ganz beruhigt auswechseln lassen und uns den Rest überlassen. Wir werden heute nicht verlieren."
"Ich spiel weiter", entschloss Joshua und ließ mich stehen. Bevor ich die Chance hatte, die Diskussion fortzusetzen, wurde das Spiel wieder angepfiffen. Ich musste mir also weiterhin mit ansehen, wie mein Freund trotz Schmerzen weiterspielte.
Der Sturkopf ließ einfach nicht mit sich reden.
Es wunderte mich auch nicht all zu sehr, dass Joshua mir einige Wochen später ausn Weg ging, um verbergen zu können, dass es ihm schlecht ging. Ich hatte längst realisiert, dass er sich irgendeinen Infekt eingefangen hatte. Seine trüben Augen hatten ihn verraten. Während den drei freien Tagen, die man uns gegönnt hatte, hatte ich geschwiegen. Als Joshua dann jedoch begann sich fürs Training fertig zu machen, mischte ich mich ein. Hinter seinem Rücken hatte ich uns beide vom Training abgemeldet. Wie erwartet, gab es keinerlei Diskussion, sondern lediglich gute Besserungswünsche. Eine Diskussion stand mir jedoch noch bevor.
"Hast du den Autoschlüssel gesehen?", fragte Josh mit heiseren Stimme. Er stand im Flur, wo normalerweise sämtliche Schlüssel lagen. Unsere Autoschlüssel hatte ich jedoch bereits am Vortag versteckt.
"Den brauchst du heute nicht", informierte ich ihn, während ich ebenfalls nach unten ging. Im Gegensatz zu meinem Freund hatte ich mich noch nicht einmal angefangen fertig zu machen. Anders als er wusste ich aber auch, dass wir das Haus an dem Tag nicht verlassen würden. Skeptisch musterte Joshs mich. Da der Kleinere damit beschäftigt war, die Situation zu verstehen, nutzte ich die Gelegenheit, um ihn sanft an mich zu ziehen und einen Kuss auf seiner Stirn zu platzieren. Dabei bemerkte ich auch, dass er ziemlich glühte. "Geh zurück ins Bett. Ich koch dir eben nen Tee und komm dann nach", meinte ich.
"Die freien Tage sind vorbei. Wir haben Training und sollten ..."
"Die Anderen haben heute Training. Wir nicht." Josh löste sich von mir und zog die Schublade der Kommode, die im Flur stand, auf.
"Wo ist der Schlüssel?"
"Den bekommst du zurück, wenn du wieder gesund bist."
"Es geht mir gut."
"Josh, du gehörst ins Bett und ich werde dich sicherlich nirgendwo anders hingehen lassen."
"Das ist nicht deine Entscheidung." Seufzend zog ich ihn wieder zu mir und umschloss sein Gesicht mit beiden Händen.
"Wenn du nicht vernünftig genug bist, um deinen Körper die Ruhe zu gönnen, die er braucht, dann treffe ich diese Entscheidung halt für dich. Ich liebe dich und ich werde nicht zulassen, dass du mit Fieber Sport machst."
"Ich habe kein Fieber. Es geht mir gut."
"Es geht dir nicht gut. Ich höre doch, dass du total heiser bist. Außerdem glühst du richtig und hast gestern fast den ganzen Tag aufm Sofa geschlafen. Meine wegen kannst du der ganzen Welt etwas vormachen und alle belügen, aber versuch es nicht bei mir. Ich kenne dich und ich merke, wenn es dir nicht gut geht. Und jetzt gehst du bitte zurück ins Bett, sonst trag ich dich da hin."
"In wenigen Tagen spielen wir gegen ..."
"Das ist egal. Wenn du bis dahin noch nicht wieder gesund bist, wirst du gegen Niemanden spielen."
"Ich bin gesund. Es ist mein Körper. Du kannst nicht einfach bestimmen, wann ich krank bin oder wann ich Schmerzen habe. Wenn ich sage, dass alles in Ordnung ist, hast du nicht das Recht, etwas anderes zu behaupten." Joshua schob meine Hände weg, wobei er sich einige Schritte von mir entfernte.
"Du kannst nicht immer so tun, als ob es dir gut geht, ich sehe doch das du Schmerzen hast oder es dir nicht gut geht. Es ist keine Schwäche, das offen zuzugeben und es erwartet auch Niemand von dir, dass du unverwundbar bist. Du bist ein Mensch, Josh. Menschen werden mal krank oder verletzen sich. Egal was du behauptet, das betrifft auch dich. Hör also bitte auf in solchen Situationen so ein Sturkopf zu sein, hör auf deinen Körper und nimm gefälligst meine Hilfe an. Ich bin dein Freund. Ich will dir nur helfen." Der Blonde schwieg, weswegen ich seufzte und einige Schritte auf ihn zu machte. "Wir sind ein Team. Egal was ist, ich werde immer an deiner Seite sein. Du musst nicht immer stark sein und schon gar nicht bei mir. Wenn es dir nicht gut geht, dann kannst du das nicht ändern indem du es abstreitest. Allerdings könntest du es uns beiden einfacher machen, indem du ehrlich zu mir bist und meine Hilfe annimmst." Sanft zog ich Josh, nachdem ich ihn erreicht hatte, wieder an mich. "Ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst, weil ich dich liebe und du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist. Und jetzt gehen wir beiden zurück ins Bett, einverstanden?" Nach kurzen zögern nickte Josh, wobei er sich gegen mich lehnte. Ich drückte ihm einen Kuss auf den Kopf, ehe ich ihn einfach hochhob und nach oben ins Schlafzimmer trug, wo ich ihn aufm Bett ablegte.
"Möchtest du einen Tee?", erkundigte ich mich, während ich die Decke über ihn zog. Als Antwort erhielt ich ein Kopf schütteln. "Irgendwas anderes?"
"Kannst du dich zu mir legen?" Lächelnd kam ich seinem Wunsch nach. Kaum lag ich mit unter der Bettdecke, kuschelte Josh sich an meine Seite, wobei er den Kopf auf meiner Schulter ablegte.
"Versuch noch etwas zu schlafen", meinte ich, während ich begann mit einer Hand durchs seine Haare zu streichen. Ohne Diskussion schloss mein Freund tatsächlich seine Augen. Ich drückte ihn noch etwas enger an mich.
"Leon?", murmelte Josh einen Moment später heiser.
"Ja?"
"Danke."
"Wofür?"
"Das du bei mir bist. Nicht nur jetzt, sondern allgemein. Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch, Joshi." Ich platzierte einen Kuss auf seiner Stirn, was vom Kleineren mit einem Lächeln kommentiert wurde.
Ich war mir sicher, dass es nicht unsere letzte Diskussion über Joshs Gesundheitszustand gewesen war, doch zumindest dieses Mal hatte ich meinen Willen bekommen und mein Freund schlief friedlich in meinen Armen.
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